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E-Book

Schopenhauers Anleihen bei Spinoza

AutorOrtrun Schulz
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl176 Seiten
ISBN9783735730640
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis18,99 EUR
Schopenhauer hat sich zeitlebens intensiv mit Spinoza auseinandergesetzt. Diese Auseinandersetzung erfolgt nicht nur zustimmend und in Form von Übernahmen etlicher seiner Auffassungen, sondern auch in scharfen Zurückweisungen. Die Identifizierungen Spinozas und sein unüblicher Wortgebrauch führen zu einigen Missverständnissen, die hier geklärt werden. Dabei stellt sich eine spinozistische Grundansicht Schopenhauers heraus, die von ihm selbst nicht eingestanden wird. Schopenhauers Kritikpunkte dienen dieser Darstellung als strukturelles Gerüst. Sie sind nach den Gebieten Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik angeordnet. Am Problem aller Ethik sei Spinoza gescheitert, und Schopenhauer überwindet die von Spinoza ausgeplauderte 'Lust an der Härte' mit von ihm geborgten Gedanken.

The editor, Dr. ORTRUN SCHULZ was born in 1960 in Hannover, Germany to Erhard and Rita Schulz.

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Leseprobe

2. Spinozas Wortgebrauch: Die Verschwörung auf Kamtschatka


Schopenhauers Auseinandersetzung mit Spinoza erfolgt nicht nur in Form von ausdrücklichen Berufungen oder latenten Einflüssen, sondern auch in Form von modifizierten Übernahmen oder energischen Zurückweisungen.

Seine Kritikpunkte dienen dieser Darstellung als strukturelles Grundgerüst. Sie sind nach den Gebieten Erkenntnistheorie, Metaphysik und Ethik angeordnet, wobei die Grenzziehung nicht immer ganz leicht war, zumal Spinoza manche Probleme als erkenntnistheoretische behandelt, die bei Schopenhauer metaphysischer Natur sind, oder umgekehrt.

Kritik übt Schopenhauer zunächst an dem Ausgang und Gebrauch von „selbstgezimmerten“ Begriffen wie „Substanz oder Gott“. Diese seien willkürliche Spekulationsbegriffe und nicht zünftig auf ihren Ursprung hin abgefragt worden. Derselbe Vorwurf gilt auch Hegel: „Der Grundgedanke der Hegelschen Philosophie ist die aufgefrischte Scholastisch-Realistische Lehre: Universalia ante rem, und damit den Spinozismus neu herausgeputzt“.41 Aber „es kann keinen Satz geben, infolge dessen allererst die Welt mit allen ihren Erscheinungen dawäre: daher lässt sich nicht eine Philosophie, wie Spinoza wollte, ex firmis principiis demonstrierend ableiten.“42 Schopenhauer besteht im Gegenzug auf seiner davon abweichenden Methode, einer „empirischen Metaphysik“.43

Der Satz Spinozas: „Wahrlich wie das Licht sich selbst und die Finsternis offenbart, so ist die Wahrheit die Richtschnur ihrer selbst wie des Falschen,“44 ist von Schopenhauer unterstrichen und wird von ihm mehrfach zitiert. Auch für Schopenhauer ist die philosophische Wahrheit eine, die sich „aus sich selbst heraus bewährt“, und sie entstammt einer besonderen Intuition.

Andererseits scheint Schopenhauer doch nicht viel von der Selbstgewissheit als Garantin der Wahrheit zu halten. Den Satz Spinozas: „Wer eine wahre Vorstellung hat, weiss zugleich, dass er eine wahre Vorstellung hat und kann nicht an der Wahrheit der Sache zweifeln,“45 versieht er mit dem Ausruf: „Eheu!“

Für Schopenhauer ist es das „intuitive Urdenken“, aus dem die philosophische Einsicht hervorgeht. Er sucht die deduktive Metaphysik aus leeren Begriffen zu ersetzen durch eine „empirische Metaphysik“, die nicht nur logischer Widerspruchsfreiheit und Folgerichtigkeit genügen muss, sondern sich auch an den Erfahrungen in der Welt bewähren und sich im Einklang mit den Resultaten der Wissenschaften befinden muss. Das Kriterium der philosophischen Wahrheit ist somit gegeben, wenn „die durchgängige Konsequenz und Zusammenstimmung aller Sätze eines Systems bei jedem Schritte begleitet ist von einer eben so durchgängigen Übereinstimmung mit der Erfahrungswelt, ohne dass zwischen beiden ein Missklang je hörbar würde.“

Die Beweise der geometrischen Methode Spinozas wirken auf Schopenhauer „gestelzt“, sie träten wie in „spanische Stiefel geschnürt“ auf. Obwohl Schopenhauer die „Mausefallenbeweise“ nicht schätzt, sagt er doch anerkennend:

Spinoza, der sich rühmt, more geometrico zu verfahren, hat dies wirklich noch mehr getan, als er selbst wusste. Denn was ihm aus einer unmittelbaren anschaulichen Auffassung des Wesens der Welt gewiss und ausgemacht war, sucht er unabhängig von jener Erkenntnis logisch zu demonstrieren. Diese beabsichtigten und vorher gewissen Resultate erlangt er aber freilich, indem er willkürlich selbstgebildete Begriffe (substantia, causa sui usw.) zum Ausgangspunkt nimmt und in Beweisen alle jene Willkürlichkeiten sich erlaubt, zu denen das Wesen der weiten Begriffssphären bequeme Gelegenheit gibt. Das Wahre und Vortreffliche seiner Lehre ist daher auch bei ihm ganz unabhängig von den Beweisen, eben wie in der Geometrie.46

Weiter setzt Schopenhauer aus, dass Spinoza oft irreführende Termini zur Bezeichnung von Dingen verwende. Spinoza hätte zwar Genie, aber das des Künstlers, nicht des Philosophen, da er sich nie des Begriffsapparates der Scholastik und des Descartes hätte entledigen können. So hätte er zwar intuitiv richtige Einsichten gehabt, aber diese nicht recht wiedergeben können.47 Besonders die Willenslehre litte darunter. In Schopenhauers Exemplar der Paulus-Ausgabe der Ethik Spinozas heißt es: „Es gibt im Geiste keinen anderen Willensakt, oder keine Bejahung und Verneinung als den, welchen die Vorstellung, insofern sie Vorstellung ist, in sich schließt.“48 Schopenhauers Replik lautet:

Es ist ein angeborener Fehler des Spinoza, Worte zur Bezeichnung von Begriffen zu missbrauchen, die alle Welt durch andere Worte anzeigt, so nennt er Gott, dessen wahrer Name Welt ist, er nennt Recht, dessen wahrer Name Gewalt ist, er nennt Wille, dessen wahrer Name Urteil ist: er ist also das genaue Ebenbild jenes bestens bekannten Theaterfürsten der Kosaken in der Geschichte ‚Graf Benjowski’.49

Dabei bezieht sich Schopenhauer auf den Kosaken Hettmann in August von Kotzebues Graf Benjowsky oder die Verschwörung auf Kamtschatka (1800). Für diesen ist die Redewendung typisch: „Dabei verstehe ich aber unter…“, wobei er Wörter willkürlich mit einer anderen Bedeutung als der üblichen versieht zur Belustigung des Theaterpublikums.

August von Kotzebue, „Graf Benjowsky oder die Verschwörung auf Kamtschatka, Grätz: 1800, https://archive.org/details/grafbenjowskyode00kotz.

Über Spinozas Wortwahl bemerkt Schopenhauer: „Spinoza, indem er für seine Substanz das Wort Deus braucht und in der Art wie er meistens davon redet, ist offenbar absichtlich bemüht, ein durchgängiges Mésentendu in seinem Werk zu unterhalten.“50 Schopenhauer räumt an anderer Stelle ein, dass dem Spinoza seine Zeit und Umstände ungünstig waren. Spinoza war das Schicksal von Giordano Bruno bekannt, der 1600 auf dem Scheiterhaufen als Ketzer hingerichtet wurde. Während der Inquisition konnte es lebensgefährlich sein, seine Meinung offen kundzutun, besonders wenn sie religionskritisch war. Spinoza musste daher vorsichtig sein (sein Siegelring trug die Gravierung „caute“).

Spinoza hebt viele sonst in der Sprache gemachte Unterschiede auf und identifiziert sie: Alles ist Eins. Gott und Natur sind ein und dasselbe. Grund und Ursache sind ein und dasselbe. Körper und Seele machen ein und dasselbe Ding aus. Wirk-und Zweckursachen sind dasselbe. Wille und Intellekt sind ein und dasselbe. Tugend und Eigennutz sind ein und dasselbe. Recht und Macht sind ein und dasselbe.

Von diesen Identifikationen übernimmt Schopenhauer einige in sein System, manche davon in modifizierter Form, andere verwirft er ganz. Die Kritik Schopenhauers an Spinoza richtet sich gegen:

  • - den irreführenden Wortgebrauch;
  • - die deduktive Metaphysik aus leeren Begriffen;
  • - die Nivellierung logischer und physischer Verhältnisse;
  • - den Realismus von Kausalität, Raum und Zeit;
  • - die Verwerfung aller Naturzwecke;
  • - die Intellektualisierung des Willens;
  • - die egoistische Tugendlehre;
  • - die positive Bewertung des Faktischen.

In den folgenden Kapiteln werden wir diesen Punkten nachgehen.

41 Manuskriptbücher 1837, §182, HN IV(1), S. 231. Schopenhauer rügt: „dies Leere ist also der Anfang der Philosophie!“

42 Schopenhauer, W I, §15, Löhneysen S. 134.

43 Damit sei Schopenhauer zum Vorläufer der „induktiven Metaphysik“ geworden, die später von Fechner, Lotze und Edurard von Hartmann begründet worden sei. Martin Morgenstern, Schopenhauers Philosophie der Naturwissenschaft, Bonn: Bouvier, 1985, S. 185.

44 In Schopenhauers Ausgabe von: Baruch Spinoza, Opera quae supersunt omnia. Iterum edenda curavit, praefationes, vitam auctoris, nec non notitias, quae ad historiam scriptorum pertinent addidit Henr. Eberhard Gottlob Paulus. Vol I. II. Jenae: In Bibliopolio Academico, 1802/1803, (hinfort Paulus-Ausgabe), S. 116. Da mein Latein schon etwas rostig war, gebührt mein Dank an dieser Stelle Herrn Dr. Peter Struck für seine freundliche Hilfe bei der Übersetzung der lateinischen Notizen Schopenhauers.

45 Paulus-Ausgabe S. 115.

46 W I, §15, Löhneysen S. 127 Fußnote.

47 Manuskripte 1815, §489, HN I, S. 327.

48 Spinoza, Ethica, Paulus-Ausgabe, S. 122.

49 Schopenhauer zitiert in „Skizze einer Lehre der Geschichte vom Idealen und Realen“, P I, Löhneysen S. 23, Spinozas mehrmalige Äußerungen zum Willen qua modus cogitandi und affirmandi et negandi facultatem und volitio als affirmatio in der Ethik, die der Identitätsthese von Wille und Intellekt voraufgehen, bis hin zu dieser selbst, voluntas et intellectus unum et idem sunt, wobei Schopenhauer nochmals wiederholt: „Wir sind ganz berechtigt, hierbei an den Hetmann der Kosaken in Kotzebues ‚Benjowski’ [‚Graf Benjowsky oder die Verschwörung auf...

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