1
Die Rasenschachpartie ist eröffnet
So bekommst du einen ersten Überblick über das Geschehen
Bevor wir näher auf Strategien und Formationen sowie Entscheidungen jenseits des Spielfelds eingehen, fangen wir am besten mit einem ganz einfachen Schritt an. Wenn du ein Footballspiel wie ein Coach verfolgen willst, solltest du lernen, dir das Wichtigste zu notieren. Dadurch trägst du dieselben Daten zusammen, die auch den Coaches als Basis für ihr Playcalling dienen. Während des Spielverlaufs kannst du auf diese Weise auch bestimmte Trends erkennen. Du schreibst für jedes Play spezifische Informationen auf: Down, Distanz, Spieler auf dem Feld und Resultat. Dadurch erkennst du leichter, wie die jeweilige Konstellation die Aktion auf dem Platz diktiert, und kannst nachvollziehen, wie Coaches bestimmte Situationen angehen. Kurz gesagt: Du entwickelst ein Spielverständnis, das zu vielen Fans bisher vorenthalten war.
Wer ist auf dem Feld?
Im Football dreht sich alles um Voraussicht. Coaches bauen ihre kompletten Spielpläne auf Tendenzen auf – was sagt die Leistungsbilanz des Gegners darüber aus, wie dieser in bestimmten Situationen reagieren wird?
Um Spielzüge zu antizipieren, muss man zunächst die Spieleraufstellung verstehen. Es reicht nicht aus, zu wissen, dass auf jeder Seite des Balls elf Spieler stehen. Vielmehr gibt die jeweilige Zusammenstellung dieser elf Mann Hinweise darauf, was beim nächsten Play zu erwarten ist.
In der Offense gibt es bei jedem Spielzug fünf Linemen und einen Quarterback, bleiben also fünf variable offensive Positionen. Eine Aufstellung wird pro Spielzug immer durch die Aufstellung der Runningbacks und Tight Ends definiert, und zwar in dieser Reihenfolge. Wenn ein Team zwei Runningbacks und einen Tight End rausschickt, spricht man folglich von einem »21 personnel«. Wenn es einen Back und zwei Tight Ends aufs Feld schickt, handelt es sich um ein »12 personnel«. In beiden Fällen stehen zwei Receiver auf dem Feld. Eine Defense achtet als Erstes darauf, wen die Offense rausschickt. Und genau das solltest du auch tun.
Das Spielerpersonal lässt nämlich auf die Spielstrategie schließen. Wenn zum Beispiel eine 22er-Aufstellung auf dem Feld steht – zwei Runningbacks und zwei Tight Ends – heißt das, dass es nur einen Receiver gibt. Sofort liegt also die Vermutung nahe, dass der Coach einen Laufspielzug ansagen wird. Sobald du erkannt hast, wer aufgestellt wird, kannst du diese Prognose wagen, noch vor dem Ende des Huddles.
Falls du vor Ort im Stadion bist, dann versuch, direkt nach einem Spielzug an der Seitenlinie den Offensive Coordinator auszumachen. Wahrscheinlich steht eine Gruppe von Einwechselspielern neben ihm – der zweite Tight End, der Fullback und der dritte und vierte Receiver –, die alle wissen wollen, wer beim nächsten Play eingewechselt wird. Im Fernsehen ist das natürlich schwieriger, weil die Zeit zwischen den Spielzügen meist mit Zeitlupen-Wiederholungen, Schwenks auf Fans oder Werbung gefüllt wird. Doch sobald sich die Offense aufstellt, kannst du schnell feststellen, welche Positionsgruppen auf dem Platz stehen.
Bei jedem Spiel, das ich mir ansehe – und ich sehe mir jede Woche jedes einzelne Spiel an –, habe ich immer einen Stift und Notizblock zur Hand, um bei jedem Spielzug das eingesetzte Spielerpersonal zu notieren. Ich lege eine sehr simple Tabelle für beide Teams an, in der ich jede mögliche Personalvariante aufliste – von einem leeren Backfield mit fünf Receivern (00 personnel) bis hin zu einem massiven Lineup mit zwei Runningbacks und drei Tight Ends (23 personnel) – und markiere, wie oft jedes Team den Ball geworfen oder mit ihm gelaufen ist. Tab. 1
Personnel | Laufspiel | Passspiel |
Schon in der Halbzeitpause kenne ich anhand der Aufstellung das Run-Pass-Verhältnis beider Teams und kann nun die Anpassungen der zweiten Halbzeit antizipieren, die die Coaches gerade – basierend auf ähnlichen Daten wie meinen – in der Kabine diskutieren.
Die wichtigsten Faktoren aufzeichnen
Das Identifizieren der Spieleraufstellung ist ein guter Anfangspunkt, aber es gibt noch weitere Faktoren, auf die du achten musst. Down und Distanz (down and distance), zwei Faktoren, die immer Hand in Hand gehen, bestimmen vielleicht am stärksten, welchen Spielzug ein Coach ansagt (und welche Spieler er aufstellt). Ein Coach wird die Optionen für seinen Game Plan normalerweise nach Down und Distanz kategorisieren. So enthält sein Game Plan zum Beispiel vier oder fünf Spielzüge, die im Training gut funktioniert haben, die bei 2nd Downs zwischen 3 und 6 Yards eingesetzt werden können; vier oder fünf Plays, die für 2nd Downs zwischen 1 und 2 Yards geeignet sind, und vier oder fünf Plays für 2nd-and-7 oder länger. Und jeder Spielzug kann mit einer anderen Spieleraufstellung einhergehen.
Während du das Spiel auf diese Weise kategorisierst und dokumentierst, kristallisieren sich bestimmte Tendenzen heraus und der Game Plan erschließt sich dir allmählich. Die Rasenschachpartie ist eröffnet – und wenn du ganz oben in den Rängen schon sehen kannst, was gleich auf dem Spielfeld passiert, dann kann die Defense das erst recht. Der Offensive Coordinator weiß natürlich, dass die Defense ihre Entscheidungen anhand der offenbarten Tendenzen trifft, und muss nun seinerseits austüfteln, welches Play gegen die Defense, die er nun erwartet, am besten funktionieren wird.
Das alles kannst du mit einer einfachen Tabelle für jeden Spielzug festhalten. Es erfordert etwas mehr Arbeit als die Aufstellungstabelle, lässt dich aber tiefer ins Spielgeschehen einsteigen.
Schauen wir uns dazu einen Touchdown Drive der New England Patriots gegen die Cincinnati Bengals in Woche 5 der Saison 2014 an – der eröffnende Drive eines Spiels, das sie letztendlich gewinnen würden. Die Patriots hatten am Montagabend gegen Kansas City überraschenderweise verloren und wiesen nun eine Spielbilanz von 2–2 auf. So lief ihr erster Drive ab:
Team | Zeit | Down & Distance | Field Position | Personnel | Play |
Patriots | 15:00 | 1st-10 | NE 20 | 21 | LaFell 20-yd von Brady |
| | 1st-10 | NE 40 | 21 | Ridley 9-yd run |
| | 2nd-1 | NE 49 | 12 | Ridley 7-yd run |
| | 1st-10 | CIN 44 | 12 | Wright 30-yd von Brady |
| | 1st-10 | CIN 14 | 11 | Brady 6-yd run |
| | 2nd-4 | CIN 8 | 12 | Ridley 3-yd run |
| | 3rd-1 | CIN 5 | 22 | Develin 0-yd run |
| | 4th-1 | CIN 5 | 22 | Brady 4-yd run |
| | 1st-G | CIN 1 | 22 | Brady 0-yd run |
| | 2nd-G | CIN 1 | 22 | Ridley 1-yd run TD |
Die Patriots erzielten einen Touchdown, der Drive war also erfolgreich. Es gibt hier aber viel mehr Informationen zu analysieren als nur das Ergebnis.
So zeigte New England zum Beispiel vier verschiedene Aufstellungsvarianten. Sie liefen und passten mit 21er-Personnel. Sie liefen und passten mit 12er-Personnel mit unterschiedlichen Tight-End-Tandems (bei zwei Plays Rob Gronkowski und Michael Hoomanawanui, bei einem Gronkowski und Tim Wright). Tom Brady stand in Shotgun-Position mit 11er-Personnel und ergriff die Möglichkeit, selbst zu laufen. Und sobald sie an der 5-Yard-Line der Bengals waren, setzten sie Guard Jordan Devey als zweiten Tight End ein (mit Hoomanawanui) und liefen vier Mal mit 22er-Personnel. Das wird bei den Defensive Coaches der Bengals ziemliches Kopfzerbrechen ausgelöst haben.
Wissen ist Macht
Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Field Position. Fans sollten...