II. Die 7 Prinzipien
Das Üben mit den sieben Prinzipien – Einleitung
(von Helga Anna Röther und Dr. Gitta Dorn)
Die Übungsweise Rhythmus – Atem – Bewegung nach H. L. Scharing ist auf einem in sich schlüssigen Konzept entwickelt, das sich am Skelett des Menschen orientiert. Es sind Bewusstseinsübungen. Die Aufrichtekraft wird von den Fußsohlen aus in Bezug zum Boden gestärkt. Es handelt sich um „ortho-statische Übungen“.
Das Grundgerüst dieser Arbeit, der „rote Faden“, sind die sieben Prinzipien, die feststehend, klar und eindeutig formuliert sind. Das Erüben der sieben Prinzipien dieser Übungsweise bietet Orientierung und eine in sich aufbauende Struktur.
Bedingt durch das 7. Prinzip (Hören was sein soll) gestaltet sich der Übungsprozess des einzelnen Menschen individuell, im Rahmen seiner je eigenen Gesetzmäßigkeiten. Der übende Mensch findet so zu seinem eigenen Maß. Dieser Prozess gestaltet sich dynamisch, während er an der klaren Struktur der sieben Prinzipien orientiert ist. Mechanisches Trainieren auf einen bestimmten Zustand hin entspricht nicht der Übungsweise Rhythmus – Atem – Bewegung. Das Nervensystem würde überreizt. Wenn stattdessen innere Prozesse anhand des Übens der Prinzipien zugelassen werden, wird den Selbstheilungskräften Raum gegeben.
So entsteht im Üben des Kontaktes ein besseres Bewusstsein für sich selbst (Prinzip 1). Im „Über-Sich-Hinaus-Fühlen“ entsteht eine Beziehung zu dem umgebenden Raum (Prinzip 2). Die Bewegung hilft den Gelenken und dem Skelett (Prinzip 3). Das Innenraumtasten (Prinzip 4) ermöglicht Einsicht in eigene Körperräume. Das Knochenbewusstsein verleiht Fassung und erleichtert die Bewegung (Prinzip 5). Der Umgang mit dem Widerstand stärkt das Selbstbewusstsein und hilft, Ängste zu überwinden (Prinzip 6). Das siebte Prinzip ist das wichtigste.
Die Erfahrungen auf dem Übungsweg können nicht „festgehalten“ und nicht „gemacht“ werden: sie geschehen. Es ist immer wieder möglich, von Neuem anzufangen, zum Grund zurückzukehren, sich erneut übend einzustellen und der Weisheit des Körpers zu folgen. Im übenden Da-sein entwickelt sich der Mensch in seine ihm ureigene Form, er lernt sich immer besser kennen und begreift sich als ein Werdender. Der Leib wird beseelt. Sich selbst in seiner Wahrheit zu erkennen und zuzulassen, ermöglicht Wachstumsprozesse, die dem Menschen gemäß sind. Kompensatorische Selbstüberschätzung oder Selbstverleugnung verlieren ihre Bedeutung. Der Mensch lernt „zu sich zu stehen“. Dies bedeutet, dass er seinen aktuellen Entwicklungsstand erkennt und annimmt und seinen eigenen Weg geht.
Die Übungsweise Rhythmus – Atem – Bewegung ermöglicht dem Menschen, das „selbstständige Üben“ zu erlernen. Das Üben wird so unabhängig von der jeweiligen Lehrkraft, und dadurch in jeder Lebenslage möglich. Der Mensch wird in seiner Selbstbestimmung und in seiner Eigenverantwortung gestärkt. Kursangebote bei ausgebildeten LehrerInnen bilden die Grundlage. Sie sind aufbauend und lehrreich für den einzelnen Übenden. Wesentlich ist, selbst zu üben und die Übungsweise in den Alltag zu integrieren.
Prinzip 1: Kontakt – das Fühlen, wo man ist
(von Erika Margarete Hummel)
Das 1. Prinzip ist die Grundlage für alle weiteren Prinzipien 2–7. Es ist Voraussetzung für jedes Üben und steht auch als eigenständiges, in sich abgeschlossenes Prinzip alltäglich vorne an. Wenn dem Übenden nach dem Üben von Prinzip 1 mit der Frage des Prinzips 7 (was soll sein?) nichts mehr einfällt, ist das Üben zunächst beendet. Ein Erfahrungsprozess wird einsetzen.
Vorgehensweise
Kontakt kann immer geübt werden, in jeder Lebenssituation, im Liegen, Sitzen, Gehen und Stehen. Der „Königsweg“ ist jedoch das Üben am Boden – mit einer warmen Unterlage. Der natürliche Widerstand des Bodens verhilft im Laufe der Zeit zur klaren Selbsterkenntnis und hilft dem Organismus, sich zu erholen. Geübt wird in Rücken-, Bauch- oder Seitenlage.
Kontakt ist das Ergebnis, die Folge eines aktiven, bewussten Spürens bzw. Fühlens der angesagten übenden Körperregion zur nächstliegenden Umgebung.
Das Fühl- oder Spürorgan ist die Haut, die nach innen ihre nervalen Verbindungen hat. Die Haut ist Abgrenzungs-, aber auch Verbindungsorgan zwischen Innen- und Außenwelt. Man spricht als Übender jedoch nicht die Haut direkt an, obwohl sie das vollziehende Organ ist, sondern die Körperregion. Es wird z. B. der Oberschenkel aufgerufen, nicht die Oberschenkelhaut!
Das Spüren bzw. Fühlen zur nächstliegenden Umgebung ist aktiv und fordert Beziehung ein als bewusstes Vorgehen. Es gehört Bewusstsein zum übenden Spüren, das ist wesentlich.
Die Reihenfolge des Übens
Das Üben hat einen Anfang und ein Ende. Es erfolgt nach einer bestimmten Reihenfolge, die ihren Grund in der Ordnung des Skelettes, im Wissen um das Atemgeschehen und um die aufrichtenden Kräfte im Menschen hat. Die erste Übung, die gelehrt wird, ist der Kontakt in der Rückenlage. Die folgenden Erläuterungen beziehen sich daher auf die Rückenlage.
Die Reihenfolge des Übens hat eine Richtung: Nach der Gesamtübersicht vom Kopf bis zu den Füßen mit der Frage, wie sich die Auflageflächen in Beziehung zum Boden bemerkbar machen, ergibt sich ein Lagebild. Danach beginnt das Üben beim Becken in Richtung der Beine, der Fersen und Fußsohlen. Das nennt man den Unterbau bzw. die Basis. Die Basis ist bei jeder Übung zu bewahren, Kreuzbein und Fersen sind das entscheidend Wichtigste.
Es folgt das Üben des Hinterkopfes, des Halses, des Rückens – die Fersen bleiben im Bewusstsein. Die Arme und Hände üben vom Rücken her in Richtung der Hände und Finger. Die Basis, Kreuzbein und Fersen, werden auch hierbei bewahrt.
Die Fühlrichtung ist stets leicht schräg bodenwärts, weil die übende Region nie für sich allein geübt wird, sondern in Verbindung zu den folgenden Regionen. Zum Beispiel schließt vom Becken her der rückwärtige Oberschenkel an, der zum Boden spürt in Richtung der Kniekehle – fersenwärts.
Die verschiedenen Übungsphasen am Beispiel der Rückenlage
a) Zuerst erfolgt ein gewisses Sich-Ordnen in der Lagerung = Lageordnung. Sie gewährt die stets gleiche Ausgangssituation. Diese ist streng am Skelett orientiert. Der Übende liegt gerade auf seiner Übungsmatte. Die Beine, soweit sie das vermögen, liegen parallel, die Fersen berühren sich, die vorderen Fußgebiete mit den Zehen sind seitlich gelassen. Die Arme liegen am Boden neben Rumpf und Beinen – möglichst gerade. Die Hände liegen mit den Handaußenkanten und Kleinfingerseiten am Boden und halten z. B. Holzeier. Der Kopf liegt in der Mitte und mit dem Hinterkopf am Boden. Vorübergehend kann eine Unterlage unter den Hinterkopf gelegt werden, falls der Hals zu stark lordosiert ist und das Kinn Richtung Zimmerdecke zeigt. Die oberen Nasengänge sind wach dabei. Anmerkung: Zur Pädagogik gehört es, dass die Lage niemals erzwungen werden darf, sie wird sich im Üben ordnen und vollziehen, es ist ein prozeßhaftes Geschehen.
b) es folgt die Lageübersicht: Dabei wird der Bezug zum Boden sachlich erspürt. Er wird von Kopf bis Fersen erkannt und diese Reihenfolge ist wichtig für den Atem. Es wird beobachtet, wo die Auflage zum Boden stärker und weniger stark, unter Umständen gar nicht gegeben ist. Dieses Lagebild wird nicht interpretiert, nicht bewertet, nur erspürt.
c) Es folgt das Üben (am Beispiel der Rückenlage): Das Becken fühlt zum Boden in Richtung der Beine, Fersen und Fußsohlen. Vom Becken aus wird zuerst ein Bein üben, also Oberschenkel, Kniekehle, Unterschenkel, Ferse und Fußsohle fühlen in dieser Reihenfolge Boden und Strumpf. Es wird nie (außer beim Hals) senkrecht zum Boden gefühlt, sondern immer schräg in Richtung der anschließenden Region. Nach dem Üben eines Beines und Fußes folgt das Vergleichen und Unterscheiden mit der Frage, wie liegt das geübte Bein mit der Ferse jetzt am Boden im Vergleich zu vorher und im Vergleich zu dem noch zu übenden Bein, zu Ferse und Fußsohle. Danach folgt vom Becken aus das Üben des zweiten Beines mit der Ferse und Sohle. Es wird wieder verglichen, wie nun beide Beine und Fersen gemeinsam am Boden liegen. Der Unterbau, die Basis hat nun geübt. Nach einer erneuten abschließenden Lageübersicht kann die Übung bereits beendet sein (Prinzip 7 – was soll sein?). Es folgt dann ein bewusstes Beenden, Bewegen, Dehnen und Ausruhen – eventuell in einer anderen Lage.
Wenn weiter geübt werden soll, übt dann unter Wahrung des Geübten der Hinterkopf. Dieser spürt schräg zur Unterlage in der Richtung, in die das obere Haupt schaut. Das Scheitelgebiet darf bewusst werden. Das rückwärtige Halsgebiet fühlt senkrecht über den immer gegebenen Abstand zum Boden (die einzige Zone, die senkrecht...