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Rousseau und Athen

Bezüge zur Demokratie des klassischen Griechenland in Jean-Jacques Rousseaus Konzept der Volkssouveränität in 'Du Contract Social'

AutorPhilip J. Dingeldey
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl69 Seiten
ISBN9783656570615
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Geschichte - Weltgeschichte - Altertum, Note: 1,3, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Sprache: Deutsch, Abstract: Wegen der Ähnlichkeiten will die vorliegende Arbeit die Bezüge zur Demokratie des klassischen Griechenland in Jean-Jacques Rousseaus Konzept der Volkssouveränität im Contract Social herausarbeiten. Da die Arbeit zwar interdisziplinär angelegt, aber primär althistorisch ist, orientiert sich die Untergliederung auch an der klassischen Demokratie und nicht am Contract Social, nämlich folgendermaßen: Begonnen wird mit einem mentalitäts- und ideengeschichtlichen Teil, wo auf die geistigen Grundlagen der Volkssouveränität im klassischen griechischen Denken eingegangen wird, anhand der Faktoren Freiheit und Gleichheit; es folgt ein politikgeschichtlicher Teil, wo Entstehung und Verortung der Volkssouveränität am Beispiel des politischen Systems der attischen Demokratie behandelt werden; angeschlossen wird ein sozialhistorischer und geographischer Teil, wo die sozioökonomischen, -kulturellen und geographischen Grundlagen zur Entfaltung der Volkssouveränität in der klassisch-griechischen Demokratie erörtert werden; ein Fazit rundet das Ganze ab. Pro Gliederungspunkt werden die jeweilige Bedeutung der Volkssouveränität der klassisch-griechischen Demokratie und ihrer Auseinandersetzung in den Quellen, sowie die jeweiligen Bezüge bei Rousseaus Konzepte aufgezeigt. Intensiv behandelt werden dabei aber nur die Aspekte, die sich ähneln und gleichen, wo also ein Bezug zur klassisch-griechischen Demokratie vorliegen kann.

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Leseprobe

2.) Mentalitäts- und ideengeschichtlicher Teil


 

„Freiheit und Gleichheit in Einklang zu bringen, bereitet antiken Demokraten wenig Mühe. So wie Gleichheit für sie nicht Angleichung meint, ist Freiheit nicht absolut, da ,alle´ sie besitzen sollen, sie also stets nur soweit reicht, daß die Freiheit eines anderen nicht beeinträchtigt wird“[14].

 

Dass so Freiheit und Gleichheit als ideengeschichtliche Basis der Volksouveränität sich gegenseitig bedingten und die Konzepte ineinanderflossen, lässt sich auch von Rousseaus Contact Social behaupten.

 

2.1) Freiheit


 

Aristoteles bestimmte die Freiheit (Eleutheria) zum zentralsten der Demokratieprinzipien.

 

Er schrieb: „Voraussetzung der demokratischen Verfassung ist die Freiheit. […] [D]enn das, sagt man, setze jede Demokratie sich zum Ziele. Ein Stück der Freiheit ist aber damit gegeben, daß man abwechselnd gehorcht und befiehlt. […] Dies ist denn das eine Zeichen der Freiheit, daß alle Demokraten als die Begriffsbestimmung der demokratischen Verfassung aufstellen; ein zweites aber ist, daß jeder in der Republik lebt, wie er will; dies soll der Freiheit eigen sein, wenn anders es den Sklaven charakterisiere […]. Dieses Moment bedeutet also eine zweite Begriffsbestimmung der Demokratie, es treibt aber das Prinzip, wonach man womöglich keinem oder doch nur abwechselnd gehorcht, aus sich hervor und erfüllt insofern das Postulat der gleichen Freiheit für alle.“[15]

 

Aristoteles sprach hier die wichtigsten Elemente der antik-demokratischen Freiheit an. Durch die dominante Rolle der Eleutheria, wurde sie teils mit dem Begriff Demokratía synonym verwendet[16]. Das freiheitliche Verfassungsideal war ja der Demokratie vorbehalten. Aus dieser zweifachen Bedeutung der Eleutheria, nämlich der Freiheit, abwechselnd zu herrschen und ein freies Privateben führen zu können, ergaben sich einige Bedeutungsabstufungen: erstens, der rhetorisch-metaphorisch monierte Gegensatz zur gängigen Sklaverei; zweitens, das „Nichtbeherrschtwerden“ durch fremde Mächte, also die äußere Souveränität der Pólis; und drittens, der politischen Beteiligung im Öffentlichen und der persönlichen Freiheit im Privaten. Ergo verbanden sich politische und soziale Freiheitskonzepte. Im Negativen bedeutete dies die Abwendung von Zwang zu einer bestimmten Lebensform oder zur Partizipation und im Positiven die Möglichkeit, sich gleichberechtigt am Gemeinwesen zu beteiligen und eine freie persönliche Existenz zu führen. So bemerkte Platon, die Menschen seien fürs Erste frei und „der Staat quillt über in der Freiheit der Tat und […] des Wortes, und jedem ist erlaubt zu tun, was er will!“[17] und er kritisierte, Demokraten seien „ein bisschen Sklaverei“ nicht mehr gewöhnt[18]. Aus diesem aristotelischen Ideal des „Nichtbeherrschtwerden“ ergab sich so die politische Selbstbestimmung einer direkten Demokratie, mit der Reduzierung von Entscheidungsinstanzen, wie dem Rat oder den politischen Funktionsträgern und die Stärkung des versammelten Volkes sowie die bessere Entfaltung der Individualität und der Meinungsvielfalt[19]. Meier kritisiert aber unbewiesen, es sei ein freiheitsschmälernder Druck zur politischen Beteiligung entstanden[20]. Eine juristische Kodifikation von Freiheitsrechten gab es aber nicht.[21]

 

Die Eleutheria wurde – außer in vorbildlicher Form von Aristoteles – im klassischen Griechenland vielfach und unterschiedlich interpretiert: Thukydides sah etwa in der Gefallenenrede des Perikles die athenische Pólis als Reich der Freiheit, die freiheitliche Demokratie als typisch athenisch sowie als Vorbild und assoziierte dies mit dem Mut sowie der Opferbereitschaft der gefallenen Soldaten, die den demokratischen Wert der Freiheit verteidigt hätten. Demokratie meint, so Thukydides, dass die Mehrheit regiert und es keinen Vorzug einer Klasse gibt. Er ließ Perikles folgendes über die Freiheit sagen:

 

„Wir sind im öffentlichen Leben nicht engherzig und im täglichen Verkehr untereinander keine Duckmäuser, nehmen es unserem Nächsten nicht übel, wenn er mal über die Stränge schlägt, und machen darüber kein sauertöpfisches Gesicht, um ihn dadurch, wenn auch nicht umzubringen, doch moralisch zu vernichten. Im persönlichen Verkehr sind wir nichts weniger als Splitterlichter, im öffentlichen Leben aber schämen wir uns jeder Ungesetzlichkeit und gehorchen der jeweiligen Obrigkeit und den Gesetzen, vorzüglich den zum Schutz der Bedrängten gegebenen, und den, wenn auch ungeschriebenen Gesetzen, deren Übertretung jedermann für Schande hält.“[22]

 

Damit interpretierte Thukydides die Freiheit ähnlich wie Aristoteles in zweifacher Weise (freiwillige Partizipation und freier Lebensstil) und hob besonders den Faktor der Toleranz hervor. Mit positiven Konnotationen präsentierte er Perikles als Verfechter und Laudator der freiheitlichen Demokratie.[23]

 

Ein heftiger, oligarchischer Kritiker aber war Pseudoxenophon: Er meinte, dass in Athen die Gemeinen es durch die Freiheit besser gehabt hätten als die Edlen, die das Volk unrechtmäßig verdrängt hätte, denn nun wären die Ämter allen durch Wahl oder Losung offen gestanden.[24] Pseudoxenophon folgerte:

 

„Es gilt aber auch wirklich für jedes Land, daß das bessere Element Gegner der Volksherrschaft ist; denn bei den Besseren ist Zuchtlosigkeit und Ungerechtigkeit am geringsten, gewissenhafter Eifer für das Gute und Edle am größten, beim Volke aber Mangel an Bildung und Selbstzucht am größten und Gemeinheit.“[25] Aber „[d]as Volk hat es ja darauf abgesehen, nicht etwa in einem wohlgeordneten Staatswesen selbst geknechtet zu sein, sondern frei zu sein und zu herrschen, die Mißordnung aber kümmert es wenig; denn was du als das gerade Gegenteil eines wohlgeordneten Zustandes ansiehst, das Volk schöpft daraus seine Kraft und seine Freiheit“[26].

 

Alle Ordnung schien für ihn damit verloren, dass selbst Knechte und Sklaven seien üppig geworden seien und keine Angst mehr vor ihrem Herrn zu haben bräuchten[27]. Auch Pseudoxenophon sah die Freiheit als das zentrale Element der Volksherrschaft, wodurch alte Hierarchien auseinander gebrochen seien und die Reichen und Adligen die Macht verloren hätten, da jeder politisch frei gewesen sei. Freiheit und Demokratie standen für ihn also einem guten, stabilen politisch-sozialen System diametral gegenüber.

 

Recht kritisch sah ja auch Platon die demokratische Freiheit, nämlich als zweischneidiges Schwert. So erkannte er zwar die „überquillende“ Freiheit der Menschen in der Demokratie[28], aber die Freiheit sei eine Ideologie, nach der das Individuum sich keiner vernünftigen Ordnung mehr zu unterwerfen brauche. Er sah den Begriff der privaten Freiheit mit der maximalen Lustbefriedigung gefüllt, wovon das unfreie Unterwerfen unter die Lüste die Folge gewesen sei.[29] Dann „lebt er im Gleichgewicht seiner Freuden, überläßt der Lust, die ihn eben befällt, als ob sie´s erlost, die Macht über ihn, bis sie gesättigt, und dann wieder einer anderen – und keine verschmäht er, denn sie alle ehrt er nach gleichem Teile“[30]. Der bloße Wille als letzte Kraft hätte die Freiheit politisch verantwortungslos und willkürlich wie das demokratische Los gemacht, aber auch die Möglichkeit zur Persönlichkeitsentfaltung gegeben. Freiheit sah Platon ergo dialektisch, damit nicht Anarchie oder Willkür in der Freiheit die Bürger unterwerfe. Nur durch strenge Disziplin und Erziehung hätten Philosophen in dieser Dialektik leben können[31].

 

So lässt sich für die klassisch-griechische Demokratie vermerken, dass die Eleutheria das zentrale und bedeutende Element der Demokratie war, aus dem sich die Gleichheit und die Volkssouveränität ergaben. Daher war die Freiheitsidee auch fest in den Mentalitäten antiker Demokraten verankert, sodass sie entweder von Perikles gelobt wurde, von den Feinden der Demokratie am heftigsten kritisiert wurde und selbst Philosophen, die die Freiheit des Volkes als nicht unproblematisch sahen, kamen nicht umhin, die Eleutheria, als auf zwei Ebenen wichtiges Element der Demokratie oder als mit ideellen und politischen Gefahren behaftet zu charakterisieren. Durch diese Wichtigkeit ergab sich ein äußerst breiter Fundus an historischen und philosophischen Quellen zur Eleutheria, die Rousseau rezipieren konnte.

 

Dass die Freiheit auch eine grundlegende Komponente in Rousseaus Kontraktualismus war, beweist schon der Anfang des Contrat Social: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten. Einer hält...

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