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Schwesterherz - Schwesterschmerz

Schwestern zwischen Solidarität und Rivalität

AutorCorinna Onnen-Isemann, Gertrud Maria Rösch
Verlagmvg Verlag
Erscheinungsjahr2006
Seitenanzahl192 Seiten
ISBN9783864155918
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Die Beziehung zu unserer Schwester ist mitunter die längste unseres Lebens. Ihre Besonderheiten, Schönes und Schmerzliches fangen Corinna Onnen-Isemann und Gertrud Maria Rösch ein. Mithilfe vieler Beispiele sensibilisieren sie für dieses bedeutsame Beziehungsgeflecht und zeigen Wege für einen einvernehmlichen Umgang auf.

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Leseprobe

2
Der Unterschied von Schwesternschaft und Schwesterlichkeit


Aus der biologischen Tatsache heraus, dass zwei Frauen von den gleichen Eltern abstammen und damit als Schwestern bezeichnet werden, wird sehr schnell auch die emotionale Verbundenheit von Schwestern hergeleitet und vorausgesetzt. Man unterstellt ihnen so ein Verhalten, das sich durch Zusammengehörigkeit, Sanftheit und Fürsorge auszeichnet. Schwestern stehen damit unter einem doppelten Harmoniezwang: Zum einen sind sie biologisch verbunden und zum anderen stehen sie unter dem Erwartungsdruck, sich besonders weiblich zu verhalten. Mit weiblich sind hier vor allem kooperative und kommunikative Fähigkeiten gemeint.

Familiärer Zusammenhalt und Harmonie werden also bis heute stärker von Frauen und damit auch von Schwestern erwartet als von Männern und Brüdern. Da die Anfänge dieser Haltung sich vor rund zweihundert Jahren schnell etablierten, konnte sich diese Einstellung fest und nachhaltig in unserem Bewusstsein verankern.

Friedrich Schillers Ode An die Freude, 1824 von Ludwig van Beethoven als Teil seiner neunten Symphonie vertont, ist dafür ein schönes Beispiel. In ihr ist der Unterschied von Mann und Frau und damit auch der zwischen Brüdern und Schwestern außerhalb jeder Familienpsychologie manifestiert. Wie selbstverständlich heißt es dort: „Alle Menschen werden Brüder“. Auf dieses Missverhältnis weist die amerikanische Germanistin Ruth Klüger in einer pointierten Argumentation hin: „Eigentlich, so dachte ich, sollte es ‚Geschwister’ heißen, wenn auch Frauen gemeint sind.“2

Schillers Wortwahl beweist einmal mehr, wie selbstverständlich im 18. Jahrhundert Frauen aus bestimmten Denk- und Handlungszusammenhängen, in diesem Fall aus dem politischen Geschehen, ausgegrenzt wurden. Der Text hatte zur Entstehungszeit eine politische Aussage, die heute leicht vergessen wird, denn seine ursprüngliche Überschrift sollte „An die Freiheit“ lauten. Brüderlichkeit und Freiheit sind zusammen mit der Gleichheit die zentralen Forderungen der Französischen Revolution gewesen: „fraternité“, „égalité“ und „liberté“. Mit dem brüderlichen, d.h. gleichberechtigten Zusammenwirken aller Menschen (und darunter verstand man eben ausschließlich Männer) verband sich im 18. Jahrhundert also eine politische Zielvorstellung, die letztendlich erfolgreich war und zu heutigen Formen der Demokratie und politischen Ordnung führte.

Stillschweigend wurde in dieser gesellschaftlichen Entwicklung den Frauen der nicht-öffentliche Lebensbereich zugewiesen. Sie wurden und waren beschränkt auf die Privatheit, und zwar auf die Bereiche der Familie und des Hauses. Dort erfüllten sie eine komplementäre, d.h. eine die Aufgaben des Mannes ergänzende Funktion. Während er bezahlter Arbeit nachging, waren Frauen von dieser freigestellt, stattdessen waren sie für die Organisation des täglichen Lebens und der Kindererziehung verantwortlich. Zudem mussten sie für die emotionale Ausgestaltung der Partner- und Familienbeziehung Sorge tragen.

Wiewohl diese Aufgabenverteilung sich schrittweise über das ganze 18. Jahrhundert aus den gesellschaftlichen Verhältnissen ergab und somit kulturell erzeugt war, wurde sie zugleich als natürliche Eigenschaft der Frauen dargestellt. Die zeitgenössische Pädagogik ebenso wie Literatur und Philosophie der damaligen Zeit stellten gleichermaßen die Frau als die natürliche Ergänzung des Mannes dar und zementierten damit vor allem die persönlichen Rangunterschiede zwischen den Geschlechtern. In der so entstandenen Geschlechterpolarität blieb die Frau immer auf den Mann bezogen und damit in einem umfassenden Sinne von diesem abhängig.3

Weil Arbeit auch Selbstentfremdung und Konkurrenz bedeutete, sah man die weibliche Existenz als frei von solchen gesellschaftlichen Zwängen und begriff sie als ideal – und zwar für Frauen wie Männer, nur konnten die Männer einer solchen idealisierten Lebensweise nicht nachgehen. Dadurch gerieten Frauen aber wiederum in einen Zwang ganz anderer Art: Sie mussten diese ihnen zugewiesene Existenz auch ausfüllen und durften sich die den Männern zugeschriebenen Eigenschaften wie Rationalität, Selbstständigkeit und Intelligenz nicht zu Eigen machen. Heute ist die Begrenztheit und langfristig zerstörerische Wirkung der Stereotypen von Mann und Frau allgemein erkannt.

An Mozarts Oper Così fan tutte von 1790 lässt sich ablesen, welche utopische Hoffnung mit der weiblichen und speziell der schwesterlichen Existenz verbunden wurde. Die beiden Schwestern Dorabella und Fiordiligi werden von ihren Verlobten Ferrando und Guglielmo bewusst in einen inneren Konflikt gebracht. Die beiden Männer machen ihnen weis, in den Krieg ziehen zu müssen, sie kehren aber gleich nach dem Abschied von ihren Geliebten verkleidet zu ihnen zurück und beginnen aufs Heftigste mit den Frauen zu flirten. Diese bleiben aber völlig unbeeindruckt und sind standhaft. Erst als die beiden Männer vorgeben, sich aus Liebeskummer das Leben nehmen zu wollen, lassen sich die Schwestern dazu bewegen, ihre Zuneigung gegenüber den neuen Angebeteten einzugestehen. Dabei kommt es zu einem Partnertausch: Dorabella verliebt sich in Guglielmo, während Ferrando mit Erfolg um die etwas ängstlichere Fiordiligi wirbt. Letztendlich erhält er ihren Kuss als Zeichen ihrer Liebe. Daran zerbricht die Freundschaft der beiden Männer beinahe, denn obwohl sie die Tugendprobe inszeniert haben, beginnen sie zu streiten, nachdem sich ihre Verlobten dem jeweils anderen zuwenden. Am Ende wollen sie die Frauen sogar dafür bestrafen. Ein glücklicher Ausgang ist nur möglich, weil sich die Verführung und die Heirat als Inszenierung entpuppen.

Die Verbundenheit der Schwestern wird an keiner Stelle im Stück in Frage gestellt. Allein die emotionale Treue von Dorabella und Fiordiligi zueinander bestätigt also die Forderung nach Wahrhaftigkeit und Treue – ihr Verhalten zueinander entspricht also humanen Idealen.

Die Beziehung zwischen Mann und Frau in Così fan tutte ist von ganz anderer Qualität als das Verhältnis der beiden Männer zueinander, die sehr schnell zu Rivalen werden.

Dorabella und Fiordiligi verkörpern das menschliche Ideal von Treue deshalb besonders eindringlich, weil sie biologische Schwestern sind, die sich zueinander auch schwesterlich verhalten.4

Der ernste Kern dieser komischen Oper – die sehr oft unterschätzt wird – liegt darin, dass erstrebenswerte Ideale wie Wahrhaftigkeit, Treue und Freundschaft als gefährdet und nicht selbstverständlich verstanden und dargestellt werden. Mozarts Oper zeigt exemplarisch, dass in der Literatur und Musik des 18. Jahrhunderts harmonisch-utopische Formen überwiegen. Die biologische Schwesternschaft wird mit Schwesterlichkeit verbunden.

Insbesondere Schwesternfiguren in der Literatur waren dazu gedacht, Leserinnen und Lesern Möglichkeiten einer harmonischeren und damit humaneren Gestaltung der bürgerlichen Gesellschaft aufzuzeigen. Obwohl dieser Anspruch bereits damals schon in Frage gestellt wurde, wird diese Erwartung bis in die Gegenwart stereotyp an Schwestern herangetragen und ist heute ebenso schwer zu erfüllen wie damals. Nichtsdestotrotz geht von dem Stereotyp ein Erwartungsdruck aus; und wenn das Verhalten von Frauen den Vorstellungen nicht entspricht, droht ihnen die symbolische Sanktion, d.h., sie werden als lieblos und unweiblich wahrgenommen. Streitende Frauen und insbesondere Schwestern sind schneller Opfer eines Verdikts als Männer – man denke nur an Begriffe wie Zickenkrieg und Weiberstreit.

Das Stereotyp – Frauen seien sehr harmoniebedacht und hätten Mitgefühl – ist kulturell sehr stark verwurzelt. So wird es beispielsweise in unserem Denken und daher auch in unserer Sprache offenbar. Das Nomen Schwester – weibliches Kind der gleichen Eltern – hat eine biologische Bedeutung und kann sich auf weibliche Verwandte in einem weiteren Sinn beziehen. So heißt zum Beispiel Schwägerin im Englischen „sister-in-law“. Im Deutschen ist Schwester der gängige Ausdruck für Angehörige eines Nonnenordens oder für weibliches Personal in der Pflege. In beiden Fällen werden damit positive Aspekte wie Mitgefühl, Nähe, Zusammenhalt und Hilfe verbunden. Schwesterliches Verhalten erhält also allein durch das, was man mit dem Begriff assoziiert, den Rang eines Ideals, denn es bezeichnet indirekt ein positiv besetztes menschliches Verhalten.

Angesichts dieser Vielzahl von Bedeutungen, die das Wort...

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