Die Wirbelsäule – topstabil und optimal beweglich
Obwohl die Wirbelsäule wie eine Zeltstange oder der Mast eines Segelschiffes mitten durch den Körper geht, kann man sie bei den meisten Menschen ertasten und auch sehen: Die sogenannten Dornfortsätze – der Wirbelkörper – scheinen durch die Haut nach außen, wenn sie sich nicht, vor allem bei korpulenten Menschen, unter einer Fettschicht verbergen. Mit etwas Geschick und Fingerfertigkeit lassen sie sich sogar abzählen, sodass man etwa Hals-, Brust- und Lendenwirbel gut unterscheiden kann. Nach ihrer Lage, Größe und Beschaffenheit unterscheidet man
- sieben Halswirbel,
- zwölf Brustwirbel,
- fünf Lendenwirbel.
Der einzelne knöcherne Wirbelkörper hat eine zylindrische Form. Seine Ausmaße variieren allerdings, je nachdem welche Aufgabe er zu erfüllen hat. So müssen die Halswirbelkörper lediglich den Kopf tragen und sind entsprechend kleiner. Der unterste Lendenwirbelkörper, welcher der größten Belastung ausgesetzt ist, ist auch der stärkste und gewichtigste.
Abb. 1: Die Wirbelsäule
Abb. 2: Der Wirbel von vorn (links) und der Wirbelaufbau von oben (rechts).
An der rückwärtigen Seite trägt jeder Wirbelkörper einen Wirbeldorn oder Dornfortsatz, an welchem kräftige elastische Rückenmuskeln befestigt sind und dessen Höcker sich am Rücken abtasten lässt. Zwischen dem Wirbelkörper und seinem schützenden Dornfortsatz befindet sich ein Loch. Da die Wirbelkörper an dieser Stelle übereinanderliegen, entsteht eine Art Rohrleitung – der Wirbelkanal. Wie in einem Kabelschacht am Computer die wichtigen Zuleitungen von Maus und Tastatur verlaufen durch den Wirbelkanal Hunderttausende von Nervenbündeln, nämlich das äußerst empfindliche Rückenmark, durch das vom Gehirn über elektrische Impulse unzählige Funktionen im gesamten Organismus gesteuert werden.
Untereinander sind die Wirbelkörper gelenkig verbunden, sodass die kleinste Bewegungseinheit aus zwei gelenkigen Wirbelkörpern besteht, die gegeneinander durch eine Bandscheibe abgepuffert sind. Ohne dieses Polster würden die knöchernen Wirbelkörper sehr schnell verschleißen und beim Aufeinanderprallen zersplittern. Aber entgegen der landläufigen Meinung, die Wirbelkörper seien totes Material, befinden sie sich in einem ständigen Auf-, Ab- und Umbau. Im Durchschnitt wird jeder Wirbel etwa alle drei Jahre runderneuert. Nur so ist es möglich, dass gebrochene Wirbel auch wieder zusammenheilen können.
In ihrer Gesamtheit ähnelt die Wirbelsäule der Gräte eines Fisches, was sich in ihrer volkstümlichen Bezeichnung, nämlich Rückgrat, auch niederschlägt. Ein anderes Beispiel aus der Tierwelt macht die Bedeutung der Wirbel für die Beweglichkeit eines Körpers besonders deutlich: So besitzen die gelenkigen Würgeschlangen wie Boas und Pythons bist zu 400 Wirbelkörper – am meisten von allen Lebewesen.
Die Wirbelsäule hat zwei sich anscheinend widersprechende Aufgaben: Zum einem für eine Top-Stabilität, und zum anderen für optimale Beweglichkeit zu sorgen. Diesen Funktionen kann sie nur durch eine geniale Konstruktion aus Gelenken, Bandscheiben, Bändern und Muskeln gerecht werden: Obwohl sie als Säule bezeichnet wird, weist die Wirbelsäule beim Menschen von der Seite gesehen nach vorn und hinten S-förmige Krümmungen auf. So wird es möglich, Belastungen elastisch abzufangen. Damit ist sie stark genug, um das gesamte Körpergewicht zu tragen, aber auch biegsam genug, um die Bewegungen von Armen und Beinen zu unterstützen und belastenden Ansprüchen gerecht zu werden. Nur durch die Doppel-S-Form können Erschütterungen, etwa beim Springen oder beim Laufen auf hartem Boden, aufgefangen werden. Wie eine Sprungfeder dämpfen diese Krümmungen Stöße und Drücke ab, wie sie zum Beispiel beim Heben von Lasten entstehen. Anschließend nimmt diese „Feder“ wieder ihre ursprüngliche Form an.
Die Bandscheiben: Stoßdämpfer gegen Brüche
Die Bandscheiben sitzen als eine Art Stoßdämpfer in der Wirbelsäule zwischen den knöchernen Wirbelkörpern und dienen dazu, den Druck, der auf den Wirbeln lastet, aufzufangen und zu verteilen. Sie bestehen aus einem äußeren Knorpelring und einem inneren Gallertkern und sind besonders elastisch. Unter Belastungen und Druck schrumpfen sie tagsüber etwas zusammen, sodass man tatsächlich am Abend ein wenig kleiner ist als am Morgen. Mit einem sogenannten Accelerometer, einem Gerät, mit dem sich Erschütterungen exakt nachmessen lassen, kann man die Belastungen der Wirbelsäule beim Gehen, Springen und Autofahren kontrollieren. Springt man beispielsweise von einer nur einen halben Meter hohen Mauer, hat die Wirbelsäule beim Aufprall das Sechsfache des Körpergewichts zu verkraften! Dagegen schlägt das Messgerät kaum aus, wenn eine Versuchsperson mit flachen Absätzen über harten Kunststoffboden geht. Aber immerhin erhöht sich das auf die Lendenwirbel drückende Körpergewicht dadurch um die Hälfte.
Ein Test mit hohen Absätzen ergibt dagegen erschreckende Resultate: Stakst man mit einem Hohlkreuz auf hohem Fuß daher, steigt das Gewicht, das auf die Wirbel drückt, um das Doppelte, beim Treppensteigen sogar um das Dreifache. Frauen, die jahrelang aus übertriebenem Modebewusstsein über harte Böden auf High Heels laufen, muten ihrer Wirbelsäule täglich tausendfache Stöße von einer Stärke zu, die zu beachtlichen Wirbelsäulenschäden führen können.
Vorsicht ist vor allem beim Springen geboten. Gefährlich wird es dann, wenn der Springende, wie oft beim Training an Turngeräten beobachtet, ins Hohlkreuz geht. Diese Gefahr besteht auch bei einem Sprung ins Wasser mit Hohlkreuzhaltung. Bei einem Sturz auf das Gesäß drücken in Bruchteilen von Sekunden sogar 500 bis 750 kg – also etwa das Gewicht von mindestens zehn Zentnersäcken Kartoffeln – auf Becken und Gesäß. Diese enorme Kraft entspricht der Beanspruchung der Wirbelsäule eines Piloten, der sich per Schleudersitz aus dem Flugzeug katapultiert.
Autositze sind zwar keine Schleudersitze, aber die anhaltende Belastung während stundenlanger Autofahrten ist kaum geringer als beim – meist unfreiwilligen – Ausstieg eines Piloten. Die Stöße und Schwingungen während einer normalen längeren Autofahrt bilden bereits eine Gefährdung. Deshalb sollte man im Autositz leicht zurückgelehnt in einem Winkel von 20 bis 30 Grad Platz nehmen und die Wirbelsäule dabei gestreckt halten.
Mit Muskeln protzen
Wenn Menschen nach wochenlanger Krankheit wieder aufstehen dürfen, sind sie fast immer schwach und wacklig auf den Beinen: Es ist erklärlich, dass sich der Kreislauf erst langsam wieder an die neuen Bedingungen – das Aufrechtgehen – anpassen muss. Häufig sind aber auch die Muskeln des Patienten regelrecht verkümmert. Denn vor allem benötigt die Muskulatur Bewegung, um leistungsfähig und geschmeidig zu bleiben.
Rückenprobleme entstehen zumeist durch anhaltenden Mangel an Bewegung. Die Muskulatur erschlafft und kann die Wirbelsäule nicht mehr ausreichend stützen. Fehlhaltungen und Verspannungen sind die Folgen, und falsche Belastungen können zu vorzeitigen Abnutzungserscheinungen an Wirbeln und Gelenken führen.
Nur eine straffe Rückenmuskulatur gibt der Wirbelsäule den dringend notwendigen Halt wie ein natürliches Korsett. Ein gezielter Muskelaufbau gehört deshalb zu den Grundprinzipien der Rückenschule.
Rund 600 Muskeln verschiedenster Form und unterschiedlicher Beschaffenheit sind dafür zuständig, den Körper beweglich und in Form zu halten. Es gibt breite und platte, spindelförmige, einfach und doppelt gefiederte Muskeln. Je nachdem was sie zu leisten haben, bestehen einige aus mehreren Teilen oder sogenannten Köpfen. Am Bewegungsapparat arbeiten quer gestreifte Muskeln, an den Organen glatte Muskeln.
Für schnelle Bewegungen, etwa für einen Hundert-Meter-Lauf oder das Anheben einer Getränkekiste, sind große weiße Muskelfasern zuständig. Die Fasern der Haltemuskeln, die beispielsweise die Wirbelsäule abstützen, sind dagegen klein und rötlich gefärbt. Die roten Muskeln sind immer in Bewegung, rund um die Uhr – selbst wenn Sie nur einen Bleistift hochheben oder sich nachts im Bett umdrehen. Für einen gesunden Rücken müssen beide Muskeltypen immer wieder gefordert werden.
Kräftigendes Muskeltraining ist übrigens bis ins hohe Alter möglich. Man muss aber wissen, dass sich die Muskeln durch gymnastische Übungen oder...