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Riechen und Fühlen

Wie Geruchssinn, Ängste und Depressionen zusammenspielen - Neue Wege der Behandlung

AutorEva Heuberger, Iris Stappen, Regula Rudolf von Rohr
VerlagFischer & Gann
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783903072619
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Wie Geruchssinn und Gefühle zusammenhängen Gerüche begleiten uns durch unser ganzes Leben, wir können nicht atmen, ohne zu riechen. Doch wir nehmen Gerüche nicht immer in gleicher Weise wahr, sie ändern sich je nachdem, in welcher Stimmung wir sind. Das faszinierende Zusammenspiel von Geruchssinn und Emotionen erklären die Autorinnen, drei ausgewiesene Expertinnen, vor dem Hintergrund neuester wissenschaftlicher Forschungen. Sie zeigen, wie sich zum Beispiel bei Ängsten und Depressionen das Riechvermögen verändert und wie umgekehrt Duftstoffe die Heilung von psychischen Krankheiten unterstützen können. In einem großen Praxisteil werden anhand von Fallbeispielen konkrete neue Einsatzmöglichkeiten von Düften in der Aromatherapie sowie Tipps für deren Nutzung im Alltag vorgestellt.

Dr. Eva Heuberger ist Pharmazeutin, Geruchsforscherin und Vize-Präsidentin von Forum Essenzia e. V. und berät Vereine und Unternehmen zur Wirkung ätherischer Öle. Dr. Iris Stappen ist Pharmazeutin und Forscherin am Departement für Pharmazeutische Chemie der Universität Wien mit dem Spezialgebiet 'Wirkung von ätherischen Ölen'. Sie ist Vorstandsmitglied der Österreichischen Gesellschaft für Aromatherapie und Aromapflege (ÖGwA). Regula Rudolf von Rohr ist Aromatherapeutin, Pflegefachfrau für Psychiatrie und Präsidentin von PsychAroma, Fachgruppe für ätherische Öle in der Psychiatrie. Sie arbeitet als Aromatherapeutin und Dozentin für Pflegekräfte an den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel.

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Leseprobe

KAPITEL 2 | DER ZUSAMMENHANG ZWISCHEN RIECHEN UND FÜHLEN


EMOTIONEN, GEFÜHLE, STIMMUNGEN UND DIE MACHT DER GERÜCHE


ES GIBT WOHL KAUM JEMANDEN, der beim Geruch von Lebkuchen und Kerzen nicht an besinnliche Weihnachtsfeiertage im Kreise der Familie denkt. Gerüche können Erinnerungen auslösen, die mit intensiven Gefühlen einhergehen. Eine der bekanntesten Schilderungen einer solchen emotionalen Gedächtnisspur, die durch einen Geruch zu neuem Leben erweckt wird, stammt aus Marcel Prousts Roman Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Ein erwachsener Ich-Erzähler erinnert sich durch den Geschmack (oder vielmehr Geruch) eines kleinen, in einem Löffel Tee aufgeweichten Stückchens Madeleine-Gebäck lebhaft und detailreich an eine Szene aus seiner Kindheit:
»In der Sekunde nun, als dieser mit dem Kuchengeschmack gemischte Schluck Tee meinen Gaumen berührte, zuckte ich zusammen und war wie gebannt durch etwas Ungewöhnliches, das sich in mir vollzog. Ein unerhörtes Glücksgefühl, das ganz für sich allein bestand und dessen Grund mir unbekannt blieb, hatte mich durchströmt. […] Und dann mit einem Male war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jener Madeleine, die mir am Sonntagmorgen in Combray (weil ich an diesem Tage vor dem Hochamt nicht aus dem Hause ging), sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Léonie anbot, nachdem sie sie in ihren schwarzen oder Lindenblütentee getaucht hatte.«4

Diese Eigenschaft von Gerüchen, autobiographische Erinnerungen abzurufen, wird als das Proust-Phänomen bezeichnet. Es hat sich herausgestellt, dass die durch Gerüche hervorgerufenen Erinnerungen meist älter, lebhafter und detailreicher sind als Erinnerungen, die durch andere Sinnesreize, beispielsweise durch Bilder oder Geräusche, ausgelöst werden. Doch woher stammt diese Macht der Gerüche? Man vermutet, dass die Antwort auf diese Frage in der Physiologie des Gehirns steckt. Genauso wie Gerüche werden auch Emotionen, also Gefühle, Affekte und Stimmungen, von Hirnstrukturen verarbeitet und kontrolliert, die dem limbischen System zugeordnet werden.

Was sind Emotionen?

GEFÜHLE, STIMMUNGEN, AFFEKTE – die vielen unterschiedlichen Begriffe, die unter dem Oberbegriff Emotion zusammengefasst werden, zeigen bereits, dass es sich dabei nicht um ein einheitliches Konzept handelt. Das Wort Emotion leitet sich vom Lateinischen emovere ab, was wörtlich »in Bewegung setzen« bedeutet und mit »erschüttern« oder »aufwühlen« übersetzt werden kann. Bislang gibt es keine alleingültige Definition des Begriffs Emotion, sondern verschiedene Annährungen, die unterschiedliche Aspekte aufgreifen. Eine noch heute gültige Auffassung, was unter einer Emotion zu verstehen sei, stammt von Paul R. und Anne M. Kleinginna. Sie vertraten die Ansicht, dass Emotionen sowohl subjektiv erfahrbare als auch objektiv messbare Komponenten besitzen. Sie leiten zielgerichtetes Verhalten ein und dienen so der Anpassung des Individuums an seine Umwelt.

Emotionen sind als mehrschichtige Phänomene zu verstehen: Sie beinhalten kognitive Elemente wie das Bewerten eines Reizes genauso wie körperliche Empfindungen. Der Ausdruck Gefühl wird im Deutschen üblicherweise im Sinne einer engeren Auslegung des Emotionskonzeptes verwendet. Er macht deutlich, dass da eine Empfindung vorhanden ist, die subjektiv erfahrbar ist. Im Gegensatz dazu wird der Ausdruck Emotion als Oberbegriff verwendet und weiter gefasst: Neben dem subjektiven Erlebnis beschreibt er auch den Verhaltensausdruck und den körperlichen Zustand.

Ebenso herrscht bis heute große Uneinigkeit darüber, ob die körperlichen Empfindungen für verschiedene Emotionen spezifisch sind oder ob die Bewertung dieser Empfindungen für die resultierende Emotion entscheidend ist. Dieser Gedanke sei an einem Beispiel veranschaulicht: Herzklopfen begleitet große Freude genauso wie starke Angst. Die Interpretation der Umstände, die zu dieser Veränderung des Herzschlags führten, ermöglicht dem Individuum die Unterscheidung, ob es sich dabei um Freude oder Angst handelt. Andererseits tritt das Herzklopfen nicht als einzige physiologische Reaktion auf, sondern wird seinerseits von anderen körperlichen Veränderungen begleitet. Zusammengenommen ergeben diese Reaktionen ein Muster, welches ebenfalls als Grundlage der Unterscheidung zwischen verschiedenen Emotionen dienen könnte. Die Frage nach der Spezifität der physiologischen Reaktionen genauso wie jene nach der zeitlichen Abfolge der kognitiven, emotionalen und körperlichen Vorgänge wird im Rahmen verschiedener Emotionstheorien unterschiedlich beantwortet. Einige ausgewählte Theorien werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Nicht nur welche Komponenten (körperliche Reaktion, subjektives Erlebnis oder Verhaltensausdruck) im Vordergrund stehen, sondern auch Dauer, Intensität und Objektbezogenheit spielen bei der Definition von Emotionen eine Rolle. Gefühle, also Emotionen im engeren Sinn, sind nur von kurzer Dauer, besitzen aber eine hohe Intensität und sind auf ein konkretes Objekt bezogen, zum Beispiel die Furcht vor Spinnen, die Freude über den Urlaubsbeginn. Im Unterschied dazu haben Stimmungen eine längere Dauer, aber eine geringere Intensität und sind eher ich-bezogen – man ist in einer ängstlichen oder fröhlichen Stimmung. Affekte sind in der Psychiatrie von Bedeutung. Sie sind wie Gefühle von kurzer Dauer, besitzen aber eine besonders hohe Intensität und führen zum Verlust der Kontrolle über das eigene Handeln.

Die sechs Basisemotionen

PAUL EKMAN, EIN US-AMERIKANISCHER PSYCHOLOGE, stellte in mehreren Untersuchungen fest, dass bestimmte Emotionen, die er als Basisemotionen bezeichnete, in allen Kulturen gleich ausgedrückt und verstanden werden. Diese sechs Basisemotionen sind: Freude, Überraschung, Traurigkeit, Ärger, Furcht und Ekel. Sie sind seiner Ansicht nach mit spezifischen Reaktionsmustern, insbesondere mit spezifischen mimischen Ausdrücken und einem spezifischen Muster von Reaktionen des autonomen Nervensystems verbunden. Ekman und seine Kolleginnen ließen Versuchspersonen diese Basisemotionen mit einer typischen Mimik darstellen und konnten belegen, dass die Probanden daraufhin über ein subjektives Gefühlserlebnis berichteten. Darüber hinaus stellten die Wissenschaftler fest, dass sich die emotionalen Reaktionen auch anhand der Veränderungen der Herzrate oder der Hauttemperatur voneinander unterscheiden ließen. Es wird daher vermutet, dass diese Basisemotionen als eine Art Anker in einem mehrdimensionalen affektiven Raum aufgefasst werden können und dass sie universell und prototypisch als Reaktion auf bestimmte Umwelterfordernisse ausgelöst werden. Ekman vertritt deshalb die Auffassung, dass der emotionale Ausdruck unerlässlich ist für das Etablieren und Aufrechterhalten von zwischenmenschlichen Beziehungen. Er liefert die Informationen, die das Gegenüber als wichtig erachtet und auf die es reagiert. Das können sowohl innere Prozesse sein, wie Gedanken, Erinnerungen oder Pläne, als auch äußere Ereignisse, zum Beispiel verdorbene Speisen oder ein unerwartetes Geräusch. Aus der Reaktion des Gegenübers lässt sich auf dessen Basisemotion schließen.

Ekman stützt sich bei seinen Ausführungen über die Basisemotionen sowohl auf die Emotionstheorie von Charles Darwin als auch auf jene von William James und Carl Lange, welche nahezu gleichzeitig am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden. Letztere postulieren, dass ein emotionales Ereignis eine spezifische körperliche Reaktion auslöst, die daraufhin als Emotion interpretiert wird. In dieser sogenannten James-Lange-Theorie der Körperreaktionen geht also die körperliche Reaktion der subjektiv empfundenen Emotion voraus. Oder, anders ausgedrückt: Der Körper reagiert zuerst, dann der Geist.

Einen anderen Standpunkt vertraten Walter Cannon und Philip Bard in den 1920er Jahren. Sie waren der Ansicht, dass die körperlichen Reaktionen nicht die alleinige Grundlage der Emotionsentstehung sein könnte, da sie unter anderem zu ähnlich seien, um eine Differenzierung verschiedener Emotionen zu erlauben. Cannon und Bard zufolge treten körperliche Reaktion und Emotion im Inneren des Menschen zwar gleichzeitig, aber unabhängig voneinander auf. Sie betonten also, dass neben der physiologischen Reaktion noch eine andere Instanz für die Entstehung von Emotionen notwendig ist, die sie im Zentralnervensystem, also im Gehirn, verorteten. Die Cannon-Bard-Theorie wird deshalb auch als die Theorie der zentralen neuronalen Prozesse bezeichnet. Darüber hinaus ist diese Theorie auch unter dem Namen Thalamustheorie bekannt, da Cannon und Bard dieser Hirnstruktur, welche an der Unterseite des Zentralnervensystems liegt und dem Zwischenhirn zugeordnet wird, eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Emotionen zuschrieben.

Eine weitere wichtige Emotionstheorie, die die Unabhängigkeit der körperlichen und psychischen Reaktionen wieder in Frage stellt,...

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