Nach Max Weber ist Macht „soziologisch amorph“ (Weber 1976, S. 79), sie weist also keine bestimmte Gestalt oder Form auf. DerBegriffistein „essentially contested concept“ (Ball, 1993, S. 554, zitiert nach Imbusch, 2007, S. 396) und „characterized by unresolved – and indeed unresolvable – disputes over its meanings and proper application“ (ebd.). Es handelt sich hierbei also um Termini, deren „Bedeutungsebene“ (Altwickler, 2011, S. 16) variiert und die „Gegenstand einer immerwährenden Kontroverse sind“ (ebd.).
Macht ist „nichts Gegenständliches, unmittelbar Sichtbares, sondern die weithin unsichtbare Eigenschaft sozialer Beziehungen“ (Imbusch, 2007, S. 396) und kann je nach Kultur, Wertvorstellungen, Blickwinkel und persönlichen Erfahrungen verschieden interpretiert werden.
In der Literatur der 1970er Jahre war Macht sehr stark mit „vernunftwidriger Manipulation“ (vgl. Kraus & Krieger, 2011, S. 9) verbunden und stellte sich als Instrument ökonomischer, politischer, kultureller und rhetorischer sozialer Ungleichheit dar, die dem „zu befreienden Subjekt als Widersacher“ gegenüberstand (ebd.). Aus dieser Sichtweise des Begriffes der Macht wird einem zu verantwortenden Unrecht, wie z. B. Behinderung der freien Persönlichkeit, Unterdrückung von gesellschaftlichen Gruppen oder der Durchsetzung partikularer Interessen, die Legitimation verschafft (ebd.). Es wird dabei ausgeblendet, dass in sozialen Prozessen, in denen Regeln aufgestellt, ausgewählten Rollenträgern bestimmte Rechte, Ressourcen und Kompetenzen verteilt und Abhängigkeiten bestimmt werden, immer Macht und Machtverhältnisse entstehen (ebd. S. 9f.). Demnach kann es auch „keine „machsterilen sozialen Phänomene“ geben (Popitz, 1992, S. 272). Auch Arendt (1985) schließt sich dem an, indem sie schreibt, dass Macht „allen menschlichen Gemeinschaften schon inhärent ist“ (Arendt, 1985, S. 53).
Macht kann nicht im Besitz einzelner Personen oder Institutionen sein, sondern beschreibt immer ein Verhältnis zweier ungleicher Seiten zueinander und bildet damit eine „reziproke soziale Beziehung eigener Art“ (Kraus & Krieger, 2011, S. 10). Macht befindet sich auf beiden Seiten, bei den Herrschenden und den Beherrschten, den Mächtigen und den Mindermächtigeren. Wären beide Seiten nicht aufeinander angewiesen, gäbe es keine Grundlage und Notwendigkeit für das Vorhandensein von Macht (ebd.).
Theorien der Macht gehen von zwei unterschiedlichen Sichtweisen aus, nämlich von power to und power over. Power to bezeichnet die Macht, seinen eigenen Willen durchzusetzen, also die Macht etwas zu tun. Beim power over kann Macht darin bestehen, das Denken, Glauben und Verhalten von anderen zu beeinflussen, also Macht über andere zu haben (vgl. Imbusch, 2007, S. 413). Jane Adams (1907) führte hierfür das Begriffspaar „positive“ und „negative Macht“ ein (Adams, 1907, o. S., zitiert nach Staub-Bernasconi, 1998, S. 26f.).
Weiter gedacht ist nach Staub-Bernasconi (1998) die positive Macht eine „menschengerechte bzw. legitim begrenzende“ und negative Macht eine „menschenbehindernde, illegitime“ Macht (Staub-Bernasconi, 1998, S. 28f.). In der vorliegenden Arbeit liegt der Fokus auf dem erstgenannten Machtbegriff, der Macht etwas zu tun, was dem Akteur oder den Akteuren sonst nicht möglich gewesen wäre.
Power to bzw. begrenzende Macht ermöglicht laut Staub-Bernasconi (1998) aufgrund fairer Regeln erst menschliches Zusammenleben (ebd., S. 32). Die Begrenzungsregeln sollen nach dem Bedürfnisbefriedigungsprinzip die gerechte Verteilung von ökologischen, ökonomischen, kompetenzbezogenen und kulturellen Ressourcen ermöglichen und damit jedem die gleiche Chancen bieten (ebd., S. 29). Diese Regeln „begrenzen [damit] die im Prinzip grenzenlosen Expansionswünsche“ (ebd.) der Menschen und sorgen dafür, dass „Entscheide und Kontrolle von oben und unten her möglich sind“ (ebd.). Eine „zu große Machtkonzentration“ (ebd., S. 31) wird damit begrenzt.
Power over bzw. Behinderungsmacht beschränkt und diszipliniert nach unten und entgrenzt, dereguliert nach oben (ebd., S. 32). Das heißt, dass Ressourcen durch wenige kontrolliert werden und schlecht und/oder selektiv zugänglich sind (ebd., S. 33). Einflussnahme findet bei Behinderungsmacht nur von „oben nach unten“ (ebd., S. 35) statt und bildet ein „autokratisches Führungsprinzip“ (ebd.).
Richtig eingesetzt, kann Facebook als power to fungieren. Die gesellschaftlichen Entscheidungen können auch von unten nach oben erfolgen – also direkt vom Volk. Ob die Stimmenabgabe bei demokratischen Wahlen oder die Vernetzung über Facebook und dadurch ausgelöste Demonstrationen für die Anliegen der Bevölkerung – beides ist Begrenzungsmacht. Eine Machtkonzentration an der Spitze wird dadurch vermindert und auf eine breitere Basis gestellt. In Ländern ohne funktionierende Demokratie haben die amtierenden Machthaber dieses Potential längst erkannt und sehen dadurch wiederum ihre Macht gefährdet. Es wird z. B. durch Internetsperren, Zensur und Online-Überwachung versucht, der Bevölkerung dieses Werkzeug der Machtausübung und Organisation vorzuenthalten. Laut „Reporter ohne Grenzen“ (2012) waren das Internet und Social Network Sites 2011, besonders auch im Arabischen Frühling, ein wirksames Mittel für Proteste, Kampagnen und die Verbreitung von Informationen in Staaten mit repressiven Regimen (Reporters without Borders, 2012, S. 4). Um ihre Macht zu halten, versuchten die betreffenden Regierungen in den darauf folgenden Monaten mit schärferen Maßnahmen die Möglichkeiten im Internet für die Bevölkerung zu begrenzen (ebd.) und dadurch Behinderungsmacht auszuüben. Im Jahr 2012 zählen unter anderem China, Iran und Syrien zu den Ländern mit der schärfsten Überwachung des Internets und damit auch von sozialen Online-Netzwerken wie Facebook (ebd., S. 11).
Die Macht, etwas zu tun, ist eng verwandt mit Empowerment. Dieser Begriff ist eine wichtige Methode und für die Soziale Arbeit von hoher Attraktivität (Herringer, 2002, S. 8). Dabei geht die Sichtweise des Adressaten der Sozialen Arbeit weg von seinen „Lebensunfähigkeiten und Hilflosigkeiten“ (ebd.). Stattdessen stehen seine „Stärken und […] Fähigkeiten“ (ebd.), mit deren Hilfe er sein Leben „auch in Lebensetappen der Schwäche und der Verletzlichkeit […] selbstbestimmt zu gestalten“ (ebd.) vermag, im Blickpunkt. Der Blick auf die Schwächen führt zur „Inszenierung von Hilfebedürftigkeit [und zur] führsorglichen Belagerung“ (Staub-Barnasconi, 2007, S. 248).
Empowerment ist „eine offene normative Form“ (Herringer, 2002, S. 11, im Original kursiv) und stellt eine „Sammelkategorie für alle […] Arbeitsansätze in der psychosozialen Praxis [dar], die die Menschen zur Entdeckung der eigenen Stärken ermutigen und ihnen Hilfestellungen bei der Aneignung von Selbstbestimmung und Lebensautonomie vermitteln“ (Staub-Bernasconi, 2007a, S. 247).
Für die Soziale Arbeit entsteht mit dem Abschied von einer entmündigenden Expertenmacht und damit auch von wissenschaftlichen Bezugswissen dadurch eine neue Rollendefinition (ebd., S. 248). Ziel soll eine symmetrische Arbeitsbeziehung sein, bei der wohlmeinende Bevormundung durch partnerschaftliches Aushandeln ersetzt wird (ebd.). Der Sozialarbeiter soll unter anderem mit Hilfe der Methoden Netzwerkanreicherung und Netzwerkförderung als Netzwerker und Ressourcenmobilisierer fungieren (ebd., S. 249). Weiter soll die Soziale Arbeit als Organisations- und Systementwickler die administrativen und politischen Strukturen öffnen und dadurch die Partizipation und Bürgerbeteiligung fördern (ebd.).
Herringer (2002) gibt folgende Definition von Empowerment an:
Empowerment beschreibt mutmachende Prozesse der Selbstbemächtigung, in denen Menschen in Situationen des Mangels, der Benachteiligung oder der gesellschaftlichen Ausgrenzung beginnen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen, in denen sie sich ihrer Fähigkeiten bewusst werden, eigene Kräfte entwickeln und ihre individuellen und kollektiven Ressourcen zu einer selbstbestimmten Lebensführung nutzen lernen.“ (Herringer, 2002, S. 18).
Grundsätzlich lassen sich zwei Zielstationen von Empowerment unterscheiden: Psychologisches und politisches Empowerment (ebd., S. 167). Das psychologische Empowerment beschreibt die Ebene der Selbstveränderung (ebd.). Hier stehen individuelle Parameter der Stärke im Mittelpunkt. Am Ende „mutmachender Reisen in die Stärken [steht ein] Schutzschild“ (ebd., S. 168), dass dem Menschen hilft, zukünftige „Bedrohungen und Gefährdungen erneuter Hilflosigkeit abzuwehren“ (ebd.).
Politisches Empowerment beinhaltet auch psychologisches Empowerment, geht dabei jedoch über die Ebene der Selbstveränderung hinaus (ebd.). Hier stehen die Veränderungen der Lebenswelt und des öffentlichen Raums als Effekte sozialen Engagements im Vordergrund (ebd.). Dazu zählen beispielsweise Aktionen bürgerschaftlicher Einmischung oder öffentliches Eintreten für Teilhabemöglichkeiten an der politischen Willensbildung (ebd.). Die Erfahrung der eigenen Stärke entsteht aus solidarischer Vernetzung und Selbstorganisation in sozialer Aktion (ebd., S. 184). Der Erfolg von politischem Empowerment liegt demnach am „Zugewinn von ‚personal power’ und Alltagskontrolle“ (ebd.) und der „Verknüpfung mit Menschen mit vergleichbaren Anliegen und die Entwicklung eines strittigen tätigen Gemeinsinns“ (ebd.).
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