Sie sind hier
E-Book

Schizo-Wirtschaft

Nur radikales Umdenken und Andershandeln kann uns helfen

AutorChristian Scholz, Joachim Zentes
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783593430058
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Die Wirtschaft sind wir alle. Und diese Wirtschaft ist krank. Unternehmen, Mitarbeiter und Konsumenten sind in sich gespaltene Akteure, die verdeckt opportunistisch und gegen ihre eigenen langfristigen Interessen handeln und dies ausblenden, je nachdem in welcher Rolle und an welchem Punkt der Wertschöpfungskette sie gerade auftreten. Zusammen erzeugen sie eine Marktdynamik auf Selbstzerstörungskurs. Die Arbeitsweltexperten Christian Scholz und Joachim Zentes nehmen sich aktuelle Beispiele für derartige Widersprüche vor. Ob Daimler, Uber oder Amazon: Sie sehen Unternehmensethik ohne Realitätsbezug, Prozessketten ohne Kontrolle, Mitarbeiter ohne Bindung, Konsumenten ohne Verantwortung. Und sie zeigen, wie wir uns am eigenen Schopf aus dem Dilemma befreien und zu einer neuen gesellschaftlichen und unternehmerischen Vernunft finden könnten, die nachhaltigen Erfolg und neue Lebensqualität liefert.Christian Scholz (links) und Joachim Zentes sind Professoren für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und Direktoren des Europa-Instituts der Universität. Sie leiten das dortige MBA-Programm. Daneben ist Christian Scholz Direktor des Instituts für Managementkompetenz (imk), schreibt seine Kolumnen und bloggt als »Per Anhalter durch die Arbeitswelt«. Joachim Zentes ist Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing und Mitherausgeber von Marketing ZFP - Journal of Research and Management.Inhalt
Einleitung 7
A Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band 13
I Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik 13
II Konsumenten: Artikuliertes und faktisches Verbraucherverhalten 27
III Mitarbeiter: Gespielte Leistungsbereitschaft
und innere Kündigung 32
IV Politik: Langfristiges Denken und permanenter Wahlkampf 35
V Medien: Öffentliche Richter mit Glaubwürdigkeitsproblem 38
B Zwei Beispiele: Sie gehen uns alle an -
weil wir alle es tun 42
I Von Sklavenarbeit und anderen schrägen Beschäftigungsverhältnissen 42
II Wenn "Schimmel im Essen" eine neue Bedeutung bekommt 61
C Die Analyse: Was ist die verbindende Logik? 77
I Unternehmen ohne Spielregeln 77
II Konsumenten ohne Verantwortung 123
III Mitarbeiter ohne Bindung 134
IV Politik ohne Durchblick 146
V Medien ohne Tiefeneinsicht 153
D Die Konsequenz: Umkehr und
neue gesellschaftliche Rationalität 168
I Umdenken: Wandel beginnt im Kopf 168
II Andershandeln: Eine neue Agenda 197
E Fazit: Die neue Lebensqualität 242
Danksagung 245
Anmerkungen 247

Christian Scholz (links) und Joachim Zentes sind Professoren für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes und Direktoren des Europa-Instituts der Universität. Sie leiten das dortige MBA-Programm. Daneben ist Christian Scholz Direktor des Instituts für Managementkompetenz (imk), schreibt seine Kolumnen und bloggt als »Per Anhalter durch die Arbeitswelt«. Joachim Zentes ist Direktor des Instituts für Handel & Internationales Marketing und Mitherausgeber von Marketing ZFP - Journal of Research and Management.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe
Einleitung

'Houston, you have a problem.'
Abwandlung des Satzes von John L. Swigert, Apollo 13

Die Wirtschaft sind wir alle. Und diese Wirtschaft ist krank, denn wir alle wollen alles: als Unternehmer günstiger als andere produzieren und Gewinn machen, als Mitarbeiter beste Arbeitsbedingungen haben und viel verdienen, als Kunde immer billiger und immer bequemer einkaufen, und zwar beste Qualität, und als Bürger die Zukunft der Kinder sichern und die Umwelt retten. Je nachdem, in welcher Rolle wir gerade auftreten, haben wir uns angewöhnt, die anderen Rollen auszublenden beziehungsweise nur so zu tun, als ob wir sie beachten. So wie die Unternehmen, die sich zurzeit überschlagen bei der Überarbeitung ihrer Leitbilder, sich nachhaltiges Management auf die Fahnen schreiben und mit Güte-, Öko- und Biosiegeln um sich werfen. Die aber trotzdem in einer darwinistischen Welt unter Wettbewerbs- und Kostendruck nur den kurzfristigen Nutzen ins Auge fassen.


Unser Ausgangspunkt
Unsere Gesellschaft ist geprägt durch tief greifende Verwerfungen, Widersprüche und sogar Pathologien, angesichts deren es nicht reicht, dass sich ausschließlich Unternehmen irgendwie ändern. Vielmehr ist die gesamte Gesellschaft betroffen: Unternehmen schweben nicht im luftleeren Raum. Sie sind das Ergebnis ihrer Umwelt und sie prägen die Gesellschaft. Die gesamte Gesellschaft ist 'außer Rand und Band', das Fehlverhalten aller Akteure offenkundig. Unternehmen, Konsumenten und Mitarbeiter, aber auch Politik und Medien agieren 'gespalten', was in ökonomische und soziale Irrwege mündet. Und letztlich - aber darauf werden wir nicht näher eingehen - trifft dieses Phänomen auch die katholische Kirche: So sprach Papst Franziskus im Dezember 2014 in einer Rede vor Kardinälen, Bischöfen sowie Priestern über die Vatikanverwaltung und lokalisierte dort eine 'existenzielle Schizophrenie'.
Gerade diese inneren Widersprüche prägen unsere Lebenswelt: Wir leben in einer Schizo-Wirtschaft, in der das eigene Handeln nicht den Normen entspricht, an denen man das Handeln der anderen misst oder die man selbst angeblich einhält. Dies zeigt sich in sehr unterschiedlichen Erscheinungsformen. Unternehmen, Mitarbeiter, Konsumenten, Politiker und Medienschaffende gleichermaßen liefern dafür vielfältige Beispiele:
Ein Schizo-Verhalten offenbart sich in unternehmerischen Widersprüchen. In ihren Leitbildern präsentieren sich Unternehmen als nachhaltig und propagieren dies gegenüber den Kunden und anderen Stakeholdern. Immer weniger gelingt es ihnen jedoch, die komplexen Prozessketten mit zahlreichen Lieferanten, Vorlieferanten und Dienstleistern, meist über den Globus verteilt, zu kontrollieren: Ökologische und soziale Missstände in den Wertschöpfungsketten sind die Folge.
Ein Schizo-Verhalten zeigt sich auch bei Konsumenten, wenn artikuliertes und faktisches Verhalten auseinanderdriften. In demoskopischen Umfragen zeigen sich Verbraucher als sozial und ökologisch orientiert oder gar engagiert. In der realen Einkaufswelt verhalten sich die meisten aber verantwortungslos. Wir alle freuen uns beim Einkaufen über Schnäppchen, ignorieren aber allzu oft die Arbeitsbedingungen, unter denen die Produkte in Niedriglohnländern hergestellt werden; gleichzeitig fordern wir von Unternehmen sozial und ökologisch korrektes Verhalten.
Ein Schizo-Verhalten sieht man auch bei den Mitarbeitern, die sich bei der Gewinnverteilung als Teil des Unternehmens empfinden, bei der Übernahme von Verantwortung aber energisch abwinken. Gerade wenn wir uns in Richtung auf das Phänomen 'Generation Z' bewegen, rücken Versorgungsansprüche immer mehr in den Mittelpunkt, während das Denken 'für' das Unternehmen in den Hintergrund rückt. Auch wenn diese mentale Entkopplung durch unternehmerische Fehlentwicklungen befeuert wird, ändert es nichts am grundsätzlichen Problem.
Ein Schizo-Verhalten gibt es ganz besonders bei Medienvertretern und Politikern. Denn Verantwortungslosigkeit und Vertrauensverluste kennzeichnen Politik und Medien, obwohl gerade sie für Verantwortungsbewusstsein und Vertrauen stehen wollen: Beide befinden sich in heftigem Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Zustimmung. Aus diesem Grund geht es zwangsläufig weniger um langfristig stabile und kontinuierliche Arbeit, sondern dominant um kurzfristigen Erfolg. Danach zählt für Politiker mehr die Frage, ob etwas politisch vermittelbar ist, und weniger das Nachdenken etwa über ökologische Nachhaltigkeit. Die groteske Manifestation dieser Systempathologie findet sich in den fast täglich über den Fernseher flimmernden Talkshows, in denen die ewig gleichen Journalisten mit den ewig gleichen Politikern die ewig gleichen Themen in der ewig gleichen Form diskutieren - wofür sich verblüffenderweise sogar immer wieder Zuschauer finden.
Zusammengefasst: Auf Unternehmensebene offenbaren sich Schizo-Situationen in Form von Systempathologien als Marktradikalitäten, Fehlanreize und mangelnde Transparenz, auf der Konsumentenebene als übersteigerte Selbstsucht und auf der Mitarbeiterebene als zunehmende Entkopplung. Diese Systempathologien sind nicht nur schwer aufzubrechen, sie werden von Medien und Politik noch verstärkt.


Unser Ansatz
Dies alles ist der Anstoß für uns, sich mit diesen Fragen in einer neuen, ganzheitlichen Art auseinanderzusetzen und Lösungsansätze dazu aufzuzeigen, wie Unternehmen und die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit künftig nicht mehr 'außer Kontrolle' geraten.
Unser Ansatz stellt zunächst eine systemkritische Analyse dar, die Widersprüchlichkeit und Gespaltenheit aller wesentlichen Akteure einschließt. Wir zeigen auf, wie sich dieses Schizo-Verhalten in Konzepten und Handlungen niederschlägt, welche Schizo-Situationen und -Konstellationen sich ergeben und zu welchen dramatischen Konsequenzen dies führt. Verwurzelt in den Grundfesten der sozialen Marktwirtschaft, zeigen wir aber auch Wege zu einer weiterentwickelten sozialen Marktwirtschaft auf, die sich ihrer ökologischen Verantwortung bewusst ist und im Sinne des ganzheitlichen Anspruchs der Nachhaltigkeit globale Gültigkeit einfordert.
Ein radikales Umdenken aller Wirtschaftsakteure ist gefragt. Unternehmer, egal ob sie produzieren oder verkaufen, müssen die Kontrolle oder Steuerung des gesamten Wertschöpfungsprozesses verantworten, von Anfang bis Ende, von den Rohstoffen bis zur Entsorgung, um so die ökologische und soziale Qualität der Prozesse zu garantieren. Konsumenten müssen erkennen, dass letztlich sie das eigentliche Regulativ in einer Marktwirtschaft sind, denn ihr Konsumverhalten steuert die Wertschöpfungsprozesse. Mitarbeiter sind weniger natürliche Gegenspieler von Unternehmen und Führungskräften; sie sind vielmehr Teil des Unternehmens und gemeinschaftlich dafür verantwortlich. Politiker sind nicht die zentralen Figuren unseres Lebens, auch wenn die Nachrichtensendungen sich mehr mit Politikern als mit Unternehmen, Konsumenten und Mitarbeitern befassen; hier ist Allmachtsfantasie durch Dienstleistungsmentalität zu ersetzen. Und schließlich müssen die Medienvertreter wieder klar zwischen Berichten und Kommentieren unterscheiden, also darauf verzichten, ihre individuelle Lebensphilosophie und das Geschäftsmodell ihres Mediums als universelle Handlungsmaxime zu begreifen.
Ausgangspunkt ist dabei nicht ein moralisierendes Aufzeigen von Missständen und Anklagen von Unternehmen, sondern das Aufzeigen von Wegen, die im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes, der sowohl ökonomische, soziale als auch ökologische Sichtweisen integriert, zu Situationen führen, die allen Beteiligten, den Kapitalgebern, den betroffenen Menschen und auch der Umwelt, zu spürbarem Nutzen verhelfen.


Unsere Vorgehensweise
Wir grenzen uns bewusst ab von einer negativen Zukunftsbetrachtung und sehen uns nicht als Cassandra. Als Wissenschaftler begreifen wir es als unsere Aufgabe, Phänomene zu analysieren ('Verstehen'), Denkmuster zu verändern ('Umdenken') und Empfehlungen auszusprechen ('Andershandeln').
Vor diesem Hintergrund befassen wir uns in Teil A mit dem eigentlichen Problem, nämlich einer Schizo-Gesellschaft, einer Gesellschaft außer Rand und Band. Damit meinen wir Unternehmen, aber genauso Konsumenten, Mitarbeiter, Medien und natürlich Politiker.
Zwei extreme Missstände beziehungsweise Skandale werden in Teil B exemplarisch herausgegriffen: Sklavenarbeit bei Dienstleistern und bewusst falsch deklariertes Fleisch (Pferdefleisch) in Produkten renommierter Hersteller. Hierbei geht es nicht nur um die Schilderung der sicherlich bekannten Vorfälle, sondern um das Aufdecken der wirklichen Ursachen für die Probleme, die sich (fast) tagtäglich wiederholen, und für ihr Beharrungsvermögen.
Aufbauend auf diesen Überlegungen wird in Teil C in generalisierender Form eine Ursachenanalyse vorgelegt, die alle Akteure oder Verursacher einschließt. Konkret: Es werden Verhaltenspathologien aufgedeckt.
Diese Analyse bietet die Basis für einen Paradigmenwechsel, wie er in Teil D vorgestellt wird. Dieser besteht aus zwei Schritten: Zum einen geht es um ein definitives Umdenken; gefragt ist also nicht nur ein Kurieren an Symptomen, sondern eine neue gesellschaftliche Rationalität. Zum anderen geht es um anderes Handeln als Therapie; dies mündet in konkrete Forderungen an alle Akteure zum Andershandeln.
Unser Ziel
Was sollen die Leser am Ende aus diesem Buch 'mitnehmen'? Zum einen vermittelt es ein besseres Verständnis unserer heutigen Wirtschaft mit allen ihren Akteuren. Zum anderen wollen wir zeigen, dass das dringend gebotene Umdenken nicht nur eine negative Lesart hat, sondern sehr wohl eine positive Vision darstellt. Den aufgezeigten unternehmerischen und gesellschaftlichen Fragen soll dabei mit aller Gründlichkeit nachgegangen werden: Im Sinne einer Diagnose gilt es die wirklichen Ursachen zu identifizieren, aber auch konkrete Handlungsempfehlungen aufzuzeigen. Über alle diese Punkte kann und muss man sicherlich diskutieren. Genau diesen Diskurs wollen wir mit unserem Buch anstoßen. Denn letztlich hilft eine neue gesellschaftliche Vernunft uns allen.


A Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band

'Reine Logik und menschliches Verhalten
vertragen sich nicht.'
Paul Watzlawick, Psychologe

Der Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch und der Pferdefleischskandal sind nur die Spitze des Eisbergs. Getrieben vom Drang zu überleben in einem immer härter werdenden Wettbewerb, werden Unternehmen von einseitigen Anreizen gesteuert, die zu klarem Fehlverhalten führen: Verantwortungslosigkeit gegenüber Mitarbeitern und Kunden, Verantwortungslosigkeit gegenüber der Umwelt in all ihren Erscheinungsformen. Interne und externe Bindungslosigkeit sowie fehlende Verbundenheit sind die Folgen. Durch fortschreitende Reduzierung der Wertschöpfungstiefe verlieren Unternehmen ihre Identität. Gleichzeitig werden sie konfrontiert mit gesellschaftlichen Forderungen nach Verantwortung und Compliance - Forderungen einer Gesellschaft, die diese Prinzipien meist selbst nicht verinnerlicht hat und folglich auch nicht danach handelt. Von Unternehmen werden grenzenlose Gewinne und gleichzeitig ethisch korrektes Handeln erwartet - ein gesellschaftliches Schizo-Verhalten, das viele unterschiedliche Formen annimmt.


I Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik


1 Verantwortung: Das eigentliche Schlüsselthema
Spätestens seit dem Reaktorunglück in Fukushima scheint Einigkeit darüber zu bestehen, dass auch Unternehmen ihre Verantwortung für Nachhaltigkeit ernst nehmen müssen, wobei nicht klar wird, was jetzt im Einzelfall aus welchem Grund von wem ernst zu nehmen ist. Fukushima ist - wenngleich inzwischen aus den Schlagzeilen verschwunden - auch insofern wichtig, weil es zeigt, wie wenig Unternehmen ihre Prozesse im Griff haben. Dabei ist es egal, ob es sich um Atomenergie aus Frankreich oder Kaffeebohnen aus Südamerika handelt.
Betrachtet man die Behandlung des Themas Unternehmensverantwortung, so scheinen wir auf einem guten Weg zu sein. Die gesellschaftliche, die unternehmensinterne wie auch die wirtschaftswissenschaftliche Diskussion der letzten Jahre sind geprägt durch Themen wie Corporate Social Responsibility (CSR) und Nachhaltiges Management. Eine unüberschaubare Flut von Artikeln, Monografien und Sammelwerken zu diesem Themenkomplex ist in der letzten Zeit erschienen.
Fragen der Unternehmensethik werden zunehmend auch in betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Studiengänge integriert, so auf der Bachelor-, Master- und MBA-Ebene. Herauszustellen ist wegen ihres umfassenden Anspruchs die Initiative 'UN Principles of Responsible Management Education' (PRME), 'welche die Förderung von Verantwortung und Nachhaltigkeit in der Managementausbildung zum Ziel hat. Sie wurde 2007 ins Leben gerufen, um unter anderem die Umsetzung der Inhalte des Global Compacts zu fördern. Hierzu wurden sechs Prinzipien formuliert, welche insbesondere auf die Integration der Themenfelder Verantwortung (Corporate Social Responsibility) und Nachhaltigkeit in akademische Curricula und in die universitäre Forschung sowie die Förderung von Dialogprozessen zugeschnitten sind. Die Initiative kann als Reaktion auf die zunehmende Bedeutung unternehmerischer Verantwortungsübernahme verstanden werden, was neue Managementkompetenzen erfordert.' Dies ändert aber nichts daran, dass der ganze Bildungsbereich immer mehr zur Spielwiese für amateurhafte Experimente und kostengetriebene Einsparungen wird: Gerade die Tendenz hin zu reinen MINT-Universitäten aus Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik mit gleichzeitigem Abbau von geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Disziplinen zeigt, dass die Politik nicht zwingend den Prinzipien der Nachhaltigkeit und der gesellschaftspolitischen Verantwortung Rechnung trägt.
Gleichzeitig drängt sich angesichts zahlreicher später noch zu diskutierender Fälle aus der Wirtschaft eine ganz böse Vermutung auf: Kann es nicht sogar sein, dass dieses laute Geklapper mit derartigen Konzepten nur die bestehenden Defizite überdecken soll? Oder soll dieses Rufen wie ein lautes Pfeifen im Wald die eigene Unsicherheit überspielen?
Symptomatisch dazu der Bildungsbereich: Hier prangt auf dem Titelbild von global focus (Heft 1, 2013) - einer von der European Foundation of Management Development (EFMD) herausgegebenen Zeitschrift für Business Schools - ein großes Chamäleon. Im Untertitel wird dann vom 'Business of Change' gesprochen, vor allem aber davon, dass sich auch eine Business School ändern muss, damit sie den Studierenden und der Gesellschaft gut dienen kann. Nun spricht absolut nichts gegen Veränderung. Bemerkenswert aber wird es, wenn der Grund für ein solches Umdenken im Druck der Umwelt liegt. Offenbar gibt es hier wie auch in den Unternehmen keine tiefere Einsicht in das Problem: Man befasst sich mit Nachhaltigkeit, weil es von Kunden und anderen Interessengruppen so gewünscht oder gefordert wird. Entsprechend intensiv fällt dieses 'Sichbeschäftigen' dann auch aus.
Unternehmen aller Wirtschaftssektoren und Branchen überschlagen sich gegenwärtig in der Überarbeitung ihrer Leitbilder, Visionen und Missionen in Richtung auf ein unternehmensethisches sogenanntes PPP-Konzept ('People - Planet - Profit'), das auch als 'Triple Bottom Line Concept' bezeichnet wird. Dabei geht es darum, unternehmerisches Handeln nicht mehr nur an den Interessen der Anteilseigner (Shareholder) auszurichten ('Profit'), sondern auch die berechtigten Interessen anderer Anspruchsgruppen (Stakeholder) zu berücksichtigen, das heißt, soziale ('People') und ökologische Belange ('Planet') gleichermaßen zu beachten.
Somit wird eine dreifache Berichterstattung der Unternehmen erforderlich: Auf der Ebene der Bilanz oder Gewinn- und Verlust-Rechnung genügt nicht allein der Gewinnausweis ('Bottom Line'), sondern der Ausweis aller drei Leistungsdimensionen ('Triple Bottom Line') ist erforderlich. In Analogie hierzu steht seit den 1990er Jahren das MBA-Programm der Universität des Saarlandes mit der programmatischen Leitlinie 'Menschen, Märkte und Moral'.
Unternehmen beschränken sich nicht nur auf eine Neupositionierung und Profilierung im Sinne dieses PPP-Ansatzes, sondern treten zunehmend und öffentlichkeitswirksam auch entsprechenden Initiativen bei, zum Beispiel der Initiative 'Verantwortung Zukunft': 'Sie hat das Ziel, das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer ausgewogenen Betrachtung von ökonomischen, gesellschaftlichen und ökologischen Aspekten in unternehmerischem Handeln zu verstärken, und orientiert sich dabei an globalen Megatrends. Im Mittelpunkt der Initiative steht die Frage: Wie können die Unternehmen ihrer gesellschaftlichen, ökologischen und ökonomischen Verantwortung gleichermaßen gerecht werden?'
Zudem lassen Unternehmen ihre Wertschöpfungsprozesse von neutralen Institutionen auditieren und zertifizieren. Zu erwähnen sind unter anderem die Business Social Compliance Initiative (BSCI), deren Ziel es ist, 'sozial verantwortungsvolles Handeln in den weltweiten Zuliefererketten europäischer Wirtschaftsunternehmen sicherzustellen und kontinuierlich zu verbessern', sowie die Ethical Trading Initiative (ETI), ein Zusammenschluss von Gewerkschaften, Organisationen und Unternehmen, die sich fairen Löhnen und Arbeitsbedingungen verschreiben. So gibt die Modekette Esprit an, '99 Prozent ihrer Zulieferer würden von den 11 eigenen Kontrolleuren oder Fremdfirmen auditiert', oder: 'Wettbewerber H&M hat 2012 genau 2.646 Audits durchgeführt und dafür 100 Mitarbeiter eingesetzt.'
Unternehmen gehen sogar kooperative Arrangements mit Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ein, was beispielsweise in einem Co-Branding seinen Niederschlag findet. All dies deutet eigentlich auf eine heile Welt hin: Keine Sorge - alles im grünen Bereich. Die Welt ist in Balance, auch Markt und Moral sind im Gleichgewicht!
Doch bei näherem Hinschauen beginnt der Lack auf den schönen neuen Fassaden rascher abzublättern, als er überhaupt aufgetragen wird. Artikuliertes und faktisches Handeln driften weit auseinander - Widersprüchlichkeit, Gespaltenheit oder, anders formuliert: Schizo-Verhalten ist kennzeichnend für die unternehmerische Realität.
Aber es gibt noch viel Gravierenderes. Da wird groß über die Arbeitsbedingungen von Näherinnen in Indien und Pakistan berichtet, da werden Audits durchgeführt und Zertifikate in die Luft gehalten, da wird die Liebe zu allem Möglichen beteuert, doch dann passiert es in Bangladesch: In einem der Vororte der Hauptstadt Dhaka stürzt im April 2013 ein achtstöckiges Gebäude ein, wobei es zu über 1.100 Toten kommt. In dem Gebäude waren Tausende von Näherinnen beschäftigt, die auch für deutsche Unternehmen zu Hungerlöhnen in einer unzumutbaren und unsicheren Arbeitsumgebung gearbeitet haben.
Prompt kursieren Listen der Unternehmen, für die in dieser Fabrik gearbeitet wurde, und dann gibt es auch sehr schnell im Fernsehen die passenden Bilder: Günther Jauch und Panorama zeigen das Foto einer Bluse aus den Fabriktrümmern, die zur aktuellen Verona-Pooth-Kollektion von KiK gehört. Nachdem dieser Tatbestand nicht dementiert werden kann, erklärt KiK, dass es seit 2008 keine direkten Geschäftsbeziehungen zu dieser Produktionsstätte habe und der Importeur zwar noch im Jahr 2013, aber nicht zum Zeitpunkt des Unglücks dort produzieren ließ. Kurz darauf taucht ein Prüfsiegel vom TÜV Rheinland auf, der aber Wert auf die Feststellung legt, dass bauliche Gegebenheiten nicht zum vorgesehenen Prüfauftrag gehört haben: 'Auditoren des TÜV Rheinland haben zwei Fabriken in dem Gebäude in den zurückliegenden Jahren nach dem BSCI-Standard beziehungsweise dem Sedex-Standard auditiert. Beide Standards beziehen sich nicht auf die Überprüfung möglicher baulicher Mängel eines Gebäudes, sondern auf soziale und ethische Kriterien der Arbeitsgestaltung.'
Die aktuelle Krönung dieses Verhaltens: Im Herbst 2014 wollte der Entwicklungsminister Gerd Müller ein Textilbündnis für bessere Arbeitsbedingungen in den Kleidungsfabriken der Entwicklungsländer initiieren. Seine simpel erscheinende Überlegung: Weil Lohnkosten nur 1 bis 2 Prozent der Produktionskosten ausmachen, werden die Kleidungsstücke allenfalls marginal teurer, die Bedingungen für die Näherinnen aber signifikant besser. Doch am Ende haben ihn vor allem die größeren Unternehmen alleine stehen lassen, was mit nicht näher erläuterter Kompliziertheit erklärt wurde.
Bei dieser und den vielen sehr ähnlichen Diskussionen treten zwei Argumentationen immer wieder in den Vordergrund:
Zum einen wird sehr viel Wert auf exakte Formulierungen gelegt, die im Regelfall Einwände ad absurdum führen, da sie nicht in den eigenen Zuständigkeitsbereich zu fallen scheinen: KiK hat natürlich nicht selbst produziert, sondern ein Lieferant. Der TÜV Rheinland hat natürlich nicht das Gebäude zertifiziert, sondern nur soziale und ethische Aspekte der Arbeitsgestaltung, zu denen nun einmal nicht die Gebäudesicherheit gehört. Dies sind Entschuldigungen, die man anführen kann, die aber die Öffentlichkeit immer weniger akzeptiert. Unternehmen müssen also umdenken und - ob sie wollen oder nicht - die Verantwortung für die gesamte Wertschöpfungskette übernehmen.
Zum anderen taucht immer wieder die gleiche Redewendung auf: 'Das Unternehmen zeigt sich überrascht', wobei auch Gewerkschaftler, Personalchefs, Betriebsräte und Bundesminister überrascht sind. Man habe es sich einfach nicht vorstellen können, dass etwas wie in Bangladesch vorkommt. Für diese oft grenzenlose Überraschung gibt es zwei mögliche Lesarten: Entweder ist das alles nur eine Schutzbehauptung von naiven und uninformierten Managern, die wirklich nicht (mehr) wissen, was in ihren Wertschöpfungsketten vor sich geht. Oder aber es liegt mutwillige Täuschung der Öffentlichkeit oder Desinteresse an den Folgen vor. Beides ist gleich schlimm und beides ist denkbar, wenngleich sich bei näherem Hinschauen eine Erklärung als wahrscheinlicher herausstellt: Danach sind die Ketten inzwischen so kleinteilig komplex und alle Partner in der Kette stehen unter so einem Kostendruck, dass Unternehmen in ihrer Steuerungsfunktion überfordert sind.


Viele Unternehmen haben ihr komplexes System
der Wertschöpfung nicht im Griff.


2 Vertrauen: Mehr als es verspielen kann man nicht
Im absoluten Kontrast zu vollmundigen Versprechen von Unternehmen werden tagtäglich neue Skandale oder gar Betrugsfälle, beispielsweise Lebensmittelskandale, aber auch Arbeitsskandale, bekannt, welche die Verbraucher angesichts der blumigen Versprechen der Unternehmen als arglistige Täuschungen auffassen und in der Folge nicht nur Unternehmen oder Marken misstrauisch beäugen, sondern das Vertrauen in Unternehmen oder in Marken gänzlich verlieren: Unternehmens- und Markenmisstrauen halten Einzug. Große Unternehmen oder Marken, die heute noch vor Selbstbewusstsein strotzen, laufen Gefahr, durch falsche Versprechen entlarvt zu werden: Werbeversprechen und Realität stehen oftmals in diametralem Gegensatz zueinander.

Die Marke läuft Gefahr,
ihre Position als Vertrauensanker und damit auch
ihren Wert zu verlieren.


Dies wirft die Frage auf: Sind es denn nur die anderen? 'Die schwarzen Schafe, die immer wieder Skandale produzieren, nehmen eine ganze Branche in Sippenhaft' - so die Lebensmittel Zeitung vom 19. April 2013. Aber: Nimmt vielleicht die Anzahl der schwarzen Schafe zu und gibt es zugleich immer weniger weiße?
In welch gravierender Form ein Vertrauensverlust nicht nur einzelne Unternehmen, sondern eine ganze Branche treffen kann, lässt sich am Beispiel des Finanzdienstleistungssektors nach der Finanzkrise verdeutlichen: 'Mit Vertrauen verhält es sich wie mit Porzellan: Ist es einmal gebrochen, so kann es zwar wieder gekittet werden, aber der Riss bleibt immer sichtbar.'
Wie sichtbar ein derartiger Riss sein kann, spürt auch noch Jahre nach der Finanzkrise der Finanzdienstleistungssektor. Als Folge der Lehman-Pleite ging es nicht nur an den Börsen auf und ab, sondern es entstand eine fundamentale Vertrauenskrise zwischen Banken und ihren Kunden. Auch noch im Jahr 2014, fünf Jahre nach der Finanzkrise, bilden Banken und Finanzdienstleister das Schlusslicht, wenn es um Vertrauen geht, so die Studie 'Edelman Trust Barometer 2014'. Im Vergleich aller Branchen landeten Banken auf dem vorletzten Platz - ihnen vertrauten lediglich 33 Prozent der Befragten - und Finanzdienstleister auf dem letzten Platz mit 32 Prozent. 'Diese Branche hat fast kein Vertrauen mehr, das sie verspielen kann' - eine vernichtende Aussage, die Klaus-Dieter Koch, Geschäftsführer der Management-Beratung Brand: Trust, im Interview mit Horizont äußert.
Auch groß angelegte Kampagnen, so etwa die thjnk-Kampagne der Commerzbank, bei der sich die Filialdirektorin in einem TV-Spot beim morgendlichen Lauf visionäre Gedanken über die Zukunft des Finanzinstituts macht, scheinen bislang wenig zu fruchten. Das Vertrauen der Kunden in die Commerzbank hat besonders gelitten, seit sie in der Finanzkrise mit 18 Milliarden Euro Steuergeldern gerettet werden musste. Bei den neu formulierten Tugenden wie Partnerschaft, Verantwortung und Fairness gibt es ein gravierendes Problem: 'Die deutschen Sparer und Anleger nehmen es ihnen einfach nicht ab.' Auch an der enttäuschenden Entwicklung des Aktienkurses lässt sich das schwindende Vertrauen in das Unternehmen ablesen: Wurde die Aktie im Jahr 2010 noch in einem Korridor zwischen 30 und 40 Euro gehandelt, so erlebte sie in den Folgejahren einen rasanten Absturz, der die Aktie im Jahr 2013 in den einstelligen Kursbereich führte.
Ähnlich verhält es sich mit der Deutschen Bank. Trotz aller Ankündigungen zum Kulturwandel kämpft das Unternehmen mit einer Vielzahl an Ad-hoc-Skandalen; die Razzia am Konzernsitz in Frankfurt im Dezember 2013 oder die Schadenersatzpflicht gegenüber den Erben von Leo Kirch sind nur zwei Ereignisse. Es war vor allem die Häufung der Skandale, die das kollektive Markenbild nachhaltig beeinflusst und die Marke und ihre Vertrauenswürdigkeit ernsthaft bedroht hat bzw. nachhaltig bedroht.
Wie wichtig dagegen richtig eingesetzte Vertrauenstreiber sind, zeigen die Beispiele anderer Kreditinstitute. Trotz Krise und Turbulenzen stehen diese wie ein Fels in der Brandung: Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken führen die Hitliste des GPRA-Vertrauensindex der Bankenbranche an. Spitzenreiter ist die Sparkasse, deren Leistungen 84 Prozent der Befragten vertrauen. 76 Prozent schenken der Volksbank ihr Vertrauen. Während andere leiden, profitieren diese von ihrem eher konservativen Image. Ihr Erfolgsrezept: Sie symbolisieren Bodenständigkeit, Verlässlichkeit und Transparenz.


3 Kommunikation: Professionalisierte Pressearbeit gewinnt selbst gegen Social-Media-Mobilisierung
Spätestens 2007, als Josef Ackermann seinen neuen 'Head of Communications' für die Deutsche Bank vorstellte, wurde es klar: Die deutschen Unternehmen rüsten kommunikativ massiv auf. Denn Josef Ackermann hatte nicht irgendjemanden geholt, sondern mit Stefan Baron einen der prominentesten Journalisten, der als Chefredakteur der WirtschaftsWoche zentraler Vordenker der deutschen Öffentlichkeit und Knotenpunkt im medialen Netzwerk war. Ähnliches machten andere deutsche Großunternehmen, wenngleich nicht immer mit derart prominentem Personal.
Hatten Unternehmen vorher primär auf die Macht ihrer jeweiligen Lobbyverbände und ihren Medieneinfluss gesetzt, so war jetzt klar, dass es immer mehr um die öffentliche Meinung geht. Noch schlimmer aus Unternehmersicht: Es geht wirklich um die öffentliche Meinung und nicht mehr nur um die selektiv veröffentlichte Meinung.
Dementsprechend rüsteten die Unternehmen auf, während zumindest der Print-Journalismus in der Gemengelage mit dem Anzeigengeschäft und mit schicken Einladungen weitgehend abrüstete. Übrig blieb - aber mit Durchschlagskraft - der zwar zeitlich auf rund eine Stunde pro Woche begrenzte, aber durchaus investigative Journalismus in ARD und ZDF.
Und es kommt etwas hinzu: Blogs, Foren und Social Media ermöglichen heute in Sekundenschnelle eine weltweite Verbreitung entlarvter Verbrauchertäuschungen; ein einzelner Verbraucher kann auf Facebook einen Shitstorm lostreten. Die bisher heile Welt bekommt Risse - wo bisher Transparenz fehlte, wird heute schonungslos aufgedeckt.
So wurden in der Ende August 2011 gesendeten kritischen Reportage 'Das System Wiesenhof - Wie ein Geflügelkonzern Tiere, Menschen und Umwelt ausbeutet' eklatante Missstände im Umgang mit Tieren deutlich herausgestellt. Obgleich sich Wiesenhof vorab auf negative Publicity vorbereitet hatte, konnte das Unternehmen die kritischen Reaktionen kaum kontrollieren. Die Kommentare im Anschluss an die Ausstrahlung der schockierenden Bilder auf Social-Media-Plattformen wie Twitter, YouTube und Facebook sorgten für große mediale Aufmerksamkeit und eine rasante Verbreitung des Themas.
So schnell sie als 'Shitstorm' entstehen, können (Lebensmittel-)Skandale allerdings auch wieder in Vergessenheit geraten. Nach einem dramatischen Konsumeinbruch bei Rindfleisch während der BSE-Krise stieg der Verbrauch wieder an. In Deutschland ging der jährliche Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch von 90,7 kg im Jahr 2000 durch die BSE-Krise auf 87,9 kg im Jahr 2001 zurück, stieg dann wieder bis auf 89,4 kg im Jahr 2003 und reduzierte sich im Jahr 2006 durch den Gammelfleischskandal auf 86,7 kg. Im Jahr 2011 betrug er wieder 90,0 kg - ein Indiz für konsumentenseitiges Schizo-Verhalten.
Auch nach einem Wiederanstieg des Konsums verbleibt eine erhöhte Basisskepsis der Verbraucher, die irgendwann - vielleicht schon bald - ihre kritische Grenze erreicht haben könnte. So bringen nach einer Studie der DLG (2012) knapp 60 Prozent (!) der Befragten der deutschen Lebensmittelbranche Misstrauen entgegen. Mehr Vertrauen genießen dagegen die Schweiz und Österreich in Sachen Lebensmittel. Das 'Edelman Trust Barometer' zeigt, dass 'hohe Qualität der Produkte und Dienstleistungen' eine große Bedeutung für das Vertrauen in Unternehmen hat - mit 63 Prozent der 31.000 Befragten in 26 Ländern hat dieses Kriterium den höchsten Stellenwert. Aber nur 41 Prozent sehen dies gegenwärtig gewährleistet. Noch eklatanter ist die Diskrepanz bezüglich des Kriteriums 'Geschäftspraktiken unterliegen ethischen Regeln'. Für 58 Prozent wären dies vertrauensschaffende Maßnahmen, aber nur 28 Prozent sehen dies als erfüllt an.
Offensichtlich streben weite Teile der deutschen Wirtschaft und vor allem wichtige Unternehmen des Lebensmittelhandels keine Wende an. So haben deutsche Discounter, beispielsweise Aldi Nord, Aldi Süd und Norma, gerade vor dem Hintergrund des Pferdefleischskandals am 3. Juni 2013 eine Preissenkungsrunde um 3 bis 9 Prozent eingeläutet. 'Losgetreten hatte dies mal wieder der Discounter Aldi, der in großen Zeitungsanzeigen eine dauerhafte Preissenkung für Minutensteaks, Hackfleisch und Würstchen mitteilte. Norma zog daraufhin nach. Für die anderen Handelsunternehmen wie Edeka und Rewe wird dieser Schritt nun auch erwartet.' Sie setzen darauf, dass dem deutschen Verbraucher weiterhin der Preis wichtiger ist als das Tierwohl. Für die Schweinehalter ist diese Preissenkung ein Schlag ins Gesicht. 'Schon seit längerem sind die Schlachterlöse gering und die Futterkosten hoch. Der aktuelle Vorstoß von Aldi erhöht den Druck auf die Schlachthöfe und damit auf die Landwirte weiter.'
Die Konsequenz ist sicher nicht eine Erhöhung der Aufzucht- oder Tierhaltungsqualität und damit der Produktqualität, sondern das Gegenteil. Der Handel fühlt sich sichtbar nicht aufgefordert, die ökologische und soziale Qualität der Produkte zu erhöhen. So überrascht es dann auch nicht, dass Greenpeace 19 Prozent Mehrwertsteuer auf Fleisch fordert, da diese Umweltorganisation grundsätzliche Bedenken gegen niedrige Fleischpreise hat: 'Statt Fleisch zu Spottpreisen zu verkaufen, sollte weniger und besseres Fleisch mit geringeren Umweltkosten produziert werden', sagte Landwirtschaftsexperte Martin Hofstetter einer Greenpeace-Mitteilung zufolge.
Derartige Verhaltensweisen machen deutlich, dass sich die Logik der veränderten Umwelt noch nicht bei allen Marktteilnehmern herumgesprochen hat. Im Gegenteil: Es kommt zu reflexartigen Verhaltensmustern, bei denen Umsatzsteigerungen durch Preissenkungen ebenso zum Standardrepertoire von Unternehmen gehören wie der Glaube von Umweltgruppen
Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Einleitung8
A Das Problem: Gesellschaft außer Rand und Band14
I Unternehmen: Dichtung und Wahrheit der Unternehmensethik14
II Konsumenten: Artikuliertes und faktischesVerbraucherverhalten28
III Mitarbeiter: Gespielte Leistungsbereitschaft undinnere Kündigung33
IV Politik: Langfristiges Denken und permanenter Wahlkampf36
V Medien: Öffentliche Richter mit Glaubwürdigkeitsproblem39
B Zwei Beispiele: Sie gehen uns alle an – weil wir alle es tun43
I Von Sklavenarbeit und anderen schrägenBeschäftigungsverhältnissen43
II Wenn »Schimmel im Essen« eine neue Bedeutung bekommt62
C Die Analyse: Was ist die verbindende Logik?78
I Unternehmen ohne Spielregeln78
II Konsumenten ohne Verantwortung124
III Mitarbeiter ohne Bindung135
IV Politik ohne Durchblick147
V Medien ohne Tiefeneinsicht154
D Die Konsequenz: Umkehr und neue gesellschaftliche Rationalität169
I Umdenken: Wandel beginnt im Kopf169
II Andershandeln: Eine neue Agenda198
E Fazit: Die neue Lebensqualität243
Danksagung246
Anmerkungen248

Weitere E-Books zum Thema: Nachschlagewerke Wirtschaft - Wirtschaftswissenschaften

Informationsmanagement

E-Book Informationsmanagement
Format: PDF

Informationsmanagement hat die Aufgabe, den für das Unternehmensziel bestmöglichen Einsatz der Ressource Information zu gewährleisten. Das Buch zeigt, dass Informations- und Kommunikationstechniken…

Informationsmanagement

E-Book Informationsmanagement
Format: PDF

Informationsmanagement hat die Aufgabe, den für das Unternehmensziel bestmöglichen Einsatz der Ressource Information zu gewährleisten. Das Buch zeigt, dass Informations- und Kommunikationstechniken…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Geschäftsprozesse

E-Book Geschäftsprozesse
Modell- und computergestützte Planung Format: PDF

Das Buch zeigt konkret und systematische wie Prozesse konzipiert, erfasst, geändert oder optimiert werden können. Einfache Beispiele und Übungen veranschaulichen die Ausführungen zum Thema. NEU…

Weitere Zeitschriften

cards Karten cartes

cards Karten cartes

Die führende Zeitschrift für Zahlungsverkehr und Payments – international und branchenübergreifend, erscheint seit 1990 monatlich (viermal als Fachmagazin, achtmal als ...

küche + raum

küche + raum

Internationale Fachzeitschrift für Küchenforschung und Küchenplanung. Mit Fachinformationen für Küchenfachhändler, -spezialisten und -planer in Küchenstudios, Möbelfachgeschäften und den ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

Gastronomie Report

Gastronomie Report

News & Infos für die Gastronomie: Tipps, Trends und Ideen, Produkte aus aller Welt, Innovative Konzepte, Küchentechnik der Zukunft, Service mit Zusatznutzen und vieles mehr. Frech, offensiv, ...

Deutsche Hockey Zeitung

Deutsche Hockey Zeitung

Informiert über das nationale und internationale Hockey. Die Deutsche Hockeyzeitung ist Ihr kompetenter Partner für Ihren Auftritt im Hockeymarkt. Sie ist die einzige bundesweite Hockeyzeitung ...

DSD Der Sicherheitsdienst

DSD Der Sicherheitsdienst

Der "DSD – Der Sicherheitsdienst" ist das Magazin der Sicherheitswirtschaft. Es erscheint viermal jährlich und mit einer Auflage von 11.000 Exemplaren. Der DSD informiert über aktuelle Themen ...

EineWelt

EineWelt

Lebendige Reportagen, spannende Interviews, interessante Meldungen, informative Hintergrundberichte. Lesen Sie in der Zeitschrift „EineWelt“, was Menschen in Mission und Kirche bewegt Man kann ...

Euphorion

Euphorion

EUPHORION wurde 1894 gegründet und widmet sich als „Zeitschrift für Literaturgeschichte“ dem gesamten Fachgebiet der deutschen Philologie. Mindestens ein Heft pro Jahrgang ist für die ...