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Schrittfolgen der Hoffnung

Theologie des Kirchenjahres -

AutorGerhard Sauter
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl272 Seiten
ISBN9783641114176
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis23,99 EUR
Das Kirchenjahr wieder theo­logisch entdecken
Im Kirchenjahr begegnet uns Theologie in besonderer Gestalt. Jedes Fest erzählt einen anderen Teil der Geschichte Jesu Christi, bietet Verheißungen, Wegweisungen, Anstöße, aber auch Zumutungen. Gerhard Sauter erschließt hier Bau und Botschaften des Kirchenjahres auf ebenso kundige wie seelsorgerlich einfühlsame Weise. Wer einen neuen Blick für die Themenvielfalt der Feste und Feiern des Jahres gewinnen möchte, wer anderen das Kirchenjahr im Gottesdienst oder im Unterricht nahe bringen oder wer einfach einmal wissen will, was es in der Kirche außer Weihnachten sonst noch zu feiern gibt, der findet hier eine anregende, ja, spannende Lektüre.

Gerhard Sauter, geb. 1935, Prof. Dr. theol. Dr. h.c. mult., lehrte zuletzt Systematische und Ökumenische Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Er war Direktor des Ökumenischen Instituts an der Universität Bonn und ist auswärtiges Mitglied der theologischen Fakultät der Universität Oxford.

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Leseprobe

1. »Kein Jahr von unserer Zeit verflieht, das dich nicht kommen sieht.«
Verkündigen und Feiern im Rhythmus des Kirchenjahres


Der kirchliche Festkalender bietet die Gelegenheit, an bestimmten, herausgehobenen Tagen ein spezifisches Handeln Gottes an, in und mit Jesus Christus und das Wirken des Heiligen Geistes zu feiern. So bildet das Kirchenjahr eine Gedächtnisstütze der Kirche und weist den Weg, auf dem wir Jesus Christus als den Kommenden erwarten. Das Kirchenjahr hilft uns, Jesu Christi eingedenk zu bleiben, und es macht uns wachsam und aufmerksam dafür, wie Jesus Christus uns heute begegnet: im Zusammenhang der Geschichte Gottes mit den Menschen und ihrer Welt. Festtage, ob sie nun zu öffentlichen Feiertagen wurden oder nicht, haben tiefe Spuren in unserer Kultur und deren gesellschaftlichem Leben hinterlassen. Dort versandeten manche Feste allmählich oder sind umgepflügt, manchmal auch untergepflügt worden. Umso mehr sind alle, die zur Christenheit gehören, gefragt, ob sie im Kirchenjahr leben und sich in seinem Rhythmus bewegen. Besonders dringlich richtet sich diese Frage an alle, denen die Verkündigung des Evangeliums anvertraut ist.

1. Zur Entstehung des Kirchenjahres


Wir sind gewohnt, Advent, Weihnachten, Epiphanias, Karfreitag, Ostern, Christi Himmelfahrt, Pfingsten und den Sonntag Trinitatis als eine Reihe oder Kette anzusehen. Doch die frühe Christenheit kannte länger als drei Jahrhunderte nur ein einziges Christus-Fest: das Gedenken vornehmlich der Passion und des erlösenden Todes Christi, zunächst wohl zeitgleich mit dem jüdischen Pessach-/Passa-Fest, später als auch terminlich eigenständige Feier, die in der Freude über die Auferstehung Jesu Christi gipfelt.1 Ebenfalls auf Ostern gestimmt war der Anfang jeder Woche, seit dem 2. Jh. als »Tag des Herrn« bezeugt. An diesem Tag sind wir »zu neuer Hoffnung gekommen« und ist »unser Leben aufgegangen durch ihn«, Christus, »und seinen Tod«.2 Der erste Wochentag wird auch »Sonnentag« genannt: Tag der Schöpfung, an dem das Licht von der Finsternis geschieden wird, und Tag der Auferstehung Christi, an dem Gottes Licht des Lebens die Finsternis des Todes durchbricht.3

321 dekretierte Kaiser KONSTANTIN der Große, der erste Wochentag sei als »verehrungswürdiger Tag der Sonne« und als öffentlicher Ruhetag zu begehen. So wollte er dem Gott »Sonne«, den er anbetete, staatliche Reverenz erweisen. Wurde, als der Kaiser sich taufen ließ, der Sonntag zum Herrentag – oder wurde der Herrentag zum Sonntag? In welchem Verhältnis stand der staatlich gewährte Ruhetag zum Tag des Herrn mit seiner Feier des Herrenmahles und ihrer Ausstrahlung nicht nur auf diesen Tag, sondern auf die ganze Woche, die mit ihm beginnt? Ruhetage, die zur Erholung gebraucht werden, sind nicht unbedingt an einen bestimmten Rhythmus gebunden. Der Sonntag ist als Feiertag ein Gottesgeschenk an die Menschen, das sie gemeinsam auf Jesus Christus ausrichtet, indem es sie zum Gottesdienst zusammenruft, in dem das Herrenmahl gefeiert wird. An jedem Herrentag begegnet Christus auf seine besondere Weise der Gemeinde, die sich zu seinem Gedenken und in der Erwartung auf ihn versammelt, »bis er kommt« (1 Kor 11,26). Christus ist die Gestalt der strahlenden doxa Gottes, weder der Sonnengott noch eine neue Sonne. Bereits für den Sonntag als Herrentag stellte sich also die Frage, wie sich äußere Veranlassung und innere Gründe zueinander verhalten. Diese Frage wird an vielen Festtagen des Kirchenjahres wiederkehren.

Im 4. Jh. setzt ein Prozess ein, der die Osterbotschaft aufgliedert und auf weitere Christus-Feste gleichsam verteilt.4 Der Karfreitag wird durch die beginnende Kreuzesverehrung vom »Tag der Auferstehung« gesondert, aber nicht als ein Durchgang zu Ostern angesehen.5 Denn das Kreuz auf Golgatha trägt eine eigene Botschaft in die Welt, die von der Gemeinde Christi auch eigens vernommen werden will: Christus, der auferstandene Herr, ist der gekreuzigte Jesus, den wir auch an Ostern nicht hinter uns lassen können. Nur weil er uns Anteil an seinem Sterben gibt, werden wir seines neuen Lebens gewahr, doch dorthin vermögen wir ebenso wenig einfach fortzuschreiten wie Jesus selbst. – Seit Mitte des 4. Jh. wird das Kommen des Erlösers in die Welt als Geburt des göttlichen Kindes gefeiert: am weihnachtlichen Christfest, im Westen am 25. Dezember, im Osten am 6. Januar.6 Ursprünglich waren Inkarnation und Auferweckung Jesu als Einheit aufgefasst worden, und noch heute wird Joh 1,1-17, im Westen einer der grundlegenden Weihnachtstexte, im österlichen Morgengottesdienst der Ostkirche als Evangelium verlesen. – Im 4. Jh. finden sich auch erste Anzeichen für Vorbereitungen auf das Christfest, die später zur Adventszeit ausgestaltet wurden. – Das Fest Christi Himmelfahrt, seit dem 4. Jh. gefeiert,7 hebt ein weiteres Moment der Osterbotschaft gesondert hervor: Jesus Christus ist zu Gott erhöht worden, jetzt herrscht er über den Kosmos. – Das Pfingstfest schließt die fünfzigtägige Freudenzeit nach Ostern ab, die wohl schon seit der zweiten Hälfte des 2. Jh. gefeiert worden war, nachweislich im 3. Jh. in Rom und Ägypten. Als eigenständiges Fest ist es vom 4. Jh. an begangen worden, vermutlich zunächst in Jerusalem. Der Gehalt des Festes umfasst zahlreiche Elemente, von denen gegen Ende des 4. Jh. die Sendung des Heiligen Geistes maßgebend geworden ist, und dies setzt eine Unterscheidung von der Himmelfahrt Christi voraus, die zuvor in enger Beziehung zum Kommen des Geistes aufgefasst worden war.8 – Das Fest Trinitatis wurde zwar erst 1334 für die gesamte Westkirche eingeführt, es greift aber auf das trinitarische Dogma zurück, also wiederum auf das 4. Jh. Die orthodoxe Kirche kennt kein eigenes Trinitatisfest. Sie verband vielmehr das an Pfingsten gefeierte Ereignis mit der Vollendung des vom dreieinigen Gott bestimmten Heilsplanes (Heilsökonomie).9

Aus der Folge der Christus-Feste und durch weitere Gedenktage entstand das Kirchenjahr.10 Es ist weder vom Himmel gefallen noch wurde es von einer kirchlichen Instanz geplant und angeordnet, auch wenn auf Datierung und Gestaltung fast aller dieser Festtage Beschlüsse von Kirchenversammlungen und Einflüsse führender Bischöfe direkt oder indirekt eingewirkt haben. Das Kirchenjahr ist ein »Kunstwerk« (JOCHEN KLEPPER), von Menschen nicht ausgedacht und erschaffen, sondern dem nachgebildet, was von Gott her in Christus zur Geschichte geworden ist.11 Unzählige haben dazu beigetragen, dass dieses kunstvolle Gebilde entstehen konnte, und es lädt weiterhin zum mitgestaltenden Feiern ein. Auch darum ist es so lebendig geblieben.

Dieses Kunstwerk wird durch die »Großtaten Gottes« (Acta 2,11) in, an und mit Jesus Christus strukturiert. Um sie alljährlich an bestimmten Tagen feiern zu können, wurde versucht, sie mit Hilfe der Zeitangaben der Evangelien und anderer Berechnungen zu datieren. Solche Daten können nur Haftpunkte für die Geschehnisse sein, deren Botschaft weiter ergeht. Die Festtage sollen zum Ausdruck bringen, dass Gott in einem bestimmten Zeitraum in markanter Weise in, an und mit Jesus Christus gehandelt hat. »Er hat ein Gedächtnis seiner Wunder gestiftet, der gnädige und barmherzige HERR.« (Ps 111,4) Die Feste werden nun nicht mehr nur an Gedächtnisstätten im heiligen Land begangen, die auch Pilger zu sich locken. Sie werden mehr und mehr von der gesamten Kirche gefeiert. Der Weg, den wir im Kirchenjahr gehen, ist auf keiner Landkarte abzulesen.

Das 4. Jh., in dem sich Grundzüge der Christusfeste abzeichneten, war für die Alte Kirche eine Phase voller Umbrüche, Neuansätze und Konsolidierungen: Die Kanonbildung, die bindende Aufzählung der biblischen Bücher, wurde im Laufe des 4. Jh. abgeschlossen. Beschlüsse der Kirchenversammlungen (Konzilien) erhielten Geltung für die gesamte Kirche und wurden zu ersten Bausteinen für das Kirchenrecht. Die theologisch verbindlichen Formulierungen der Konzilien von Nizäa (325), Konstantinopel (381) und Chalcedon (451) gewannen in einem oft spannungsvollen Prozess, in dem sie aufgenommen und angeeignet wurden, ökumenischen Rang. Dem in vorkonstantinischer Zeit spärlichen und uneinheitlichen Kirchenbau wurde mit der Basilika eine neue Bautradition eröffnet, die in Anlehnung an staatliche Großbauten den öffentlichen Charakter der Kirche vor Augen stellte. Zu Zeiten der Illegalität, der Verfolgung oder der zögerlichen Duldung hatte es auch gar keine nennenswerten Kirchenbauten mit einer einigermaßen einheitlichen Architektur geben können.

Die Kanon- und die Dogmenbildung lassen deutlich werden, warum das Kunstwerk »Kirchenjahr« zur Schnittstelle von Liturgie und Theologie, von Gottesdienst und reflektierter Glaubenssprache, von perspektivenreicher Bibelauslegung und Antworten auf elementare Glaubensfragen wurde. Weil sich seither viele Vorbehalte gegen den Kanon und gegen verbindliche Glaubenssätze (Dogmen) eingenistet haben, gerade auch in der Pfarrer- und Lehrerschaft, soll wenigstens angedeutet werden, warum beide für das Kirchenjahr nach wie vor unverzichtbar sind.12

Mit dem Kanon, der Umgrenzung der »heiligen Schrift« gegenüber anderen hochgeschätzten Schriften jüdischer und frühchristlicher Herkunft, entdeckt die Kirche die Begründung ihrer Einheit in ihrem Leben mit der Bibel, indem sie sich dem Ganzen der »Schrift«, ihrer Innenspannung und ihrer Dynamik aussetzt.13 Die Bibelkritik hat später den Blick dafür geschärft, wie disparat sich der Kanon ausnimmt: von außen betrachtet, ein heterogenes und unausgeglichenes Gebilde – und doch, theologisch gesehen, als Ganzes getragen dadurch, dass hier der Gott...

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