Der offensichtlichste Weg, um eine Verteilungsgerechtigkeit für Retargeting-Maßnahmen herbeizuführen, ist den wahrgenommenen Nutzen von Targeting-Maßnahmen zu erhöhen (Groene et al., 2012, S. 5). Dieser wird am ehesten erhöht, wenn auf irrelevante Werbung verzichtet wird (Alreck & Settle, 2007, S. 13). Die vorliegende Arbeit wird untersuchen, ob durch die Ähnlichkeit von Markenpersönlichkeiten ein Nutzenfaktor wie z.B. ein erhöhtes Interesse ausgelöst werden kann, der nach der Verarbeitung einer Reihe von kognitiven und affektiven Informationsprozessen in einer positiven Verhaltensabsicht gegenüber einer Online-Werbeanzeige mündet (Klickabsicht). Demnach soll nachgewiesen werden, dass ähnliche Markenpersönlichkeiten über die Relevanz verfügen, die Personen dazu bringen ihre Besorgnisse gegenüber der Personalisierungsmaßnahme zu reduzieren. Im Unterschied zu bisherigen Retargeting-Studien wird nicht mehr von Produkten ausgegangen, die Konsumenten in einem Online-Shop schon einmal betrachtet haben (Tucker & Lambrecht, 2012, S. 561 ff.), sondern versucht durch besagte Markenähnlichkeiten das Interesse des Internetnutzers zu wecken. Hat sich ein Konsument also bereits in einem Online-Shop über eine Marke informiert, sprich die Produktdetails eines spezifischen Produktes aufgerufen, soll er über eine Retargeting-Maßnahme auf einer anderen Webseite durch ähnliche Markenpersönlichkeiten angesprochen werden. Das zuvor gesehene Produkt sollte nicht Inhalt der Anzeige sein.
Dieser Studienarbeit liegt die Annahme zugrunde, dass Markenloyalität als Verhaltensabsicht verstanden wird. Es wird dargestellt, inwieweit dieses erkennbar ist, wenn markentreue Konsumenten mit Konkurrenzprodukten in Berührung kommen. Dabei wird davon ausgegangen, dass eine stark ausgeprägte Verhaltensabsicht eher dazu motiviert ein bestimmtes Verhalten auszuüben (Ajzen & Fishbein, 1980, S. 30). Markenloyalität stellt hier die Verhaltensabsicht dar und beeinflusst das Interesse bzw. Desinteresse an Alternativmarken.
Eine echte Markenloyalität ist eine Loyalität aus Verbundenheit. Dick und Basu (1994,
S. 102) erkennen sie als die stärkste Loyalitätsform. Sie ist resistent gegenüber attraktiven Wettbewerbsangeboten und unterliegt keinen weiteren Umwelteinflüssen (Dick & Basu, 1994, S. 101). Situative Faktoren wie günstigere Angebote von Konkurrenzprodukten stellen keine Wechselbarriere dar. Echte Markenloyalität äußert sich in einer positiven Einstellung und einem stark ausgeprägten Wiederkaufsverhalten. Newman und Staelin (1972, S. 254) kommen diesbezüglich zu der Erkenntnis, je positiver die Erfahrungen einer Person mit einer Marke sind, desto weniger sucht sie nach Alternativen. Furse et al. (1984, S. 429) weisen dahingehend nach, dass Konsumenten, die weniger nach Alternativen suchen, meist zufriedener mit ihren letzten Einkaufserfahrungen sind.
Basierend auf Festingers (1957, S. 15 ff.) Theorie der kognitiven Dissonanz verhalten sich Konsumenten aufgrund der Gleichgewichtserhaltung loyal. Loyale Konsumenten wollen ihren Zufriedenheitszustand mit einer Marke aufrechterhalten und das unangenehme Gefühl der kognitiven Dissonanz bei der Verwendung einer anderen Marke vermeiden (Homburg et al., 1998, S. 90).
Handelt es sich bei einem Internetnutzer um einen markentreuen Konsumenten, kann davon ausgegangen werden, dass dieser personalisierte Anzeigen, die seine präferierte Marke nicht enthalten, negiert. Da seine innere Haltung keine Bestärkung erfährt, wird in der Konsequenz seiner Denkweise kein weiterer Impuls ausgelöst. Diese vermeintliche Überlegenheit des Nutzers schützt ihn vor Beeinflussung seiner Kaufentscheidung.
Ein Nutzenfaktor wird nach Zeithaml’s (1988, S. 14) und Xu et al.‘s (2011, S. 44) Auffassung definiert „as the individual’s overall assessment of the utility of information disclosure based on perceptions of privacy risks incurred and benefits received“. Dies lässt zu, ihn als Grad an Privatsphäre zu bezeichnen, den Internetnutzer bereit sind aufzugeben, um die durch die Personalisierung empfundenen Vorteile zu nutzen (Xu et al., 2011, S. 44). Je mehr eine Person ihre Präferenzen repräsentiert sieht, desto eher ist sie auch gewillt Daten bereitzustellen, also in dem hier untersuchten Fall personalisierte Werbeanzeigen zu nutzen (Xu et al., 2011,
S. 43). Pasadeos (1990, S. 35 ff.) hat darüber hinaus festgestellt, je informativer eine Werbeanzeige empfunden wird, desto geringer wird die Abneigungsreaktion der Konsumenten dieser gegenüber sein.
Dass Markenpersönlichkeiten eine entscheidende Rolle bei der Kaufentscheidung spielen können, haben schon Yang et al. (2014, S. 973) nachgewiesen. Sie führen mit ihrer Studie den Beweis an, dass Marken innerhalb ihres Kontextes an Bedeutung gewinnen oder verlieren können (Yang et al., 2014, S. 987). Hat eine Person schon eine bewusste Meinung zu einer Marke gebildet, lässt sich diese kaum noch beeinflussen (Yang et al., 2014, S. 986). Hat ein Konsument aber keinen Zugriff auf Produkt- bzw. Markeninformationen, so ist er empfänglicher für den Charakter einer Marke bei der Kaufentscheidung (Yang et al., 2014, S: 986 f.). Vor allem im Umfeld von mehreren Marken ist die Persönlichkeit ein Anker, Beurteilungen vorzunehmen (Yang et al., 2014, S. 987). Stellen in der Studie von Yang et al. (2014, S. 973 ff.) mehr die Unähnlichkeiten von Markenpersönlichkeiten einen Vorteil für die Präferenz von einzelnen Marken dar, soll hier nun ein Vorteil durch die Ähnlichkeit von Markenpersönlichkeiten identifiziert werden
Die Überlegung geht dabei vor allem auf die Selbstkongruenztheorie von Sirgy (1982, S. 287) zurück, bei der postuliert wird, dass Menschen in Gegenständen Eigenschaften suchen, die denen, die sie in sich selbst sehen bzw. gerne sehen würden, ähnlich sind. Huber et al. (2001, S. 13) haben auf Grundlage von Sirgys (1982, S. 288 ff.) Theorie bestätigt, dass ein Individuum nach einer Kongruenz zwischen seiner eigenen Persönlichkeit und der Persönlichkeit einer Marke strebt. Sie postulieren, dass Menschen durch den Kauf von bestimmten Produkten innere Motive und Bedürfnisse befriedigen wollen. Hierzu vergleichen sie Nachfrager- und Markenpersönlichkeit miteinander, um die Ziele, die eine Person beim Kauf einer Marke realisieren will, nachzuvollziehen (Huber et al., 2001, S. 13). Eine Abgleichung von Nachfrager- und Markenpersönlichkeit ist für diese Arbeit nicht vorgesehen, da mittels der Theorie nur klargestellt werden soll, dass ähnliche Marken für die gleichen inneren Motive einer Person stehen. Dies geht auf die gleichen Überlegungen zurück, die auch schon zur Begründung der Loyalität einer Marke geführt haben, zur Überwindung der kognitiven Dissonanz (Stahlberg et al., 1996, S. 127). Mit Rückblick auf das im Kapitel 2.1.1 erläuterte Argument von Kown et al., dass One-to-N-Personalisierung erfolgreicher sein kann als One-to-One-Personalisierung, wird hier ein Argument für eine entsprechende Individualisierung von Retargeting-Anzeigen gezeigt. Je individueller die Produkte in einer Anzeige auf einen Konsumenten zugeschnitten sind, desto eher kann er sich mit diesen identifizieren. Daher gilt folgender Zusammenhang
Sind die Markenpersönlichkeiten, die die Werbeanzeige enthält, unähnlich zu der vorher betrachteten Marke, so reichen diese nicht aus, um eine Individualisierung für den Konsumenten darzustellen. Je stärker sich zudem eine Person mit in einem Online-Shop gesehenen Marke identifiziert, desto weniger fühlt er sich durch unähnliche Markenpersönlichkeiten in Retargeting-Anzeigen angesprochen. Auch hier lässt sich wieder Sirgys Selbstkongruenztheorie (1986, S. 12 ff.) anführen: Je mehr die Eigenschaften eines Objektes von denen, die eine Person gerne hätte bzw. besitzt, abweichen, desto weniger sind diese für sie interessant. Unähnliche Markenpersönlichkeiten zur eigenen Persönlichkeit geben nicht die Sicherheit, die durch den Besitz dieser Marken gewünscht wird.
Darüber hinaus kann angenommen werden, dass unähnliche Marken keine ausreichende Personalisierung für einen Konsumenten darstellen. Yang et al. (2014, S. 975) behaupten, dass unähnliche Marken im Umfeld von ähnlichen herausstechen. Eine unterbewusste Unterscheidung von Ähnlich- bzw. Unähnlichkeiten ist durch ihre Experimente nachgewiesen worden (Yang et al., 2014, S. 994 f.). Werden in ihrem Experiment positive Effekte durch die unähnliche Marken unterstellt, da sie das Bedürfnis nach Einzigartigkeit wecken kann, ist hier wiederum von einem negativen Einfluss auszugehen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich folgende Hypothese:
Allerdings steht - wie es der Privacy Calculus beschreibt - ein Internetnutzer bei der Betrachtung einer personalisierten Werbeanzeige immer auch einem Trade-Off gegenüber, und zwar durch die Abwägung von Nutzen und Risiko der Personalisierung...