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E-Book

Sehnsucht Israel

Mein Leben zwischen Kippa, Küche und Koriander

AutorTom Franz
VerlagGütersloher Verlagshaus
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783641216559
FormatePUB
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis15,99 EUR
»Ich lebe heute so, dass ich morgen nichts bereue.« (Tom Franz)
Man nehme eine sympathische Persönlichkeit, eine spannende, länderübergreifende Lebensgeschichte und würze mit dem Trendthema Kochen - fertig ist ein wunderbares Buch für viele Geschmäcker.
Als Tom Franz 2013 Sieger der israelischen Ausgabe des Fernseh-Kochwettbewerbs »MasterChef« wurde, lebte er schon neun Jahre als konvertierter Jude in Israel. Popularität und Beliebtheit des »kulinarischen Botschafters« und »Brückenbauers« zwischen Israel und Deutschland sind eng verknüpft mit seiner besonderen Vita. In diesem Buch erzählt Tom Franz, wie aus einem Anwalt ohne Leidenschaft ein leidenschaftlicher Koch und Jude wurde.

Thomas 'Tom' Franz, geboren 1973 in Köln, ist ein deutscher Rechtsanwalt und Hobbykoch. 2013 gewann er den Fernseh-Kochwettbewerb der israelischen Ausgabe von MasterChef und wurde dadurch international bekannt. Dieser Erfolg machte ihn zu einem 'kulinarischen Botschafter' und 'Brückenbauer' zwischen Israel und Deutschland. Tom Franz lebt mit seiner Frau Dana und seinen vier Kindern in Tel Aviv.

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Leseprobe

1. LIEBESWÜNSCHE AN DER KLAGEMAUER

Als ich bewusst meiner ersten Israelin begegnete, war ich ein Archivar und Sammler. Ein Archivar von verschiedensten Dingen, in dieser Zeit aber hauptsächlich von Platten und Musikkassetten. Es war eine Sammlung, die mir heilig war. Jede Platte hatte ihren Platz, jede Aufnahme, die ich aus dem Radio und seinen Hitparaden mitschnitt, wurde ordentlich aufgelistet. Und war die Kassette bespielt, wurde sie beschriftet. Stundenlang konnte ich mich damit beschäftigen. Meine erste Schallplatte war eine von Elvis Presley gewesen, und als ich entdeckte, wie günstig man auf Trödelmärkten Vinylplatten erstehen konnte, gab es kein Halten mehr. Im Keller meines Vaters stehen sie noch immer, einschließlich der Studentenzeit kamen rund 4000 Stück zusammen, das sind etwa zwölf Meter. Ob ich alle gehört habe? Ich bin mir da nicht sicher. Aber ich wusste, was drauf war, vieles war ja im Radio gelaufen. Und da ich auch klassische Musik nicht ausließ, lernte ich nicht nur diese kennen und lieben, sondern auch, welcher Dirigent was aufgenommen hatte. Ganze Boxen von Opern und Symphonien fanden ihren Weg vom Flohmarkt in mein Zimmer.

Mein zweieinhalb Jahre jüngerer Bruder Robert hatte seit frühester Kindheit viel Fantasie und war in der Lage, sich die tollsten Spiele auszudenken. Ich weiß nicht, ob ich keine Fantasie besaß, aber ich war niemand, der sich lange mit Spielsachen beschäftigen konnte. Statt sich in die Welt eines Ritters oder eines großen Abenteurers hineinzudenken, der sich durch die Lüfte bewegte, baute ich auf. Ich konnte gut aufbauen und sortieren.

Die Platten und Kassetten waren eine späte Sammelleidenschaft, als Kind hatte ich mit Elefantenfiguren angefangen. Die nächste Attraktion waren Kronkorken. In einer riesigen Kiste hütete ich Kronkorken verschiedenster Flaschen aus Belgien, Frankreich, Holland oder Deutschland und ebenso Streichholzschachteln. Bierdeckel folgten – da wir in der Nähe von Köln wohnten, war das natürlich ein gefundenes Fressen. Doch das war längst nicht alles. Trinkdosen kamen hinzu, unterschiedlichste Cola-Dosen und was es da nicht so alles gab. Der Keller meines Vaters musste auch dafür herhalten, zwei Müllsäcke stehen dort noch heute voll mit diesen Dosen herum. Briefmarken wurden ebenfalls nicht von mir verschmäht, da wurden Werte bestimmt und mit Freunden, die ähnlich sammelverrückt waren wir ich, getauscht, Alben angelegt.

Ich sammelte aber nicht nur, ich machte in meiner Freizeit parallel Sport, und zwar intensiv. Mannschaftssportarten wie Fuß- oder Basketball interessierten mich nicht, aber in der Leichtathletik startete ich durch. Tauchte die Abendsonne den Sportplatz in goldenes Licht und fielen tiefe Schatten auf die rotbraunen Aschenbahnen, fiel mir jedoch auf, wie eckig meine Schultern waren. Die anderen Sportler waren rund, wo ich kantig war. Ich konnte superschnell laufen, weit und hoch springen, aber ich besaß kaum Muskelmasse. Das wollte ich ändern, weshalb ich parallel mit Krafttraining anfing. In der Garage meiner Eltern stand eine Hantelbank, die ich selbst im Winter aufsuchte, auch wenn draußen Minusgrade waren und die Eisen in dem Raum so kalt, dass ich mir Handschuhe anziehen musste, damit meine Finger nicht an ihnen festfroren. Bei lauter Musik aus dem Kassettenrekorder, mit Nebel vor dem Mund machte ich meine Übungen und merkte nicht, dass ich längst schon mein Ziel erreicht hatte und für einen Leichtathleten fast schon zu kräftig wurde.

Und in dieser Zeit des Plattensammelns und des Trainings, im Herbst 1989, ich war sechzehn, fielen die Israelis bei uns in Erftstadt-Lechenich ein, zwanzig Kilometer von der Rheinmetropole Köln entfernt – und veränderten mein Leben. Wie jeden Morgen lief ich um den Block, um wenig später vor dem Gymnasium darauf zu warten, dass die Tore geöffnet wurden. Wir wohnten unmittelbar neben dem Schulgebäude, ich hätte bis Viertel vor acht schlafen können, um dann immer noch rechtzeitig zum Unterrichtsbeginn in meiner Klasse aufzutauchen, aber so einer war ich nicht. Ich stand wahrscheinlich genauso früh auf wie jemand, der von weit her mit dem Bus zur Schule fuhr. Stets war ich der Erste, der vor den verschlossenen Türen stand, bis der Hausmeister sie öffnete. Doch an diesem Tag war mir ein anderer Schüler zuvorgekommen. Michael. Das war an sich schon ungewöhnlich, aber noch auffälliger war, dass er nicht allein war. Neben ihm stand eine junge Frau, die ich noch nie gesehen hatte. Sie hatte etwas Orientalisches an sich, das ich vom ersten Moment an sehr mochte. Diese junge Frau war zwar nicht mein Typ, ohne dass ich sagen konnte, was denn mein Typ genau war, aber sie fiel auf. Gewaltig.

»Die Israelis sind da«, sagte Michael, der wohl meinen staunenden Blick bemerkt hatte. »Die Austauschschüler.«

Stimmt. Jetzt hatte ich die Erklärung für die faszinierende Fremde. Aber sahen Juden so orientalisch und so gut aus? Bislang hatte ich durch den Schulunterricht nur von deutschen Juden, von europäischen Juden gehört, die von den Nazis verfolgt, in KZs transportiert, gefoltert und getötet wurden. Grausam und bestialisch. In meiner Vorstellung hatten die Menschen, denen man so viel Leid angetan hatte, so wie ich ausgesehen, wie mein Bruder und all die Menschen um mich herum. Die Sepharden, jene Juden, die etwa im Maghreb oder in anderen arabischen Staaten lebten, hatte ich völlig außer Acht gelassen. Hatte nur die aschkenasischen Juden im Blick gehabt, die ihre Wurzeln in Europa hatten. Überhaupt sollte es noch lange dauern, bis ich, ein Deutscher, bei Juden zwischen einzelnen Herkunftsländern und den verschiedenen religiösen Levels unterscheiden konnte. Dafür musste ich mich erst näher mit ihnen befassen und einen entsprechenden Blick entwickeln.

Eine ganze Gruppe junger Israelis, achtzehn Leute, wollten unser Land kennenlernen und waren dazu an unser städtisches Gymnasium gekommen. Deutschland, das für sie ein Synonym für die Ermordung von sechs Millionen Juden war, für die »Schoah«.

Die Israelis waren aber nicht nur äußerlich auffällig, sie waren insgesamt anders. Solchen Menschen war ich bislang nie begegnet. Wie sie sich verhielten, selbstverständlich und selbstbewusst, wie sie tanzten, wie sie sangen – ich sog alles in mich auf. Nicht einmal nach reichlich Biergenuss hätte ich mich so locker und unbeschwert bewegen können, und denen war das möglich, obwohl sie vollkommen nüchtern waren. Auf den Partys, die fast jeden Abend für sie veranstaltet wurden, tranken sie nämlich fast keinen Tropfen Alkohol. Sie hatten so viel Spaß, versprühten so viel Lebensfreude. Sie hatten nicht einmal ein Problem damit, dass sie in Deutschland waren. Konnte das sein? Sie trugen ähnliche Sportklamotten wie wir, schwarze Turnschuhe, sie liebten die Musik von U2, Pink Floyd, Prince und Sinéad O’Connor und kannten die gleichen Filme. Mein Lieblingsfilm war zu dieser Zeit: Der Club der toten Dichter.

»Carpe diem« wurde mein Motto. Das Gedicht von Henry David Thoreau, US-amerikanische Aussteiger, der zwei Jahre, zwei Monate und zwei Tage im Wald in einer Hütte am Walden Pond gelebt hatte, rüttelte mich wach: »Ich ging in die Wälder, denn ich wollte bewusst leben; intensiv leben wollte ich. Das Mark des Lebens in mich aufsaugen, um alles auszurotten, was nicht Leben war. Damit ich nicht in der Stunde meines Todes gewahr würde, dass ich gar nicht gelebt hatte.« Und Robert Frost schrieb das Gedicht »Der Weg, den ich nicht nahm«, davon prägte sich mir Folgendes tief ein: »Zwei Wege boten sich mir dar, / Und ich – ich nahm den Weg, der weniger begangen war, und das war der ganze Unterschied.«

Nicht einen Moment lang konnte ich das Bild der Juden, das ich bislang im Geschichtsunterricht kennengelernt hatte, die schrecklichen Aufnahmen aus den KZs, die Karikaturen aus der NS-Propaganda, die Klischees, mit dem übereinbringen, was sich da vor meinen Augen abspielte. Was ist eigentlich ein Jude?, fragte ich mich. Die schönen Seiten der Juden hatten wir nie zu hören bekommen, immer nur die Gräuel der Nationalsozialisten, die Ungerechtigkeiten, die den Juden widerfahren waren. Letztlich war es nur ein Puzzle in einem viel größeren Bild.

»Gefallen dir die israelischen Mädchen?«, fragte mich ein Freund, der in einer Pause neben mir stand und meine Blicke richtig gedeutet hatte.

»Ja, klar«, bejahte ich.

»Du bist groß, du siehst nicht schlecht aus«, fuhr er fort. »Wenn du mit den Fingern schnippst, klappt es vielleicht.«

Ich sah ihn ungläubig von der Seite an, schnippte aber trotzdem mit den Fingern.

Keine fünf Minuten später sprach mich das Mädchen an, das ich am Morgen zusammen mit Michael gesehen hatte. Sie stellte sich unkompliziert vor.

»Ich heiße Meytal.«

Es war keine Anmache, so wie sie sich mir näherte. Sie wollte mich einfach nur kennenlernen, mich in die Gruppe einbinden. Auch das machte sie völlig selbstverständlich, so wie ich es nie zuvor erfahren hatte.

Es gab nur einen Moment der mich zusammenzucken ließ. Einer der Austauschschüler, mit dem ich bislang kein Wort gewechselt hatte, fragte mich völlig unvermittelt: »Was haben eigentlich deine Großeltern während des Zweiten Weltkriegs gemacht?«

»Ich … ich weiß es nicht so genau«, stotterte ich.

»Mein Großvater hatte eine Nummer am Arm. Er wurde von Berlin nach Auschwitz deportiert.«

Mit hochrotem Kopf stand ich da. In diesem Augenblick war mir bewusst geworden, dass die Generation meiner Großeltern seinen Großvater ins KZ gebracht hatten.

»Komm, lass gut sein«, sagte er und stieß gegen meine Schulter...

Blick ins Buch

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