Bevor die Begriffe Resilienz und Vulnerabilität näher erläutert werden, soll an dieser Stelle zunächst der Grundstein gelegt und ein Bezug zur Soziologie und den Sozial-wissenschaften hergestellt werden.
Genuin sozialwissenschaftliche Ansätze der Resilienz- und Vulnerabilitätsforschung sind bisher nur in Nischendiskursen zu finden. Sowohl Ursachen als auch Folgen von Resilienz und Vulnerabilität werden, je nach Perspektive und wissenschaftlicher Disziplin, unterschiedlich hergeleitet und definiert (vgl. Bürkner 2010, S. 6). Konsens ist jedoch in Psychologie, Ökologie und vielen weiteren Forschungskontexten, in denen man sich mit der Thematik auseinandersetzt, dass Resilienz und Vulnerabilität als Umgangsweisen mit Störeinflüssen und Gefährdungen beschrieben werden können (vgl. Christmann et al. 2011, S. 1). Gemeinsame Basis ist außerdem die These, dass „Vulnerabilität und Resilienz nicht per se existieren, sondern das Ergebnis sozialer Prozesse und sozialer Konstruktionen der Wirklichkeit sind, die wiederum mit Machtverteilungen und dem Zugriff von Individuen und Gruppen auf ungleich verteilte Ressourcen in Zusammenhang stehen“ (Bürkner 2010, S. 6), wie in Kapitel 5 näher erläutert wird.[1]
Wie im einleitenden Kapitel beschrieben, konnte sich in modernen Gesellschaften ein geschärftes Bewusstsein für Gefahren und Risiken und dementsprechend auch für vorbeugende Maßnahmen und Schutzvorkehrungen ausbilden, weshalb sich eine gewisse Verbindung zwischen Resilienz bzw. Vulnerabilität und der sozialwissenschaftlichen Risikoforschung vermuten lässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine völlige Übereinstimmung der Begriffe oder Konzepte vorliegt.
Im Folgenden soll deshalb verdeutlicht werden, wie sich Risiko- und Unsicherheitskonzepte zu den Begriffen Resilienz und Vulnerabilität verhalten. Gibt es Übereinstimmungen, sind Abgrenzungen nötig?
Unsicherheit und Risiko zählen zu den fest etablierten Begriffen des soziologischen Vokabulars, aber auch des alltäglichen politischen und medialen Diskurses und können daher zur Verankerung von Resilienz und Vulnerabilität in den Sozialwissenschaften diesen Konzepten vorangestellt werden.
Das Wort Risiko lässt sich aus dem italienischen „risicare“ herleiten, was sich als „etwas wagen“ übersetzen lässt und dem Begriff „Risiko“ eher die Bedeutung einer aktiven Entscheidung als eines unausweichlichen Schicksals zuschreibt (vgl. Bernstein 1996/1998, S. 18). An anderer Stelle heißt es in der Literatur, dass der Begriff auf das altgriechische Wort für Klippe, „rico“, zurückzuführen ist und für das „Umschiffen der Klippe“ steht. Vermutlich hat sich das heutige Verständnis des Begriffs aber im vierzehnten Jahrhundert in den norditalienischen Stadtstaaten entwickelt und hat in der Kaufmannssprache des Mittelalters die Gefahren bei ungewissen Handelsgeschäften beschrieben (vgl. Lesitschnig 2010, S. 11).
Laut dem amerikanischen Historiker und Ökonomen Peter Bernstein liegt in der aktiven Entscheidung das Revolutionäre, was unsere Gegenwart, die Neuzeit, von der historischen Vergangenheit der Menschheit differenziert: Die Annahme, ein Risiko bewusst steuern oder beeinflussen zu können. Demnach stellt die Vorstellung von einer ungewissen Zukunft im heutigen Verständnis weniger eine Laune der Götter dar, auf welche die Menschheit keinerlei Einfluss hat. Vielmehr hat die Vorstellung der Risikosteuerung im Lauf der Zeit und vor allem mit dem technischen Fortschritt an Bedeutung gewonnen (vgl. Bernstein 1996/1998, S. 9).
Zeichnet man die Entstehung des modernen Risikoverständnisses weiter nach, so finden sich erste Anzeichen dafür in der Entwicklung des hindu-arabischen Zahlensystems, welches seit ungefähr achthundert Jahren die westliche Welt beeinflusst und die Grundlage für einen rationalen Umgang mit Risiko überhaupt erst ermöglicht hat. Darauf aufbauend rühren „alle verfügbaren Hilfsmittel zur Risikosteuerung und für die analytische Vorbereitung von Wahl und Entscheidung – von der strikt rationalen Spieltheorie bis hin zu den Herausforderungen der Chaostheorie – .. von Erkenntnissen her, die zwischen 1654 und 1760 gemacht wurden“ (ebenda, S. 15).
In der Renaissance, mit der Loslösung des Menschen „von den Fesseln der Vergangenheit“ (ebenda, S. 11) und dem Infrage stellen tradierter Meinungen, wurde dann ein weiterer Grundstein für die heutige Risikoforschung gelegt: Der Bruch mit religiösen Doktrinen, den Anfängen des Kapitalismus und der Hinwendung zu den Naturwissenschaften (vgl. ebenda).
Bis in die 1960er Jahre hinein spielte der Begriff des Risikos letztlich vor allem in der Ökonomie, der Mathematik und dem Versicherungswesen eine Rolle. Die Sozial- und Geisteswissenschaften dagegen beschäftigten sich bis dato überwiegend mit dem Begriff der Unsicherheit als menschliche Grundbefindlichkeit. Erst durch die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Kernenergie und Kernkraftwerke, im Zusammenhang mit dem technischen Fortschritt in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahrhunderts, erlangten die Themen Risiko und Unsicherheit schließlich gesellschaftliche Relevanz und Brisanz und das heutige Forschungsfeld der Risikoforschung, das inzwischen über eine breite Basis in diversen wissenschaftlichen Disziplinen verfügt, konnte entstehen (vgl. Buergin 1999, S. 2).
In Deutschland wurden Risiken, die schwerwiegende ökologische Probleme zur Folge haben können, erstmals um das Jahr 1986 gesellschaftstheoretisch reflektiert und in Politik und Soziologie aufgegriffen. Damals wurde die Bedeutung der Folgen des antarktischen Ozonlochs in den Massenmedien verbreitet, der Kernreaktor des Atomkraftwerks in Tschernobyl explodierte, ein Chemieunfall in der Schweiz führte zu einer Umweltkatastrophe und einem schwerwiegenden Fischsterben im Rhein – um nur einige Beispiele zu nennen. Außerdem wurde das Umweltministerium gegründet und zwei der Vorreiter der soziologischen Risikoforschung, Ulrich Beck und Niklas Luhmann, veröffentlichten die Werke „Risikogesellschaft“, bzw. „Ökologische Kommunikation“ (vgl. Grundmann 1999, S. 44).
Wie im späteren Verlauf der Arbeit gezeigt wird, sind Resilienz, Vulnerabilität sowie Risiko und Unsicherheit, aber auch Krise und Katastrophe, auf gewisse Weise thematisch verwandt und stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Das Themenfeld und die Diskussionslage sind jedoch als sehr umfangreich und unübersichtlich einzuschätzen. Daher wird hauptsächlich Bezug auf den Begriff des Risikos genommen und in nachfolgenden Kapiteln nur in Ansätzen auf angrenzende und naheliegende Begrifflichkeiten und Konzeptualisierungen näher eingegangen.
Demgemäß wird nun der Risikobegriff näher erläutert, bzw. anhand von drei expliziten sozialwissenschaftlichen Ansätzen vorgestellt und definiert, bevor dessen Bedeutung in Bezug auf die Resilienz-Thematik erörtert wird.
„Die Natur hat Muster eingerichtet, die für die Wiederkehr von Ereignissen sorgen, aber nur für den größten Teil“ (Leibniz in einem Brief an Bernoulli um 1703, zitiert nach Bernstein 1996/1998, S. 421). Diese Einschränkung beschreibt eine Grundvoraussetzung für die Existenz von Risiko, denn ohne diese gäbe es keine Veränderungen und sämtliches Geschehen wäre kalkulierbar.
Anders formuliert: Risiko – das ist die „Kennzeichnung der Eventualität, dass mit einer (ggf. niedrigen, ggf. auch unbekannten) Wahrscheinlichkeit ein (ggf. hoher, ggf. in seinem Ausmaß unbekannter) Schaden bei einer (wirtschaftlichen) Entscheidung eintreten oder ein erwarteter Vorteil ausbleiben kann“ (Roberts/Mosena/Winter 1956/2010, S. 2610).
So lautet die Risikodefinition eines einschlägigen Wirtschaftslexikons. Eine allgemeingültige, inter- oder intradisziplinär gültige oder prinzipiell trennscharfe Definitionen liegen nicht vor. Stattdessen existieren viele verschiedene Begriffe wie Risiko, Unsicherheit, Ungewissheit, Unkenntnis, Schwarze Schwäne, Known Unknowns, Unknown Unknows, etc., die allesamt zukünftige Ereignisse beschreiben oder umschreiben, über die kein oder kein ausreichendes Wissen vorhanden ist (vgl. Boeckelmann/Mildner 2011, S. 1).
Deutlich abzugrenzen ist der Risiko- jedoch vom Gefahrenbegriff, wie in Kapitel 2.2.2 zu Niklas Luhmanns Risikoverständnis näher erläutert wird. Trotz einiger Berührungspunkte in der Umgangssprache sind Gefahren als Ursachenkonstellationen zu betrachten, „die beim ungehinderten Fortschreiten des Geschehensablaufes mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Eintreten eines Schadens führen“ (Lesitschnig 2010, S. 14). Bei einer Gefahr handelt es sich demnach um ein ausstehendes, negativ konnotiertes Ereignis mit ungewissem und nicht verhinderbarem Eintrittszeitpunkt, wobei durch eine direkte Bedrohung die konkrete Form einer Gefahr dargestellt wird (vgl. Giebel 2012, S. 30f.). Beim Risikobegriff dagegen findet ein Abwägen zwischen der „Häufigkeit des Eintretens von...