Sie sind hier
E-Book

Sich wandeln und sich neu entdecken

AutorVerena Kast
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2017
Seitenanzahl208 Seiten
ISBN9783451811739
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis14,99 EUR
Leben heißt wachsen und sich entwickeln. Gerade in Krisen oder in Lebensübergängen wird uns das oft schmerzhaft bewusst. Doch diese Zeiten können Chancen sein und eröffnen ungeahnte Möglichkeiten der Entwicklung und inneren Reifung. Verena Kast zeigt auf, wie wir uns in Zeiten des Umbruchs wandeln und immer wieder neu entdecken können. Mit einem neuen Vorwort von Verena Kast.

Verena Kast, Psychotherapeutin, Dozentin, Lehranalytikerin am C.G.-Jung-Institut Zürich, Professorin, Vorsitzende der Internationalen Gesellschaft für Tiefenpsychologie.

Kaufen Sie hier:

Horizontale Tabs

Leseprobe

Wie sich in Symbolen Lebensprobleme verdichten – und sie gelöst werden können


Symbol, Mythos, Märchen


Symbole, wie wir sie aus Träumen kennen, aus Faszinationen im Alltag, aus Fantasien, aus Kunstwerken, haben oft Ähnlichkeiten mit Symbolen, die uns aus Mythen bekannt sind, oder sie sind mit Motiven vergleichbar, die uns eingebunden in menschennähere Entwicklungsprozesse im Märchen begegnen.

Mythen sind Geschichten, die aus Elementen der alltäglich erfahrbaren Wirklichkeit aufgebaut sind und scheinbar auch von dieser handeln, darüber hinaus aber diese Zusammenhänge auch dazu benutzen, um das Selbstverständnis des Menschen, seine Erfahrung des Göttlichen und seine Stellung zum Göttlichen und zum Realen auszudrücken. Sollte ein Mythos Bestand haben, musste sich in ihm sowohl ein Kollektiv erkennen als auch das einzelne Individuum. Dadurch, dass der Mythos durch die Geschichtswissenschaft entmythologisiert wurde, offenbart der Mythos nun da, wo er immer noch lebendig ist, erst recht seine symbolische Funktion, seinen Hinweis auf typische menschliche emotionell bedeutsame Bindungen an einen Ur-Grund, wie immer wir diesen nennen wollen, seinen Verweis auf existenzielle Grunderfahrungen des Menschen. Und noch immer sind diesen Symbolen Erinnerung und Erwartung eigen.

Was Mythen letztlich sind, ist heute sehr umstritten, einig sind sich Anthropologen und Tiefenpsychologen aber darin, dass mythisches Denken zu den »ursprünglichen Tätigkeiten des menschlichen Geistes gehört«, dass durch die mündliche Überlieferung der Mythen die Abweichungen verschwanden, »bis nur noch der Ausdruck der intellektuellen Operationen eines unbewussten, anonymen und dadurch jenseits aller kulturellen Unterschiede kollektiven Dispositivs übrig bleibt. Die Mythen sind die Erzählungen eines strukturalistischen Unbewussten, das in jedem Menschen ruht«.1

Diese Aussage eines modernen Anthropologen deckt sich etwa mit der Feststellung Jungs, der die Fantasie als imaginäre Tätigkeit für den unmittelbaren Ausdruck der psychischen Energie hält, die dem Bewusstsein nicht anders als in Form von Bildern gegeben ist.2 »Die Fantasiebilder haben unzweifelhaft ihre nächsten Analoga in den mythologischen Typen; es ist darum anzunehmen, dass sie gewissen kollektiven Strukturelementen der menschlichen Seele überhaupt entsprechen.«3

Mythen, Riten und Märchen werden von den modernen Anthropologen wenig unterschieden: Was die einen in einem Mythos ausdrücken, drücken andere in einem Ritus oder in einem Märchen aus.4 Immerhin betont Smith, dass Märchen weniger stark als Mythen der religiösen Orthodoxie, der logischen Kohärenz und dem kollektiven Druck ausgeliefert gewesen seien. Uns Tiefenpsychologen sind Märchen näher, besonders die europäischen; sie sind oft auch prozesshafter und dadurch besonders geeignet, mit symbolischen Prozessen in unseren Entwicklungen und Therapien in Zusammenhang gebracht zu werden. Und so wie im Mythos ursprünglich der Einzelne sich verstanden fühlte in einer Geschichte, die alle betraf, so fühlen auch wir uns verstanden, in einem größeren Zusammenhang stehend, wenn wir von einem Symbol betroffen sind, wenn ein Symbol uns betroffen macht und wir es in den Zusammenhang mit Symbolen bringen können, die schon immer eine Geltung hatten. Wir fühlen uns dann nicht so sehr als Kranke, als vielmehr als Menschen mit existenziellen Aufgaben, die zu Problemen werden können.

Symbol und symbolisierende Haltung


Schon bei der Definition des Mythos ist angeklungen: Das Symbol meint einerseits ganz Aktuelles und verweist auf Hintergründiges, auf Zusammenhänge, die jeweils nicht besser als eben in diesem Symbol auszudrücken sind.

Beispiel: Traum

Eine Träumerin steht sinnend an einem unbewegten Meer. Es ist direkt unheimlich unbewegt. Da beginnt das Meer, an einer Stelle sich aus sich heraus zu bewegen in einer Wirbelbewegung. Die Träumerin wird von einer freudigen Erregung ergriffen. Sie erwacht: »Mir war, als wollte das Meer etwas aus sich gebären.« Die Träumerin, eine 52-jährige Frau, war in einer schwierigen Entscheidungssituation im Rahmen von Beziehungen, und sie fühlte sich völlig gelähmt. In dieses Abwägen des einen Entschlusses gegen den anderen kam dieser Traum.

Die unmittelbare Folge des Erlebnisses dieses Symbols im Traum war neue Hoffnung: »Es bewegte sich wieder etwas«, Freude, auch Angst: Was wird das Meer gebären? Faszination, das Gefühl, die Stagnation überwunden zu haben, und die interessierte Frage: Wo geht das hin? Ihr Problem war mit diesem Traum nicht gelöst, aber sie quälte sich nicht mehr zwischen den Entscheidungen, sondern wandte sich diesem neuen Prozess in ihrer Psyche zu. Zwei Monate später traf sie dann eine für alle überraschende Entscheidung. – Die Verbindung zu Schöpfungsmythen schuf die Frau selbst, indem sie die Geburt aus dem Meer erwartete.

An diesem Symbol wird deutlich, dass ein Symbol wirklich »die bestmögliche Formulierung einer relativ unbekannten Sache« ist, wie Jung ausdrückt,5 der bestmögliche Ausdruck für eine emotionell bedeutsame Situation, in der auch die Dynamik der Weiterentwicklung spürbar ist. Im Symbol offenbart und eröffnet sich etwas – es öffnen sich neue Perspektiven des Erlebens, aber auch des Selbstverständnisses. Aber eine erste Schwierigkeit besteht darin, das Symbol emotionell adäquat mitzuteilen. Es teilt sich nur dem mit, der empathisch sich auf das Bild auch einlassen kann – so teilt sich auch das Offenbarende und Eröffnende mit.

Für die Träumerin war dieses Traumbild Ausdruck dafür, dass Leben sich schöpferisch verändern kann, dass sie sich als Mensch nicht nur mit dem alltäglichen Leben herumquält, sondern dass sie auch in Prozessen steht, die weit darüber hinausgehen und geheimnisvoll sind. Und obwohl die Träumerin das Gefühl hatte, dieses Symbol, das sie emotionell so sehr erfasste, ganz zu verstehen, blieb auch deutlich, dass es nie ganz zu verstehen sein kann, immer auch noch Bedeutung zurückbehält, also einen »Bedeutungsüberschuss« für die jeweilige Situation in sich hat. Gerade dieser Bedeutungsüberschuss bewirkt, dass das Symbol Hoffnungen in uns erweckt, Erwartungen am Leben hält. Dieser Bedeutungsüberschuss bewirkt aber auch, dass Bloch vom Symbol als von einer »Verdichtungskategorie« spricht, die ihrerseits »Befreiung archetypisch eingekapselter Hoffnung« verspricht, wenn immer so ein Symbol in »poetisch abbildlicher Fantasie«, aber auch in Musik usw. aufgenommen und ausgedrückt wird.6 Natürlich gilt das nur für den, der durch das betreffende Symbol ansprechbar ist, für den es eben etwas bedeutet.

Das Beispiel, das ich gewählt habe, um Ihnen das Symbol erlebbarer zu machen, zeigte das Erlebnis eines Symbols in einem Traum. Es gibt aber nicht nur Symbole, die wir innerhalb eines wichtigen psychischen Prozesses erleben, wo das Symbol wirklich zunächst eine schöpferische Lösung bringt, die übrigens von Watzlawick auch mit den Lösungen 2. Ordnung direkt verglichen wird7, sondern es gibt auch die Möglichkeit, die Dinge und Vorkommnisse unserer Welt symbolisch zu sehen.

Die symbolisierende Haltung

Nehmen wir noch einmal das Beispiel des Meeres: Sie können dann versuchen, wenn Sie am Meer stehen, das Meer einfach als Meer zu sehen, die besondere Zusammensetzung des Wassers, seinen Bewegtheitsgrad etc. festzustellen. Wenn Sie sich aber dabei ein wenig dem Spiel Ihrer Fantasie überlassen, werden plötzlich andere Momente mitschwingen. Vielleicht empfinden Sie die Kraft, die im Wasser steckt und vergleichen sie mit Lebenskraft, die vitalisierend, aber auch zerstörend sein kann. Sie fantasieren den Abgrund – mit Neugier oder Erschrecken oder beidem zusammen, die Bedrohung – oder aber Sie sehen die Entstehung des Lebens aus dem Wasser – das Meer als ein riesiges Fruchtwasser. Vielleicht konzentrieren Sie sich nur auf das Kommen und Gehen der Wellen – spüren wie sich Ihr Atem auf dieses Kommen und Gehen einspielt und ruhig wird.

In dieser Haltung sind Sie in einer symbolisierenden Haltung: Das Meer wird zum Symbol für existenzielle Fragen, letztlich zum Symbol für ganz große Lebenszusammenhänge.

In der Jung’schen Psychologie nehmen wir nicht nur sorgfältig alle Symbole wahr und gehen mit ihnen therapeutisch um, wir sehen auch die Alltagswirklichkeit immer auch in ihrem symbolischen Verweisungszusammenhang. Wir sind damit einem Menschenbild verpflichtet, das den Menschen in einem umfassenden Sinnzusammenhang sieht, in schöpferischer Wandlung stehend, fehlende Wandlung als bedrückend erlebt, zudem einem Selbstverständnis verpflichtet ist, das für alles Geschehen noch eine Dimension über das Offensichtliche hinaus hat und deshalb geheimnisvoll bleibt.

Der therapeutische Umgang mit Symbolen


Beim therapeutischen Umgang mit dem Symbol geht es zunächst einmal darum, sich vom Symbol emotionell betreffen zu lassen, die emotionelle Wirkung der Symbole auf uns zu erleben, ihre emotionelle Bedeutsamkeit und damit auch die Veränderung unserer Lebenssituation zu erfahren. Sehr oft wird diese Haltung zunächst vom Analytiker an den Analysanden herangetragen.

Zum andern ist wichtig, die verschiedenen Dimensionen des Symbols zu fassen und den Entwicklungsanreiz darin aufzunehmen. Dies geschieht, indem wir die Symbole in einen Bedeutungshorizont hineinstellen, der sowohl das persönliche Erleben und die persönliche Problematik als auch die Ebene der überpersönlichen Symbole erfasst. Ein Symbol erfasst immer Erinnerung und Erwartung, ist daher in...

Blick ins Buch

Weitere E-Books zum Thema: Lebensführung - Motivation - Coaching

PS: Glücklich sein

E-Book PS: Glücklich sein
Format: PDF

Glücklich sein beinhaltet nicht nur Gesundheit, eine gesunde Ernährung und eine sportliche Betätigung. Glücklich sein kann von jedem von uns anders empfunden werden.In dem hier vorliegenden Buch "PS…

Simplify your life

E-Book Simplify your life
Küche, Keller, Kleiderschrank entspannt im Griff Format: ePUB/PDF

»Das bisschen Haushalt …« kann leider ganz schön anstrengend sein, wenn in der Sockenschublade ein undurchdringbares Chaos herrscht, sich in der Küche vor lauter…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Das Pippilotta-Prinzip

E-Book Das Pippilotta-Prinzip
Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt Format: ePUB/PDF

Frech, respektlos, mutig – und viel Spaß dabei! Jeder kennt sie aus der Kindheit: Pippilotta Viktualia Rollgardina Pfefferminz Efraimstochter, kurz: Pippi Langstrumpf. Und fast jedes M…

Simplify your love

E-Book Simplify your love
Gemeinsam einfacher und glücklicher leben Format: ePUB/PDF

Gemeinsam einfacher und glücklicher lebenEgal ob Single, frisch verliebt oder schon in einer festen Beziehung: Fast alle Menschen wünschen sich eine stabile und glückliche Partnerschaft. Doch…

Simplify your love

E-Book Simplify your love
Gemeinsam einfacher und glücklicher leben Format: ePUB/PDF

Gemeinsam einfacher und glücklicher lebenEgal ob Single, frisch verliebt oder schon in einer festen Beziehung: Fast alle Menschen wünschen sich eine stabile und glückliche Partnerschaft. Doch…

Simplify your love

E-Book Simplify your love
Gemeinsam einfacher und glücklicher leben Format: ePUB/PDF

Gemeinsam einfacher und glücklicher lebenEgal ob Single, frisch verliebt oder schon in einer festen Beziehung: Fast alle Menschen wünschen sich eine stabile und glückliche Partnerschaft. Doch…

Weitere Zeitschriften

care konkret

care konkret

care konkret ist die Wochenzeitung für Entscheider in der Pflege. Ambulant wie stationär. Sie fasst topaktuelle Informationen und Hintergründe aus der Pflegebranche kompakt und kompetent für Sie ...

Correo

Correo

 La Revista de Bayer CropScience para la Agricultura ModernaPflanzenschutzmagazin für den Landwirt, landwirtschaftlichen Berater, Händler und am Thema Interessierten mit umfassender ...

DER PRAKTIKER

DER PRAKTIKER

Technische Fachzeitschrift aus der Praxis für die Praxis in allen Bereichen des Handwerks und der Industrie. “der praktiker“ ist die Fachzeitschrift für alle Bereiche der fügetechnischen ...

Evangelische Theologie

Evangelische Theologie

Über »Evangelische Theologie« In interdisziplinären Themenheften gibt die Evangelische Theologie entscheidende Impulse, die komplexe Einheit der Theologie wahrzunehmen. Neben den Themenheften ...