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Sexualerziehung an Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

Sexualerziehung an Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung

AutorSilvana Lehmann
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2007
Seitenanzahl126 Seiten
ISBN9783638602754
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis27,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2007 im Fachbereich Pädagogik - Sonstiges, Note: 1,3, Universität Erfurt (Erziehungswissenschaftliche Fakultät), 109 Quellen im Literaturverzeichnis, Sprache: Deutsch, Abstract: Da Elternschaft bei geistig behinderten Menschen zunimmt, müssen die Themen Sexualität, Partnerschaft, Familienplanung, Geburt et cetera stärker in schulischen und nachschulischen Bildungsgängen berücksichtigt werden (Vgl. SPARENBERG 2001, 122). Dieser Forderung von Silke SPARENBERG möchte ich näher auf den Grund gehen beziehungsweise deren Umsetzung im schulischen Bereich betrachten. Da es seit 1994 ein Rahmenkonzept zur Sexualaufklärung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Abstimmung mit den Bundesländern gibt, interessiert mich deren Umsetzung, das heißt ich möchte mehr über die Durchführung von Sexualerziehung an Schulen für geistig behinderte Menschen erfahren. Hierzu werde ich vorab die beiden grundlegenden Begriffe meiner Arbeit klären - 'geistige Behinderung' und 'Sexualität'. Das Hauptaugenmerk wird darin liegen, meine Meinung und die verschiedener Wissenschaftler vorzustellen und eine Verknüpfung der beiden Begriffe herbeizuführen. Dies liegt mir besonders am Herzen, da das Thema Sexualität bei geistig behinderten Menschen 'trotz vieler Aufklärungskampagnen irgendwie anrüchig [und] geheimnisumwittert geblieben ...' (ACHILLES 2005, 11) ist und immer noch ein Tabuthema in unserer Gesellschaft darstellt. Hier wird schnell der Grund für die Wahl meines Titels 'Darüber spricht man nicht!?' deutlich. Ich möchte aufzeigen, dass Sexualität und erst recht Sexualerziehung für Menschen mit einer geistigen Behinderung ebenso 'normal' ist, wie bei nichtbehinderten Menschen. Für jedes Mitglied unserer Gesellschaft gehört die Entwicklung der eigenen Sexualität zur Persönlichkeitsentfaltung dazu, warum also wird das Thema scheinbar so vernachlässigt? Bernd RÖMER gibt in einem seiner Texte folgende Erklärung, welche für mich sehr plausibel erscheint: Da in der Gesellschaft bezüglich des sexuellen Verhaltens von geistigbehinderten Menschen weitgehend Unkenntnis herrscht ..., kann die Gesellschaft das teilweise andere sexuelle Verhalten geistigbehinderter Menschen oft nur als Fehlverhalten einordnen und gerät deshalb in Versuchung, Sexualität als etwas nicht Existentes bei geistigbehinderten Menschen abzulehnen. (RÖMER 1995, 20) Diese teilweise ablehnende und tabuisierende Haltung werde ich in der vorliegenden Arbeit hinterfragen und versuchen mit diesen Vorurteilen aufzuräumen.

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Leseprobe

3. Sexualerziehung bei Schülerinnen und Schülern mit Förderschwerpunkt geistige Behinderung


 

In diesem Teil meiner Arbeit werde ich nun speziell auf den Unterricht mit geistig behinderten Kindern und Jugendlichen eingehen. Es erwarten den Leser Ziele der Sexualerziehung und einige Ausführungen über die Personen, welche verantwortlich für die sexuelle Erziehung der geistig behinderten Menschen sind. Außerdem werde ich einige mögliche Themen vorstellen, welche im Unterricht behandelt werden könnten. Es sei angemerkt, dass die von mir verwandten Termini „Sexualerziehung“, „Sexualpädagogik“, „Sexualität“ und „geistige Behinderung“, an mein oben dargelegtes Verständnis anknüpfen.

 

3.1. Allgemeines


 

Die Sexualerziehung gehört heute zum Auftrag einer jeden Schule und wird in der Regel fächerübergreifend als Gesamtunterricht durchgeführt. Sie sollte unbedingt den einzelnen Schüler entsprechend seinem Lernverhalten, seinen Interessen und Fragen in angemessener Art und Weise mit den Fragen der Sexualität vertraut machen. Diesem offiziellen Auftrag der Schule steht, sowohl bei Eltern als auch bei Pädagogen ein gehöriges Maß an Unsicherheit gegenüber. Dafür sehe ich eine Reihe von Ursachen, welche ich an dieser Stelle nur kurz auflisten möchte:

 

 die allgemeine Tabuisierung des Themas „Sexualität und geistige Behinderung“,

 

 die Einengung des Begriffes auf Genitalsexualität,

 

 wenig Akzeptanz und Toleranz des geistig behinderten Menschen mit sexuellen Bedürfnissen und

 

 mangelnde sexualpädagogische Kompetenz und Unsicherheiten auf Seiten der Eltern, Erzieher und Pädagogen.

 

Die ersten drei Thesen habe ich an anderer Stelle bereits ausführlich diskutiert, aber die letzte These wirkt an dieser Stelle eventuell provozierend, aus diesem Grund möchte ich einige Ausführungen anschließen.

 

Zur Sexualerziehung gehört nicht nur die übliche Aufklärung über die biologischen Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen beziehungsweise Frauen und Männern oder die Vermittlung von Kenntnissen über die Funktionen der einzelnen Geschlechtsorgane. Es gehört ebenso dazu, die Schüler zu menschlicher und sozialer Partnerschaft zu befähigen und sich im Rahmen ihrer persönlichen Selbstentfaltung als „Frau“ oder „Mann“ zu erleben, kennen und akzeptieren zulernen. Des Weiteren gehören Informationen über Geburt, sexuelle Befriedigung und auch sexuellen Missbrauch dazu. Oftmals wissen Pädagogen nicht so recht wie sie mit dieser Themenfülle umgehen sollen, ohne dass es ihnen selbst zu viel wird. Ich formuliere diesen Sachverhalt deshalb so, weil ich der Ansicht bin, dass Lehrer und Erzieher, um Sexualerziehung durchführen zu können, sich vorher unbedingt mit sich selbst auseinandersetzen müssen. Das heißt über Fragen wie zum Beispiel: Was denken ich persönlich über Sexualität, Selbstbefriedigung et cetera? Es ist also dringend erforderlich, dass sie einen eindeutigen Standpunkt bezüglich der Thematik formulieren können. Wenn sie sich über diese Fragen nicht im Klaren sind, können sie nicht unbefangen und mit gutem Gewissen Kinder und Jugendliche über sexuelle Bedürfnisse aufklären.

 

Jeder Mensch (Erzieher, Betreuer, Pädagogen und Eltern), der mit behinderten Personen arbeitet oder zusammenlebt, trägt eine enorme Verantwortung für die Entfaltungsmöglichkeiten dieser ihm anvertrauten Menschen. Denn sie stehen oft in hochgradiger Abhängigkeit zu uns Nichtbehinderten und dies stellt eine große Verantwortung für uns alle dar.

 

Natürlich sollte sich trotzdem jeder der Tatsache bewusst sein, dass die Einflussmöglichkeiten der schulischen Sexualerziehung begrenzt sind und dass das Erleben und Verhalten der Jugendlichen immer auch von ihrem sozialen Umfeld mitbestimmt wird. Die Schule stellt nur einen Teil der individuellen Lebenswirklichkeit der geistig behinderten Menschen dar. Aber „hier kann positiver Einfluss geübt und bis zu einem gewissen Grad auch auf andere Bereiche eingewirkt werden“ (SPRINGBORN 2000, 39). Pädagogen sollten sich ebenfalls die Bedeutung der außerschulischen Sexualerziehung, durch Eltern, Gleichaltrige und Medien vor Augen führen und berücksichtigen.

 

Wer ist nun aber verantwortlich für die sexualpädagogische Erziehung? Welche Eigenschaften sollte Sexualerziehung an Schulen mit dem Förderschwerpunkt geistige Behinderung haben? Welche Ziele verfolgt die Sexualerziehung und welche Themen werden bei der Aufklärung der geistig behinderten Menschen angesprochen? Auf diese Fragen möchte ich im Folgenden Antwort geben.

 

3.2. Wer ist verantwortlich für Sexualerziehung?


 

Bisher habe ich in meiner Arbeit viel von den Lehrern und Erziehern gesprochen, welche in der Schule für Menschen mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung einen großen Teil der Sexualerziehung übernehmen. Aber wer außer den Pädagogen ist noch verantwortlich für die sexuelle Aufklärung von Kindern und Jugendlichen? Immerhin betrifft dieses Thema nicht nur den Bereich Schule, sondern sollte ganzheitlich betrachtet werden, da es zum Leben einfach dazugehört.

 

Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass diejenigen Personen, welche das intensivste Verhältnis zum geistig behinderten Menschen haben, auch für dessen sexuelle Aufklärung Verantwortlichkeit zeigen sollten. Das sind im Regelfall die Eltern und später Erzieher und Betreuer in den verschiedenen Wohneinrichtungen.

 

Aber welche Rolle spielen Kindergarten, Schule und WfbB (Werkstatt für behinderte Menschen)? Bernhard RÖMER (1995, 60) schreibt diesen Institutionen eine „ergänzende …, manchmal aber auch ersetzende“ Funktion zu. Diese Einrichtungen für Menschen mit geistiger Behinderung sollen also zusätzliches Wissen vermitteln, die Hauptaufgabe liegt aber weiterhin bei den Eltern, Erziehern und Betreuern. Aber wenn dieses Konstrukt nicht funktioniert, dann nehmen Kindergarten, Schule und WfbB eine ersetzende Rolle ein und übernehmen die sexuelle Erziehung weitestgehend.

 

Generell ist es für den Erzieher und den zu Erziehenden von Vorteil (Vgl. RÖMER 1995, 60), wenn ein natürlicher, unbefangener Umgang mit Sexualität gelingt. Ich bin der Meinung speziell der Erzieher sollte dieses Gefühl beim Umgang mit Sexualität vermitteln können, damit das Kind oder der Jugendliche eine positive Grundeinstellung gegenüber Sexualität entwickeln kann. Zu diesem natürlichen und unbefangenen Umgang gehört selbstverständlich auch das Vorhandensein von weiblichen und männlichen Erziehern, wie es im Normalfall in einer Familie auch die Regel ist. Dies bezieht sich speziell auf Einrichtung außerhalb der Familie. (Vgl. RÖMER 1995, 60)

 

Da Schule und Elternhaus eine Einheit bei der sexuellen Aufklärung von Menschen mit geistiger Behinderung darstellen sollten, ist die Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Bereichen von großer Bedeutung. Um eine gute und gewinnbringende Kooperation aufzubauen, hat es sich „als sinnvoll erwiesen, möglichst früh über die Notwendigkeit und Zielsetzung von Sexualerziehung zu informieren“ (OBERLACK / STEUTER / HEINZE 1997, 17). Entweder beginnt diese Kooperation mit dem Herantreten der Eltern an die Pädagogen, oder die Lehrer wenden sich zum Beispiel mittels eines Elternbriefes oder am Elternabend an die Eltern ihrer geistig behinderten Schüler und Schülerinnen.

 

Der übliche Weg allerdings ist das Informieren der Eltern über die Lehrer (wie sich später bei den Lehrerinterviews herausgestellt hat, Kapitel 6.3.), da viele Eltern Hemmungen und Ängste haben sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Einige verdrängen daher sogar völlig diese Thematik. Aber die „Verdrängung dieses Themas erschwert ihren Kindern eine angstfreie und kreative Auseinadersetzung mit den eigenen Bedürfnissen und Wünschen“ (OBERLACK / STEUTER / HEINZE 1997, 17). Gründe für das Verschweigen und Verdrängen der Materie sind oft die Angst vor einer Schwangerschaft und generell sexuellen Kontakten. Aber genau das kann durch Ignorieren von Sexualität eintreten. Aus Unwissenheit heraus können die Kinder und Jugendlichen Opfer sexueller Gewalt werden und sogar ungewollt schwanger werden. Manche Eltern sind allerdings froh, dass Kindergarten, Schule und WfbB die Aufklärung übernehmen, da sie ihre eigenen Hemmungen gegenüber diesem Thema nicht abbauen können und somit keinesfalls in der Lage sind mit ihren Kindern darüber zu sprechen. Die Autoren OBERLACK, STEUTER und HEINZE (1997, 17) sehen die sinnvollste Variante der Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule darin, mit den Eltern gemeinsam ein Konzept für die sexualpädagogische Erziehung ihrer Kinder zu entwickeln und keine vorgefertigten Pläne oder Entwürfe durchsetzen zu wollen.

 

Bei der Frage nach den Verantwortlichen für die Sexualerziehung lässt sich zusammenfassend feststellen, dass alle verantwortlichen Bezugspersonen verpflichtet sind

 

Sexualität, Freundschaft und Partnerschaft in dem Maße zu fördern, wie sie die behinderten Partner...

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