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Risikogesellschaft und Journalismus - Leistungen, Funktionen, Interdependenzen

Leistungen, Funktionen, Interdependenzen

AutorTim Cappelmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl104 Seiten
ISBN9783638525206
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis10,99 EUR
Diplomarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Journalismus, Publizistik, Note: 1,0, Hochschule Bremen (Journalistik und Kommunikationswissenschaften), 125 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Die moderne Gesellschaft wandelt sich. Sie wird komplexer, Entscheidungen auf politischer, wirtschaftlicher und sozialer Ebene undurchsichtiger. Der Fortschritt der westlichen Welt bringt nicht nur Erleichterungen mit sich, sondern auch Risiken. Die möglichen Gefahren gerade technischer Entwicklungen sind in den letzten Jahrzehnten stark ins öffentliche Interesse gerückt und ein vorrangiges Thema gesellschaftlicher Kommunikation geworden. Menschen in entwickelten Industrienationen wird stärker bewusst, dass sie in einer Welt leben, die nicht nur von Sicherheit, Wohlstand und Überfluss geprägt ist, sondern zunehmend von Risiken und Gefahren. Die Gesellschaft entwickelt ein Bewusstsein dafür, 'dass die Zukunft von Entscheidungen abhängt, die in der Gegenwart getroffen werden müssen, deren Folgen man aber weder im Guten noch im Schlechten überblicken, geschweige denn steuern kann' (Bechmann 1993: 7). Jedes System unserer Gesellschaft basiert darauf, Entscheidungen zu treffen. Jede Entscheidung beinhaltet ein Risiko. Und auch eine Nicht-Entscheidung ist eine Entscheidung. In der Risikokommunikation gibt es verschiedene Ansätze, wie Risiko kommuniziert werden sollte und mit welchen Medien. Dabei ist es der Risikoforschung bislang noch nicht gelungen, einen einheitlichen Risikobegriff oder eine zusammenhängende Risikotheorie zu entwickeln. Jede Risikotheorie hat ihren Ausgangspunkt in einer Reihe von Ansätzen und Versuchen unsere Gesellschaft zu beschreiben. Wir leben je nach Beobachterperspektive in einer Risikogesellschaft (Beck 1986), einer Katastrophengesellschaft (Sloterdijk 1989), einer Informationsgesellschaft (Tauss/ Kollbeck/Mönikes 1996), einer Erlebnisgesellschaft (Schulze 1992), einer Möglichkeitsgesellschaft (Beck 1994), einer Sinngesellschaft (Bolz 1997) und mit zunehmender Entwicklung und Verbreitung neuer Medien auch in einer virtuellen Gesellschaft (Bühl 1996). Alle Gesellschaften verbindet bei genauerer Betrachtung die Gemeinsamkeit, Risiken zu bergen; jedes Modell beinhaltet eine Konstante: Risiko. Die Risikogesellschaft beansprucht die Nachfolge der Industriegesellschaft, da sie in 'erster Linie nicht durch technologische und industrielle Innovation, sondern durch die Produktion von technologischen Risiken irreversibel geprägt ist' (Görke, 1994: 16). [...]

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Leseprobe
  1. Risiko

 

Risiko einheitlich zu fassen und zu definieren ist in der Risikoforschung bislang noch nicht gelungen – dies liegt auch nicht im Wesen des Risikos. Risiko definiert sich gerade durch seine Unbestimmbarkeit. In dem Begriff Risiko steckt auch immer der Begriff der Chance, der Zukunft, der Unvorhersehbarkeit der Dinge. So ist es noch nicht gelungen, eine einheitliche Theorie vom Risiko zu operationalisieren, weil keine allgemein gültigen Regeln formuliert werden können, mit denen man den theoretischen Begriff Risiko durch Beobachtung oder Abfrage oder anderen Standards messen könnte. „Sucht man nach Bestimmungen des Risikobegriffs, gerät man sofort in dichten Nebel und gewinnt den Eindruck, dass die Sicht nicht weiter reicht als bis zur eigenen Stoßstange“ (Luhmann 1991: 15). In der neueren Risikoforschung geht es deswegen auch weniger darum, ein Maß zu finden, mit dem sich Risiko messen lässt und sich Risiken untereinander vergleichen und abwägen lassen, als vielmehr den Begriff als soziales Konstrukt zu erklären, das erst in seiner gesellschaftlichen Wahrnehmung spürbar wird und Resonanz erzeugt.   

 

4.1  Leitdifferenz von Risiko

 

Risiko wird fälschlicherweise oft mit Gefahr gleichgesetzt. Dabei ist gerade die Unterscheidung von Risiko und Gefahr eine maßgebliche Leitdifferenz in der Risikoforschung. Diese Unterscheidung ist beobachterabhängig. Je nach Perspektive wird ein Vorgang oder eine Entscheidung zu einem Risiko oder einer Gefahr. „Entweder wird der etwaige Schaden als Folge der Entscheidung gesehen, also auf die Entscheidung zugerechnet. Dann sprechen wir von Risiko, und zwar vom Risiko der Entscheidung. Oder der etwaige Schaden wird als extern veranlasst gesehen, also auf die Umwelt zugerechnet. Dann sprechen wir von Gefahr“ (Luhmann 1991: 30 ff.). Aus dieser Leitdifferenz ergibt sich ein hohes soziales Konfliktpotenzial, da je nach Perspektive eine Entscheidung gleichzeitig als Risiko und als Gefahr wahrgenommen wird. Das bedeutet, dass Risiko nicht mehr nur eine Eigenschaft der Technik ist, sondern sich an alle gesellschaftlichen Bereiche und deren Handlungspotenziale koppelt. Nicht mehr das Risiko einer technisch-bedingten Katastrophe, eines vorauszusetzenden Umweltereignisses, die stetige Ablösung alter durch neuer Risiken in der technischen Entwicklung stellen das Gefahrenpotenzial einer Zivilisation dar, sondern Risiken werden „dem Handeln des Menschen zugeschrieben und müssen verantwortet werden“ (Bechmann 1993: 20).

 

4.2  Riskanter Konflikt: Entscheider vs. Betroffener

 

Alle Bereiche einer Gesellschaft tragen ein Risikopotenzial in sich, das im Kalkulationsbereich der Entscheider liegt. Doch was aus der Perspektive des Entscheiders ein lohnenswertes Risiko darstellt, das immer mit einer Chance auf einen Gewinn verbunden ist und nur deswegen eingegangen wird, kann aus der Sicht des Betroffenen ebenso gut eine Gefahr sein. Eine Gefahr deshalb, weil sie aus dem Verhalten eines anderen resultiert, aus einer Entscheidung, auf die der Betroffene keinen Einfluss nehmen kann. Diese Unterscheidung zwischen Risiko und Gefahr birgt eine „explosive soziale Differenz in der Gesellschaft: die von Entscheidern und Betroffenen“ (Bechmann 1993: 22). Einhergehend mit dieser Differenz verändert sich auch eine zeitliche Dimension in der Gesellschaft: das Verhältnis zur Zukunft. „Zukunft ist nicht mehr die Intransparenz des Kommenden, sondern muss heute schon mitbedacht, mitkalkuliert werden“ (Bechmann 1993: 21). Die Gegenwart wird also mit davon bestimmt, welche Entscheidungen ungewollte Folgen für die Zukunft auslösen können. Dem liegt der Versuch zu Grunde ein rationales Maß an mehr Sicherheit zu erreichen, was auf die immer wieder in der Risikoforschung auftauchende und bislang noch nicht geklärte Definitionsfrage zurückläuft: „Wie sicher ist sicher genug?“ (Starr 1993: 19).[5]

 

4.3  Risiko: ein paradoxes Instrument

 

Das eigentlich schwierige für die Gesellschaft, mit der Differenz zwischen Risiko und Gefahr umzugehen, ist ihr gleichzeitiges in Erscheinung treten. Für Luhmann stellt dieser widersprüchliche Charakter des Risikos ein Sozialparadoxon dar, das gleichzeitig mit dem Instrument Risiko handhabbar gemacht wird (vgl. Luhmann 1991: 117, Panzer 1998: 129). „Die Risiken sind Gefahren, die Gefahren sind Risiken, weil es sich um ein und denselben Sachverhalt handelt, der mit einer Unterscheidung beobachtet wird, die eine Differenz der beiden Seiten verlangt. Dasselbe ist verschieden“ (Luhmann 1991: 117). Luhmann geht es dabei weniger um einen Konflikt zwischen den Perspektiven Gefahr oder Risiko, sondern vielmehr um die Kommunikationen darüber. Nur durch das gleichzeitige Auftreten der Risiko/Gefahr-Differenz ist es der Gesellschaft möglich, dieser komplexen Situation auch mit gesellschaftlichen Mitteln zu begegnen und sie zu bewältigen. Risiko wird so zu einem paradoxen Instrument für ein Sozialparadoxon, das es selbst erzeugt und das sich dazu eignet, Zeitprobleme zu bearbeiten. Unter Zeitproblemen versteht Luhmann die Notwendigkeit einer Zeitordnung in einer Gesellschaft, die es ihr ermöglicht, mit der Zukunft angemessen umzugehen. Mit dem Mittel Risiko kann auf die Zukunft zugegriffen werden, „die moderne Gesellschaft kann Zukunft als Risiko vergegenwärtigen“ (Luhmann 1991: 105). Risiko schafft also nicht nur Unsicherheiten, sondern auch Gewissheiten, indem es als soziales Konstrukt die Gegenwart immer mit den zeitlichen Komponenten Zukunft und Vergangenheit verbindet. Risiko schafft so ein gemeinsames Zeitbewusstsein, das dem Individuum und der Gesellschaft ein Bewusstsein eigener Identität vermittelt (vgl. Evers 1993: 344).  Es lässt sich festhalten, dass mit der Risiko/Gefahr-Differenz gesamtgesellschaftliche Konsequenzen in sachlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht verbunden sind. 

 

4.4  Sicherheit: die sichere Illusion

 

Risiken sind ein konstitutives Merkmal jeglicher Organisation, sei sie sozialer, technischer oder anderer Kultur. Mit dem Begriff Risiko und der Differenz Gefahr/Risiko ist auch immer die Frage nach Sicherheit verbunden. Sicherheit definierte sich bislang in der Soziologie an den ursprünglich von Franz-Xaver Kaufmann 1971 entwickelten Leitbildern „Stabilisierung durch ganzheitliche Ordnungen“, „Systemsicherheit als Verfügbarkeit von Mitteln“ und „Selbstsicherheit als Leitbild subjektiver Identität“ (vgl. Evers 1993: 351 ff.). Diese Leitbilder von Sicherheitsvorstellungen verändern sich in der Risikogesellschaft zunehmend; sie beginnen, sich neu zu definieren. Ganzheitliche Ordnungen lösen sich in der funktionalen Komplexität einer modernen Gesellschaft zunehmend auf, die Verfügbarkeit von Mitteln ist immer stärker von marktwirtschaftlichen Mechanismen der Gewinnorientierung und Verwertbarkeit abhängig und das Leitbild von Selbstsicherheit durch subjektive Identität wird bei zunehmenden Desintegrations- und Individualisierungsprozessen zu einer anwachsenden individuellen Heraus- oder auch Überforderung.[6] Risiko ist gesellschaftlich universal präsent und fester Bestandteil von Sicherheit geworden. Es gibt keine Sicherheit ohne Restrisiko mehr. Es genügt in einer hochgradig funktional differenzierten Gesellschaft nicht mehr, eine möglichst adäquate Risikodiagnostik und anschließende Entscheidung zu treffen. Es geht bei der Frage nach Sicherheit nicht nur um ein „simples Entscheidungsproblem, bessere Vorsorge oder der Zunahme bürokratischer Verantwortungszurechnung“ (Bechmann 1993: 19), sondern um eine in der Risikoproblematik verankerte Ambivalenz der gesamten Moderne. Diese Ambivalenz drückt sich darin aus, dass es keine Eindeutigkeit mehr in der Gleichzeitigkeit der Gefahr/Risiko-Differenz gibt, sondern immer zwei widersprüchliche Perspektiven über die Folgen einer Entscheidung. Das einzige, was Betroffenen und Entscheidern noch bleibt, ist Kommunikation beziehungsweise die Verständigung über ihre Sichtweisen. Das heißt nicht nur Verständigung zwischen zwei Individuen, sondern Verständigung zwischen Subsystemen, Institutionen, Organisationen, Firmen, Betrieben, Gesellschaften etc. Es geht um Kommunikationen in allen Bereichen der Gesellschaft – gerade wegen der Omnipräsenz von Risiko als Teil jeder Entscheidung unter „Ungewissbedingungen“ (Bechmann 1993: 22), die getroffen wird. Wer Recht hat, zeigt die Zukunft. „Entscheidungen können gute oder schlechte Folgen haben aber keiner besitzt mehr die „Autorität des besseren Wissens“ (Luhmann), da die Zukunft nur noch im Medium Wahrscheinlichkeit beziehungsweise Unwahrscheinlichkeit begriffen werden kann“ (Bechmann 1993: 18).

 

4.5  Entscheidungsdruck und Sicherheit

 

Der Druck und die wachsende Notwendigkeit, in einer ohnehin schon stark funktional differenzierten Gesellschaft, Entscheidungen zu fällen, nehmen zeitgleich mit Fortschritt und wachsender Komplexität der Gesellschaft zu. Jedes System produziert ständig Entscheidungen, um zu funktionieren, Leistungen für seine Umwelt zu erbringen und sich abzugrenzen. Es selektiert Informationen nach spezifischen Codes und verarbeitet sie systemintern in Entscheidungsprozessen. Selbst originäre „metasoziale Instanzen“ wie Natur, Werte, Religion usw. werden...

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