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E-Book

Schaut nicht weg!

Was wir gegen sexuellen Missbrauch tun müssen

AutorStephanie zu Guttenberg
VerlagKreuz
Erscheinungsjahr2011
Seitenanzahl180 Seiten
ISBN9783783181418
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Tagtäglich passiert es - vor unser aller Augen und dennoch unbemerkt. Sexuelle Anmache und Gewalt: blitzschnell via Handy und Webcams, über das Internet schnell verbreitet. Ein Geschäft skrupelloser Geschäftemacher, denn Kinderpornografie ist lukrativ. Stephanie zu Guttenberg gibt nicht nur den Opfern eine Stimme. Sie fordert mit deutlichen Worten uns alle auf, nicht wegzuschauen und wo immer der Verdacht auftaucht, mit Zivilcourage zu handeln. Ihr persönliches Engagement kommt aus der Überzeugung: Wir alle können etwas tun. Wir sind nicht ausgeliefert, sondern können handeln. Ein mitreißendes und optimistisches Buch einer Frau, die die Welt nicht so lassen will, wie sie ist. Ein persönliches Zeugnis. Und ein Aufruf zum Handeln.

Stephanie Freifrau zu Guttenberg, geb. 1976, ist Präsidentin der deutschen Sektion des internationalen Vereins Innocence in Danger, einer weltweit aktiven Bewegung gegen sexuellen Missbrauch von Kindern, insbesondere gegen die Verbreitung von Kinderpornografie durch die neuen Medien. Sie hat zwei Töchter und ist verheiratet mit Karl-Theodor zu Guttenberg.

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Leseprobe

Kapitel 1

»Täter erkennen, Kinder schützen«:
Was sexueller Missbrauch ist und welche Präventionsmöglichkeiten es gibt

In meiner Funktion als Präsidentin von Innocence in Danger e.V. erhalte ich viele Briefe. Mir schreiben Männer und Frauen jedweden Alters, die als Kinder Opfer sexueller Gewalt wurden. In ihren Briefen erzählen sie mir ihre Geschichten und beschreiben, wie ihr Leben aufgrund des Missbrauchs verlaufen ist. Die meisten von ihnen sind auch heute noch stark geprägt von ihren kindlichen Erlebnissen. Viele haben das Gefühl, ihr Leben infolge der Taten nicht so führen zu können, wie sie es sich aufgrund ihrer Begabungen vielleicht gewünscht hätten. Eine große Anzahl gibt auch an, unter Bindungsstörungen zu leiden, arbeitsunfähig oder auch schwer krank zu sein. Und doch verlangen diese Briefeschreiber nicht von mir, dass ich mich ihres Schicksals annehme oder mich bei ihnen melde – nein, sie wollen lediglich erzählen, was ihnen zugestoßen ist. Denn bis heute haben viele dieser Menschen noch mit niemandem über ihre Kindheitserlebnisse gesprochen. Oft aus Angst, dass ihnen noch immer keiner glaubt, wie damals als Kind. »Ich wünsche mir so, dass ich jemanden wie Sie an meiner Seite gehabt hätte. Jemanden, der mir glaubt, der mir zuhört, der weiß, wovon ich rede. Der sich für mich einsetzt und mich unterstützt«, schrieb mir eine Frau in ihren Zwanzigern. Anfang dieses Jahres etwa erhielt ich sogar einen Brief von einer 87-jährigen Frau, fein säuberlich mit der Schreibmaschine getippt. Sie hatte in der Zeitung einen Artikel über einen Vortrag von mir gelesen. »Da kam das ganze Drama wieder hoch, was mir als 7-jähriges Kind sexuell angetan wurde«, schrieb sie. »Sprechen konnte ich über die Untat aber mit niemandem. Doch mit 87 steh ich jetzt praktisch am Rande des Grabes und konnte mir das nun von der Seele schreiben. Bei ihnen ist es gut aufgehoben. Weil ich mich noch immer schäme, obwohl ich ja nichts dafür konnte.« Diese Briefe stimmen mich zugleich traurig und froh. Traurig, weil diese Menschen Furchtbares durchgemacht haben und noch heute seelisch so beschädigt sind. Froh, weil ihre Unterstützung eine riesengroße Ermutigung ist, unsere Arbeit bei Innocence in Danger e.V. weiterhin mit voller Kraft voranzutreiben. Denn junge Opfer sexuellen Missbrauchs brauchen dringend unsere Hilfe – eben damit sie nicht wie viele meiner Briefeschreiber dazu verdammt sind, lebenslang unter den Folgen der Gewalt zu leiden.

Laut Statistik einer renommierten deutschen Beratungsstelle macht etwa jedes vierte bis fünfte Mädchen und jeder neunte bis zwölfte Junge mindestens einmal vor seinem 18. Lebensjahr eine sexuelle Gewalterfahrung, die der Gesetzgeber als sexuellen Missbrauch, exhibitionistische Handlung, Missbrauch von Schutzbefohlenen, sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung unter Strafe gestellt hat. Doch was genau ist überhaupt sexueller Missbrauch? Der Begriff ist spätestens seit den vielen Skandalen in Bildungseinrichtungen hierzulande wieder in der Öffentlichkeit. Die Medien schreiben häufig darüber und auch in Talkshows wird immer wieder mit dem Begriff hantiert. Doch was sexueller Missbrauch wirklich umschreibt, das wissen nur die wenigsten. So denken viele Menschen noch heute, dass sexueller Missbrauch zwangsläufig den Tatbestand der Vergewaltigung beinhaltet. Doch das ist zu kurz gegriffen: Beim sexuellen Missbrauch steht die Vergewaltigung häufig erst am Ende eines länger andauernden Prozesses. Denn sexueller Missbrauch beginnt oft schon mit aufgezwungenen Küssen und Berührungen und steigert sich dann zu verschiedenen Formen der Vergewaltigung. Es gibt allerdings auch Formen sexueller Gewalt, bei denen es nicht zwangsläufig zu Berührungen zwischen Tätern und Opfern kommen muss. Dazu gehört zum Beispiel das Herstellen von kinderpornografischem Material ebenso wie das Anschauen von Pornofilmen zusammen mit Kindern. Auch die einmalige Begegnung mit einem Exhibitionisten ist eine Form von sexuellem Missbrauch, bei der es aber nicht zu Berührungen kommt.

Das Gesetz unterscheidet also folgerichtig zwischen verschiedenen Formen und Schweregraden von sexuellem Missbrauch. Zum Beispiel: Sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176 Strafgesetzbuch), Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern (§ 176a Strafgesetzbuch), Sexuelle Nötigung und Vergewaltigung (§ 177 Strafgesetzbuch), Verbreitung, Erwerb und Besitz von kinderpornografischen (§ 184b Strafgesetzbuch) beziehungsweise jugendpornografischen (§ 184c Strafgesetzbuch) Schriften. Diese Unterscheidungen sind wichtig für die Festlegung des Strafmaßes und der Verjährungsfristen. Für die Betroffenen spielen sie aber selten eine Rolle, denn es ist nicht möglich zu sagen, welche Form von sexuellem Missbrauch schlimmer für die Betroffenen ist oder sich gravierender auswirkt. Wir wissen inzwischen, dass sich jegliche Form sexuellen Missbrauchs traumatisierend auf die Opfer auswirken kann. Denn das Ausmaß der seelischen Folgen ist von vielen Faktoren abhängig: vom Alter des Kindes, als der sexuelle Missbrauch begann, von der Vertrautheit des Kindes mit dem Täter vor dem Missbrauch, von der Anwendung weiterer Formen von Gewalt zusätzlich zu den sexuellen Handlungen, von der Reaktion der Umwelt des Kindes auf die Aufdeckung des sexuellen Missbrauchs und noch von vielen anderen Faktoren.

»Sex als Waffe«: Warum es beim sexuellen Missbrauch von Kindern weniger um Perversion als um Macht geht


Hinter dem sexuellen Missbrauch von Kindern verbirgt sich nur selten eine pervertierte Sexualität. Vielmehr kann sexueller Missbrauch als eine Form von Gewalt betrachtet werden, bei der sich die Täter als Waffe die sexuellen Handlungen auserwählt haben – etwa so, wie sich ein Messerstecher als Mittel zur Gewalt sein Messer auserwählt hat. Denn zum sexuellen Missbrauch gehört immer ein Machtgefälle. Stets ist der Täter viel mächtiger als sein Opfer: mächtiger etwa aufgrund seiner körperlichen Überlegenheit (zum Beispiel beim sexuellen Missbrauch von behinderten Menschen oder Kindern), mächtiger aufgrund seiner geistigen Überlegenheit (zum Beispiel beim sexuellen Missbrauch von Kleinkindern oder geistig behinderten Menschen) oder mächtiger aufgrund seiner beruflichen Position (beispielsweise in seiner Rolle als Lehrer/-in, Ausbilder/-in, Trainer/-in, Stiefelternteil oder leibliches Elternteil). Dabei interessiert es die Täter in keiner Weise, ob ihre Machtgelüste den Bedürfnissen der betroffenen Kinder und Jugendlichen entgegenstehen oder sogar schaden. Im Gegenteil: Es stellt für sie einen Kick dar, andere Menschen dazu zu bringen, Dinge zu tun, die diese nicht wollen. Sie fühlen sich gut, wenn sie jahrelang Kinder sexuell missbrauchen können, ohne dass jemand Verdacht schöpft oder Hinweise der Kinder ernst nimmt. Das Thema sexueller Missbrauch gehört also genauer genommen weniger in den Themenbereich »Sexualität« als in den Themenbereich »Gewalt« und »Umgang mit Grenzen«.

Typisch für das Machtbedürfnis der Täter ist etwa der enorme Geheimhaltungsdruck, der den betroffenen Kindern aufgezwungen wird und bei ihnen viele schlimme Folgesymptome hervorrufen kann. Im Verlauf des sexuellen Missbrauchs äußern Täter häufig Sätze wie »Das ist unser Geheimnis, du darfst es niemandem weitererzählen«, und je nach Alter des Kindes folgt am Ende dieses Satzes dann eine Lüge, Drohung oder Bestechung. Junge Kinder etwa können die Täter häufig noch durch Lügen zum Schweigen bringen. Kindergartenkindern gegenüber behaupten sie: »Das machen alle Großväter mit ihren Enkeln«, »Das macht man in Familien so«, »Das macht man, wenn man sich lieb hat« oder auch »Wenn du das erzählst, wird die Mama so traurig, dass sie stirbt«. Junge Kinder haben noch wenig Vergleichsmöglichkeiten, wissen häufig nicht, was im Umgang miteinander »normal« ist, und nehmen diese Erklärung oft schmerzerfüllt hin. Doch je älter die Kinder werden, umso mehr Einblicke erhalten sie in die Familien ihrer Freunde und bekommen auch über die Schule Regeln des Zusammenlebens vermittelt. Um zu verhindern, dass ältere Kinder über den sexuellen Missbrauch sprechen, müssen die Täter sie also schon bedrohen. Das geschieht häufig durch Sätze wie: »Wenn du das erzählst, töte ich dein Haustier«, »Wenn du redest, fange ich an, deine Schwester zu missbrauchen«, »Wenn du das hier weitererzählst, sorge ich dafür, dass dein Vater arbeitslos wird«, »Wenn du den Mund aufmachst, sage ich, dass du damit angefangen hast« oder »Wenn du darüber sprichst, sage ich, dass du wieder mal lügst«. Manchmal funktioniert es auch, die Kinder zu bestechen: mit einem üppigen Taschengeld, mit mehr Privilegien als die Geschwister; mit besseren Schulnoten et cetera. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen jedoch würden jederzeit auf diese Privilegien verzichten, wenn sie dadurch den sexuellen Missbrauch beenden könnten. In der Regel aber haben sie die Erfahrung machen müssen, dass der sexuelle Missbrauch so oder so andauern wird – und nehmen dann, als eine Art Ausgleich, die angebotenen Privilegien an. Dieser Geheimhaltungsdruck wirkt meist noch lange nach Beendigung des sexuellen Missbrauchs weiter. Oft sogar über den Tod des Täters hinaus. Denn die Opfer haben den Täter als so machtvoll erlebt, dass sie sich nicht vorstellen mögen, dass irgendjemand seine Macht zu brechen in der Lage wäre. Auch nach seinem Tod trauen sie ihm manchmal noch eine Möglichkeit zur Rache zu, sollten sie gegen das von ihm verhängte Schweigegebot verstoßen.

»Wer macht so was?«: Warum die meisten Täter und Täterinnen »ganz normale Leute« sind


Die Frage, wer in aller Welt Kinder oder Jugendliche...

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