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E-Book

Schwindel ohne Befund

Systematisches Training für Gleichgewicht und Sicherheit

AutorThomas Weiss
VerlagSüdwest
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783641215910
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
Dem Schwindel auf die Schliche kommen
Schwindel, Benommenheit, Schwanken, Herzklopfen und Angst bis hin zur Panik: Oft gibt es für diese Beschwerdebilder keinen eindeutigen pathologischen Befund. Neueste Forschungsergebnisse zeigen, dass Stress in Verbindung mit einer Veränderung der Atmung eine wesentliche Rolle spielt. Dieser Ratgeber klärt über die wahren Ursachen der verschiedenen Schwindelarten auf und gibt Ratschläge und Übungen an die Hand, mit denen sich Betroffene selbst helfen können.

Dr. med. Thomas Weiss, geb. 1952, ist Facharzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren, Umweltmedizin, Psychotherapie und Psychiatrie in Mannheim. Er ist bekannt aus der SWR-Sendung 'Praxis Doktor Weiss' und engagiert sich seit Jahrzehnten in der Öffentlichkeit für medizinische Themen. Darüber hinaus ist er Autor zahlreicher erfolgreicher Gesundheitsratgeber bei Südwest.

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Leseprobe

Kapitel 1


ÜBER DAS GLEICHGEWICHT


Das Gegenteil von Sehen ist Blindheit. Das Gegenteil von Hören ist Taubheit. Doch was ist das Gegenteil von Gleichgewichtswahrnehmung? Dafür kennen wir keinen Begriff. Wie kann das sein?

Schon im zweiten Monat einer Schwangerschaft, also bereits ganz am Anfang seiner Entwicklung, nimmt ein werdendes Kind Bewegung wahr. Nach der 12. Woche ist sein Vestibularorgan bereits voll funktionsfähig und in der Lage, den mütterlichen Handlungen „auf Schritt und Tritt“ zu folgen. Die Orientierung im Schwerkraftfeld der Erde ist uns Menschen demnach so selbstverständlich, dass wir für ihre Abwesenheit noch nicht einmal eine Bezeichnung besitzen. Zu wissen, wo unten und oben ist, bildet das Fundament unserer Informationsverarbeitung. Wenn diese grundlegende Orientierung im Raum nicht gegeben ist, verlieren wir den Halt, dann zieht es uns buchstäblich den Boden unter den Füßen weg.

Alles im Lot?


Solange alles in Ordnung ist, machen wir uns über das Gleichgewicht in aller Regel keine Gedanken. Es ist einfach selbstverständlich, sich frei zu bewegen, Fahrrad zu fahren oder auf einem Bein stehen zu können. Und wir bewundern Menschen, die auf diesem Gebiet besondere Fähigkeiten besitzen, etwa Turner oder Zirkusartisten.

Doch wenn das Gleichgewicht einmal aus den Fugen gerät, dann scheint die Welt aus den Angeln gehoben zu sein. Die gesamte Orientierung gerät ins Wanken. Wir werden in unseren Grundfesten verunsichert.

  WISSEN SCHÜTZT AUCH NICHT UNBEDINGT!

Über viele Jahre moderierte ich die Fernsehsendung Praxis Dr. Weiss beim SWR. In einer dieser Sendungen ging es um das Thema „Schwindel“. Als Gast hatte ich einen bekannten Hochschullehrer und Experten für Schwindel eingeladen. In einer Drehpause erzählte er mir, dass er eines Morgens mit einem heftigen Drehschwindel aufgewacht war. Die korrekte Diagnose sei ihm sofort in den Kopf geschossen: ein gutartiger Lagerungsschwindel (siehe hier). Doch trotz seiner richtigen Diagnose und obwohl er die schnell wirksame Therapie kannte, machte sich unmittelbar Panik in ihm breit. Wie man daran sehen kann, ist selbst ein Experte auf diesem Gebiet vor der völligen Verunsicherung nicht geschützt. – Wie er weiter berichtete, verschwand der Schwindel nach der entsprechenden Übung (siehe hier) schnell, und auch die Panikattacke klang ab.

Die räumliche Orientierung ist für uns Menschen wichtiger als jede andere Information über die Umwelt. Nicht zu wissen, welcher Wochentag oder wie viel Uhr es gerade ist, mag störend sein. Das Unwissen ruft vielleicht Irritation, aber keine Panik hervor. Wenn ein Mensch jedoch morgens aufwacht und nicht weiß, wo oben oder unten ist, wenn sich alles dreht, wenn er das Gefühl hat, zu kippen oder zu fallen, dann ist das ein zentraler Angriff auf seine physische und psychische Stabilität. Die fehlende Orientierung führt zu vollständiger Hilflosigkeit und dem Gefühl, schutzlos ausgeliefert zu sein. In den Frühzeiten der Menschheitsgeschichte, als wir noch als Jäger und Sammler lebten, wäre in einem solchen Fall die Begegnung mit einem hungrigen Löwen fatal ausgegangen. Möglicherweise haben die Panikgefühle oder Panikattacken der von Schwindel Betroffenen hier ihre biologischen Wurzeln.

Die Gleichgewichtsregulation


Für das Sehen haben wir Augen, für das Riechen die Nase, für das Hören die Ohren. Doch welches Organ ist für das Gleichgewicht zuständig? Wahrscheinlich fällt Ihnen als Erstes ein, dass das Gleichgewicht irgendetwas mit dem Innenohr zu tun hat. Das stimmt, aber es ist noch um einiges komplizierter, und ich möchte Ihnen einen kurzen Überblick darüber geben, wie unsere Körperhaltung und Orientierung organisiert sind.

Grundsätzlich hat die Natur zu Lösungen gegriffen, die große Ähnlichkeit mit Stabilisatoren oder Beschleunigungssensoren von Smartphones oder Videokameras haben. Dort befinden sich nämlich eine Reihe von Bewegungssensoren, die helfen, Neigung und Beschleunigung so zu messen, dass etwa ein Kamerabild stabilisiert wird, obwohl die Hände des Fotografen leicht wackeln.

Abb. 1. Der äußere Gehörgang wird innen vom Trommelfell begrenzt. Dahinter liegt das Mittelohr mit den Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel. Diese übertragen den Schall auf das Innenohr, wo er in der Hörschnecke (Cochlea) schließlich in elektrische Impulse umgesetzt wird. Angrenzend an die Hörschnecke liegt das Vestibularorgan, das aus drei Bogengängen und den beiden sogenannten Maculaorganen Sacculus und Utriculus besteht.

Oben und unten


Die erste und wichtigste Frage für die Orientierung lautet: Wo ist oben beziehungsweise unten? Dafür gibt es einen speziellen Sensor im Sacculus (lat. „Säckchen“) des Innenohrs. Er besteht aus Nervenzellen (Maculae, eigentlich „Flecke“) und deren Fortsätzen (Stereozilien), die in eine Art Gelatine eingebettet sind. Auf der Oberfläche der „Gelatine“ liegen kleine Steinchen zur Beschwerung. Diese Ohrsteinchen (Otolithen) bewirken das feine Ansprechen auf Bewegung. Die Steinchen (dabei handelt es sich um Kristalle aus Calciumcarbonat) sind klein, jeweils nur ein Zehntausendstel Millimeter groß, doch sehr zahlreich. Bei Erwachsenen liegen rund 20.000 dieser Otolithen auf jedem der beiden Sensoren.

Das ganze System ist in etwa senkrecht angeordnet, sodass bei einer Beschleunigung nach oben/unten die feinen Nerven verbogen werden. Durch die Krümmung der Fortsätze entsteht ein Signal, das vom Gehirn als vertikale Beschleunigung nach oben/unten interpretiert wird. Am deutlichsten wird das auf einem Trampolin oder beim Anfahren oder Abbremsen eines Fahrstuhls.

Abb. 2: Das Orientierungssystem im Innenohr zur Wahrnehmung der Richtung (oben/unten), Querschnitt des vertikal ausgerichteten Systems.

Links/rechts – vorne/hinten


Die Natur hat es sich bei der Frage der horizontalen Beschleunigung (links/ rechts beziehungsweise vorne/hinten) recht einfach gemacht: Dasselbe System wie für oben/unten wurde dupliziert und horizontal gekippt.

Abb. 3: Das Orientierungssystem im Innenohr zur Wahrnehmung der Richtung (links/rechts beziehungsweise vorne/hinten), Querschnitt des horizontal ausgerichteten Systems.

Es wird Utriculus („kleiner Schlauch“) genannt. Auf diese Weise erhalten wir mit dem gedoppelten Organ eine Orientierung zur Seite beziehungsweise nach vorne/hinten. Die etwa 40–70 Nervenzellen im Utriculus geben ständig ein gewisses Ruhesignal ab. Bei Beschleunigung nimmt dessen Frequenz dann zu.

Durch die Kombination von Sacculus und Utriculus ist also bereits eine erste Grundorientierung geschaffen. Die beiden Sinnesorgane dienen zur Wahrnehmung von geradlinigen oder linearen Beschleunigungen. Für jede Kopfstellung gibt es eine bestimmte Signal-Konstellation der vier Sensoren (zwei links und zwei rechts), und anhand deren kann das Gehirn die Position des Kopfs bereits errechnen.

Vielleicht werden Sie jetzt einwenden, dass Sie Ihre Kopfposition sehr wohl wahrnehmen können, obwohl Sie ganz entspannt in einem Sessel sitzen und keineswegs beschleunigt werden. (Wahrscheinlich registrieren Sie lediglich Ihre eigene Schwere und überlegen möglicherweise, ob Sie nicht ein paar Pfunde zu viel „draufhaben“.)

Tatsächlich unterliegen Sie aber auch in völliger Ruhe einer Beschleunigung! Nämlich der Erdanziehung, die einer Beschleunigung entspricht. Falls Ihnen dies nicht sofort plausibel ist, dürfen Sie sich damit trösten, dass die Äquivalenz von Erdanziehung und Beschleunigung erst von Albert Einstein im Jahr 1907 als „Äquivalenzprinzip“ beschrieben und später in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie weiterentwickelt worden ist. Der Sacculus kannte die Relativitätstheorie offenbar schon deutlich früher und nutzt die Erdbeschleunigung seit Jahrmillionen als probate Orientierungshilfe. Auch Wirbeltiere, Fische und sogar Pflanzen bedienen sich dieser „Hightech-Methode“, um oben von unten unterscheiden zu können.

Winkelbeschleunigung


Mit der Orientierung links/rechts, vorne/hinten sowie oben/unten ist uns bereits eine erste grobe Orientierung im Raum möglich. Was noch fehlt, ist die Drehbewegung. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von „Winkelbeschleunigung“, die wir beim Drehen um die eigene Achse oder auf einem Karussell erleben.

Abb. 4: Winkelbeschleunigung

Wie ein Schiff oder Flugzeug können wir unseren Kopf um drei Achsen bewegen. Wenn Sie nicken, als wollten Sie „Ja“ sagen, bewegen Sie den Kopf um die Y-Achse. Beim Kopfschütteln wie beim „Nein“ wird um die Z-Achse gedreht. Und wenn Sie den Kopf zu einem „Vielleicht“ neigen, rollen Sie um die X-Achse.

Mit diesen Bewegungen wäre die entwicklungsgeschichtlich sehr alte Kombination von Sacculus und Utriculus überfordert. Es wurden also weitere, „modernere“ Sensoren notwendig....

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