Pflegende in der stationären Altenhilfe zählen bereits heute zu den Berufsgruppen, die einer überdurchschnittlich hohen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt sind (Simon et al. 2005: 15-20; Kleina et al. 2012: 13; Lohmann-Haislah 2012: 90-91). Die Ursachen hierfür sind vielfältig (siehe Kapitel 3) und können unter anderem in dem Aufgabenfeld gesehen werden, welches sich in den letzten Jahren stark verändert hat. Frühe Entlassungen aus dem Krankenhaus, vermehrtes Auftreten von Multimorbidität und chronischen Erkrankungen führen zu gestiegenen Qualifikationsanforderungen (BGW 2007: 10). Darüber hinaus entstehen Herausforderungen in Zusammenhang mit der Arbeitsumgebung sowie der zeitlichen Gestaltung und der Arbeitsorganisation. Auch im Umgang mit den Bewohnerinnen und Bewohnern können Herausforderungen entstehen, insbesondere bei Vorliegen einer demenziellen Erkrankung (Zimber 1999: 171-172; Zimber et al. 2000: 65-70; Jennings 2008: 2-3). Fehlen die entsprechenden Bewältigungsressourcen, können diese Herausforderungen die physische und psychische Gesundheit der Pflegenden belasten (siehe hierzu auch Kapitel 4)
Bei den Pflegenden ist seit Längerem eine besorgniserregende Entwicklung des Krankenstandes zu verzeichnen. Beispielsweise meldeten sich mit knapp 60 % aller in der Altenpflege tätigen AOK-Versicherten überdurchschnittlich viele Personen mindestens ein Mal im Jahr krank. Auch die durchschnittlichen Ausfallzeiten lagen mit 21,3 Tagen deutlich über dem Durchschnitt von 17,7 Tagen (Küsgens 2005: 207). Bei den Versicherten der DAK, die im Gesundheitswesen tätig sind, ist ebenfalls eine überdurchschnittliche Erkrankungshäufigkeit sowie ein erhöhter Krankenstand festzustellen (DAK-Gesundheit 2012: 131). Allgemein kann ein schlechter psychischer Gesundheitszustand, das vermehrte Auftreten psychosomatischer Erkrankungen (BMFSFJ 2006: 86) sowie ein hoher Krankenstand, bedingt durch häufige und lange Krankschreibungen (Westermayer/Brand 2012: 73), konstatiert werden. Infolgedessen besteht häufig auch der Wunsch den Beruf frühzeitig zu verlassen, wodurch die durchschnittliche Verweildauer im Pflegeberuf stark verkürzt ist. So scheidet die Hälfte der AltenpflegerInnen, die im Alter von 20 bis 24 Jahren in den Beruf eintreten, bereits 3,5 Jahre nach Beginn ihrer Erstbeschäftigung wieder aus dem erlernten Beruf aus. Die Wahrscheinlichkeit den Beruf zu verlassen ist in dieser Gruppe dabei fast drei Mal so hoch wie bei Beschäftigten in der Krankenpflege (Behrens et al. 2008: 29-31).
Hieraus wird deutlich, dass die aktuellen Gegebenheiten dazu beitragen, den bestehenden Fachkräftemangel in der Pflege weiter zu verstärken. Aktuell sind über 14.000 Stellen unbesetzt. Dabei kommen in den Jobcentern auf 100 offene Stellen lediglich 37 BewerberInnen (BMG 2013: 1). Die zukünftige Entwicklung kann ebenfalls als bedenklich angesehen werden. Die größten personellen Engpässe sind in den stationären Einrichtungen beim nicht-ärztlichen Personal, das heißt, unter anderem bei Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pflegern sowie Altenpflegerinnen und -pflegern zu erwarten. Es ist davon auszugehen, dass im Jahr 2030 bereits über 350.000 Vollzeitkräfte fehlen werden (Ostwald et al. 2010: 50-51). Durch den Anstieg der Zahl der Pflegebedürftigen, in Kombination mit einem Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials[1] ist sogar von einem Mangel an Fachkräften im Umfang von bis zu 492.000 Vollzeitäquivalenten auszugehen (Rothgang et al. 2012: 54). Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass sich diese Situation in Zukunft weiter verschärfen wird und die Herausforderungen für die Pflegenden zunehmen werden. Demgegenüber ist zu befürchten, dass sich die Ressourcen, wie beispielsweise die soziale Unterstützung aus dem Arbeitsumfeld, rückläufig entwickeln. Neben dem quantitativen Arbeitsanstieg ist besonders der demografische Wandel von Bedeutung, der als einer der zentralen Einflussfaktoren auf den Fachkräftemangel sowie auf die künftigen Herausforderungen für die Pflegenden betrachtet werden kann.
Demografisch betrachtet ist die Bevölkerung in Deutschland eine der ältesten weltweit. Seit der demografischen Wende zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben in Deutschland mehr Menschen über 60 Jahre als unter 20 Jahre. Insgesamt ist die Bevölkerungsstruktur von einer dreifachen Alterung geprägt: Durch die steigende Lebenserwartung nimmt die absolute Zahl der über 60-Jährigen zu. Zudem führt der anhaltende Geburtenrückgang dazu, dass der Bevölkerungsanteil der über 60-Jährigen den der unter 20-Jährigen im Laufe der demografischen Wende übersteigt. Außerdem nimmt der Anteil der Hochaltrigen (80 Jahre und älter) in der Gruppe der über 60-Jährigen stark zu (Hoffmann et al. 2009: 21-27; Kuhlmey/Blüher 2011: 185-186; Sütterlin et al. 2011: 14-15).
Das Altern bzw. das Alter muss zwar nicht zwingend mit Krankheit einhergehen, dennoch ist festzustellen, dass mit steigendem Lebensalter die Krankheitsprävalenz ansteigt (Saß et al. 2009: 32; Kuhlmey/Blüher 2011: 189). Dieser Umstand sowie das vermehrte Auftreten von Multimorbidität (Saß et al. 2009: 55-56; Kuhlmey/Blüher 2011: 189-190), worunter das zeitgleiche Bestehen von mehreren Krankheiten zu verstehen ist, führen mit steigendem Lebensalter zu einem Anstieg des Pflegerisikos (Kuhlmey/Blüher 2011: 190). In Deutschland sind insgesamt etwa 2,5 Millionen Menschen pflegebedürftig. 83 % dieser Personen sind 65 Jahre oder älter und 36 % sind mindestens 85 Jahre. Der Großteil hiervon wird in der häuslichen Umgebung versorgt, dennoch steigt die Zahl der Pflegebedürftigen, die auf eine vollstationäre Pflege im Heim angewiesen sind, kontinuierlich an. Dies trifft insbesondere auf die wachsende Gruppe der über 85-Jährigen zu, die aktuell über 50 % der HeimbewohnerInnen bilden (Pfaff 2013: 5-8). Dementsprechend ist davon auszugehen, dass die Pflegenden, deren Situation ohnehin schon durch hohe Belastungen und einen Mangel an Fachkräften gekennzeichnet ist, hierdurch vor weitere Herausforderungen gestellt werden.
Eine der zentralen Herausforderungen stellt in diesem Zusammenhang die Zunahme von demenziellen Erkrankungen dar (Brüggemann et al. 2009: 148; Bartholomeyczik/Holle 2012: 945). Im höheren Lebensalter gehören Erkrankungen aus dem Formenkreis der Demenz zu den häufigsten psychiatrischen Erkrankungen, deren Prävalenz mit zunehmendem Lebensalter deutlich steigt. Liegt diese bei den 65 bis 69-Jährigen noch bei etwa 1,5 %, steigt sie bei den über 90-Jährigen auf über 30 % an. Ausgehend von einer Gesamtprävalenz von ungefähr 7 % (Weyerer 2005: 11) ist zu erwarten, dass aktuell etwa 1,3 Millionen Menschen in Deutschland an einer Demenz erkrankt sind (Weyerer et al. 2001: 9; Weyerer 2005: 11; Sütterlin et al. 2011: 14). Auf Grundlage von Meta-Analysen konnte eine jährliche Inzidenzrate zwischen 1,4 % und 3,2 % ermittelt werden, wodurch zu vermuten ist, dass jährlich über 200.000 Neuerkrankungen auftreten (Weyerer 2005: 14-15). Unter Beachtung der Sterberate ist eine jährliche Steigerung von etwa 20.000 Neuerkrankungen zu erwarten (Brüggemann et al. 2009: 28). In Verbindung mit der gestiegenen Lebenserwartung lassen diese Daten den Schluss zu, dass sich diese Situation in Zukunft zunehmend verschärfen wird. Gleichzeitig nimmt das familiäre Pflegepotenzial, gleichfalls bedingt durch den demografischen Wandel, weiter ab. In der Folge kann der institutionalisierten Versorgung von Menschen mit Demenz eine steigende Bedeutung beigemessen werden (Weyerer et al. 2001: 9; Sütterlin et al. 2011: 32), wodurch Pflegende häufiger mit der Versorgung dieser Personengruppe konfrontiert werden.
Demenzielle Erkrankungen gelten jedoch auch heute schon als wichtigster Grund für einen Heimeinzug. Etwa zwei Drittel aller HeimbewohnerInnen sind an einer Demenz erkrankt (Weyerer 2005: 21; Schäufele et al. 2007: 169; Kuhlmey 2011a: 47) und viele von ihnen weisen neuropsychiatrische Symptome auf (Kuhlmey 2011a: 47). Ein wesentliches Merkmal dieser Erkrankung besteht in dem sogenannten dissoziativen Zustand, das heißt der fehlenden Kontrolle über die eigenen Handlungen. Dieser Zustand führt zu völlig anderen Pflegesituationen als bei Krankheiten geistig rüstiger BewohnerInnen, da diese ihre Symptome und Bedürfnisse noch adäquat äußern und reflektieren können (Lima et al. 2013: 16-17). Demnach stellen demenzielle Erkrankungen im Allgemeinen und die mit den neuropsychiatrischen Symptomen einhergehenden Verhaltensauffälligkeiten im Besonderen, welche unter dem Begriff der „herausfordernden Verhaltensweisen“ bzw. im englischsprachigen Raum als „behavioral and psychological symptoms of dementia“ (BPSD) diskutiert werden, eine große Herausforderung für Pflegende dar (Bartholomeyczik et al. 2006: 8; Weyerer et al. 2006: 14; Garms-Homolová 2011: 408-409; Buchmann/Held 2013: 81-82). Zu diesen Verhaltensweisen zählen sowohl aktive Handlungen, wie beispielsweise Agitation, vokale Störungen oder Umherwandern, als auch passives Verhalten wie Apathie oder Rückzug[2] (Bartholomeyczik et al. 2006: 13-17; Brüggemann et al. 2009: 79-80).
Unter Agitation sind laut Halek und Bartholomeyczik (2006: 31-33) unangemessene Aktivitäten zu verstehen, die sowohl motorisch als auch...