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Revolution in München

1800 - 1848 - 1918 - 1933 - 1968

AutorDominik Tomenendal, Oliver Braun, Sylvia Krauss-Meyl, Thomas Götz, Thomas Grasberger
VerlagVerlag Friedrich Pustet
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl160 Seiten
ISBN9783791760100
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
'Bier, Gaudi und Enthemmung' - das weit verbreitete Bild vom Verhältnis der Münchner zu den revolutionären Umbrüchen der neuesten Geschichte ist nicht selten klischeebeladen und hoch selektiv. Es ist höchste Zeit, diese schwarz-weiß-Malerei abzuschattieren - durch einen neuartigen facettenreichen Überblick von den napoleonischen Kriegen bis zur Studentenbewegung.

Oliver Braun, Dr. phil., ist Lehrbeauftragter für Neuere /Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Thomas Götz, Dr. phil., lehrt Neuere /Neueste Geschichte an der Universität Regensburg. Thomas Grasberger M.A., lebt als Rundfunkjournalist und Buchautor in München. Sylvia Krauss-Meyl, Dr. phil., ist Archivdirektorin im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Dominik Tomenendal M.A., ist Referent bei der Europäischen Akademie Bayern.

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Leseprobe

1848/49: Revolution zwischen loloman(n) und ultramontan


von Thomas Götz

„Arme Revolution, daß Du dich

nach München verirrt hast!“

(Diezel, Baiern und die Revolution, Zürich 1849, S. 115)

„Unruhen“, „böse Taten“, „Rebellion“


Nein, Verständnis oder gar Wohlwollen wurde den Akteuren der „48er-Revolution“ in München weder damals noch danach entgegengebracht. Der Erzdemokrat (und Zeitgenosse) Gustav Diezel schimpfte über das „spießbürgerliche, pfaffenfreundliche und phlegmatische München“ – ein ludwigergebener Konservativer wie Hans F. Nöhbauer schrieb dagegen noch 1989 vom „Mob“ und vom „Geschrei“ der „undankbaren Münchner“. Und laut Michael Dirrigls nicht viel älterer Ludwig-Biografie muteten die „Vorgänge“ von 1847/48 „dem Stolz, dem Würdegefühl“ des Königs einfach zu viel zu.

Diese weit ausschlagende Beurteilungsamplitude kommt einem angesichts der Behandlung der Revolutionsmonate in neueren Gesamtdarstellungen der Stadtgeschichte merkwürdig vor. Demnach war in München nämlich ohnehin schon alles vorbei, als es anderswo erst anhob. Lola Montez außer Landes, Ludwig I. abgedankt – sollte nach dem 20. März 1848 tatsächlich noch Bemerkenswertes vorgefallen sein? Oder blieb es danach, nach der „dramatischen Anekdote“ im „Residenzdorf“ München, „fast immer still“, wie der liberale, in Frankfurt geborene Revolutionshistoriker Veit Valentin schon vor vielen Jahrzehnten die Münchner Ereignisse 1848/49 abzutun pflegte – nicht ohne genüsslich auf die vermeintlichen Gründe zu verweisen: „Die Dinge hatten einen primitiven Zug, Unwissenheit und Grobheit waren groß, Studenten, Künstler und Literaten vollführten ihre Streiche, sie waren oft lustig, manchmal kindisch […] Wenn es dann einmal losging, klappte nichts, die Verantwortlichen verloren ein bißchen ihren Kopf, der Spaß wurde unschön, die Roheit tobte, und zuletzt lief alles wie vorher: passiert war viel, aber geschehen war nichts. Ernsthafte Politik fiel eben den Münchnern schwer.“

So leicht kann man es sich machen – zu leicht. Im Februar und März 1848 wurde das Münchner Rathaus nicht nur, wie der ehemalige Stadtarchivar Martin Schattenhofer formuliert, „Schauplatz revolutionärer Tumulte [!] in einem Ausmaß, wie man sie seit den Bürgerunruhen von 1397–1403 nicht mehr erlebt hatte“. Die Revolution von 1848/49 stellte darüber hinaus stadtgeschichtlich Weichen. Ihre großen Themen – die Ordnungen von Staat, Nation, Wirtschaft und Kirche – spaltete Bürger- und Einwohnerschaft. Danach war nichts mehr wie vorher. Über dieses München gibt es Interessanteres zu erzählen als das Ende einer Affäre – vorab zum Beispiel, dass die Münchner schon im Vormärz keineswegs Königskuscher waren.

Das „neue München“ – zwischen monarchischer Zwangsbeglückung und bürgerlicher Selbstbehauptung (1818–1848)


Äußerlich hatte sich München in der Zeitspanne einer Generation dramatisch verändert. Aus der befestigten Stadt des Mittelalters und des Barock herauswachsend, war unter der Ägide Ludwigs I. die Kapitale des Königreichs zum städtebaulichen Gesamtkunstwerk ausgebaut worden. Nachdem Ludwigs Architekten Klenze und Gärtner die Sckellsche Gartenstadt-Idee in die monumental-großräumige Geschlossenheit der Ludwigstraße transformiert hatten, lag das neue, entfestigte München zwischen Stiegelmayerplatz [sic], Karolinenplatz und Bazargebäude, zwischen Siegestor und Feldherrnhalle verbunden und fremdartig zugleich im Nordwesten der alten, im Kern mittelalterlichen Bürgerstadt: kleinparzellierte Bürgerhäuser mit „Himmelsleitern“ (durchgehenden Stiegenhäusern) samt „Ohrwascheln“ (Halbgiebel mit Lastkränen) hier, italienische Renaissance und byzantinischer Rundbogenstil dort. Nur mehr langsam füllte sich seit dem Zusammenbruch des Wohnungsmarkts in den frühen 1830ern die Maxvorstadt mit Professoren und zentralbehördlich bestallten Beamten; Pinakotheken, Antikensammlung und Glyptothek standen noch gleichsam auf freiem Feld. Und doch hatte sich die Einwohnerzahl von 1818 bis 1848 auf über 100 000 Einwohner fast verdoppelt; der Sog der sich dehnenden Metropole schlug vorab das Umland in den Bann.

Abb. 6:
Stadtplan Münchens um 1850.

 

Freilich, nur ein Bruchteil waren „Münchner“ – heimatberechtigt oder Vollbürger im rechtlichen Sinne; Beamte, Militär und Geistlichkeit gehörten schon einmal nicht dazu und damit rund die Hälfte aller Einwohner. Selbstständiger Gewerbetreibender oder Hausbesitzer musste man sein und Steuern zahlen, um zum eigentlichen Stadt-„Bürgertum“ zu zählen, das gerade einmal 5 % der Einwohnerschaft ausmachte. Noch dachte die Zeit ganz traditionell in der Logik des „ganzen Hauses“, wonach der männliche Haushaltsvorstand Familie und Gesinde rechtlich mit vertrat; Frauen besaßen schon deshalb keinen Zugang zum vollen Bürgerrecht. Diese schmale männliche Minderheit bestimmte nun über die Gemeindegremien, nämlich das 36-köpfige Kollegium des Gemeindebevollmächtigten sowie den zwölfköpfigen Magistrat, der das Kommunal- und Stiftungsvermögen verwaltete, die Gemeindesteuern festlegte, über Gewerbebefugnisse mit beschied und das (gebührenpflichtige) Bürgerrecht verlieh.

Münchens politische Elite

Das neue Gemeindeedikt von 1818 – erlassen im Jahr der bayerischen Verfassung – privilegierte die wirtschaftliche Oberschicht. Die Bürgerschaft konnte nur diejenigen, die zu ihrem höchstbesteuerten Drittel gehörten (1821: 876 Bürger), über ein indirektes Verfahren (Wahlmänner) zu Gemeindebevollmächtigten wählen. Diese wiederum besaßen beratende Funktion, vor allem aber wählten sie den Magistrat, der sich aus zwei Bürgermeistern (einer davon „rechtskundig“, also mit abgeschlossenem Jurastudium), vier rechtskundigen Räten, einem technischen Baurat und zwölf „bürgerlichen“ Räten zusammensetzte. Hier blieben die Kaufleute, Apotheker, Wirte, Buchdrucker und -händler weitgehend unter sich, während bei den Gemeindebevollmächtigten auch Handwerker mitredeten.

Unter den ersten Bürgermeistern ragte der 1838 ins Amt gekommene Jakob (von) Bauer heraus – 1787 in Hirschau in der Oberpfalz geboren, ein Auswärtiger mithin, der sich daher auch zunächst als „halben Fremdling“ in München sah. Nach Studium, Staatsdienst und Wahl wurde Bauer 1841 als erster rechtskundiger Bürgermeister bestätigt und übte damit sein Amt fortan auf Lebenszeit aus. Über der Sanierung der zerrütteten Gemeindefinanzen kam es zu einem massiven Konflikt zwischen konsolidierungsbedürftiger Kommune und bauwütigem König. Bauer ging dem nicht aus dem Weg, im Gegenteil: Einen „Geist der Renitenz“ unterstellten ihm die staatlichen Behörden noch kurz vor seinem Tod im Jahr 1854.

Trotz der Ansätze zur Selbstverwaltung war gerade in der Residenzstadt die „Kuratel“, die Vormundschaft des Staates, besonders drückend. Sicherheit, Ruhe und Ordnung wahrte, einmalig in Bayern, eine königliche Polizeidirektion und die staatliche Aufsichtsbehörde; die Regierung des Isarkreises (seit 1837: Oberbayern) überwachte, kontrollierte, genehmigte zudem alles, was in den städtischen Amtsstuben verhandelt wurde. Und dann der König: Ludwig I. teilte der Stadt einfach mit, sie wünsche eine Kirche in der Ludwigsstraße – und habe sie demzufolge auch selbst zu finanzieren, Widerspruch zwecklos. Samt Ausmalungen durch Peter von Cornelius hatte die Stadtgemeinde schlussendlich 877 538 Gulden aufzubringen.

Bürgermeister Bauer opponierte, nicht nur intern, gegenüber den Behörden. Er schrieb sich seinen Unmut vom Hals: Der König wolle vergrößern und verschönern, der Magistrat engagiere sich dagegen für das „Nützliche und Nothwendige“, die dringend vorzunehmenden Infrastrukturverbesserungen, darunter Brunnen, Wasserleitungen, Getreidemagazin, Brücken und Isareinbettung, schließlich die Sozialfürsorge. „Wozu eine große Stadt im Sinne des höheren Städtelebens, wenn die Gassen und Häuser von dürftigen Einwohnern geisterreich durchschattet sind?“ Münchens Bürgermeister zielte ins Grundsätzliche und beklagte die „ängstliche Begrenzung der Befugnisse“ der Stadt durch die Staatsgewalt und die „Angriffe“ der staatlichen Verschönerungskommission „auf die Gemeindekassa“. Mit Zustimmung des Magistrats ließ Bauer 500 Exemplare seiner (freilich entschärften) Brandschrift drucken und unter die Leute bringen. Die Regierung intervenierte: Verkaufsstopp, Ablieferung, Einsammlung; man gehorchte. Der Vorhang im möglichen Revolutionstheater fiel schon nach dem Prolog – einstweilen.

Die prekäre Einheit des Stadtbügertums


Doch hinter der Bühne tat sich einiges, was nicht dem kolportierten biedermeierlichen Klischeebild mit seiner „Mischung aus Bürgersinn, Religiosität und Königsanhänglichkeit“ (Ralf Zerback) entsprach. Neue Spannungslinien durchzeichneten die Stadtgesellschaft. Immerhin, anders als im alten Bayern herrschte für Christen nunmehr konfessionelle Parität. Die Aufnahme des ersten Protestanten ins Münchner Bürgerrecht aber hatte der Vater Ludwigs I., Kurfürst Max IV. Joseph, 1801 erzwingen müssen; rasch war die Gemeinde seitdem auf mehrere Tausend angewachsen. Die Gottesdienstbesucher in der neuen evangelischen Matthäuskirche vor dem Karlstor in der Sonnenstraße aber fühlten sich noch lange nicht heimisch in der „Hochburg katholischer Restauration“ – noch weniger wohl die rund 1400 Juden, von denen vier Jahre vor der Revolution 82 das Bürgerrecht erworben hatten. Gewerbepolitisch gleichberechtigt, mitunter misstrauisch beäugt und ausgegrenzt von der organisierten Kaufmannschaft, sollte der verpflichtende Eintrag in die...

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