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Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland)

Zur Frage des Terrorismus in Rußland + Organisationsfragen der russischen Sozialdemokratie...

AutorRosa Luxemburg
Verlage-artnow
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9788026852872
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis1,99 EUR
Dieses eBook: 'Rosa Luxemburg: Die Russische Revolution (Gesammelte Werke über die soziale Revolution in Russland)' ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Rosa Luxemburg (1871-1919) war eine einflussreiche Vertreterin der europäischen Arbeiterbewegung, des Marxismus, Antimilitarismus und 'proletarischen Internationalismus'. Im Dezember 1905 reiste sie unter dem Pseudonym 'Anna Matschke' mit Leo Jogiches nach Warschau, um die russische Revolution 1905 zu unterstützen und die SDKPiL zur Teilnahme daran zu bewegen. Im März 1906 wurde sie verhaftet. Es gelang ihr, ein Kriegsgerichtsverfahren mit drohender Todesstrafe abzuwenden. Nach ihrer Freilassung gegen eine hohe Kaution reiste sie nach Petersburg und traf dort russische Revolutionäre, darunter Lenin. Ihre Erfahrungen mit der russischen Revolution verarbeitete sie nach ihrer Rückkehr nach Deutschland in der Schrift Massenstreik, Partei und Gewerkschaften. Rosa Luxemburg schrieb den Aufsatz Zur russischen Revolution. Darin begrüßte sie Lenins Revolution, kritisierte aber zugleich scharf seine Strategie und warnte vor einer Diktatur der Bolschewiki. In diesem Zusammenhang formulierte sie den berühmten Satz: 'Freiheit ist immer Freiheit des Andersdenkenden.' Nach dem Sturz des Zaren infolge der Februarrevolution 1917 schrieb Rosa Luxemburg den Artikel Die Revolution in Russland. Darin hob sie die treibende Kraft des russischen Proletariats bei den Ereignissen hervor. Seine Machtentfaltung habe zunächst die liberale Bourgeoisie an die Spitze der revolutionären Bewegung gestoßen. Seine Aufgabe sei nun, den imperialistischen Krieg zu beenden. Dazu müsse es die eigene Bourgeoisie bekämpfen, die den Krieg unbedingt brauche und fortsetzen wolle. Dieser habe Russland reif für die sozialistische Revolution gemacht.

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Leseprobe

I

Der russischen Sozialdemokratie ist eine eigenartige, in der Geschichte des Sozialismus beispiellose Aufgabe zuteil geworden: eine sozialdemokratische, auf proletarischen Klassenkampf zugeschnittene Taktik in einem absolutistischen Staate zu schaffen. Der übliche Vergleich der gegenwärtigen Verhältnisse in Rußland mit den deutschen zur Zeit des Sozialistengesetzes ist insofern hinfällig, als er die russischen Verhältnisse vom polizeilichen und nicht vom politischen Standpunkt ins Auge faßt. Die der Massenbewegung durch den Mangel an demokratischen Freiheiten in den Weg gelegten Hindernisse sind verhältnismäßig von untergeordneter Bedeutung: Die Massenbewegung hat es auch in Rußland verstanden, die Schranken der absolutistischen „Verfassung“ niederzurennen, und sich eine wenn auch verkrüppelte eigene „Verfassung“ der „Straßenunruhen“ geschaffen. Sie wird es auch fernerhin bis zu ihrem endgültigen Siege über den Absolutismus verstehen. Was die Hauptschwierigkeit des sozialdemokratischen Kampfes in Rußland bildet, ist die Verschleierung der bürgerlichen Klassenherrschaft durch die Gewaltherrschaft des Absolutismus, die der eigentlichen sozialistischen Klassenkampflehre notgedrungen einen abstrakten propagandistischen und der unmittelbaren politischen Agitation einen hauptsächlich revolutionär-demokratischen Charakter verleiht. Das Sozialistengesetz versuchte bloß, die Arbeiterklasse außerhalb der Verfassung zu stellen – mitten in einer hochentwickelten bürgerlichen Gesellschaft mit gänzlich bloßgelegten und im Parlamentarismus entfalteten Klassengegensätzen; darin bestand gerade der Wahnsinn, die Absurdität der Bismarckschen Unternehmung. In Rußland soll das umgekehrte Experiment vollzogen, eine Sozialdemokratie ohne die unmittelbare politische Herrschaft der Bourgeoisie geschaffen werden.

Dies hat nicht nur die Frage der Verpflanzung der sozialistischen Lehre auf den russischen Boden, nicht nur die Frage der Agitation, sondern auch die der Organisation ganz eigenartig gestaltet. In der sozialdemokratischen Bewegung ist auch die Organisation, im Unterschied von den früheren, utopistischen Versuchen des Sozialismus, nicht ein künstliches Produkt der Propaganda, sondern ein historisches Produkt des Klassenkampfes, in das die Sozialdemokratie nur das politische Bewußtsein hineinträgt. Unter normalen Bedingungen, das heißt dort, wo die entfaltete politische Klassenherrschaft der Bourgeoisie der sozialdemokratischen Bewegung vorausgeht, wird die erste politische Zusammenschweißung der Arbeiter in hohem Maße schon durch die Bourgeoisie besorgt. „Auf dieser Stufe“, sagt das Kommunistische Manifest, ist „massenhaftes Zusammenhalten der Arbeiter... noch nicht die Folge ihrer eigenen Vereinigung, sondern die Folge der Vereinigung der Bourgeoisie.“ In Rußland ist der Sozialdemokratie die Aufgabe zugefallen, einen Abschnitt des historischen Prozesses durch bewußtes Eingreifen zu ersetzen und das Proletariat direkt aus der politischen Atomisierung, die die Grundlage des absoluten Regimes bildet, zur höchsten Form der Organisation – als zielbewußt kämpfende Klasse zu führen. Die Organisationsfrage ist somit für die russische Sozialdemokratie besonders schwierig, nicht bloß, weil sie sie ohne alle formalen Handhaben der bürgerlichen Demokratie, sondern vor allem, weil sie sie gewissermaßen wie der liebe Herrgott „aus nichts“, in der leeren Luft, ohne das politische Rohmaterial, das sonst von der bürgerlichen Gesellschaft vorbereitet wird, erschaffen soll.

Das Problem, an dem die russische Sozialdemokratie seit einigen Jahren arbeitet, ist eben der Übergang vom Typus der zersplitterten, ganz „unabhängigen Zirkel- und Lokalorganisation, die der vorbereitenden, vorwiegend propagandistischen Phase der Bewegung entsprach, zur Organisation, wie sie für eine einheitliche politische Aktion der Masse im ganzen Staate erforderlich ist. Da aber der hervorstechendste Zug der unleidlich gewordenen und politisch überholten alten Organisationsformen die Zersplitterung und die völlige Autonomie, die Selbstherrlichkeit der Lokalorganisationen war, so wurde naturgemäß die Losung der neuen Phase, des vorbereiteten großen Organisationswerkes: Zentralismus. Die Betonung des zentralistischen Gedankens war das Leitmotiv der Iskra in ihrer dreijährigen glänzenden Kampagne zur Vorbereitung des letzten, tatsächlich konstituierenden Parteitags, derselbe Gedanke beherrschte die ganze junge Garde der Sozialdemokratie in Rußland. Bald sollte sich jedoch auf dem Parteitag und noch mehr nach dem Parteitag zeigen, daß der Zentralismus ein Schlagwort ist, das den historischen Inhalt, die Eigentümlichkeiten des sozialdemokratischen Organisationstypus nicht entfernt erschöpft, es hat sich wieder einmal herausgestellt, daß die marxistische Auffassung des Sozialismus sich auf keinem Gebiet, auch nicht auf dem der Organisationsfragen, in starren Formeln fixieren läßt.

Das uns vorliegende Buch des Genossen Lenin, eines der hervorragenden Leiter und Streiter der Iskra in ihrer vorbereitenden Kampagne vor dem russischen Parteitag, ist die systematische Darstellung der Ansichten der ultrazentralistischen Richtung der russischen Partei. Die Auffassung, die hier in eindringlicher und erschöpfender Weise ihren Ausdruck gefunden hat, ist die eines rücksichtslosen Zentralismus, dessen Lebensprinzip einerseits die scharfe Heraushebung und Absonderung der organisierten Trupps der ausgesprochenen und tätigen Revolutionäre von dem sie umgebenden, wenn auch unorganisierten, aber revolutionär-aktiven Milieu, andererseits die straffe Disziplin und die direkte, entscheidende und bestimmende Einmischung der Zentralbehörde in alle Lebensäußerungen der Lokalorganisationen der Partei. Es genügt, zu bemerken, daß zum Beispiel das Zentralkomitee nach dieser Auffassung die Befugnis hat, alle Teilkomitees der Partei zu organisieren, also auch die persönliche Zusammensetzung jeder einzelnen russischen Lokalorganisation von Genf und Lüttich bis Tomsk und Irkutsk zu bestimmen, ihr ein selbst- gefertigtes Lokalstatut zu geben, sie durch einen Machtspruch ganz aufzulösen und von neuem zu erschaffen und schließlich auf diese Weise indirekt auch die Zusammensetzung der höchsten Parteiinstanz, des Parteitags, zu beeinflussen. Danach erscheint das Zentralkomitee als der eigentliche aktive Kern der Partei, alle übrigen Organisationen lediglich als seine ausführenden Werkzeuge.

Lenin erblickt gerade in der Vereinigung eines so straffen Zentralismus in der Organisation mit der sozialdemokratischen Massenbewegung ein spezifisch revolutionär-marxistisches Prinzip und weiß eine Menge Tatsachen für seine Auffassung ins Feld zu führen. Doch untersuchen wir die Sache etwas näher.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Sozialdemokratie im allgemeinen ein starker zentralistischer Zug innewohnt. Erwachsen aus dem wirtschaftlichen Boden des seinen Tendenzen nach zentralistischen Kapitalismus und angewiesen in ihrem Kampfe auf den politischen Rahmen des zentralisierten bürgerlichen Großstaats, ist die Sozialdemokratie von Hause aus eine ausgesprochene Gegnerin jedes Partikularismus und nationalen Föderalismus. Berufen dazu, allen partiellen und Gruppeninteressen des Proletariats gegenüber im Rahmen eines gegebenen Staates die Gesamtinteressen des Proletariats als Klasse zu vertreten, hat sie überall die natürliche Bestrebung, alle nationalen, religiösen, beruflichen Gruppen der Arbeiterklasse zur einheitlichen Gesamtpartei zusammenzuschweißen, wovon sie nur in exklusiven, abnormen Verhältnissen, wie zum Beispiel in Österreich, notgedrungen eine Ausnahme zugunsten des föderalistischen Prinzips macht.

In dieser Beziehung war und ist es auch für die Sozialdemokratie Rußlands keine Frage, daß sie nicht ein föderatives Konglomerat einer Unzahl nationaler und provinzieller Sonderorganisationen, sondern eine einheitliche, kompakte Arbeiterpartei des russischen Reiches bilden müsse. Eine davon ganz verschiedene Frage ist jedoch die nach dem größeren oder geringeren Grade der Zentralisation und nach deren näherer Beschaffenheit innerhalb einer geeinigten und einheitlichen Sozialdemokratie Rußlands.

Vom Standpunkt der formalen Aufgaben der Sozialdemokratie als einer Kampfpartei erscheint der Zentralismus in ihrer Organisation von vornherein als eine Bedingung, von deren Erfüllung die Kampffähigkeit und die Tatkraft der Partei in direktem Verhältnis abhängen. Allein viel wichtiger als die Gesichtspunkte der formalen Erfordernisse jeder Kampforganisation sind hier die spezifischen historischen Bedingungen des proletarischen Kampfes.

Die sozialdemokratische Bewegung ist die erste in der Geschichte der Klassengesellschaften, die in allen ihren Momenten, im ganzen Verlauf auf die Organisation und die selbständige direkte Aktion der Masse berechnet ist.

In dieser Beziehung schafft die Sozialdemokratie einen ganz anderen Organisationstypus als die früheren sozialistischen Bewegungen, zum Beispiel die des jakobinisch-blanquistischen Typus.

Lenin scheint dies zu unterschätzen, wenn er in seinem Buche (S. 140) meint, der revolutionäre Sozialdemokrat sei doch nichts anderes als „der mit der Organisation des klassenbewußten Proletariats unzertrennlich verbundene Jakobiner“. In der Organisation und dem Klassenbewußtsein des Proletariats im Gegensatz zur Verschwörung einer kleinen Minderheit erblickt Lenin die erschöpfenden Unterschiedsmomente zwischen der Sozialdemokratie und dem Blanquismus. Er vergißt, daß damit auch eine völlige Umwertung der Organisationsbegriffe, ein ganz neuer Inhalt für den...

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