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Revolution 3.0

Die neuen politischen Rebellen und ihre Waffen

AutorMatthias Bernold, Sandra Larriva Henaine
VerlagXanthippe Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl162 Seiten
ISBN9783905795219
Altersgruppe16 – 99
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Was verbindet den grünen Tübinger Bürgermeister Boris Palmer, den Thurgauer Papierindustriellen Daniel Model und den Wiener Studenten und Online-Experten Luca Hammer mit der ägyptischen Online-Radiomacherin Aman El Tunsi, mit der isländischen Bürgerrechtsaktivistin Birgitta Jonsdottir oder mit Sogol Arthunis aus Teheran, die als Teil der Widerstandszelle "uprising" gegen das Mullah-Regime mobil macht? Sie alle stehen - so unterschiedlich ihre Ziele auch sein mögen - für eine neue Form des politischen Protests. Eines Protests, der sich eines digitalen Waffenarsenals bedient, um zu mobilisieren, Meinungen zu bilden und etablierte Machtverhältnisse herauszufordern. Ob sie nun wie Regimekritikerin Sarrah Abdelrahman dafür gekämpft haben, einen autoritären Staatschef aus dem Amt zu hieven; ob sie wie Palmer gegen ein Bahnhofsprojekt auf die Barrikaden gehen; ob sie wie Model aus Verdruss über Demokratie und Sozialstaat einen autonomen Staat ausrufen: Den neuen Rebellen stehen Instrumente zur Verfügung, um die sie die Aufständischen vergangener Tage beneidet hätten. Digital vernetzt verbreiten sie ihre Vorstellungen, verabreden sich zu Protestmärschen oder gar zum bewaffneten Kampf. In Sekundenschnelle, dezentral und unter Umgehung staatlicher Zensur. Im politischen Spektrum befinden sich diese Rebellen mitunter links, mitunter rechts vom Mainstream. Mitunter ist es gar nicht leicht, sie in eine politische Schublade zu stecken. Aber sind die neuen Gegenbewegungen wirklich erfolgreicher als ihre Vorgänger? Sind sie Ausdruck erstarkten Demokratiebewusstseins oder untergraben sie unsere demokratischen Fundamente? Nehmen sie dauerhaft Einfluss auf die Gesellschaft? Oder verpuffen sie so schnell wie sie gekommen sind? Und: Wie stellen sich die politischen Kasten ihren virtuellen Herausforderern entgegen?

Matthias G. Bernold, Jahrgang 1975, pendelt als Journalist zwischen New York und der Wiener Brigittenau. Der Kolumnist der "Wiener Zeitung" und langjährige Politik-Redakteur der österreichischen Wochenzeitung "Falter" studierte Journalismus und Rechtswissenschaften an der Universität Wien und an der Columbia University in New York. Sein Interesse für politischen Widerstand entspringt nicht zuletzt seiner Begeisterung für gelebte, direkte Demokratie. Seine These: Demokratie beginnt mit dem Aufbegehren. Besser, die Leute sind dagegen, als dass es ihnen - wie die Wiener sagen - wurscht ist. Sandra Larriva Henaine, Jahrgang 1981, ist spezialisiert auf Nahostpolitik und Islam. Die Journalistin mit mexikanisch-libanesischen Wurzeln studierte Online-Journalismus an der Columbia University in New York und Arbabisch in Beirut. Als im Jahr 2006 der Grenzkonflikt zwischen Libanon und Israel ausbrach, berichtete sie für die mexikanische Tageszeitung "Reforma". Zuletzt Redakteurin bei AOL's "Patch", einer superlokalen Webseite in New York, war sie davor Reporterin bei "Forbes Traveler", "MSNBC" und der argentinischen Zeitung "Clarin". Überzeugt, dass Unwissen Angst und Hass schaffen, hofft sie durch ihre Arbeit Vorurteile über den Nahen Osten zu entkräften.

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Leseprobe

«Popcorn entsteht nicht einfach aus dem Nichts. Es braucht Maiskörner, Öl, viel Hitze und Druck. Sei vorsichtig mit dem Arabischen Popcorn! Du kannst dich daran verbrennen.»

SARRAH ABDELRAHMAN

 

Sarrah Abdelrahman – Tochter des Arabischen Frühlings

Es würde zu weit gehen, Videobloggerin Sarrah Abdelrahman als Schlüsselfigur in der erfolgreichen Niederwerfung Hosni Mubaraks oder in Ägyptens Kampf für die Demokratie zu bezeichnen. Aber sie steht stellvertretend für Zehntausende junger Ägypterinnen und Ägypter, deren politisches Bewusstsein während der Proteste in Ägypten erwachte und die mit ihren kleineren und grösseren Beiträgen die Revolution in der arabischen Welt erst möglich machten.

 

Der 25. Januar 2011 wird in die Geschichte eingehen als Tag, an dem der ägyptische Traum Gestalt annahm. Hier begann die Revolution, die Präsident Hosni Mubarak, der das Land über drei Jahrzehnte lang beherrscht hatte, das Amt kosten würde. Hier fiel der erste erlösende Donnerschlag im Gewitter der Frustration, das sich nach Jahren der Repression zusammengebraut hatte. Just an diesem Tag, an dem das alte, korrupte und gewalttätige Regime seinen Todeskampf begann, wurde Sarrah Abdelrahman geboren.

Zumindest steht das so auf ihrer Facebook-Seite. Vor diesem 25. Jänner sei sie nämlich der «wahrscheinlich politisch desinteressierteste Mensch auf der ganzen Welt» gewesen, sagt die 23-jährige Journalismus- und Theaterstudentin der American University in Kairo. Sie habe sich darauf beschränkt, auf dem Campus gute Figur zu machen. Kein Wort des Widerspruchs den Eltern gegenüber, die ihr das eine immer wieder und wieder einschärften: dass es das Beste für das Land sei, nicht gegen das System zu kämpfen. Das Beste für Ägypten und das Beste auch für Sarrah.

Mit dem 25. Jänner war dann auf einmal alles ganz anders. Sarrah wagt sich vom sicheren Areal der Universität direkt auf den Tahrir-Platz, wo sie zusammen mit Hunderttausenden Demonstranten den Rücktritt Mubaraks fordert. Ihr Blackberry immer in der Hand, produziert Sarrah im 5-Minuten-Takt Tweets1 und kommentiert in ebenso unterhaltsamen wie provokanten Videos das politische Zeitgeschehen.

Fragt man die Menschen in Ägypten nach den Ursachen dieser Revolution, dann bekommt man einhellig zur Antwort: Zensur und Korruption, Einschüchterung und die Verletzung von Menschenrechten waren der Zündstoff für diese Revolte. «Popcorn entsteht nicht einfach aus dem Nichts», formuliert es Sarrah in einem Tweet irgendwann im Mai 2011: «Es braucht Maiskörner, Öl, viel Hitze und Druck. Sei vorsichtig mit dem Arabischen Popcorn!! Du kannst dich daran verbrennen.»

Die junge Revolutionärin bindet die Schnürsenkel ihrer Doc Martens nicht, wenn sie die holprigen Strassen Kairos entlanggeht. Vielleicht ist sie so voller Selbstvertrauen, dass ihr die Möglichkeit, sie könnte stolpern, gar nicht in den Sinn kommt. Es ist ein heisser Maientag in Ägyptens Hauptstadt, an dem man sich besser im Schatten aufhält. Unter den Sonnendächern im Garten des Französischen Kulturzentrums zum Beispiel. Ein eigener Mikrokosmos im Herzen Kairos, wo tagsüber Crêpes und Galettes serviert werden und wo die Frauen tragen können, was sie wollen: von Burka und Hijab bis hin zu Bluse und offenem Haar – so wie Sarrah. Hier erzählt sie von der Polizeigewalt, die sie in Ägypten mitansehen musste. Von einem System, das auf persönlichen Beziehungen und auf Günstlingswirtschaft beruht, nicht aber auf Kompetenz. Sie erzählt davon, wie sie sich fühlte: «Schwach und bedeutungslos, weil ich nichts gegen das System unternehmen konnte, weil es niemand zuliess, dass irgendwer irgendetwas gegen das System unternahm.»

Unter Mubaraks Herrschaft waren Folter und Polizeigewalt nicht nur ein weit verbreitetes und gern angewandtes Mittel gegen Kriminelle, sondern auch gegen Demonstranten, gegen politische Gefangene, sogar gegen friedliche Passanten, beschreibt die Aufdeckungsplattform Wikileaks in einem vertraulichen Bericht der US-Botschaft, veröffentlicht am 28. Februar 2011. Glaubt man den Aufzeichnungen, so ereigneten sich in Kairos Polizeistationen Hunderte von Missbrauchsfällen jeden Tag. Die Bandbreite der Misshandlungen reichte dabei vom Zusammenschlagen eines Hausmeisters, um die Wohnungsnummer eines Verdächtigen zu erfahren, bis hin zum Schusswaffengebrauch gegen Autofahrer nach einem Streit über ein Strafmandat.

Vor diesem Hintergrund lässt sich verstehen, warum Ägyptens grösster Protest seit Jahrzehnten, und damit der Start der Revolution, ausgerechnet auf den «Nationalen Feiertag der Polizei» angesetzt wurde. Die Frustration über die Polizeigewalt, erklärt Sarrah, sei der kleinste gemeinsame Nenner gewesen, auf den sich die Demonstranten einigen konnten. Lange bevor sie politische Ziele formuliert hätten. Indem man sich auf die Themen konzentriert habe, die für die Öffentlichkeit auf der Hand lagen, sei diese gewaltige Mobilisierung erst möglich geworden: «Am ersten Tag war es ein Protestmarsch von vielleicht zehntausend Leuten, und am nächsten Tag war das gesamte Volk auf den Strassen, um das Regime aus dem Land zu jagen.»

Für sie, sagt Sarrah, sei der entscheidende Auslöser die weit verbreitete Skepsis gewesen. «Der Zweifel der Leute, ob sich Ägypten überhaupt verändern kann.» Als die Pläne für die Protestversammlungen mittels Mundpropaganda und im Internet verbreitet wurden, erinnert sie sich, gab es nicht wenige, die in Frage stellten, ob mittels Facebook überhaupt eine Revolution angezettelt werden könnte. «Es hat Stimmen gegeben, die haben behauptet, der Ägypter als solcher sei viel zu passiv und zu faul, um das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.»

Während ihre 19-jährige Schwester noch im Bett liegt, um sich im Fernsehen «Gossip Girl» anzuschauen, verlässt Sarrah am Morgen des 25. Jänner das Haus und geht zum ersten Mal in ihrem Leben demonstrieren. Nur ihrer besten Freundin in England erzählt sie davon – für den Fall, dass ihr etwas zustossen sollte. Ganz verbergen kann sie ihre Pläne für diesen Tag allerdings nicht. Die Mutter, sagt sie, habe es einfach gespürt. «Sie war natürlich dagegen, dass ich zum Tahrir-Platz gehe. Aber ich habe zu ihr gesagt: ‹Du kannst mich ohnehin nicht aufhalten, also lass es einfach.›» Später am Tag erhält sie dann eine Kurznachricht von ihrer Mutter: «Sie schrieb, dass sie Angst um mich habe. Aber dass sie mich unterstütze.» Drei Tage später wird sie von ihrer Mutter in der Früh sogar geweckt: Sie solle auf den Tahrir-Platz gehen und sich beeilen, fortkommen, bevor der Vater etwas merke. Letzterer begrüsst die Ereignisse in Ägypten nämlich ganz und gar nicht – die Revolution sei «schlecht fürs Geschäft». Sein Unternehmen, das eng mit der Tourismusindustrie zusammenarbeitet, ist in Gefahr. Kein Wunder, dass er die Tochter ermahnt: «Weisst du, wie viele Gäste derzeit im Four Seasons absteigen? Zwei.»

«Mein Vater ist ein Kontrollfreak», sagt Sarrah, «er mag Zensur, Sicherheit, Kontrolle – er glaubt, dass mein Mut und mein Enthusiasmus mich in Gefahr bringen.»

Am Tahrir-Platz, dem Epizentrum der Unruhen, erhält Sarrah Kopien von Listen mit Anwälten, die sie anrufen kann, für den Fall, dass sie inhaftiert oder festgehalten wird und rechtlichen Beistand braucht. Immer wieder findet sie sich inmitten von Strassenschlachten zwischen Demonstranten und der Polizei, wird mit Stöcken geschlagen und rennt davon, sieht Blut auf den Strassen. «Sosehr ich das damals auch gewollt hätte», erzählt sie, «ich habe es einfach nicht hingekriegt, Pflastersteine auf die Polizisten zu werfen. Was das angeht, bin ich einfach der totale Loser.»

Aus Sarrah spricht die Computergeneration, wenn sie schildert, dass alles «fast wie in einem Videospiel» gewesen sei: die Menschenmassen, die gegen die Polizei aufmarschierten, das Errichten provisorischer Barrieren gegen die Polizeifahrzeuge, das Brennen in den Augen, wenn man in eine Tränengaswolke geriet, nur um kurz darauf von einem Wasserwerfer «erfrischt» zu werden. «Je näher wir dem Tahrir-Platz kamen, desto stärker fühlten wir uns», erinnert sie sich. Ihr Selbstbewusstsein, ihr Identitätsgefühl sei mit jedem Schritt stärker geworden. Vor dem 25. Jänner habe man Nationalstolz in Ägypten am ehesten bei einem Fussballländerspiel gespürt. «Das war dem Regime ganz recht, um die Leute unter Kontrolle zu halten.»

Vielleicht ebenso wichtig wie Sarrahs Beitrag zur Revolution ist diese für Sarrahs Persönlichkeit: Von einer unsichereren, privilegiert lebenden jungen Frau, die in einer geschützten, abgeschotteten Reichen-Siedlung nach dem Sinn des Lebens sucht, mutiert sie über Nacht zur...

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