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Roadtrip mit Guru

Wie ich auf der Suche nach Erleuchtung zum Chauffeur eines Gurus wurde

AutorTimm Kruse
VerlagEden Books - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl336 Seiten
ISBN9783944296463
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Mit 38 Jahren trifft Timm Kruse bei einem Festival auf einen indischen Guru und lauscht gebannt seinen Worten. Die Begegnung verändert etwas in ihm - von heute auf morgen lässt er seine Familie und sein altes Leben hinter sich und begibt sich auf die Suche nach Erleuchtung. Ehe er sich versieht, lebt er im Ashram des Gurus in Indien, geht als sein Chauffeur mit ihm auf Weltreise durch Kanada, die USA und Europa. Doch je länger er mit dem Guru unterwegs ist, desto mehr beginnt das Bild des Erleuchteten zu bröckeln. Ist er am Ende etwa auch nur ein ganz normaler Mensch? Authentisch und mit viel Witz erzählt Timm Kruse von seiner spirituellen Reise und gibt einen faszinierenden Einblick in das Leben eines waschechten Gurus.

Timm Kruse wurde 1970 in Lippe-Detmold geboren, hat Sprach- und Literaturwissenschaften in Saarbrücken und Wolverhampton studiert. Nebenbei arbeitete er für verschiedene deutsche Tageszeitungen. Seit 1997 ist er Fernseh-Redakteur, unter anderem für den NDR und das ZDF. Er war Wissenschaftsjournalist bei 'Planetopia' und Sportreporter bei 'ran'.Eines Tages hatte er endlich den Mut, Bücher zu schreiben. Denn das wollte er schon immer.

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Leseprobe

Der Weg


In dieser ganzen Geschichte habe ich ein einziges Mal mit dem Guru Fußball gespielt. Für eine Sekunde oder zwei. Auf einem Autobahnrastplatz in Niedersachsen. Während unserer insgesamt Zwölftausendkilometertour quer durch Europa war Fußball die letzte Verbindung zu meinem alten Ich.

Der Ball flog zwischen zwei Wohnmobilen und einem Multivan hin und her. Drei weiß gekleidete Jünger versuchten, den Ball so lange wie möglich in der Luft zu halten und von einem zum nächsten zu passen.

Einer der drei Jünger war ich.

Plötzlich stand der Guru zwischen uns. Sofort passte einer von uns so gefühlvoll wie möglich zum Meister. Es war in diesem Moment die größte Ehre, das Leder mit ihm zu teilen. Der Gebenedeite berührte zum ersten Mal in seinem Leben einen Fußball. Da ihm keinerlei Grenzen gesetzt waren, setzte er zu einem gewaltigen Schuss an – als schlüge er einen Fünfzigmeterpass in Richtung Autobahn. Ohne Ballgefühl erwischte er die Pille aus voller Wucht mit dem Knie und seine Sandale flog davon. Der Ball hingegen landete unter der Nase unseres Angebeteten, sein zotteliges Haupt klappte nach hinten und sein Hut segelte auf den Asphalt der Raststätte Damma Berge. Was dann geschah, war nicht zu erklären: Der Gesalbte verharrte in genau dieser Position; sein Fuß in der Luft, sein Hinterkopf auf dem Rücken. Das Standbein angewinkelt. Meliertes Haupthaar und struppiger Bart standen parallel zur Autobahn. Es sah fast so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben – wie auf einem Standbild von Monty Pythons Ministry of Silly Walks. Wenn nicht der Ball neben dem Guru langsam ausgetippt und weggerollt wäre.

So viel Gewalt hatte dieser holde Mensch während seiner 39 heiligen Jahre in dieser Reinkarnation nie erfahren. Was in diesem unwiderruflichen Moment geschah, durfte nicht geschehen. Ein von Gott Gesandter wird nicht geschlagen. Erst recht nicht mitten ins Gesicht. Vor allem nicht von einem Lederfußball namens Teamgeist. Nach der Zeit, die eine Sandale braucht, um aus zehn, zwölf Metern auf die Bürgersteigkante zu schlagen, fing sich der Guru wieder. Sein Kopf kreiste nach vorne, seine Haare fielen herab. Seine alabasterfarbene Fußsohle traf auf den Boden. Die Knie gerade durchgestreckt. Nur sein Gesicht erschien leicht verändert. Nicht die Nase, die vielleicht ein bisschen gerötet war. Vielmehr der Ausdruck im Allgemeinen. Vergleichbar mit einem Erdhörnchen, dem ein Blitz die Schwanzspitze versengt hatte. Der Guru hob seinen Hut auf und schlüpfte ungelenk in seine Sandale. Benommen stakste er davon. Nach wenigen Metern schaute er sich kurz um. Doch von der Szene war nichts übrig geblieben. Selbst der Ball verharrte außer Sichtweite. Als würde er sich verstecken. Wir standen da wie erstarrt.

Wenige Wochen nach Teamgeists Volltreffer existiere ich als Jünger nicht mehr. Und noch ein wenig später fange ich an, alles aufzuschreiben: Vor meinem inneren Auge tauchen schlafende Elefanten in Schlaglöchern indischer Highways auf; ich sehe mich mit weiß gekleideten Amerikanern einen Hügel hinunterkullern. Ich fauche wie ein Krokodil, um meinem Körper Inner Yoga beizubringen. Ich streichele die schweren Brüste einer jungen Schwedin und habe Heimweh nach Deutschland. Zwischendurch erscheint mir der Leibhaftige. Vielleicht ist es aber auch der Heiland. Wer könnte das unterscheiden?

Ich reise in neun Monaten durch zwölf Länder. Ich gehe zu Fuß, fahre auf Schiffen und mit der Bahn, fliege mit dem Flugzeug und lege Tausende von Kilometern mit dem Auto zurück. Denn ich bin der Chauffeur dieses Gurus.

Dabei sitze ich jetzt wieder in diesem alten Leben. Am gleichen Schreibtisch in der gleichen Wohnung. Ich komme mir vor wie ein umgepflanzter Baum. Zum ersten Mal mag ich Deutschland. Außerdem spielt Gladbach die beste Saison seit den Siebzigern.

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinem brüchigen Glauben an mein Vaterland. Ich gehe nicht ran. Ashram Handy steht auf dem Display. Es sind immer die gleichen scheinheiligen Anrufe von den Lakaien des Gurus. Wie es mir geht und was ich mache.

Ich hätte meine Nummer ändern sollen. Diese Anrufe zerren an meinen feinen Wurzeln. Mein Zustand ist nicht witterungsbeständig. Vor einer Woche bin ich am Morgen nach einem solchen Anruf weinend aufgewacht. Zum ersten Mal kam die Trauer hinter der Wut zum Vorschein. Ich weiß, dass ich Jahre brauchen werde, um diese Geschichte zu verarbeiten.

Vom Guru selbst habe ich nie wieder etwas gehört. Seine letzten Worte an mich waren: »I love you!«

Der Guru saß neben mir auf dem Beifahrersitz. Zwischendurch hatte seine Nase angefangen zu bluten. Das tat sie jetzt nicht mehr. Er hatte seit Teamgeists Volltreffer kein Wort geredet. Die Damma Berge lagen zweihundert Kilometer hinter uns. Wir befanden uns kurz vor Köln, wo Hunderte von Anhängern auf uns warteten.

Ich navigierte uns mit 120 Stundenkilometern durch ein Gewirr von Autobahnen. Zwischen dem Guru und mir hockte seine heimliche Geliebte. Aber davon wusste ich in dem Moment noch nichts. Hinter mir waren Betten und Bänke doppelt und dreifach belegt. Dazu kauerten einige Fans des Heiligen auf dem Boden. Ein Dutzend weiß gekleideter Jünger befand sich in diesem Moment nicht im viel besungenen Hier und Jetzt. Vor unseren geistigen Augen sahen wir immer wieder Teamgeist zuschlagen. Selbst wer nicht dabei gewesen war, sah es jetzt vor sich. Alle hörten das Klatschen des Leders auf die nun faustgroß platt gequetschte Nase des Angehimmelten.

Teamgeist hatten wir in den Damma Bergen zurückgelassen. Ich hatte ihn beim Ausparken noch an einem Gebüsch liegen sehen. Ihn mochte ich.

Wir sprachen kein Wort. Fragen lauerten in unseren Köpfen: Wie konnte das geschehen? Wer hatte den Pass gespielt? Warum passierte einem Heiligen so etwas? Wir drei Fußballer kamen uns vor wie Verfemte. Ich schämte mich besonders, denn ich hatte Teamgeist damals mit in den Ashram gebracht. Aber das wusste niemand.

Mittlerweile krochen wir über die Autobahn. Das Rheinland war verstopft. Im Wohnmobil herrschte eine Stimmung wie bei Fußballfans nach einem verlorenen Finale. Plötzlich hielt eine der engsten Vertrauten des Vollkommenen einen Zettel unter seine malträtierte Nase. Das Papier war gefaltet, wie es früher die Mädchen in der Grundschule machten, wenn sie Ja-Nein-Vielleicht-Briefchen verschickten. Der Guru friemelte das Papier auseinander, als wollte er die Falttechnik studieren. Ich schielte zu ihm herüber. »I like you«, stand in großer, krickeliger Schrift auf dem Briefchen. Nach fünfzig Staumetern sagte ich: »Ich mag dich auch, Guruji«, und steuerte das Wohnmobil besonders sanft in die Fahrbahnmitte. »Ich auch«, hörte ich von hinten. Und noch ein »Ich auch«. Und noch eins. Bis alle durcheinanderriefen. Ein Ich-mag-dich-Guruji-Sturm brach los. Das Wohnmobil jubelte und schaukelte. Der Stau löste sich auf. Wir waren wieder glücklich.

Bis der Guru ganz langsam den Kopf drehte. Er blickte jedem von uns nacheinander ins Gesicht. »No«, sagte er ernst. »Ihr mögt nicht mich. Ihr mögt nur euch selbst. Und ihr wollt, dass ich euch mag, dass ich euer Ego mag. Das ist alles. Seid ehrlich. Seid authentisch. Seid glücklich.«

Wir mussten tanken. Der Autohof hieß Zum Truckstop. Wer keine Lederweste trug, fiel auf. Menschen in weißem Baumwollgewand mit Schal erst recht. Da ich mich seit Monaten nicht rasiert hatte, sah ich aus wie einer von ihnen auf heilig getrimmt. Ich bestellte Kaffee. Eigentlich wollte ich einen Latte Macchiato. Aber ich fürchtete, man würde mich nicht verstehen.

Die Trucker glotzten. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem, um nicht rot zu werden.

»Äi, Beate, was’n dir passiert?«, rief plötzlich ein Mann mit Ziegenbart neben mir. Eine übel zugerichtete Kollegin hatte missmutig den Laden betreten. »Hab mich geprügelt. Mit so’ner Nuttä!« Die Frau war um die fünfzig. Sie hatte ein violettes Auge und eine Wunde über der Hakennase. Ich musste an die Szene in Kill Bill denken, in der Uma Thurman einem Sarg entsteigt und total verstaubt eine Kneipe betritt. »Scheiße!«, raunzte ein Vollbart mit Zopf. »Egal!«, bellte Beate. »Ich hab ihr dafür voll mit de Stiefels inne Fotze getreten.«

Plötzlich hatte ich eine Erscheinung. Diese Beate leuchtete wie eine Neonreklame für Michelin-Reifen und bewegte sich in Zeitlupe, wie in einem überstrahlten Stummfilm, bei dem sich die Hitze des Projektors langsam durch die Bilder frisst. Die Truckerin kam mir auf einmal wie ein vollkommenes, göttliches Wesen vor. Ich erkannte die gesamte Macht eines unermesslichen Schöpfers in dieser ramponierten Frau. Ich hatte die wichtigste Lehre unseres Gurus in absoluter Vollkommenheit begriffen: Gott macht vor nichts halt.

In diesem Moment wurde mir plötzlich alles klar: Würde ich derbe Frauen mit geschwollenen Augen, Narben und Tätowierungen anhimmeln, wäre Beate mein Guru. Es war eine gesellschaftliche Konvention, dass ich an die Göttlichkeit eines zotteligen Inders glaubte. Nirgends stand geschrieben, wie ein Erleuchteter auszusehen hatte oder wo er herkommen müsste. War der ganze Erleuchtungs-Hokuspokus nur eine Illusion?

Der Guru hätte mir zugestimmt, dass Beate genauso erleuchtet war wie er selbst. Auch hätte er zugegeben, dass sie bestimmt besser Fußball spielen konnte. Wozu also dieses Theater um den Guru, dieses Huldigen, diese Erhöhung? Ich schaute Beate vollkommen selbstverloren, erleuchtet und ein bisschen verliebt an. »Was’n mit dem?«, fragte Beate meinen ziegenbärtigen Nachbarn. »Is’n Heiliger oder so«, antwortete er – nicht ohne Respekt. Ich trank Schluck um Schluck meinen Kaffee aus und sagte beim Hinausgehen: »Danke,...

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