Sie sind hier
E-Book

Schule im Wandel

Konzepte, Ideen und Visionen. Gespräche mit Expertinnen und Experten.

AutorAnnette Sidler
VerlagBooks on Demand
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl196 Seiten
ISBN9783743198937
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis8,49 EUR
Welche Schule brauchen die Kinder und Jugendlichen von heute? Wie funktioniert Lernen und wie gelingt es? Braucht es einen Wandel im heutigen Schulsystem? Annette Sidler beschäftigt sich beruflich und privat seit mehreren Jahren mit diesen Fragestellungen. Auf der Suche nach Antworten hat sie ein Projekt gestartet und verschiedene Expertinnen und Experten interviewt. Dieses Buch gibt Lehrpersonen, Eltern, Schulbehördemitgliedern und allen an Schule und Bildung interessierten Menschen Einblick in diese Gespräche. Sie sollen den Leser informieren, inspirieren, überraschen und zum Nachdenken oder Handeln anregen.

Annette Sidler ist seit über 20 Jahren als Lehrerin tätig und hat auf allen Stufen von der Grundschule bis zur Erwachsenenbildung Unterrichtserfahrungen gesammelt.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Interview mit Irene Fischli


Irene Fischli Luthiger ist diplomierte Komplementär-Therapeutin Oda KT, Methode Kinesiologie und Supervisorin Komplementär. Zudem unterstützt sie Menschen als Lerncoach nach dem Lernhauskonzept von Irmtraud Grosse-Lindemann. Seit dem Jahr 2000 arbeitet Irene Fischli in ihrer eigenen Praxis als Therapeutin, assistiert auf allen Ebenen in der Volksschule und erteilt sowohl Kurse als auch Weiterbildungen für Kinder und Erwachsene, meist zum Thema Entwicklung und Lernen.

www.kinesiologie-fischli.ch

www.lernhaus-konzept.de

Vor einigen Jahren bin ich auf das Buch von Irmtraud Grosse-Lindemann gestossen und fand es sehr interessant. Ich habe nach Personen gesucht, die sich mit der Methode des Lernhaus-Konzeptes auskennen, so habe ich dich gefunden. Du gibst uns heute einen Überblick über diese Methode und erklärst uns, was man damit machen kann.

Ich arbeite seit etwa zehn Jahren mit dem Lernhauskonzept von Irmtraud Grosse-Lindemann, zumindest mit einzelnen Teilen ihrer Ausbildung, die sie modulmässig aufgebaut hat. Das Lernhauskonzept kann man sich wie ein Haus mit einem Kellergeschoss, einem Wohnbereich und einem Dachgeschoss vorstellen. Es basiert auf dem „dreiteiligen Gehirn“ nach Mac Lean. Dem Kellergeschoss ordnet sie das Reptilienhirn - das Überlebensgehirn - zu, dazu gehören der Hirnstamm, das Kleinhirn und die Basalganglien. Dem Wohnbereich wird das Säugergehirn - das sogenannte Gefühlsgehirn - mit dem limbischen System, mit dem Thalamus und dem Hippocampus zugeordnet. Der Dachbereich wird dem Neokortex, also dem Verstandesgehirn mit seinen verschiedenen Aufgaben zugeordnet.

Jeder Bereich entwickelt sich zu einer bestimmten Zeit in der Entwicklung des Kindes. Das Stammhirn, beziehungsweise das Reptiliengehirn wird zuerst entwickelt. Das Stammhirn ist auch der Teil, den es seit 500 Millionen Jahren gibt. Dann folgt die Reifung des Säugergehirns, welches vor ca. 200 - 300 Millionen Jahren entstanden ist. Zuletzt entwickelt sich das Verstandesgehirn, der Neokortex, der etwa 200 Millionen Jahre alt ist. Das ist der Bereich, der bei Säugetieren und eben bei uns Menschen speziell gut ausgebildet ist. Irmtraud Grosse-Lindemann baut ihre Module und die dazugehörenden Themen in dieser Reihenfolge auf.

Im Kellergeschoss geht es um unsere emotionalen und körperlichen Reflexe, sowie um Bewegung und Bewegungsabläufe. Diese Gehirnbereiche reifen in den ersten zwei bis drei Lebensjahren verstärkt aus. Nahrung (physisch und emotional) ist ein ganz wichtiges Kellerthema, ebenso erste Teile der Wahrnehmung, vor allem die Eigenwahrnehmung – also die Entwicklung des Ich.

Dem Wohngeschossbereich teilt sie weitere Teile der Wahrnehmung zu. Da ist aber auch Freundschaft und Zugehörigkeit sehr wichtig. Von der Entwicklung her betrifft es die drei- bis siebenjährigen Kinder, in dieser Zeit entwickelt sich langsam ein Wir. Auf dieser Stufe wird zum Beispiel gelernt, dass das, was „ich“ will, nicht das sein muss, was „du“ willst. Miteinhergehend kommt die ganze Gefühlspalette dazu.

Erst ab sieben bis acht Jahren geht es mit der Reifung des Grosshirns wirklich vorwärts. Das sogenannte Dachgeschoss mit den wichtigen Bereichen Lesen, Rechnen, Schreiben und Sprache basiert auf den grundlegenden Gehirnbereichen und arbeitet sich nach oben. Die ganze Hirnreifung ist mit ca. 21 Jahren abgeschlossen; bei Jungen sogar noch etwas später.

Unser Gehirn lernt jedoch immer, das bedeutet, dass die Verbindungen zwischen den einzelnen Zellkernen ein Leben lang ausgeprägt werden.

Die Kinder gehen ja ab einem bestimmten Alter zur Schule. Hängt die Fähigkeit in der Schule gut mitzukommen, also mit dem Stand der Hirnreifung zusammen?

Ja, davon bin ich überzeugt. Interessant ist es, zu schauen, wie weit die Hirnreifung zum Beispiel bei einem Erstkindergartenkind dann wirklich ist. Eltern sind ja wahnsinnig stolz, wenn ihr Kind schon bis 20 zählen kann. Für das Kind selber ist es einfach ein Art Gedicht, es kann das einfach auswendig. Ein Erstkindergartenkind weiss in der Regel noch nicht wirklich, was diese Zahlen bedeuten.

Die Hirnreifung ist sehr individuell. Es gibt Kinder, die schulisch sehr intelligent sind und aus eigenem Interesse bereits in der ersten Klasse lesen und schreiben können oder bereits mathematische Aufgaben verstehen und lösen können. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, dass es genau in dem Alter extrem wichtig ist, das Kind im Klassenverband zu behalten, wenn nicht wirklich eine grosse Unterforderung besteht, weil eben von der Entwicklung her gesehen die Themen Freundschaft, Zugehörigkeit, soziales und emotionales Wachstum – wie Empathie - ganz stark im Zentrum stehen. Natürlich kann man auch zu späteren Zeiten etwas nachholen. Es wird dann aber schwieriger.

Ein grosses Thema sind auch immer wieder Lernschwierigkeiten. Kann man denn mit diesem Konzept lernen, mit solchen Schwierigkeiten umzugehen oder das Kind zu unterstützen?

Ja. Ich brauche dieses Lernhauskonzept fast täglich. Nebst den Erklärungen, die zum Verständnis für die Arbeitsweise des Gehirns und den Zusammenhängen mit unserem Körper und unseren Gefühlen beitragen, nutzt es einen zweiten wichtigen Bereich, mit dem ich als Kinesiologin arbeite: das Brain Gym®-Modell von Dr. Paul und Gail Dennison, USA.

Brain Gym® geht davon aus, dass ich über Körperbewegungen Hirnaktivitäten ausgleichen, anregen und integrieren kann. Ich kann mit Augenbewegungen, Übungen und Arbeit an Reflexpunkten Stress abbauen.

Zum Verständnis arbeite ich ganz häufig mit dem Lernhauskonzept. Es ist sehr übersichtlich und gut verständlich, so dass ich auch schon Schulkindern erklären kann, worum es geht, wie die verschiedenen Hirnteile zusammenarbeiten. Um dann etwas verändern zu können, nutze ich ganz häufig die Übungen aus dem Brain Gym.

Ich arbeite momentan mit einigen Jugendlichen und möchte gerne ein Beispiel erzählen. Ein 14-jähriges Mädchen, welches anfangs Mittelstufe stark gemobbt wurde, kam zu mir in die Praxis. Sie ist in ihrer Entwicklung eher langsam und ihr wurde ein ADS - Syndrom diagnostiziert. Für sie ist es schwierig, mit ihren Gefühlen umzugehen. Sobald ihre Lehrerin sagt: „Du bist heute zu spät, du bekommst deshalb einen Eintrag.“, steigt in ihr Wut hoch. Wut ist eigentlich ein ganz normales, starkes Gefühl, das einen an die eigene Lebensenergie oder eben an das, was nicht funktioniert, erinnert. Sobald das Mädchen wütend wird, geht bei ihr – aus Sicht des Verstandeshirns - gar nichts mehr und sie ist blockiert.

Wir sind nun ganz langsam am Aufarbeiten, indem wir hinterfragen, wofür wir die Wut brauchen oder was es bringt, wütend zu sein. So lernt sie zu verstehen, warum sie schnell so reagiert. Aber das ist ein Prozess, es braucht Zeit um Veränderungen einleiten zu können. Über Eigenverantwortung kann ich mit dem Mädchen auch schon gut reden. Der Lehrerin, den Eltern, einer Situation oder gar sich selber die Schuld zu geben, nützt überhaupt nichts. Jemandem die Schuld zu geben, ist an ein Gefühl gekoppelt. Dieses Gefühl wird dann zu einem Problem, wenn es zu viel Raum einnimmt und wenn es nicht innert angemessener Zeit möglich ist aus dem Gefühl wieder raus zu kommen. Auf der Körperebene arbeite ich ganz konkret mit Stressabbautechniken. Wir suchen dann zusammen auch Übungen, zum Beispiel Atemübungen, leichte Dehnübungen oder Übungen aus dem Brain Gym®. Das sind Instrumente, die sie dann zur Hand hat, wenn wieder etwas passiert, was sie wütend macht. Zum Gelingen braucht es einerseits ihr Verständnis. Ganz wichtig ist aber auch der regelmässige Austausch mit den Eltern, denn Wut ist in jeder Familie ein Thema, wenn auch nicht das angenehmste. Auch das Gespräch mit der Lehrperson ist wertvoll. In diesem Fall hatte ich riesiges Glück: Ich wurde von der Lehrerin selbst kontaktiert und darf mich mit dem Einverständnis der Eltern mit ihr austauschen.

Das Lernhauskonzept ist also, wenn ich dich richtig verstehe, keine Anleitung wie man besser lernen kann, sondern man muss es als etwas Ganzheitliches verstehen. Es gibt nicht einfach Übungen, die man machen kann, sondern es geht darum, im Gespräch zu bleiben, etwas auszuprobieren und wenn möglich Bezugspersonen mit einzubeziehen.

Richtig. Was mir am Lernhauskonzept auch gefällt ist, dass alles so offen da ist. Es gibt da dieses Selbstverständnis für sich selber, also für das Kind oder den Jugendlichen, aber auch für den Erwachsenen.

Ich arbeite auch mit Erwachsenen. Es kann sein, dass sie zu mir kommen, weil sie plötzlich völlig blockiert sind, weil sie zum Beispiel einen Vortrag halten müssen oder ein Interview geben sollen. Da ist also eine Angst und dahinter stehen meistens Fragen wie: Komme ich gut an? Was passiert, wenn ich versage? Angst ist eigentlich unser Bodyguard und daher überlebensnotwendig. Wenn das Angstgefühl übermächtig wird, geht auf der Verstandesebene jedoch gar nichts mehr. Dann schauen wir gemeinsam genau hin. Ganz häufig sind es uralte emotionale Reflexe, die da...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Pädagogik - Erziehungswissenschaft

Weitere Zeitschriften

Archiv und Wirtschaft

Archiv und Wirtschaft

"Archiv und Wirtschaft" ist die viermal jährlich erscheinende Verbandszeitschrift der Vereinigung der Wirtschaftsarchivarinnen und Wirtschaftsarchivare e. V. (VdW), in der seit 1967 rund 2.500 ...

AUTOCAD & Inventor Magazin

AUTOCAD & Inventor Magazin

FÜHREND - Das AUTOCAD & Inventor Magazin berichtet seinen Lesern seit 30 Jahren ausführlich über die Lösungsvielfalt der SoftwareLösungen des Herstellers Autodesk. Die Produkte gehören zu ...

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum

Das Hauseigentum. Organ des Landesverbandes Haus & Grund Brandenburg. Speziell für die neuen Bundesländer, mit regionalem Schwerpunkt Brandenburg. Systematische Grundlagenvermittlung, viele ...

Demeter-Gartenrundbrief

Demeter-Gartenrundbrief

Einzige Gartenzeitung mit Anleitungen und Erfahrungsberichten zum biologisch-dynamischen Anbau im Hausgarten (Demeter-Anbau). Mit regelmäßigem Arbeitskalender, Aussaat-/Pflanzzeiten, Neuigkeiten ...

Deutsche Hockey Zeitung

Deutsche Hockey Zeitung

Informiert über das nationale und internationale Hockey. Die Deutsche Hockeyzeitung ist Ihr kompetenter Partner für Ihren Auftritt im Hockeymarkt. Sie ist die einzige bundesweite Hockeyzeitung ...

DULV info

DULV info

UL-Technik, UL-Flugbetrieb, Luftrecht, Reiseberichte, Verbandsinte. Der Deutsche Ultraleichtflugverband e. V. - oder kurz DULV - wurde 1982 von ein paar Enthusiasten gegründet. Wegen der hohen ...