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E-Book

Schlussakkord

Die letzten Monate mit Katja

AutorHenriette Kaiser
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783451800870
FormatePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
'Das Sterben ist nichts anderes als die Fortführung des Lebens.' Diese Aussage der krebskranken Katja wird zum Schlüsselsatz für Henriette Kaiser, die ihrer Freundin auf dem Weg in den Tod beisteht. Mit viel Einfühlungsvermögen schildert die Autorin diese ungeheuerliche Reise, die sie als Begleiterin erlebt hat, und zeigt, dass es trotz aller Ratlosigkeit und Trauer, trotz des Schmerzes eine tiefe Bereicherung für das eigene Leben sein kann, das Sterben mitzuerleben.

Henriette Kaiser, geboren 1961 in München, studierte nach einer Gesangsausbildung Germanistik in Berlin, assistierte bei Bühne und Film und absolvierte 1997 die Münchner Hochschule für Fernsehen und Film. Sie lebt in München und arbeitet als Autorin und Regisseurin für verschiedene Fernsehformate und Medien. 2006 erhielt sie den Ehrenpreis für Künstler und Journalisten von der BAG Hospiz. Co-Autorin des Bestsellers 'Ich bin der letzte Mohikaner' von Joachim Kaiser.

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Leseprobe

Krebsausbruch


DIE AUTOFAHRT


7. April 1999. Auf der Autofahrt nach Berlin platzt Katja wütend heraus: Diese unmögliche Ärztin, die behauptet, sie solle froh sein, schon ein Kind zu haben, und sich die Gebärmutter herausnehmen lassen. Wie bitte? Ich höre wohl nicht recht. Katja faucht weiter, ihr Pap-Abstrich sei zu hoch. Sie hätte vermutlich Krebs. Am liebsten möchte ich sofort wenden und nach München zurückfahren. Wie kann Katja bei dieser Gefahr jetzt einen Job in Berlin machen und dann mit ihrem Freund in Urlaub fahren? Nicht nur das. Sie möchte zuallererst einen Homöopathen aufsuchen. Ein Termin in Berlin ist schon vereinbart. Ich habe keine Chance mit meinen Einwänden. Ich kenne mich zu wenig aus. Wir fahren weiter nach Berlin und ich bete, dass dieser Heilpraktiker nicht zu der Sorte gehört, von der man immer wieder Erschreckendes lesen kann.

Meine Gebete werden erhört. Dieser Heilpraktiker und alle weiteren, die später in und um München aufgesucht werden, sehen sich nicht in der Lage, Katjas Krankheit zu heilen. Sie stimmen überein, dass die Gebärmutter entfernt werden müsse. Und zwar bald. Besorgnis erregend sind diese Aussagen trotzdem. Katja hat also aller Wahrscheinlichkeit nach einen ziemlich fortgeschrittenen Krebs. Krebs, diese Krankheit, die … Für einen Moment huscht der Tod durch meinen Kopf, aber mehr als ein Schreckgespenst wird er nicht, und verschwindet sofort wieder in einer Ritze der Unmöglichkeit. Es steht einfach nicht zur Debatte, dass Katja stirbt. Die Gebärmutter wird geopfert und damit das Unheil gebannt. Ein für alle Mal, Schluss, aus, vorbei. Katja allerdings möchte die Gebärmutter unter allen Umständen retten. Aber sie findet keinen Chirurgen, der eine Teiloperation in Betracht zieht. Alle sagen, der Tumor säße so ungünstig, die Gefahr der Streuung sei zu groß, die Gebärmutter müsse im Ganzen entfernt werden. Im Mai lässt sich Katja operieren.

NACH DER OPERATION


So oft wie möglich besuche ich Katja im Krankenhaus und versuche die Frühlingsstimmung dieses außergewöhnlich heißen Mais in ihr Zimmer zu bringen und ihr eine freundschaftliche Stütze zu sein.

Zahlreiche Probleme tauchen auf, mit denen Katja fertig werden muss. Sie muss zum Beispiel pinkeln lernen. Bei der Operation wurden auch die Nerven zur Blase durchtrennt. Diese medizinische Maßnahme schien uns bisher unbedeutend. Erst jetzt, als es darum geht, den Blasenkatheder zu entfernen, zeigt sich die Auswirkung. Katja spürt ihre Blase nicht mehr. Sie weiß nicht, wann sie voll oder leer ist. Eine nicht restlos entleerte Blase aber neigt zur Entzündung. Der Katheder kann erst abgenommen werden, wenn Katja wieder ein Gefühl dafür hat, wann die Blase entleert ist. Eine Demütigung der besonderen Art. »Dümmer als ein Baby« kommt sich Katja vor, da sie es nicht auf Anhieb schafft, den bis vor kurzem noch selbstverständlichsten aller Vorgänge zu erlernen. Irgendwann hat sie wieder einen Bezug zu der Blase. Der Katheder kann entfernt werden.

Ein anderes Problem lässt sich nicht so einfach lösen. Die Entfernung der Gebärmutter bedeutet für Katja nicht nur die Entfernung eines Organs. Katjas Weiblichkeit ist weg. Bisher hatte sie sich über ihre Weiblichkeit nicht allzu viele Gedanken gemacht. Aber jetzt fühlt sich Katja als geschlechtsloses Neutrum. Wenig hilft die Tatsache, dass das Organ krank war und die Operation an sich sinnvoll. Es tröstet auch kaum, dass die Ärzte mit Absicht die Eierstöcke da ließen, damit der Zyklus weiter funktioniert und Katja nicht als Vierunddreißigjährige in die Wechseljahre geschleudert wird. Das belastende Gefühl der Geschlechtslosigkeit betrifft konkret ihren Freund. Katja macht sich große Sorgen, ob Thomas sie verlassen wird, da sie nun keine richtige Frau mehr ist und keine Kinder bekommen kann. Sie würde es gut verstehen, wenn er sie verlässt. Es müsse für ihn äußerst schwierig sein, eine Frau zu lieben, »die nach fünf Monaten Freundschaft mit so einem Problem aufwartet«. Aber Thomas verlässt sie nicht. Er steht weiterhin zu ihr. Immer deutlicher wird, wie sehr sich Katja danach gesehnt hat, mit Thomas eine neue Familie zu gründen, nachdem ihre frühere Beziehung in die Brüche ging. In ihrer Verzweiflung überlegt sie sogar, eine Leihmutter im Freundeskreis zu finden. An mich denkt sie auch, aber letztendlich scheint ihr mein schmales Becken zu eng für das Baby, das bei ihrer Körpergröße von ein Meter achtundachtzig bestimmt überdurchschnittlich groß werden würde.

Und dann die Warum-Frage. Warum sie, warum nicht ich? Ich lebe doch viel ungesünder, wirft sie mir vor. Ich rauche mehr, ich gehe aus und trinke regelmäßig meinen Wein. Ich kann mich nur schwach verteidigen: Ich könne schließlich auch noch Krebs bekommen und so ungesund würde ich gar nicht leben. Ich sorge für genügend Bewegung, für frische Luft und müsse mir ernährungstechnisch keine Vorwürfe machen.

Um besser verstehen zu können, was in Katjas Innerstem vorgehen mag, versuche ich Ende Mai das Geschehen mit Katjas Formulierungen in Ich-Form wiederzugeben. Der Versuch scheitert, der Text bricht mittendrin ab.

Die Reise

Bis eben noch war ich vierunddreißig, verliebt und glücklich. Jetzt bin ich immer noch vierunddreißig und verliebt. Aber nicht mehr glücklich.

Mein Freund und ich wollten eine Reise machen. Weit weg, in ein Land mit sagenhaften Wasserfällen und anderen Naturspektakeln, ungeheuer exotisch und tropisch. Ich war happy. Endlich heraus aus dem Alltag, wo ich meinen Freund nur abends sehe, endlich wir zwei im Paradies. Dann der Schock. Es gibt keine Impfungen gegen Würmer, die sich durch die Fußsohlen in den Körper bohren und einen von innen auffressen. Nein, in ein Land mit solch ekligen Viechern wollte ich nicht reisen. Auf keinen Fall, nie und nimmer. Da würde ich keinen Schritt vors Haus setzen können. Ich schlug Alternativziele vor, aber die Reise ließ sich nicht mehr umbuchen. Ich gab nach. Dann also auf in dieses Würmerland. Wird schon gut gehen.

Ich ließ mich gegen alles impfen, wogegen man sich impfen lassen kann. Tabletten und Spritzen, so viele, dass mir ganz schwindlig wurde. Das konnte nicht gesund sein. Prompt bekam ich eine Blasenentzündung und einen Juckreiz im Genitalbereich. Ich suchte meine Frauenärztin auf. Sie bestätigte meinen Verdacht auf Blasenentzündung und Pilz, dann nahm sie Abstriche und schickte mich mit diversen Cremes nach Hause. Ein paar Tage später erhielt ich einen Anruf der Praxisassistentin. Ich müsse dringend zu einer Nachuntersuchung kommen. Der Abstrich sei nicht einwandfrei. Nicht einwandfrei? Noch ein Medikament mehr? Und das, wo ich mir jetzt schon wie eine achtzigjährige Großmutter vorkam, bei der Batterie von Kügelchen und Kapseln, die ich schluckte? Okay, dann halt noch eine Kapsel mehr. Ist auch egal, wenn ich mich wie eine einundachtzigjährige Großmutter fühle.

Die Ärztin sah mich durchdringend an. Dann blickte sie auf das Formular und sagte: Ihr Pap-Abstrichswert ist 4,5. Ab 5,0 ist Krebs garantiert. Seien Sie froh, schon ein Kind zu haben. Um alle Gefahren auszuschließen, ist es unumgänglich, dass die Gebärmutter entfernt wird. Sie hätte in einer Klinik bereits einen Termin vereinbart.

Ich war erzürnt. Gebärmutter raus. Und das, obwohl Krebs noch nicht einmal garantiert ist. Nicht mit mir! Wenn dieser Pap-Wert so schnell steigen kann, dann kann er genauso schnell sinken. Und das wird er tun. Mit allen Mitteln, die ich zur Verfügung habe, und mit allen mir noch nicht bekannten Methoden. Das wäre doch gelacht. Natürlich drängte sich auch das mulmige Gefühl auf: Was passiert, wenn die Ärztin Recht hat? Was, wenn ich wirklich Krebs habe? Was … Weiter konnte ich nicht denken. Ich durfte nicht weiter denken. Ich musste mich stärken zum Kampf. Zum Kampf gegen diese Krankheit, die eigentlich nur Leute bekommen, die sie sich herbeireden, die sie selbst zu verantworten haben, warum auch immer. Mist. Ich wusste doch, dass diese Impfungen ungesund sind. Sie haben mein Immunsystem geschwächt. Ich habe diesem unerbetenen Gast den Zugang erleichtert. Ihn eingeladen.

Und dann brach ich zusammen. Ich ahnte, dass aus der Reise nichts wird. Ich ahnte, dass ich mein ganzes Leben ändern muss, um diese unklare Zukunft zu überstehen …

DER SELBSTVORWURF UND DIE KRAFT


Auch nach der Unterleibsoperation kann niemand von uns Katjas Krebs als gegeben hinnehmen. Je nach Temperament und Veranlagung überwiegen esoterische Selbstverantwortungsthesen oder medizinische Kampfstrategien, wie der Krebs als Feind zu besiegen sei. Eine Erklärung für seine Entstehung, eine Methode zur Konkretisierung brauchen wir alle, um einen Weg zu finden, gegen ihn angehen zu können. Katja wählt schließlich eine Kombination aus Selbstverantwortung und Kampf.

Acht Monate vor der Krebserkennung hat sie Jakob, ihren sechsjährigen Sohn, zu seinem Vater nach Zürich gegeben. Natürlich war das kein einfacher Schritt für Katja. Aber in der Summe aller Überlegungen schien es den getrennten Eltern am sinnvollsten und für Jakob das Beste, ihn zumindest für die Grundschuljahre beim Vater leben zu lassen. Katja zog von Berlin nach München, um ihm näher zu sein. So schmerzhaft die Weggabe des Sohnes für Katja war, vieles sprach für die Richtigkeit und erhielt meine Unterstützung. Jakob fühlte sich in Zürich wohl und auch Katja blühte in München auf. Sofort fand sie eine hübsche Wohnung, kurz darauf die große Liebe, dann gute Jobs.

Jetzt aber bringt Katja die Trennung von ihrem Sohn mit dem Krebs in Zusammenhang. Der Krebs sei die Strafe, weil sie der Frucht ihrer...

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