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E-Book

Schule vor dem Kollaps

Eine Schulleiterin über Integration, die Schattenseiten der Migration und was getan werden muss

AutorIngrid König
VerlagPenguin Verlag
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl240 Seiten
ISBN9783641237561
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Ein Buch für Eltern und Lehrer, das die Probleme klar benennt
Unsere Grundschulen, in denen wichtige Grundlagen gelegt werden, kämpfen mit Überforderung und Vernachlässigung. Ingrid König, couragierte Leiterin einer Grundschule in Frankfurt, schlägt Alarm: Lehrerinnen und Lehrer müssen immer öfter die Rolle von Sozialarbeitern spielen, müssen nachholen, was Eltern versäumen, müssen zwischen Kulturen vermitteln, Integration und Inklusion leisten - und das alles bei mangelnder Ausstattung und Unterstützung. Ingrid König benennt klar, was sich ändern muss, damit wir nicht die Zukunft einer ganzen Generation von Kindern aufs Spiel setzen.

Ingrid König ist Rektorin einer Grundschule im Frankfurter Stadtteil Griesheim. Die engagierte Lehrerin rief dort das Arche-Projekt ins Leben, das Schülerinnen und Schülern vielfältige Betreuung und warme Mahlzeiten bietet. 2017 verfasste sie zusammen mit anderen Grundschulleitern einen Brandbrief an das hessische Kultusministerium, 2018 nahm sie an einem Treffen von 50 Schulleitern und Politikern im Kanzleramt teil, das Angela Merkel in einer Fernsehdiskussion mit Ingrid König versprochen hatte.

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Leseprobe

Wir haben die Größe der Aufgabe noch nicht erkannt  warum ich dieses Buch schreibe

Manchmal gehe ich derzeit durch die Stadt und glaube zu träumen. »So viele Lehrer wie noch nie« lese ich da auf einem Plakat, das den hessischen Ministerpräsidenten im angeregten Plausch in einem Klassenraum zeigt. »Je Lehrer, desto schlau« kalauert es mir von einem anderen Poster entgegen, und während ich mich noch frage, was genau diese Partei mir versprechen will, darf ich mich auf der anderen Straßenseite über eine massive Forderung freuen: »Unsere Schulen modernisieren!«

Das sind Wahlkampfparolen, und auch wenn ich bezweifle, dass die Politiker wirklich aufgewacht sind, ist eins zumindest unübersehbar: Mit Schulpolitik können Wahlen entschieden werden, die Misere an den hessischen, den bayrischen, den deutschen Schulen ist so massiv geworden, dass es sich keine Partei erlauben kann, das Thema totzuschweigen. Gründe genug, hier hübsch bescheiden aufzutreten, gäbe es ja, denn selbst wenn man Bayern milder beurteilt, weil dort manches etwas besser funktioniert, so ist das Desaster an deutschen Schulen flächendeckend: zu wenige Lehrer, mangelnde technische Ausstattung, zu wenige Sozialpädagogen und Erzieher, zu wenig Geld selbst für grundlegendste Reparaturen und Sanierungen – dafür viel zu viel Ideologie, zu viele Experimente und immer neue Aufgaben für die ohnehin mit dem Rücken zur Wand stehenden Lehrkräfte.

Wenn ich einen Moment lang den Plakaten ringsum Glauben schenke, dann müsste ja nun wirklich ein Ruck, wie ihn einst der Bundespräsident Herzog gefordert hatte, durch das Land gehen, und die Länder, die Parteien, der Bund würden in einer großen Gemeinschaftsanstrengung alles tun, um den drohenden Kollaps vieler Schulen zu verhindern und die immer sichtbarer werdende Bildungskatastrophe noch abzuwenden, zumindest aber abzumildern.

Als Schulleiterin einer Grundschule in Frankfurt maße ich mir nicht an, eine umfassende Analyse der hochkomplexen und teilweise seit Jahrzehnten zerfahrenen Situation des föderal organisierten deutschen Schulsystems zu liefern. Ich bin aber zutiefst davon überzeugt, dass vieles von dem, was ich an meiner Schule in den letzten Jahren beobachtet habe, symptomatisch ist für die Verwerfungen, unter denen alle Schulen in Deutschland leiden, Grundschulen und weiterführende Schule genauso wie Berufsschulen, ja sogar die Hochschulen, wo die Probleme naturgemäß ein paar Jahre später ankommen.

Und weil ich die wohlfeilen Slogans auf den Wahlplakaten und die blumigen Versprechen der Politik nun wahrhaftig nicht zum ersten Mal sehe und höre, halte ich es für notwendig, die Öffentlichkeit über das, was nicht nur an meiner Schule schiefläuft, zu informieren und an Politik und Gesellschaft zu appellieren, die ungeheure Aufgabe, die wir hier zu bewältigen haben, nicht nur in Wahlkampfzeiten ernst zu nehmen. Der Bildungsgipfel bei Bundeskanzlerin Merkel am 5. September 2018, von dem am Ende dieses Buches ausführlicher die Rede sein soll, ist immerhin ein Hoffnungsschimmer.

In allen Sonntagsreden wird die Bedeutung der Kinder, wird die Bedeutung von Bildung für die Zukunft der Gesellschaft beschworen, und auch wenn es noch so abgedroschen klingen mag, so ist dies auch für mich der allerwichtigste Antrieb meiner Arbeit und meines Engagements – und der wichtigste Antrieb auch für dieses Buch. Wenn wir die aktuelle Kindergeneration verlieren, wenn es uns nicht gelingt, Schulen zu reformieren, zu modernisieren, dann stehen wir gesamtgesellschaftlich vor einem Riesenproblem. Und was, wenn nicht ein »Verlieren«, ist es, wenn Zehntausende Jugendliche die Schule ohne Abschluss verlassen, wenn ein immer größerer Teil keinen Zugang zu qualifizierten Ausbildungen hat, wenn sich parallele Gesellschaften herausbilden, in denen es für selbstverständlich gehalten wird, von diesem Staat alimentiert zu werden, von einem Staat, den man im Übrigen aber ablehnt.

Natürlich behaupte ich das aus meiner Lehrerinnen-Perspektive heraus, die zwangsläufig vor allem meine Schule in den Blick nimmt. Aber ich bin mir sicher, dass jeder nach der Lektüre dieses Buches eines Ahnung davon hat, wie wichtig Schule ist, wie dringend sich die heutige Einstellung zur Schule, angefangen bei den Eltern über die Ämter, Behörden, Ministerien bis hin zur Haltung der Gesamtgesellschaft, den aktuellen Gegebenheiten anpassen muss. Und was alles dringend geändert werden muss.

Vieles von dem, was sich ändern muss, betrifft auf den ersten Blick Selbstverständlichkeiten, doch gerade manche dieser Selbstverständlichkeiten sind in den letzten Jahren in Vergessenheit geraten, von verschiedenen Seiten in Frage gestellt oder als nachrangig betrachtet worden:

  • Die räumliche und sachliche Ausstattung der Schulen, gerade der Grundschulen, muss aktuellen Gegebenheiten (Herkunft der Schüler, soziale Situation der Eltern, Medien-Angebot) angepasst sein.
  • Die Lehrkräfte müssen die Wertschätzung erfahren, die sie verdienen (und ebendies muss sich zu einem gewissen Teil auch in ihrem Verdienst niederschlagen).
  • Die Lehrkräfte müssen sich ihrer Kernaufgabe widmen können: gutem Unterricht.

Kinder haben ein Anrecht auf Bildung, Kinder haben ein Anrecht auf möglichst gerecht verteilte Bildungschancen. Es kann und darf nicht sein, dass man als Lehrerin, als Schulleiterin einer Brennpunktschule oft jahrelang um notwendige und eben eigentlich selbstverständliche Ressourcen kämpfen muss, und das dann häufig vergeblich. Die Ausstattung von Schulen muss gerade in Städten und Stadtvierteln mit sozialen Problemen überproportional verbessert werden. Dort, wo die Eltern als Unterstützer ihrer Kinder ausfallen beziehungsweise wo sie nicht vorhanden sind, müssten wir als Gesellschaft, als Staat für den entsprechenden Ausgleich sorgen – und zwar um jeden Preis. Erlebt habe ich aber leider in den letzten Jahren eher das Gegenteil. Ich schreibe dieses Buch, damit sich das endlich ändert.

Ich möchte mit diesem Buch das Bewusstsein dafür stärken, dass Behörden, Ämter, Ministerien, kurzum der staatlich-politische Überbau, im Kern Dienstleister der Schulen sind, dass sie für die Schulen, für die Kinder arbeiten sollten und nicht umgekehrt die Schulen durch immer neue Initiativen, ideologische Reformexperimente, scheinbar innovative pädagogische Konzepte auf Trab halten und die Lehrer davon abhalten, sich mit ausreichender Zeit und Kraft um ihre Schüler zu kümmern.

Ein wichtiges Anliegen ist mir zu klären, welche Werte wir unseren Kindern vermitteln wollen, welche Werte wir als unabdingbar einschätzen, wo und warum wir nicht bereit sein sollten, von ihnen abzugehen. Ich habe in meinem Arbeitsalltag in den letzten Jahren eine Erosion der Werte wahrgenommen. Immer mehr Menschen stellen Grundsätze wie Toleranz, Höflichkeit, Respekt aktiv in Frage oder gehen ignorant mit ihnen um. Kein Wunder, dass viele Lehrkräfte mürbe werden, einknicken, es müde sind, tagtäglich die immer gleichen Schlachten darum zu schlagen, wenn es außerhalb der Schulen keine Unterstützung für sie gibt.

Aber, und dies ist eine Binse, wenn wir nicht mehr bereit sind, die grundlegenden Werte unserer offenen Gesellschaft jeden Tag zu vermitteln, vor allem aber zu leben, wie steht es dann um die Zukunft dieser Gesellschaft? Wie um die Zukunft der Demokratie, die darauf angewiesen ist, dass Menschen sich als aktiven Teil des Gemeinwesens verstehen, sich einbringen und, gewiss auch manchmal gegen Widerstände, ihre Anliegen in den jeweiligen Entscheidungsgremien wie Ortsbeirat, Stadtparlament, Elternbeirat und vielen anderen mehr vortragen. Und die begreifen, dass zum demokratischen Verfahren auch gehört, die Ergebnisse einer Mehrheitsentscheidung zu akzeptieren. Die Kinder, die jetzt in meine Grundschule gehen, werden in zehn, zwanzig Jahren als Arbeitnehmer, als Eltern, als Staatsbürger die Säulen der Gesellschaft sein. Was, wenn sie unseren Werten indifferent gegenüberstehen oder sie gar rundweg ablehnen?

Ich möchte mit diesem Buch auch zeigen, dass die bisherigen Versuche, die Integration der Zugewanderten zu einem großen Teil den Schulen zu überlassen, zum Scheitern verurteilt sind. Ich möchte zeigen, dass Integration nicht funktionieren kann ohne die Festlegung, was genau wir als Gesellschaft unter Integration verstehen. Ich möchte zeigen, dass das Schulsystem – vor allem die für alle verpflichtenden Grundschulen, aber auch die Gesamt- und Berufsschulen – mit dieser Aufgabe vollkommen überfordert ist.

Am Beispiel meiner Schule will ich deutlich machen, was sich in den vergangenen zwanzig Jahren verändert hat, wie die immer neuen Aufgaben im Bereich der Integration von Zuwanderern einen erfolgreichen Unterricht, der ja genau der Integration dienen sollte, immer weniger möglich machen. Ich möchte zeigen, wie oft wir in all diesen Jahren von den uns übergeordneten Behörden und damit auch von der Politik im Stich gelassen wurden. Oft hatte ich in den letzten Jahren den Eindruck, dass Politiker, aber auch Teile der Gesellschaft, die Augen vor der Wirklichkeit verschließen, dass sie, teils aus ideologischen Gründen, teils aus Angst, teils auch purer Überforderung, sich geweigert haben, die Zustände zu erkennen und Abhilfe zu schaffen.

Ich möchte Geschichten erzählen, Geschichten von Eltern, die seit Jahrzehnten in diesem Land leben, aber immer noch nicht angekommen sind; von Eltern, die gewiss subjektiv das Beste für ihre Kinder wollen, aber im Alltag überfordert sind; von Eltern, die am liebsten eine Mauer um ihre Kinder bauen würden (zumindest um die Mädchen), um sie vor den Einflüssen des Landes zu schützen, in dem sie nun einmal leben oder leben müssen; Eltern, die...

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