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Rom oder Tod

Der Kampf um die italienische Hauptstadt

AutorGustav Seibt
VerlagSiedler
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783641037215
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Zehn Jahre sind zwischen dem Hauptstadtbeschluss des Parlaments und dem Umzug der Regierung verstrichen: Nicht von Berlin ist die Rede, nicht vom heutigen Deutschland, sondern von Rom und Italien im neunzehnten Jahrhundert. Italien wurde 1861 geeinigt, 1871 bezog es seine Hauptstadt Rom. Es gab lange Hauptstadtdebatten davor und einen ebenso langwierigen Umbau der Stadt danach.Darum hatte es einen Krieg gegeben: Italien hatte die Stadt Rom dem Papst mit militärischen Mitteln entreißen müssen. Und neben dem Krieg der Waffen fanden andere Kämpfe auf den Schlachtfeldern der Presse, der Diplomatie, der Geschichtswissenschaft und der Theologie statt: Gestritten wurde um Fortschritt und Legitimität, Religion und Revolution, Kirche und Nation. Schriftsteller und Gelehrte aus ganz Europa beteiligten sich daran und erörterten dabei Grundsatzfragen der Moderne: nationale Identität, Gewissensfreiheit, Selbstbestimmungsrecht der Völker.Gustav Seibt erzählt die Geschichte dieses vergessenen Kampfes, der damals Millionen Menschen bewegt hat, mit ihren vielfältigen Bezügen und Ebenen: der militärischen, der diplomatischen, der weltanschaulichen und der stadthistorischen. Dabei entsteht ein farbiges Bild vom Übergang Alteuropas zum Europa der Nationen zwischen der Revolution 1848 und den Lateranverträgen 1929. Seibts Buch ist ein Abgesang auf das alte Rom der Päpste und eine Liebeserklärung an das freiheitliche Italien des Risorgimento.

Gustav Seibt, geboren 1959, studierte Geschichte und Literaturwissenschaft. Der Mitarbeiter der »Zeit« verfasste »Anonimo Romano. Geschichtsschreibung in Rom an der Schwelle zur Renaissance« (1992, ital. 2000) und mehrere Essaybände. 1995 wurde er mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa, 1999 mit dem Hans-Reimer-Preis der Warburg-Stiftung ausgezeichnet.

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Leseprobe
EPILOG Das römische Italien 1861 – 2000 (S. 227-228)

Die Fabel der Welt


In der Enzyklika Ubi nos vom 15. Mai 1871, die das italienische Garantiegesetz zurückwies, erklärte die Kurie voller Hohn, die piemontesische Regierung beeile sich, aus Rom ein Märchen für die Welt zu machen – Urbem properat Orbi facere fabulam. Knapper lässt sich die phantasmagorische Seite des langwierigen und leidenschaftlichen italienischen Kampfes um die Hauptstadt nicht kennzeichnen.1 Die Geschichtswissenschaft hat sich seit langem darauf geeinigt, in Rom die »unvermeidliche Kapitale« zu sehen und die Entscheidung für die Ewige Stadt als alternativlos hinzustellen.

Damit folgt sie den Behauptungen Cavours und der späteren italienischen Regierungen. »Ohne Rom als Hauptstadt Italiens kann Italien sich nicht konstituieren«, erklärte der Gründer des italienischen Königreichs in seiner Parlamentsrede vom 25. März 1861. »Die Wahl der Hauptstadt ist bestimmt von großen moralischen Gründen.

Es ist die Empfindung der Völker, welche die darauf bezüglichen Entscheidungen trifft. In Rom nun kommen alle historischen, intellektuellen, moralischen Umstände zusammen, welche die Bedingungen der Hauptstadt eines großen Staates ausmachen müssen. Rom ist die einzige Stadt Italiens, die nicht ausschließlich munizipale Erinnerungen hat; die ganze römische Geschichte von der Zeit der Caesaren bis zum heutigen Tage ist die Geschichte einer Stadt, deren Bedeutung unendlich weit über die Grenzen ihres Territoriums hinausgeht, einer Stadt also, die dazu bestimmt ist, die Kapitale eines großen Staates zu werden.«

Damit verwies Cavour rein materielle Erwägungen wie Geographie, Klima und Verteidigungsfähigkeit von vornherein auf einen untergeordneten Platz. Zwei Tage später ergänzte er, wenn der Papst nicht in Rom säße, sondern an einem von historischen Erinnerungen weniger überfrachteten Ort, wie zum Beispiel Aquileia, seinen Sitz hätte, dann müsste man sein Gebiet nicht annektieren. Warum also brauchte, Cavour zufolge, Italien, damit es seine endgültige Gestalt finden könne, unbedingt Rom und darüber hinaus Rom als Hauptstadt? Aus geschichtlicher Überlieferung und wegen eines allgemeinen Konsenses. Böse könnte man sagen: Weil Rom Rom ist, und das wäre nicht weit entfernt von der päpstlichen Formulierung, die von Rom als der Fabel der Welt spricht.

Die Brisanz der Hauptstadtfrage für den Prozess der italienischen Einigung zeigt jedoch zunächst nur, dass diese Einheit in der Epoche des Risorgimento bestenfalls ein fernes Ziel war, aber nur sehr schwache Fundamente hatte. Wirtschaftlich, gesellschaftlich, kulturell, nicht zuletzt sprachlich war das Land überaus heterogen; ihm fehlte ein natürlicher, historischer oder wirtschaftlicher Schwerpunkt. Seine lokalen historischen Prägungen, seine archaischen Sozialstrukturen und seine Unwegsamkeit ließen es in zahlreiche verschiedenartige Regionen zerfallen.

Ein ausgeprägter Partikularismus hatte seit dem hohen Mittelalter lokale Identitäten erstarken lassen. Metternichs berühmter Satz aus einer Note vom 2. August 1847, dass Italien ein geographischer Name sei, muss nicht unbedingt polemisch verstanden werden.3 Es gibt viele analoge Überlegungen in den gleichzeitigen Schriften des frühen Risorgimento, und sie liegen zumal den föderalen Entwürfen der Neoguelfen zu Grunde. Es ist kein Zufall, dass die überzeugtesten Unitarier wie Mazzini und Garibaldi auch die leidenschaftlichsten Verfechter der Rom-Idee waren. Rom wurde da zum mythischen Surrogat einer noch nicht bestehenden Einheit.
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