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Schule und psychische Gesundheit

Risikobedingungen für emotionale Auffälligkeiten von Schülerinnen und Schülern

AutorLudwig Bilz
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl266 Seiten
ISBN9783531910727
FormatPDF
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis46,99 EUR
Die Verbreitung von Depressionen und Ängsten unter Jugendlichen hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Beeinflusst die Schule jenseits der Leistungsentwicklung auch die psychische Gesundheit von Schülern? Und wie macht sie das? Der Autor geht der Frage nach, welche Aspekte dieser für das Jugendalter zentralen Entwicklungsumwelt Risikofaktoren für Ängste, depressive Symptome und psychosomatische Beschwerden darstellen.


Dr. Ludwig Bilz ist Diplom-Psychologe, Psychologischer Psychotherapeut i. A., wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fakultät Erziehungswissenschaften der Technischen Universität Dresden und Mitglied der Forschungsgruppe Schulevaluation.



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Leseprobe
3 Entwicklungsprobleme in der Adoleszenz (S. 42-43)

Während im ersten Kapitel der normale Entwicklungsverlauf Ausgangspunkt der Betrachtungen gewesen ist, soll der Schwerpunkt jetzt auf abweichende Entwicklungen in der Adoleszenz gelegt werden. Welche Kriterien können für die Unterscheidung von angepassten und Fehlentwicklungen herangezogen werden und welche Störungskonzepte gibt es? In welchen Bereichen treten Entwicklungsprobleme auf und welche Modelle zur Erklärung ihrer Ursachen liegen vor?

3.1 Normalität, psychische Störung und Entwicklungsauffälligkeit

Die Verwendung des Begriffes Entwicklungsauffälligkeit impliziert, dass es neben der normalen Entwicklung so etwas wie eine gestörte oder problematische Entwicklung gibt. Die Unterscheidung von Normalität und Abweichung ist jedoch im Kindes- und Jugendalter besonders schwierig. Entwicklungsprozesse verlaufen in diesem Alter sehr schnell und gehen z. T. mit großen interindividuellen Unterschieden einher. Viele Entwicklungsabweichungen sind temporärer Natur und können später durchaus wieder ausgeglichen werden. Bestimmte Phänomene, wie z. B. Trennungsängste, werden für eine Altersphase als normal betrachtet, in einer späteren jedoch nicht mehr. Anhand welcher Kriterien ist nun über Normalität vs. Abweichung zu entscheiden? Die Soziologie hat sich mit dieser Frage intensiv auseinandergesetzt (vgl. Böhnisch, 2006, vgl. Lamnek, 1999).

Insbesondere am Beispiel aggressiven Verhaltens oder des Drogenmissbrauchs ist dabei deutlich geworden, dass diese Phänomene erst durch ihre gesellschaftliche Zuschreibung und Sanktionierung zu (von sozialen Erwartungen) abweichendem Verhalten werden. Im Jugendalter sei abweichendes Verhalten zudem „geradezu erwartbar", nicht zuletzt weil Jugendliche erst durch Regelverstöße lernen, was gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten ist (Schäfers & Scherr, 2005, S. 165). Die Jugendsoziologie kommt somit zu dem Schluss, dass abweichendes Verhalten überwiegend „ubiquitär und transistorisch" sei (Schäfers & Scherr, 2005, S. 161).

Für den Bereich der emotionalen Probleme bietet dieser Diskurs allerdings wenige Anknüpfungspunkte. Zwar haben Ängste und Depressionen durchaus eine Verhaltenskomponente, sie bieten sich aufgrund ihrer vorrangig intrapsychischen Etablierung jedoch kaum für gesellschaftliche Zuschreibungs- und Sanktionierungsprozesse an und sind – wie für das Jugendalter gezeigt werden konnte – selten vorübergehender Natur (siehe Kapitel 1). Für psychische Störungen hat die klinische Psychologie bzw. die Psychiatrie im Rahmen ihrer diagnostischen Klassifikationssysteme (DSM-IV, ICD-10)4 die folgenden Kriterien formuliert (Petermann, Niebank & Scheithauer, 2004):

- Devianz (von einer statistischen Norm oder von gesellschaftlichen Konventionen),
- Leidensdruck,
- psychosoziale Beeinträchtigung,
- Fremd- oder Selbstgefährdung.

Für Petermann, Niebank und Scheithauer (2004) erweist sich jedes dieser Kriterien bei genauerer Betrachtung als unzureichend, um psychische Störungen zu identifizieren. Wenngleich auch sie keine Definition von Abweichung vorlegen können, kritisieren sie für das Kindes- und Jugendalter die qualitative Trennung von Normalität und Abweichung und betonen, dass psychische Störungen Ergebnisse der gleichen Gesetzmäßigkeiten sind wie normale Entwicklungen und dass diese in ihrem Entwicklungsverlauf zu betrachten sind. Eine Umsetzung dieses Gedankens legt Sroufe (1997) mit seinem Modell der Entwicklungspfade vor.

Psychische Störungen entstünden demnach, wenn wiederholte Fehlanpassungen (verstanden als Nichtbewältigung von Entwicklungsaufgaben) das Kind oder den Jugendlichen vom positiven Entwicklungspfad abbringen, wobei jede Fehlanpassung die Bewältigung nachfolgender Entwicklungsaufgaben erschwert. Zwei Prinzipien der Entwicklungspsychopathologie können aus diesem Modell abgeleitet werden: Erstens, dass unterschiedliche Entwicklungspfade zu gleichen Störungen führen können (Äquifinalität) und zweitens, dass unterschiedliche Störungen auf den gleichen Entwicklungspfad zurückführbar sind (Multifinalität). Obwohl die Umkehr auf einen positiven Pfad an vielen Stellen möglich ist (z. B. durch Umweltveränderungen), wird dies umso unwahrscheinlicher, je länger ein negativer Entwicklungspfad verfolgt wurde.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
Vorwort8
Einleitung10
TEIL A: THEORETISCHER RAHMEN UND FORSCHUNGSSTAND16
1 Die Adoleszenz als Übergang zwischen Kindheit und Erwachsensein17
2 Die schulische Entwicklungsumwelt31
3 Entwicklungsprobleme in der Adoleszenz43
4 Internalisierende Auffälligkeiten in der Adoleszenz54
5 Zwischenresümee und Fragestellungen89
TEIL B: EMPIRISCHE UNTERSUCHUNG100
6 Methodischer Zugang101
7 Internalisierende Auffälligkeiten bei Schülerinnen und Schülern108
8 Die schulische Umwelt aus der Sicht von Schülerinnen und Schülern123
9 Schulbezogene Risikobedingungen für internalisierende Auffälligkeiten145
10 Klassenklima und internalisierende Auffälligkeiten im Entwicklungsverlauf194
11 Fazit216
Kurzzusammenfassung243
Abstract243
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen245
Verzeichnis der verwendeten Abkürzen249
Literatur251

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