Bisher sind weder School Shootings als jugendliche Gewalthandlung noch deren Ursachen abschließend erforscht. Ein Großteil der bisherigen Forschung stammt bisher aus dem amerikanischen Forschungsraum.[83] Erst mit Auftreten und zunehmender Häufung der Taten in den letzten Jahren in Deutschland, wurden auch hier Forschungsbemühungen mit der Zielstellung der Präventionsentwicklung betrieben.[84] Dabei wurde der von Vossekuil et al. aufgezeigte Paradigmenwechsel bestätigt, wonach die Taten eher ein von Warnsignalen begleitetes Prozessergebnis sind und es kein typisches Täterprofil als Mittel der Prävention gibt.[85]
Die Untersuchungsergebnisse aus den USA lassen sich darauf konzentrieren, dass sich ein Täterschema abbildet das die Täter als „introvertierte junge Männer mit sehr schwachen sozialen Beziehungen [86] darstellt, von Hoffmann et al. als Einzelgänger[87]bezeichnet, „ die oftmals eine depressive Symptomatik zeigen "[88]. Die Täter erleben sich selbst als hoffnungslos und machen in zeitlicher Nähe zur Tat eine subjektiv negativ empfundene persönliche Erfahrung.[89] Die Taten sind sorgsam und langfristig geplant und die im Schnitt 15,5 Jahre alten Täter verfügen in der Regel über Erfahrung im Umgang mit Schusswaffen, die sie meistens auch zur Tat verwenden.[90]
Als besonders gewagtes, aber im Ergebnis für einige Fälle durchaus beeindruckend präzises Täterprofil erweist sich die Studie von McGee und DeBernardo zum »classroom avanger«. Der von den Autoren festgestellte Typus ist demnach männlich, im Schnitt 16 Jahre alt, psychisch gesund und unauffällig, er lebt in ländlicher oder kleinstädtischer Umgebung, hat gute bis sehr gute schulische Leistungen, neigt aber zu depressivem und suizidalen Verhalten. Er verfügt über äußerlich normal erscheinende soziale Beziehungen die aber eher disfunktionaler Qualität sind. Er verfügt selten über enge Freundschaften, er wird als introvertiert, unreif und wenig einfühlsam wahrgenommen. Wenn er über enge Freundschaften verfügt, gehören seine Freunde ebenfalls zu einem von anderen als Außenseiter wahrgenommenen Typus. Sich selbst hält der Täter für unattraktiv, fühlt sich von anderen gehänselt und schikaniert, ihn langweilen »normale« Gleichaltrige und deren Interessen, er beschäftigt sich statt dessen lieber mit gewalthaltigen Medieninhalten. In seiner Phantasie hat der Täter die Tat bereits mehrfach durchlebt und sich reproduzierbarer Handlungsmuster früherer Täter bedient. Die Tat selbst ist detailliert und umfassend geplant, er benutzt zur Tatausführung vorrangig ihm bereits bekannte Schusswaffen die er aus dem eigenen Elternhaus entwendet.[91] Primär geht es dem Täter bei seiner Attacke um Rache. Aber auch der sekundäre Wunsch nach Berühmtheit ist handlungsmotivierend.[92]
Viele der in der Studie von McGee und DeBernardo charakterisierten Merkmale sind, wie sich später zeigen wird, auch bei einigen deutschen Tätern zu finden. Als Blaupause für die Erkennung eines gefährlichen Schülertypus sind die auf Basis von zwölf Tätern gewonnen Erkenntnisse aber nicht anwendbar, viele der aufgeführten Kriterien gelten auf eine Vielzahl an Schülern von denen keine Gefahr ausgeht. Das Risiko einer Stigmatisierung von Unschuldigen ist bei so allgemeingültigen Profilen sehr hoch.
Auch die von Meloy et al. durchgeführte Studie welche sich mit jugendlichen Massenmördern in fünf verschiedenen Kategorien, darunter auch »classroom avengers«, befasste, konnte einzelne Annahmen der vorausgegangenen Studien bestätigen. Insbesondere konnten Meloy et al. die langfristig angelegten Planungen der Taten belegen.[93] Meloy et al. stellten ebenfalls depressive Symptome der School Shooter (»classroom avengers«) fest.[94] Ebenso konnten in zwei Dritteln der Fälle destabilisierende bzw. negative Erlebnisse in der Schule oder Partnerschaft im unmittelbaren Vorfeld der Tat festgestellt werden.[95] Meloy et al. stellten zudem fest, dass die Täter sich vor der Tat fast immer anderen Personen bezüglich der Tatabsicht mitteilten.[96]
Um sich dem Phänomen des School Shooting weiter zu nähern, sollen einige Fälle von School Shootings ausführlicher dargestellt werden. Dabei wurden umfangreich untersuchte Taten mit hoher öffentlicher Aufmerksamkeit wie das School Shooting an der Columbine High School vom 20. April 1999 und am Erfurter Gutenberg-Gymnasium am 26. April 2002 berücksichtigt. Zur Betrachtung von Nachahmungsverhalten bietet sich hingegen die Tat von Bastian Bosse in Emsdetten an. Seung-Hui Chos Tat an der Virginia Tech in Blacksburg gibt Einblick in eine möglicherweise pathologische Psyche eines Täters.
Die Tatvorzeit und Tatentwicklung des Columbine School Shootings werden weitestgehend umfänglich dargestellt. Dies ist anhand des umfangreichen Untersuchungsberichtes inkl. tausender öffentlich zugänglicher Unterlagen des Jefferson County Sheriffs Office (JCSO)[97] und zahlreicher Bücher zu diesem School Shooting möglich. Insgesamt kann dieses School Shooting als eines der am besten dokumentierten bewertet werden. Dadurch sind in diesem Fall bereits sehr zuverlässige Prognosen über Ursachenentwicklung und Risikomarker möglich. Basis der Darstellung des Erfurter School Shootings ist der Untersuchungsbericht des Landes Thüringen, der sogenannte „Bericht der Kommission Gutenberg-Gymnasium"[98]. Die übrigen Fälle sind insbesondere aufgrund wiederkehrender Verhaltensweisen und Handlungsabläufe von Bedeutung und durch eine Vielzahl unterschiedlicher Quellen recherchiert, wobei insbesondere Pressequellen kritisch geprüft wurden, ehe sie in die Darstellungen einflossen. Sprachliche und orthografische Fehler in Zitaten der Täter wurden übernommen.
„NBK. I love it! sometime in april me and V will get revenge and will kick natural selection up a few notches[...]We will be in all black. [...] We will have knifes and blades and backup weaponry all over our bodies, I will have a tattoo of REB on my right arm. [...] Then I open fire and V starts lobin more crickets. Then if we can we go upstairs and go to each classroom we can and pick off fuckers at our will. If we still can we will hijack some awesome car, ... and start torching houses with molotov cocktails. by that time cops will be all over us and we start to kill them to! [...] if we have figured out the art of time bombs before hand, we will set hundreds of them around houses, roads, bridges, buildings and gas stations. anything that will cause damage and chaos. [...] itll be like the LA riots, the Oklahoma bombing, WWII, vietnam, duke and doom all mixed together. maybe we will even start a little rebelion or revolution to fuck things up as much as we can. i want to leave a lasting impression on the world. [...]then we will hijack a hell of a lot of bombs and crash a plane into NYC with us inside iring away as we go down. just something to cause more devistation."[99]
geschrieben von Eric Harris, 1999
Das bis dahin blutigste School Shooting weltweit ereignete sich am 20. April 1999 an der Columbine Highschool in Columbine im US-Bundesstaat Colorado. Columbine ist eine gebietskörperschaftsfreie Siedlung, die teilweise auf den verwaltungsrechtlich übergeordneten Countys Jefferson und Arapahoe liegt. Im Osten grenzt Columbine an die Stadt Littleton weshalb auch vom School Shooting in Littleton gesprochen wird. Bevor der 18jährige Eric Harris und sein Freund der 17jährige Dylan Klebold 24 Menschen teils schwer verletzten, insgesamt 12 Schüler, einen Lehrer und zuletzt sich selbst töteten, ging nach heutigem Kenntnistand eine mindestens einjährige Planungsphase voraus. Die nach dem Ereignis durchgeführten Ermittlungen geben umfangreiche Einblicke in die Lebenswelt der beiden Täter, zeigen aber auch dass es bis heute keine allumfassende Antwort auf das »Warum?« gibt.
Eric David Harris wurde als zweites Kind der Eheleute Katherine Ann und Wayne Harris am 09. April 19981 in Wichita, Kansas geboren.[100] Der Vater war Beschäftigter der US Air Force, weshalb Eric und sein drei Jahre älterer Bruder Kevin bis zu Erics zwölften Lebensjahr insgesamt fünfmal umzogen. Fünfmal inkl. der Vorschule hieß es für Eric in den ersten Jahren seiner Schullaufbahn neue Mitschüler, neue Peergroup, neue Lehrer, neue Nachbarn, neues Lebensumfeld.[101] Nachbarn beschrieben die beiden Harris-Brüder als besonders hervorragende Jungs, die höflich, gut erzogen und respektvoll auffielen.[102] Erics Bruder galt als besonders sportlich, während Eric sich neben Fußball insbesondere für Computer interessierte. Baseball hingegen spielte er nur auf Wunsch seines Vaters.[103] Im Grundsatz war Familie Harris eine intakte Familie mit guten Jobs sowie sicherem Einkommen und einem eigenen Haus in Vorortlage. Eine ganz normale Familie in der amerikanischen Mittelschicht.[104]
Innerhalb der Familie lagen zudem weder Substanzmissbrauch oder -abhängigkeit, keine häusliche Gewalt, noch Kindesmissbrauch oder psychische Erkrankungen vor.[105] Eric wurde aber mit zwei körperlichen Missbildungen geboren. Wegen Problemen mit seinen Beinen musste er im Kleinkindalter mehrfach in ärztliche Behandlung...