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E-Book

Sex - die wahre Geschichte

The prehistoric origins of modern sexuality

AutorCacilda Jethá, Christopher Ryan
VerlagKlett-Cotta
Erscheinungsjahr2016
Seitenanzahl430 Seiten
ISBN9783608100563
FSK18
Altersgruppe18 – 
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Monogamie ist von der Natur nicht vorgesehen. Mit dieser wissenschaftlich fundierten Erkenntnis stellen die Autoren unser Verständnis menschlicher Evolution und den angeblichen Kern unserer westlichen Gesellschaften infrage: die monogame Paarbeziehung. Dieses Buch stellt so ziemlich alles infrage, was wir bislang über Partnerschaft, Ehe und Gesellschaft geglaubt haben. Die beiden Autoren untersuchen die prähistorischen Wurzeln der menschlichen Sexualität und hinterfragen, welches Sexual- und Paarungsverhalten das natürliche ist. Die Veranlagung zur Monogamie, die Darwin und nach ihm viele Evolutionsbiologen konstatierten, ist eine krasse Fehlinterpretation. Die Autoren greifen die Wurzeln unseres Verständnisses von Ehe, Partnerschaft und Gesellschaft an und argumentieren damit gegen eine ganze Zunft, die Monogamie als genetische anthropologische Konstante betrachtet. Stützt sich auf Forschungsergebnisse aus der Anthropologie, Primatologie, Physiologie und Vorgeschichte

Christopher Ryan ist Psychologe, hat einen Lehrauftrag an der University of Barcelona Medical School und ist gern gehörter Redner weltweit. Er lebt in Barcelona. Cacilda Jethá ist als Psychiaterin sowohl am Hospital Sant Joan de Déu als auch in eigener Praxis in Barcelona tätig. Sie lebt in Barcelona. Ulrich Clement, Prof. Dr. phil. Dipl.-Psych.; Psychotherapeut, Coach und Supervisor; er ist Lehrtherapeut für systemische Therapie (IGST, SG), apl. Prof. für Medizinische Psychologie an der Universität Heidelberg. Zahlreiche, Veröffentlichungen zu sexualwissenschaftlichen, medizinpsychologischen und psychotherapeutschen Themen. 2000-2001 war er Präsident der International Academy of Sex Research.

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Leseprobe

Einleitung


Schon wieder eine gut gemeinte Inquisition


Vergessen Sie, was man Ihnen über die Abstammung des Menschen erzählt hat. Wir stammen nicht von den Affen ab. Wir sind Affen, genauer gesagt Menschenaffen: Sowohl metaphorisch als auch rein faktisch gehört Homo sapiens zu den fünf noch existierenden Arten der Großen Menschenaffen, zusammen mit den Schimpansen, Bonobos, Gorillas und Orang-Utans (Gibbons zählt man zu den Kleinen Menschenaffen). Wir und zwei dieser Arten – die Bonobos und die Schimpansen – stammen von einem gemeinsamen Vorfahren ab, der vor nur fünf Millionen Jahren lebte.1 In evolutionären Maßstäben war das quasi vorgestern. Unterschiede findet man nur im Kleingedruckten, weshalb eine Unterteilung in Menschen und Große Menschenaffen von den meisten Primatologen heute als künstlich angesehen wird.2

Wenn wir »über« der Natur stehen, dann nur wie ein Surfer, der seine zitternden Beine in ein Brett »über« dem Ozean stemmt. Selbst wenn wir nicht ausrutschen, kann unsere innere Natur uns jeden Augenblick in die Tiefe ziehen. In westlichen Kulturen entsteht leicht der Eindruck, wir Menschen seien etwas Besonderes, einzigartig unter allen Lebewesen. Wir wähnen uns über und außerhalb der natürlichen Welt, befreit von den Einschränkungen, die das Leben für Tiere bereithält. Die Natur ist unter unserer Würde, und wo sie doch durchscheint, empfinden wir Scham oder Ekel – als sei sie etwas Übelriechendes und Unordentliches, das man besser hinter zugezogenen Läden verbirgt und mit frischem Minzgeruch überdeckt. Oder aber wir überkompensieren und stellen uns die Natur als weichgespültes Paradies vor, unschuldig und zugleich weise, edel und im inneren Gleichgewicht.

In Wahrheit sind wir, genau wie Bonobos und Schimpansen, die triebgesteuerten Nachkommen hypersexueller Vorfahren. Das mag übertrieben klingen, doch es sind schlichte Fakten, die eigentlich zur Allgemeinbildung gehören sollten. Die Konvention der monogamen Bis-dass-der-Tod-euch-scheidet-Ehe droht unter dem Ballast einer falschen Überlieferung zu kollabieren, die uns beharrlich eine andere Identität andichten will.

Worum geht es eigentlich beim Sex zwischen Menschen, und wie ist unsere Sexualität entstanden? Mit diesem Buch möchten wir darlegen, wie durch die radikalen kulturellen Umwälzungen, die vor ungefähr 10 000 Jahren begannen, die wahre Geschichte der menschlichen Sexualität zu einem derart subversiven Gedankengut umgeformt wurde, dass sie nun schon seit Jahrhunderten von Religionen unterdrückt, von Medizinern pathologisiert, von Wissenschaftlern geflissentlich ignoriert und von moralisierenden Therapeuten vertuscht wird.

Unsere heutige Sexualität wird von tiefen inneren Konflikten heimgesucht; die von der Gesellschaft kultivierte Ignoranz wirkt dabei verheerend. Jede zweite Ehe zerbricht in einem Strudel aus sexueller Frustration, Langeweile, schwindender Libido, Seitensprüngen, Funktionsstörungen, Verwirrung und Scham. Die serielle Monogamie erleben viele Menschen als eine Kette des Versagens, als vereinzelte Glücksmomente in einem dunklen Meer der Enttäuschung. Wie viele Paare würden langfristig überhaupt zusammenbleiben, hätten sie nicht ihr Liebesleben auf dem Altar dreier Freuden geopfert, die im Leben durch nichts zu ersetzen sind: Familie, Kameradschaft und, wenn schon nicht sexuelle, dann wenigstens emotionale Intimität? Ist, wer nichtsahnend dieses Glück anstrebt, wirklich von der Natur dazu verdammt, die Libido des Partners langsam, aber sicher zu strangulieren?

Das spanische Wort esposas bedeutet sowohl »Ehefrauen« als auch »Handschellen«. Im Englischen witzeln Männer wehmütig über ihre Fußfessel. Aus gutem Grund bezeichnet man die Heirat oft melancholisch als den Anfang vom Ende des männlichen Sexlebens. Und den Frauen ergeht es keineswegs besser. Wer möchte schon sein Leben mit einem Mann verbringen, der sich durch seine Liebe gefangen und reduziert fühlt, dessen Anstand die Beschränkung seiner Freiheit bedeutet? Wer will sich schon sein Leben lang dafür entschuldigen, nur eine einzige Frau zu sein?

Ganz offensichtlich läuft etwas grundlegend falsch. Laut der American Medical Association leiden etwa 42 Prozent der amerikanischen Frauen unter sexuellen Funktionsstörungen, während die Verkaufszahlen von Viagra Jahr um Jahr sämtliche Rekorde brechen. Die weltweiten Einnahmen aus Pornografie werden auf jährlich 57 bis 100 Milliarden Dollar geschätzt. In den USA sind sie größer als die der drei großen Fernsehanstalten (CBS, NBC und ABC) zusammen und übersteigen auch die Lizenzeinnahmen aus Football, Baseball und Basketball. Im U.S. News and World Report heißt es: »Amerikaner geben mehr Geld in Stripclubs aus als insgesamt für Theater, Oper, Ballett und klassische Konzerte.«3

Es lässt sich nicht leugnen – wir sind eine Spezies mit einer Schwäche für Sex. Derweil scheint die sogenannte traditionelle Ehe von allen Seiten unter Beschuss zu sein – und zerbricht zugleich an inneren Widersprüchen. Selbst die eifrigsten Verfechter einer »normalen« Sexualität geraten allmählich ins Schleudern, angesichts der zahllosen bloßgestellten Politiker, wie zum Beispiel Clinton und Kirchenmänner, die vollmundig von Familienwerten tönen, bevor sie sich zu ihren Stelldicheins mit Geliebten, Prostituierten und Praktikantinnen davonstehlen.

Die Verleugnung hat nicht funktioniert. Hunderte katholischer Priester haben Tausende Sexualverbrechen allein in den vergangenen Jahrzehnten gestanden. 2008 zahlte die katholische Kirche 435 Millionen Dollar Schmerzensgeld wegen sexuellen Missbrauchs. Mehr als ein Fünftel der Opfer war jünger als zehn Jahre. So viel wissen wir. Das noch länger zurückliegende Leid ist kaum vorstellbar – das Leid aus siebzehn Jahrhunderten, seit Papst Siricius (um 385?) mit den ersten Dekreten »Decreta« und »Cum in unum« Priestern jegliches Sexualleben untersagt hat. Lässt sich die Schuld, die aus dieser irregeleiteten Unterdrückung grundlegender sexueller Bedürfnisse entstanden ist, überhaupt ermessen?

Unter Androhung der Folter wurde Galileo 1633 von der Inquisition der Römisch-katholischen Kirche zu der öffentlichen Falschaussage gezwungen, die Erde sei das unbewegliche Zentrum des Universums. Dreieinhalb Jahrhunderte später, im Jahr 1992, gab Papst Johannes Paul II. zu, dass der Wissenschaftler recht gehabt hatte – die Inquisition sei aber »gut gemeint« gewesen. Es geht doch nichts über eine gut gemeinte Inquisition!

Genau wie die kindisch-eigensinnige Vorstellung von einem Universum, das um die Erde kreist, bietet das Standardnarrativ der prähistorischen Vergangenheit raschen und schlichten Trost. Und wie Papst um Papst jegliche Kosmologie untersagte, die dem Menschen seine zentrale Stellung in den endlosen Weiten des Alls nehmen wollte, so wie Darwin früher (und in manchen Kreisen noch immer) für seine Erkenntnis, der Mensch sei durch Naturgesetze entstanden, verspottet wurde, genauso können manche Wissenschaftler auf Grund emotionaler Widerstände noch immer nicht den Gedanken zulassen, dass es eine Evolution der Sexualität ohne monogame Kernfamilie gegeben haben könnte. Wir leben zwar angeblich in liberalen Zeiten, doch manche auf der Hand liegenden, schmerzhaften Wahrheiten darf man nicht aussprechen. Der Gegensatz zwischen dem, was wir fühlen sollen, und dem, was wir tatsächlich fühlen, ist möglicherweise die Hauptursache von Verwirrung, Unzufriedenheit und unnötigem Leid. Die üblichen Antworten lösen ja nicht das Rätsel, das unser Liebesleben durchzieht: Warum sind Männer und Frauen in ihren Sehnsüchten, Fantasien, Reaktionen und in ihrem Sexualverhalten so verschieden? Warum betrügen wir einander und lassen uns immer häufiger scheiden, sofern wir überhaupt noch heiraten? Woher kommen die Heerscharen alleinerziehender Mütter und Väter? Warum schwindet die Leidenschaft oft schon bald nach der Hochzeit? Wodurch erlischt das Verlangen? Nachdem doch beide Geschlechter hier auf Erden von der Evolution geformt wurden, warum fühlt es sich für viele Frauen und Männer an, als stammten wir von unterschiedlichen Planeten?

Die amerikanische, an Medizin und Wirtschaft orientierte Gesellschaft hat als Antwort auf die anhaltende Krise eine ganze Industrie aus Paartherapeuten, Erektionshilfen, Sex-Kolumnen und gruseligen Vater-Tochter-Jungfräulichkeitsriten hervorgebracht, dazu einen endlosen Strom aufdringlicher Werbemails (»Lass dein Liebesmonster von der Leine! Sie wird es dir danken!«). Monat um Monat beliefern uns ganze Wagenladungen von Hochglanzmagazinen mit den immer gleichen Tricks, die unserem Sex neues...

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