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E-Book

Ruth Binde

Ein Leben für die Literatur

AutorAlexander Sury
VerlagWörterseh Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783037635384
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Als junges Mädchen träumte Ruth Binde, 1932 in Bern geboren, von einer Karriere als Schauspielerin. Es kam anders: Nach dem Abbruch des Gymnasiums, einem halben Jahr Bühnenstudio in Zürich und einem Zwischenjahr in London absolvierte die Tochter des Politikers und Publizisten Fritz Schwarz eine Buchhändlerinnenlehre. Im Sommer 1957 meldete sie sich auf das Inserat eines winzigen Zürcher Verlags, der eine 'gute Sekretärin' suchte, bekam die Stelle und unterstützte den Verleger Daniel Keel während fünfzehn Jahren beim Aufbau seines Diogenes Verlags. Die ersten drei Jahre war sie die einzige Mitarbeiterin und als solche 'Mädchen für alles'. 1972 machte sich die alleinerziehende Mutter eines elfjährigen Sohnes selbständig und setzte sich während Jahrzehnten beharrlich und unbeirrt für Bücher und Kulturereignisse ein. Zu einem Zeitpunkt, als PR noch ein Fremdwort war, rückte sie die Schriftstellerin Luise Rinser, den Schriftsteller Siegfried Lenz, den Kabarettisten Emil Steinberger oder auch die Inszenierung von Paul Burkhards 'Die kleine Niederdorfoper' mit Ruedi Walter in der Hauptrolle ins rechte Licht. 1985 rief sie das legendäre Bernhard-Littéraire ins Leben, eine Gesprächsreihe mit Autorinnen und Autoren, die noch heute unter dem Namen Züri Littéraire weitergeführt wird.

Alexander Sury, geboren 1964, studierte Geschichte und Germanistik in Bern, Freiburg und Jena. Er arbeitete als Lehrer, Dramaturg und Journalist und ist heute Co-Leiter des Kulturressorts bei der Berner Tageszeitung 'Der Bund'. Sein erstes Buch 'Fürs Leben gern - 20 Begegnungen' (Verlag Huber) veröffentlichte er 2010. Für 'Ruth Binde - Ein Leben für die Literatur' führte er zahlreiche Gespräche mit der Kulturvermittlerin und sichtete in Archiven Briefe und Dokumente. Alexander Sury wohnt in Wohlen bei Bern.

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Leseprobe

Unser Emmentaler »Stöckli«


Obwohl Ruth in der Stadt Bern aufwächst, ist sie auch ein Kind des Emmentals. Ihre schönsten Jugenderinnerungen verdankt sie dem »Stöckli«. So heißen die kleinen Holzhäuser, die in der Nähe eines Bauernhofs stehen und in denen die Bauern ihren Lebensabend verbringen. Der Vater von Ruth Binde ist als fünfzehntes und jüngstes Kind einer Emmentaler Bauernfamilie aufgewachsen. Das Stöckli liegt nur wenige Meter neben seinem Elternhaus im Oberen Krautberg, im Oberthal bei Zäziwil. Fritz Schwarz ist bis heute ein Vorbild für die Tochter. Der marxistische Theologe Konrad Farner, selber ein vom helvetischen Mittelmaß schikanierter Querdenker, sagte über Fritz Schwarz: »Hätten wir mehr von solchem Holz, es sähe besser aus im Schweizerland.« Als Fritz Schwarz 1958 an den Folgen eines Herzinfarkts im Alter von 71 Jahren stirbt, ist Ruth Binde 26 Jahre alt. Bis auf den letzten Platz ist die Berner Heiliggeistkirche am 20. November 1958 besetzt. Es sind längst nicht nur Weggefährten und Gesinnungsfreunde, die Abschied nehmen von Fritz Schwarz. Auch politische Gegner erweisen ihm die letzte Ehre. Der Schriftsteller Carl Albert Loosli – in seiner Unbeugsamkeit und Wahrheitsliebe ein Geistesverwandter – rühmt die »rücksichtslose Vorurteilslosigkeit« und den »bürgerlichen Mut« von Fritz Schwarz, der nicht nur ein Freund gewesen war, sondern auch sein Verleger. Nach der Abdankung bewegt sich der Trauerzug durch die Laupenstraße zum Bremgartenfriedhof. Der Grabstein trägt die Inschrift: »Der Gerechtigkeit Frucht wird Friede sein« (Jesaja 32,17), das lebenslange Motto von Fritz Schwarz.

Ruth Bindes Vater wächst in einer archaischen Welt auf, die geprägt ist von einer stillen Religiosität des Vaters und alltäglicher harter Arbeit auf dem Feld. Der aufgeweckte, neugierige Knabe ist ein guter Schüler; er wählt den Lehrerberuf und wird als einziger Primarschüler im Seminar Hofwil bei Bern aufgenommen. »Wie bin ich dazu gekommen, meinen Stand zu verlassen, obwohl ich der Jüngste war und nach dem emmentalischen Erbrecht daher auch der Hoferbe gewesen wäre?« Diese Frage nach den Ursachen des eingeschlagenen Wegs stellte sich der lebenslang seiner Heimat verbundene Fritz Schwarz kurz vor seinem Tod in den Erinnerungen »Wenn ich an meine Jugend denke«. Es waren vor allem die Auswirkungen der Deflation, die seine Familie in aller Härte spürte. Die allgemeine Einführung der Goldwährung in den 1870er-Jahren traf auf abnehmende Goldfunde; die Folge davon war, dass nicht genügend Geld in Umlauf kam und die Preise fielen. »Von diesen Vorgängen wusste ich zwar nichts», schreibt Schwarz, «aber ich spürte sie. Sie haben meine Jugend vergiftet, sie lehrten mich, den Bauernstand zu fürchten, sie haben mich krank gemacht und zur Flucht vom Hof veranlasst.« Diese von Wirtschaftskrise und Zinslast verdüsterte Jugend brachte Schwarz dazu, »mit zwanzig Jahren Sozialist, später Freiwirtschafter und stets erbitterter Gegner der Krisen- und Zinswirtschaft zu werden«.

Fritz Schwarz will zum Wesen der Dinge vorstoßen, die Mechanik des Wirtschaftslebens begreifen. Im Seminar Hofwil schließt er sich der Abstinenzbewegung an, er ist aktiv in der Liga für Menschenrechte, setzt sich für das Frauenstimmrecht ein, interessiert sich für Psychoanalyse und wird später den Schweizer Ableger der Autosuggestionsmethode nach Coué gründen.

Seine erste Stelle als Lehrer tritt er in Arni bei Biglen an, wo seine Mutter herkommt. Seine rhetorischen Gaben nutzt er als Grabredner und verschafft sich so einen Nebenverdienst. Schwarz wird später Sekundarlehrer in Schwarzenburg, dort steht er rasch im Ruch, ein »Roter« zu sein: Er tritt der Sozialdemokratischen Partei bei, gründet einen Konsumverein und gibt eine kleine Zeitschrift heraus. In der Berner Buchhandlung Francke stößt er – von Karl Marxens Analysen und Rezepten nur halbwegs überzeugt – auf ein Buch des Mathematikers und Arztes Theophil Christen, »Die Kaufkraft des Geldes und ihre Bedeutung für die Volkswirtschaft«. Dessen Arbeit fußt auf den Schriften des Unternehmers und Sozialreformers Silvio Gesell (1862–1930). Fritz Schwarz ist fasziniert von diesem dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, den Gesell 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, in seinem Hauptwerk »Die natürliche Wirtschaftsordnung« skizzierte. Der Boden, der allen gehöre wie die Luft, soll folgerichtig auch allen gehören und in (staatlichen) Gemeinschaftsbesitz übergehen. Er kann aber weiter privat genutzt werden gegen Pacht beziehungsweise Nutzungsabgaben, die wiederum der Allgemeinheit zugutekommen.

Neben der Boden- ist die Geldreform der zweite Pfeiler der Theorie von Silvio Gesell. Den Zins als »arbeitsloses Einkommen« hielt Fritz Schwarz, hier ganz bibeltreuer Christ, für grundsätzlich verwerflich. Die Abschaffung des Goldstandards, die Einführung flexibler Wechselkurse und eine sogenannte umlaufgesicherte Währung sollen zusammen mit einer Strafsteuer die Hortung von Geld verhindern. Fritz Schwarz geht den Weg des Idealisten: Er verzichtet auf eine materielle Sicherheit, gibt seine Stelle als Sekundarlehrer in Schwarzenburg auf und zieht mit seiner Familie nach Bern. In der Sozialdemokratischen Partei weckt er mit seinen freiwirtschaftlichen Ideen Misstrauen. Arbeiterführer wie Robert Grimm sehen in ihm einen verkappten Bürgerlichen, so wie umgekehrt viele Bürgerliche in den Freiwirtschaftern getarnte Linke sehen. Es ist die Position zwischen Stuhl und Bank.

Während des Ersten Weltkriegs stößt die Freiwirtschaft vor dem Hintergrund von Inflation und Verarmung breiter Schichten auf zunehmende Resonanz. Der unermüdliche Arbeiter Fritz Schwarz übernimmt zahlreiche ehrenamtliche oder wenig einträgliche Funktionen und Ämter; mancherorts fragt man sich, wovon dieser Mann eigentlich lebt und womit er seine Familie ernährt. Manchmal ist tatsächlich kaum genügend Geld vorhanden, um die allernotwendigsten Lebensmittel zu kaufen – und dies, obwohl Fritz Schwarz ein gewaltiges Arbeitspensum bewältigt als Redaktor und Autor am Schreibtisch sowie als unermüdlicher Vortragsreisender. Trotz andauernder finanzieller Sorgen gewährt er seinen Autoren, wie zum Beispiel C. A. Loosli, zwanzig Prozent Honorar, zahlbar innerhalb von sechs Monaten – und dies erst noch unabhängig vom Verkauf. Seine Frau zahlte noch Jahre nach seinem Tod Schulden bei der Druckerei ab.

Als Parlamentarier im Berner Stadt- und vor allem im Großen Rat findet Fritz Schwarz 1934 bis zur Abwahl kurz vor seinem Tod 1958 eine willkommene Tribüne für seine Ideen. Diese Abwahl war eine Folge der fehlenden Listenverbindung der Liberalsozialistischen Partei mit anderen Parteien. So gelangte Fritz Schwarz nicht in den Nationalrat, obwohl er 2400 Stimmen mehr erhalten hatte als andere, die gewählt wurden. Dasselbe geschah bei den Großratswahlen. Beides traf Fritz Schwarz tief, denn im Großen Rat wäre er Alterspräsident geworden. Sein Sohn Hans erinnert sich, wie ihm sein Vater die bereits aufgesetzte, wunderschöne Rede vorgelesen hatte.

Bis zum Schluss setzt Fritz Schwarz sich unermüdlich für Schwache und Randständige ein, er macht sich etwa stark für die Eröffnung einer Trinkerheilanstalt und für die Rechte von Verdingkindern. Letztlich aber bleibt Fritz Schwarz mit seinem Gedankengut ein Einzelkämpfer, den Liberalen ging die gesellschaftliche Eigentumsbeschränkung der Freiwirtschafter zu weit, den Linken zu wenig weit. Kritische Fragen stellen, sich nicht von Parolen und scheinbaren Sachzwängen einlullen lassen, Alternativen zum politischen und wirtschaftlichen Gang der Dinge denken und formulieren: Auch das ist ein Vermächtnis von Fritz Schwarz, dem fröhlichen Aufklärer ohne sektiererischen Eifer und christlichen Humanisten ohne demagogische Ader. Ruth Bindes ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden und ihre Solidarität mit den Schwachen sind wohl stärkster Ausdruck dieses Vermächtnisses.

Das Stöckli hat die Familie Schwarz auf Jahre hinaus gemietet und verbringt jedes Wochenende und sämtliche Ferien dort. Dies bedeutet allerdings auch, dass die Familie am Samstagmorgen jeweils eine Stunde vom Bahnhof Zäziwil ins »Obertu« laufen muss. Manchmal nehmen sie auch den Umweg über die Mühle, wo sie Brot und Zopf kaufen, vorbei an der noch heute bestehenden Wirtschaft Eintracht und an der Käserei. Das Stöckli ist sehr einfach eingerichtet: Das Wasser wird vom Brunnen vor dem Haus geholt, das WC ist ein Plumpsklo, geheizt und gekocht wird mit Brennholz. Im Winter steht die Mutter immer früh auf, um den Ofen anzuheizen, bevor die Kinder aufstehen. Alles, was Ruth über Pflanzen und Pilze weiß, hat sie auf langen Waldspaziergängen von ihrem Vater gelernt. Kommt ein Ameisenhaufen in Sicht, führt der Vater gern ein »Kunststück« vor. Er nimmt sein großes Taschentuch und breitet es fein säuberlich auf dem Ameisenhaufen aus. Im Nu ist es von Ameisen übersät. Der Vater packt das Tuch, schüttelt es aus und hält es den Kindern triumphierend unter die Nase, damit sie...

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