Im folgenden Kapitel gehe ich zunächst auf den Stellenwert des Schreibens im Kanon der sprachlichen Grundfertigkeiten ein, bevor ich die Rolle des Schreibens im heutigen Fremdsprachenunterricht darstelle. Dabei gebe ich einerseits Gründe für die bisherige Vernachlässigung des Schreibens in der Schule und stelle andererseits die Notwendigkeit einer Schreibförderung dar.
Das Schreiben gehört neben dem Sprechen und dem Hör- und Leseverstehen zu den sprachlichen Grundfertigkeiten. Hörverstehen und Sprechen werden als primäre und Lesen und Schreiben als sekundäre Fertigkeiten bezeichnet. „Schreiben verstanden als Produktion sinnvoller und kohärenter Texte, ist zweifellos die komplexeste der vier Sprachfertigkeiten, da in ihr kreative Wissens- und Sprachverarbeitung eine sehr enge Verbindung eingehen“ (Börner 1992, 287). Sowohl Planung und Kontrolle als auch Reflexion, Distanz und Selbstkritik werden beim Schreiben gefordert. Daneben bildet sich auch Sprachbewußtheit oder Sprachbewußtsein (language awareness) durch das Schreiben aus (vgl. Börner 1995, 245).
Schreiben ist Teil der kommunikativen Interaktion in der Lebenswirklichkeit und hat somit auch immer eine kommunikative Funktion (siehe Abschnitt 3.2.2). Der Zweck des Schreibens ist, jemanden über etwas zu informieren oder eigene Gefühle auszudrücken. Dabei beziehen (erfahrene) Schreiber während des gesamten Schreibprozesses spätere Leser mit ein.
Bislang herrscht im Unterricht noch immer eine Produktorientierung vor. „Im Fremdsprachenunterricht beschränkt sich Schreibförderung bisher vor allem darauf, daß Lehrer die Schreibprodukte ihrer Schüler korrigieren und mit ihnen gemeinsam die gemachten Fehler besprechen und verbessern“ (Wolff 1991, 37). Auf diese Weise wird weder auf die Schreibstrategien und -prozesse noch auf den Schreibenden selbst eingegangen.
Schreiben wird oft einseitig zu Prüfungszwecken und damit zur Leistungsmessung benutzt, wobei meistens die Anzahl der Schreibfehler für die spätere Note maßgeblich ist. Kreative Ideen oder der Schreibprozeß werden dabei nur selten oder gar nicht berücksichtigt. Das Schreiben im Fremdsprachenunterricht ist meist formalisiert, erfüllt eine bestimmte Funktion, dient der Überprüfung von lexikalischem oder grammatikalischem Wissen und hängt am Lehrbuchtext. Schreiben in der Schule geschieht also meistens nicht um des Schreibens Willen, sondern zur Förderung anderer sprachlicher Kompetenzen. Zudem ist Schreiben auch bei den Lehrern nicht beliebt, da es als eine zeit- und kraftaufwendige Angelegenheit empfunden wird. Daher wird es oft auf Hausaufgaben oder auf Mit- und Abschreibeübungen beschränkt (vgl. Kästner 1997, 162).
Die Stellung und Funktion des fremdsprachlichen Schreibens im Unterricht wird folgendermaßen beschrieben. „Writing in the L2 has not always been concerned with communication. The writing learners encounter is often ‘institutional’ and serves a learning device, used to reinforce grammar and vocabulary, for example. …Traditionally, teaching has tended to concentrate on ‘means-to-an-end’, institutional writing and not on the more ‘as an end’ personal, writing-to-communicate, variety which includes helping them to express their own views and feelings, to a specific audience, for a particular purpose” (McLaughlin 2000, 11). Schreiben in der Institution Schule hat also immer einen bestimmten Zweck, der oft nur in der Überprüfung von Gelerntem besteht. Freies, kommunikatives und kreatives Schreiben werden eher vernachlässigt.
Der heutige Englischunterricht orientiert sich häufig sehr stark an den Texten, Aufgaben und Übungen des verwendeten Lehrwerks. Diese hat somit erheblichen Einfluß auf die Qualität des Unterrichts. Viele der üblichen Lehrwerke unterstützen einseitig stark gelenkte Formen der Textanalyse und Textreproduktion. Im schlimmsten Fall verhindern mangelhaft gestaltete Lehrwerktexte, daß die Schüler sich mit der im Lehrwerk beschriebenen Situation identifizieren können, was zur Konsequent hat, daß die Schülerreaktion ausbleibt und erzwungen werden muß. (vgl. Firmenich 1994, 12). Erzwungene Schülerreaktionen wirken demotivierend und negativ auf die Lernbereitschaft. Das Lehrwerk kann also im schlimmsten Fall einen erfolgreichen Lernprozeß und Fremdsprachenerwerb verhindern, wenn es an den Bedürfnissen der Schüler vorbeigeht und sie nicht berührt. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn sich der Unterricht zu stark am Lehrwerk orientiert und so keinen nötigen Freiraum für bedeutende Inhalte läßt.
Ein Grund für die noch immer vorherrschende Produktorientierung liegt in den Vorgaben der Lehrpläne und Unterrichtsempfehlungen, die das Schreiben in die Hausaufgabenzeit verbannen und fremdsprachliches Schreiben vor allem als Textanalyse und Auseinandersetzung mit Sachthemen sehen (vgl. ebd.). Die Erforschung, Bewußtmachung und Förderung des Schreibprozesses und damit auch der Lernstrategien, Arbeits- und Lerntechniken und der Kreativität wurden lange Zeit vernachlässigt.
Für die Vernachlässigung des Schreibens im Fremdsprachenunterricht gibt es mehrere Gründe. Als ein wichtiges Argument wird angeführt, daß das Schreiben (scheinbar) keine kommunikative Funktion erfüllt und somit auch keinen Platz in einem kommunikativen Fremdsprachenunterricht hat. Dies liegt sicherlich auch daran, daß es große Unterschiede zwischen schriftlicher und mündlicher Kommunikation gibt.
Sprache wird vor allem als gesprochene und nicht als geschriebene Kommunikation angesehen. Dadurch, daß das Schriftbild und die Lautrealisierung gerade im Englischen oft nicht übereinstimmen, wird von einer schädigenden Wirkung des Schriftbilds auf die Aussprache ausgegangen. Die musikalischen Inhalte von Sprache (Intonation, Rhythmik) als wichtige Bestandteile der Kommunikation kommen durch die Schreibzeichen nicht zum Ausdruck. Schreiben ist gerade bei lernschwachen Schülern oft die Ursache für schulisches Versagen. Daher können lernschwache Schüler keine Befriedigung aus ihren Schreibfähigkeiten ziehen, was sich natürlich negativ auf die Motivation und somit auch auf die Leistung auswirkt (vgl. Bludau 1998, 12). Aus diesen Gründen wurde das Schreiben im Unterricht wie in der Wissenschaft lange Zeit vernachlässigt.
Diese Vernachlässigung und Reduktion des Schreibens auf das Produkt wird von der jüngeren Fremdsprachendidaktik stark kritisiert. Das Hauptargument für eine Förderung des Schreibens ist, daß es sehr wohl eine kommunikative Funktion hat, allerdings mit einem eigenen Bedingungssystem. „Ort und Zeitpunkt der Kommunikation werden aufgespalten, der Sender kann sich vor Abgabe der Information beliebig korrigieren, der Empfänger kann die Kommunikation nicht mitsteuern, was wiederum den Sender zu umfassender Planung und Antizipation des Lesens zwingt...“ (Börner 1989, 350 zitiert nach Bludau 1998, 12). Es wird deutlich, daß das übergeordnete Lernziel im Fremdsprachenunterricht nämlich die Kommunikationsfähigkeit, welche auch außerschulische Gegenwarts- und Zukunftsbedeutung hat, durch Schreiben geschult und trainiert werden kann.
Außerdem wird bezweifelt, daß das Schriftbild der Fremdsprache wirklich solch negative Auswirkungen auf die Aussprache der Fremdsprachenlerner hat, weil Kinder heutzutage in einer schriftgeprägten Umwelt aufwachsen, bereits das Zeichensystem ihrer Muttersprache beherrschen und eigene Transkriptionsregeln für das in der Fremdsprache Gehörte entwickeln (vgl. Bludau 1998, 12).
Die Überforderung der lernschwachen Schüler und der damit einhergehende Motivationsverlust sowie die geringe Befriedigung aus dem eigenen Tun beschränkt sich nicht nur auf den schriftlichen Bereich, sondern zeigt sich auch in der mündlichen Kommunikation und ist demnach ein allgemein-didaktisches Problem. Das Schreiben hat im Gegensatz zum Sprechen den Vorteil, daß die Geschwindigkeit sprachlicher Reaktionen reduziert ist. Dies kommt gerade lernschwachen Schülern zugute, die mit der Schnelligkeit mündlicher Kommunikation häufig überfordert sind. (vgl. ebd.). Insofern hat Schreiben kommunikationsförderndes Potential, indem es die Kommunikation verlangsamt, den Schülern mehr Zeit für die Planung, Ausführung und auch Überarbeitung gibt und daher – außer in Klassenarbeiten – weitgehend ohne Zeitdruck stattfindet.
Schreiben im Fremdsprachenunterricht kann sich sowohl auf den gesamten Spracherwerb als auch auf die Persönlichkeitsentwicklung positiv auswirken. „Übendes Schreiben erhöht die Verwendungssicherheit von Wortschatz und Idiomatik, baut Textsortenkompetenz auf, fördert Sprachbewußtheit und entwickelt allgemeine intellektuelle und kreative Fähigkeiten“ (Börner 1992, 287f.). So werden eigene Kenntnisse gefestigt und verschiedene Ausdrucksmöglichkeiten ausprobiert. Daneben können auch affektive Fähigkeiten wie Gefühl, Witz, Phantasie und Kreativität gefördert werden.
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