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Serengeti darf nicht sterben

367000 Tiere suchen einen Staat

AutorBernhard Grzimek, Michael Grzimek
VerlagPiper Verlag
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl384 Seiten
ISBN9783492972765
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis12,99 EUR
Wir müssen fliegen lernen. Diese Worte des 23-jährigen Wildtierenthusiasten Michael Grzimek, Sohn von Bernhard Grzimek, stehen am Anfang eines der ganz großen Abenteuer des internationalen Naturschutzes. Im Jahre 1957 fliegen Vater und Sohn mit ihrer Dornier-27 in Zebrastreifen-Lackierung nach Afrika, um das Wanderverhalten der großen Herden der Serengeti zu studieren, ihre Tierbestände zu erfassen und so die willkürliche Festlegung von Wildparkgrenzen zu verhindern. Eine legendäre Pioniertat. Während ihres Aufenthalts nähern sie sich nicht nur den Wildtieren, sondern suchen das Gespräch mit den Bewohnern der Steppe, und dies, anders als die Kolonialherren, von Gleich zu Gleich. Serengeti darf nicht sterben hat unser modernes Umweltbewusstsein geprägt wie kein zweites Buch.

Bernhard Grzimek, am 24. April 1909 in Neisse geboren und am 13. März 1987 in Frankfurt am Main gestorben, schloß sein Studium der Veterinärmedizin und Zoologie 1932 in Berlin mit der Promotion ab. Nach dem Krieg wurde er Universitätsprofessor und übernahm die Leitung des Frankfurter Zoos. Für seinen Dokumentarfilm »Serengeti darf nicht sterben« erhielt er als erster Deutscher den Oscar. Legendär wurde seine Fernsehserie »Ein Platz für Tiere«, die ab 1956 in 175 Folgen ausgestrahlt wurde. Grzimek gilt bis heute als einer der erfolgreichsten deutschen Naturschützer und Tierfilmer.

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Leseprobe

Im Ngorongoro-Krater

Gott, du voll Liebe und Güte, der du die Welt so schön gemacht hast und alle Kreatur, die geht und fleucht, angewiesen hast, dass sie deinen Ruhm verkünde, ich danke dir bis an mein Ende, dass du mich unter sie gestellt hast.

Franz von Assisi

Da sind wir nun. Zehntausend Kilometer von Frankfurt weg, in Ostafrika, in der Gegend des Victoriasees. Etwa auf dem gleichen Längengrad wie Leningrad und auf dem Breitengrad des Amazonasstroms in Brasilien. Vierhundert Kilometer südlich vom Äquator; so weit ist Köln von Bremen entfernt. Wir sind glücklich angelangt, mein Sohn Michael und ich, aber wir fühlen ein leises Unbehagen. Werden wir auch wirklich fertig bringen, wessen wir uns unterfangen haben?

Wir sollen den 12 500 Quadratkilometer großen Serengeti-Nationalpark in Tanganjika erforschen. Für Afrikas Riesenmaße ist das nicht viel, nur fünfmal die Fläche des Saarlandes oder knapp die Größe von Schleswig-Holstein, der zwanzigste Teil unserer westdeutschen Bundesrepublik. Aber die Grenzen dieses »Parks« sind nicht in der Wirklichkeit, sondern nur auf Kartenskizzen, auf dem Papier, zu entdecken. Er ist immerhin zweihundert Kilometer lang; mal liegt das Gelände zwölfhundert, mal über dreitausend Meter hoch. Eine einzige »Straße« geht hindurch, und auch die nur zur Hälfte. Obendrein ist sie drei Monate im Jahr sogar mit dem Geländewagen nicht befahrbar.

Und dabei ist diese Wildnis gar nicht einmal dünn bevölkert. Ihre Einwohner können sich an Kopfzahl beinahe mit europäischen Staaten messen: über eine Million sollen dort leben, steht in Büchern und Prospekten geschrieben. Allerdings nicht Menschen, sondern Vierbeiner, vom Elefanten herunter bis zu den ziegengroßen Gazellen, von dem kleineren Getier gar nicht zu reden.

Die Serengeti ist der letzte Fleck in Afrika, wo es noch Riesenherden gibt, die über die Steppen stampfen wie einst das Meer der Bisons über die Graswellen der Prärien Nordamerikas. Hier leben die meisten und die schönsten Löwen. Wir zwei aus Frankfurt haben uns einen Plan ausgedacht, wie wir dieses Ameisenstaatgewimmel doch auszählen und herauskriegen können, woher die Riesenarmeen kommen und wohin sie ziehen. Aber noch nie hat man so etwas in Afrika versucht. Werden wir es wirklich schaffen?

Zuerst hatten wir den Plan, einfach das ganze Gebiet mit der Luftbildkamera zu fotografieren, dann eine Aufnahme an die andere zu setzen und, wie auf einer Landkarte, jedes Tier zu zählen. Aber ein Gnu ist auf solch einem Riesenbild ein kleiner Punkt. Wenn man Gnus von Zebras und Zebras von Gazellen unterscheiden will, dann muss man mit dem Flugzeug unter tausend Metern bleiben und eine nicht gar so große Fläche auf ein Foto nehmen. Und das heißt, so haben wir seufzend nach Luftbildtabellen ausgerechnet, dass wir fünfzigtausend Serienbilder knipsen müssen. Kostenpunkt, auch wenn wir es selber machen, über 250 000 DM … So viel hat uns unser Film nicht eingebracht. Also müssen wir gleich im Fluge, vom Flugzeug aus, zählen.

Ob das geht, und ob es wirklich genau geht, probieren wir erst in einem Zoologischen Garten aus, in dem die Tiere eingezäunt leben und uns während unserer Zählung nicht weglaufen können.

Es ist, nebenbei gesagt, der größte Zoo der Welt. In ihm leben neuntausend große Tiere. Seine lückenlosen Umfassungsmauern sind sechs- bis siebenhundert Meter hoch. In diesem Tierpark hätten ganz Berlin und Umgegend bequem Platz. Das Ganze ist nichts anderes als ein riesiger, erloschener Krater, der größte auf unserer Erde – der Ngorongoro-Krater. Wo einmal Lava brodelte, da dehnt sich jetzt unten eine riesige, von steilen Kraterwänden umgebene grüne Weidefläche.

Wir wollen, was wir von der Luft aus besehen, erst auf der Erde kennen lernen. Denn es ist gar nicht so leicht, Tiere aus der Vogelschau voneinander zu unterscheiden. So fahren wir in unserem Geländewagen von Aruscha aus auf guter, in der ersten Hälfte sogar geteerter Straße in vier Stunden bis zu dem Hochland der Riesenkrater.

Der Wagen rollt durch die Buschsteppe, an einem Gebirge vorbei, erst in ein tiefes Tal hinunter und dann an der anderen Seite in die Höhe. Je höher er kommt, umso größer und dichter werden die Bäume, bis wir richtig im Wald sind. Oben am Rand des Kraters hört der Urwald für eine Strecke auf, wir blicken nach rechts.

Michael hält wie erschrocken an, stoppt den Motor, und wir steigen aus. Mein Sohn hat die Angewohnheit, ein wenig den Kopf zurückzunehmen und die Nasenflügel zu weiten, wenn ihn etwas packt. Auch ich bin ergriffen. Ausrufe der Bewunderung geben wir beide nur vor Begleitern ab, die das von uns erwarten. Hier können wir ganz still sein. Wir blicken stumm auf eines der Wunder unserer Erde.

Man kann die Ausmaße dieses Riesenrundes gar nicht recht ausmalen; es fehlt jeder Vergleich. Denn da unten gibt es kein Haus, keinen Acker, keinen Telefonmast. Aber der Teich dort an der einen Seite ist doppelt so groß wie der Müggelsee. Wenn wir nicht beide schon Flieger wären, hier würden wir die Sehnsucht bekommen, über den Steilhang des grünen Kraterrandes hinwegzugleiten und hinzuschweben über diesen Zoo, den Gott selbst sich angelegt hat.

57 199 Zebras zählten wir in der Serengeti-Steppe.

Der König der Tiere muss einem noch Stärkeren weichen.

Wie viele Gnus sind auf diesem Bild? Es sind über ein halbes Tausend.

Die Grant-Gazelle ist die größere von den beiden Gazellenarten, die in der Serengeti weit verbreitet sind. Sie ist benannt nach dem englischen Naturforscher James Augustus Grant, der in dieser Gegend reiste und von 1860 bis 1864 die Nilquellen erforschte.

Wir übernachten bei Gordon Harvey, einem der beiden Game Wardens des Nationalparks. Game Warden heißt so viel wie Wildhüter, Wildschutzbeamter.

Der Garten seines Hauses ist überwuchert von roten, blauen und goldenen Blumen, an denen glitzernde Honigvögel saugen und Chamäleons grellgrün leuchten. Das Haus der Harveys liegt in einer Lichtung des Nebelwaldes. Die Wände des Wohnzimmers haben hier und da feuchte Flecke; sie sind unvermeidbar, aber Frau Harvey hat diesen Flecken Augen, lachende Wangen, Locken und Glieder mit leichten Strichen lustig angezaubert. So sind Posaunenengel daraus geworden, die mit vollen Backen pusten, und Zebras, die in Wolken galoppieren.

Wie wir uns zu Tisch setzen, bringt Harveys schwarzer Koch noch Essig und Öl dazu und sagt erklärend: »Die Deutschen wollen das zum Salat haben.« Er hat vor fünfundzwanzig Jahren bei einem deutschen Farmer gearbeitet und zeigt uns stolz ein vergilbtes und abgegriffenes Zeugnis.

Nach Tisch treten wir noch einmal vor die Tür. Drüben am Waldrand stehen zwei Kaffernbüffelstiere. Sie käuen wieder und sehen uns an.

Gegen Abend lodert das Holz in den Kaminen, auch bei uns im Schlafzimmer. Wir sind hier 2700 Meter hoch, fast so hoch wie auf dem Gipfel der Zugspitze.

Am nächsten Morgen arbeitet sich unser zebragestreifter Wagen stundenlang oben am Kraterrand auf einer Piste entlang, die gewöhnliche Personenautos gar nicht befahren können. Wir müssen zu drei Vierteln um den Krater herum, der immerhin einen Durchmesser von zweiundzwanzig Kilometern, an der schmälsten Stelle von siebzehn Kilometern hat. Erst drüben auf der anderen Seite sind die Steilwände etwas schräger, so dass man sich in vielen Kurven hinunterwinden kann. Man braucht also zweieinhalb Stunden, um sechshundert Meter tiefer wieder fast an die gleiche Stelle zu kommen, dicht unterhalb des Lagers.

Endlich ist die Ebene des Kraterbodens erreicht. Riesenscharen von Gnus weichen ohne Hast in vierzig, fünfzig Meter Abstand vor dem Wagen auseinander, so dass wir hindurchfahren können. Zebras galoppieren neben dem Wagen her und müssen unbedingt noch davor im gestreckten Galopp auf die andere Seite überwechseln. Es wirkt, als ob sie sportlichen Ehrgeiz hätten.

Drüben hinter einer Senke steht eine Nashornkuh mit einem Kind. Wir fahren vorsichtig bis auf vierzig Meter an sie heran. Die beiden stehen gemächlich auf. Michael hält. Sie laufen weder weg, noch greifen sie an, denn hier im Ngorongoro-Krater darf schon seit Jahrzehnten nicht mehr geschossen werden.

Ich kenne mich im Umgang mit Nashörnern ganz gut aus. Im Frankfurter Zoo konnten wir diese »schwarzen« afrikanischen Spitzmaulnashörner zum ersten Mal in Europa züchten. Unsere Nashornkuh »Katharina die Große« lässt sich melken, und wir dürfen in ihrer Gegenwart mit ihrem Kind spielen. Sie ist ungefähr so zahm wie eine Hauskuh; der Bulle allerdings ist ein wenig angriffslustiger. Würden Sie es jedoch wagen, an einen Hausrindbullen allein auf weiter Wiese heranzugehen?

Auch von der zahmen Katharina wäre ich unlängst einmal beinahe aufgespießt worden, weil ich eine Grundregel nicht beachtete, die jeder Bauer und jeder Kutscher im Umgang mit Tieren als ganz selbstverständlich beherzigen.

Gehe ich durch den Zoo, dann pflege ich öfters zwischen den weiten schweren Eisenstangen hindurch in Katharinas Stall einzutreten. Liegt sie dösend da, dann streichle ich ihre faltigen geschlossenen Augen. Sie hat das gern.

Eines Morgens komme ich also wieder zu ihr in den Stall. Ich gehe um die ruhende Katharina herum, denke aber nicht daran, dass ich heute Schuhe mit Kreppgummisohlen anhabe. Wie ich hinter dem Nashorn in der Ecke des Stalles stehe, spreche ich es an – und im nächsten Augenblick springt Katharina mit allen vieren gleichzeitig in die Luft, wirft sich herum, schnaubt und stößt mit ihrem Horn auf meinen Leib zu. Ich rufe sie an. Sie erkennt mich an der Stimme und hält genau eine Handbreit vor mir inne. Dann ist sie...

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