Nachdem nun verständlich sein sollte, was es mit HipHop auf sich hat, wie er entstanden ist und was ihn ausmacht, komme ich nun zu dem zweiten Block der Arbeit. Hier geht es um Gender, also um das Thema Geschlecht, Geschlechterdifferenzen, Geschlechterrollen und Sexismus.
Der Begriff, der über dieser Thematik steht, lautet „Gender“, unter ihn fällt alles, was mit Geschlecht, Geschlechteridentität, geschlechtsspezifischen Rollenbildern und Sexismus zu tun hat. Doch was bedeutet Gender überhaupt genau?
Der Begriff kommt aus dem Englischen, dort wird unterschieden zwischen "sex" und "gender". Im Deutschen gibt es keine wortwörtliche Übersetzung für "gender", jedoch meint "sex" das biologische und "gender" das soziale Geschlecht. (vgl. Funk-Hennigs 2003: 55) Was das biologische Geschlecht ausmacht ist klar, äußerlich erkennbare Geschlechtsmerkmale lassen in der Regel wenig Zweifel zu, welchem Geschlecht eine Person angehört. Der Begriff Gender bezieht den kulturellen und sozialen Hintergrund mit ein und betrachtet das Geschlecht als ein veränderbares Verhältnis. Gender bringt Zweifel gegenüber einem zweigeschlechtlichen System zum Ausdruck. Das biologische Geschlecht unterteilt grob in zwei Geschlechter ein, mit dem Begriff Gender wird versucht, der Komplexität und dem Facettenreichtum eines Menschen Rechnung zu tragen. (vgl. Buchen et al. 2004: 13) Die ‚Gender Studies‘ hinterfragen die Einteilungen von Eigenschaften in männlich und weiblich. „Im Unterschied zur Frauenforschung (»women studies«), bei der die Frauen im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses stehen, rücken die Gender Studies die Frage nach der diskursiven Produktion des Weiblichen und Männlichen in den Vordergrund.“ (Funk-Hennigs 2003: 55)
Es existieren unterschiedliche Thesen zu den Differenzen zwischen dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht. Auf der einen Seite steht die Annahme, dass Frau und Mann zwei eindeutig unterscheidbare Geschlechter sind. Hier werden unterschiedliche Eigenschaften biologisch bedingt, einem Geschlecht zugeschrieben. So gilt der Mann beispielsweise als aggressiv und die Frau als fürsorglich. Dem gegenüber steht die Annahme, dass Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht existent sind. (vgl. Bischof-Köhler 2011: 19–21) Dazwischen existieren viele unterschiedliche Theorien, bei denen Differenzen zwischen weiblichem und männlichem Verhalten mit unterschiedlichen Verhältnissen an Einflüssen durch die biologische Komponente und die Sozialisation erklärt werden. (vgl. Bischof-Köhler 2011: 26) Bischof-Köhler selbst kommt zu dem Ergebnis, dass die Wahrheit sich vermutlich irgendwo in der Mitte befindet, dass also durchaus Unterschiede bestehen, dass diese jedoch auch teilweise durch eine geschlechtsspezifische Sozialisation hervortreten. (vgl. Bischof-Köhler 2011: 19–26) Es geht also vorrangig um die Frage, woher bestehende geschlechtsabhängige Zuschreibungen und Rollenbilder stammen.
Nun soll zunächst geklärt werden, was bestehende männliche und weibliche Rollenbilder überhaupt auszeichnet. „Nach dem normativen Konzept lässt sich Rolle definieren als Teilklasse von Erwartungen, die gegenüber dem Inhaber bestimmter sozialer Positionen bestehen.“ (Wiswede 1977: 15) Unterschiedliche Eigenschaften und Vorlieben gelten als männlich oder weiblich. „Männer gelten als durchsetzungsstärker, aggressiver, selbstbewusster und risikobereiter, Frauen als sensibler, fürsorglicher, vorsichtiger und nachgiebiger.“ (Bischof-Köhler 2011: 16) Glick und Fiske nennen noch weitere typische Eigenschaften: Frauen gelten traditionell als inkompetent, jedoch liebenswürdig und sympathisch, Männer hingegen als ehrgeizig, analytisch aber unsensibel gegenüber ihren Mitmenschen. (vgl. Fiske, Glick 1999: 198) Es werden zwei Dimensionen ausgemacht. Einmal handelt es sich hierbei um die Expressivität, welche die als weiblich geltenden Eigenschaften beinhaltet und auf der anderen Seite steht die Instrumentalität, welche eben die als männlich geltenden Eigenschaften beinhaltet. (vgl. Fiske, Glick 1999: 198) Geschlechterrollen bezeichnen also Verhaltenserwartungen bezüglich eines Individuums aufgrund seines Geschlechts. (vgl. Eckes 2010: 178)
Nach der Logik, welche den geschlechtsspezifischen Rollen zugrunde liegt, ist es so, dass geschlechtsspezifische Stereotype nicht nur die dem einen Geschlecht zugeschriebene Eigenschaft beinhalten, sondern gleichzeitig werden ebendiese Eigenschaften dem anderen Geschlecht abgesprochen. Gelten Männer nun allgemein als risikobereit, impliziert dies auch, dass Frauen eher risikoscheu sind. (vgl. Bischof-Köhler 2011: 17)
Wie vorher schon erwähnt wurde, beruhen die beiden Dimensionen der Expressivität und der Instrumentalität nicht auf einer willkürlichen Bestimmung, sondern haben ihren Ursprung in der Natur des Menschen. Die ideologische Versteifung auf eine der beiden Theorien, Anlage oder Umwelt, ohne Betrachtung der gesamten Einflüsse führt auf einen Holzweg. „Das simple Schwarz-Weiß-Muster der Geschlechterrollen, dem wir im Alltag immer wieder ausgeliefert sind, ist […] ein primär kultureller Effekt. Nur ist es bei aller Übertreibung nicht ganz willkürlich.“ (Bischof-Köhler 2011: 42) Wer als Mann geboren wird, muss nicht aggressiv und wer als Frau geboren wird, muss nicht zwangsläufig fürsorglich sein. „Die Wirkung natürlicher Disposition ist appellativer Art; sie legen uns bestimmte Verhaltensweisen näher, als andere." (Bischof-Köhler 2011: 41) Naturgegeben sind also in erster Linie Tendenzen, keine feststehenden Gesetzmäßigkeiten bezüglich des Verhaltens und der Eigenschaften. „Diese biologische Grundausstattung ist nicht determinierend, sondern limitierend zu verstehen. Die Vorstellung einer Dichotomisierung, nach der männliche und weibliche Verhaltensweisen einander entgegengesetzte Pole darstellen, trifft nicht zu, sondern die Verteilungen überlappen sich stark. Praktisch alle Verhaltensweisen kommen bei beiden Geschlechtern vor.“ (Becker, Kortendiek 2010: 28)
Nun ist ungefähr klar, wie traditionelle Rollenbilder (in den meisten Gesellschaften) aussehen. Unterschiedliche Charaktereigenschaften gelten jeweils als entweder männlich oder weiblich. Diese Zuschreibungen beruhen zwar zu einem gewissen Grad auf den biologischen Gegebenheiten, werden jedoch auch durch die Umwelt stark gefördert. Von Bedeutung sind diese Rollenbilder für die Beantwortung der Frage, wie sich Sexismus überhaupt äußert, da sie die ursprüngliche Grundlage für diesen bilden.
Nun soll erklärt werden, was Sexismus genau zu bedeuten hat und in welchen unterschiedlichen Formen er auftreten kann. Was versteht man also genau unter Sexismus? Eckes fasst hier drei unterschiedliche Aspekte zusammen: „Unter Sexismus lassen sich [...] kategoriegestützte Kognitionen (Stereotype), Affekte (Vorurteile) und Verhaltensweisen (Diskriminierung) fassen, die auf einen ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern hinwirken.“ (Eckes 2010: 183) Die Begriffe des Stereotyps und des Vorurteils sind natürlich sehr ähnlich, jedoch beschreibt ein Stereotyp eine „verallgemeinerte, vereinfachende und klischeehafte Vorstellung“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2014) die sich bezüglich einer Menschengruppe bildet, während ein Vorurteil viel mehr mit Emotionen verbunden ist und eine Wertung beinhaltet. Zwar kann Sexismus gegen beide Geschlechter gerichtet sein, zumeist sind jedoch Frauen die Leidtragenden.
Ein markanter von Simone de Beauvoir fasst die bestehende Rollenverteilung und den bestehenden Sexismus gut zusammen: "Er ist das Subjekt, er ist das Absolute: sie ist das Andere." (Beauvoir 2000: 11) Hier wird deutlich, welche Bedeutung der Mann und welche die Frau haben. Er gilt als eigenständiges „Subjekt“, sie nur als Begleiterscheinung. Er ist über-, sie ist untergeordnet. Er definiert sich über sich selbst und sie definiert sich genauso über ihn. „On the basis of cross-cultural indicators of status and power, women are clearly a disadvantaged group. Although some cultures are more egalitarian than others, patriarchy is widespread, though not necessarily universal“. (Fiske, Glick 2001: 110) Auch wenn sich die anfangs zitierte Definition von Sexismus auf beide Geschlechter bezieht, wird, aus der gerade genannten, untergeordneten Rolle der Frau, der gegen Frauen gerichtete Sexismus verstärkt betrachtet. (vgl. Eckes 2010: 183) Ein weiterer Satz von Simone de Beauvoir sagt viel über die Stellung der Frau aus: "Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es." (Beauvoir 2000: 344) Der Satz drückt vielerlei aus: Die Ablehnung der reduktionistischen Wesenszuschreibungen auf das weibliche Geschlecht, die Betonung der sozialen und kulturellen Konstruktion der Geschlechter und die Forderung einer -auf gesellschaftlicher und individueller Ebene stattfindende - Befreiung der Frauen. (vgl. Konnertz 2005: 33) Jedoch kann Sexismus natürlich in beide Richtungen funktionieren. Kommt ein Mann...