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'Sind wir eigentlich schuldig geworden?'

Lebensgeschichtliche Erzählungen von Tiroler Frauen der Bund-Deutscher-Mädel-Generation

AutorClaudia Rauchegger-Fischer
VerlagStudienverlag
Erscheinungsjahr2018
Seitenanzahl312 Seiten
ISBN9783706559430
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis19,99 EUR
Die erste Monografie zum BUND DEUTSCHER MÄDEL IN TIROL bietet erhellende Einblicke in die Bedeutung und Funktionsweise dieser NS-Jugendorganisation und zeigt, wie manche Frauen dadurch im 'Dritten Reich' Kariere machen konnten. CLAUDIA RAUCHEGGER-FISCHER wertete 30 LEBENSGESCHICHTLICHE INTERVIEWS mit Frauen der BDM-Generation in Tirol aus, darunter 13 BDM-Führerinnen, zehn davon hatten sich bereits als Illegale engagiert. In der Studie werden zum einen die ANZIEHUNGSKRAFT DES NATIONALSOZIALISMUS auf junge Frauen und zum anderen die ERZÄHLMUSTER, ERINNERUNGSLOGIKEN und VERARBEITUNGSSTRATEGIEN der nun betagten Frauen dargestellt. Dies geschieht anhand mehrerer typischer biografischer Fallbeispiele und ausgewählter Themen: Volksgenossinnen versus Juden/Jüdinnen; Beziehungen versus Ideologie; Tüchtigkeit versus Scheitern; soziale Deklassierung und Schuldabwehr, Hitlermythos; Entnazifizierung; Verlust der 'Ideale', Identitäten, 'Sehnsucht nach Vergangenheit'.

CLAUDIA RAUCHEGGER-FISCHER, OStRin Mag.a Dr.in, ist als Lektorin an der Universität Innsbruck für Deutsch- und Geschichtsdidaktik tätig. Sie war außerdem Mitglied der HistorikerInnenkommission des Landes Tirol zur Ausarbeitung von Unterrichtsmaterialien zum Thema NS-Zeit in Tirol sowie Lehrbeauftragte an der PH Tirol (Fachdidaktik Deutsch und Geschichte, Bildungsstandards, Neue Reifeprüfung).

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Leseprobe

Der BDM in Tirol – ein Abriss


Die illegale Mädchenorganisation


Schon in der ersten Hälfte der 1920er Jahre bestanden unter dem Vereinsnamen „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterjugend“ (NSDAJ) nationalsozialistische Jugendgruppen, denen zum Teil auch Mädchen angehörten. Aus der NSDAJ entstand 1927 die österreichische Hitlerjugend, die immer mehr unter den Einfluss der deutschen Parallelorganisation geriet.43 Einige Zeit gab es innerhalb der NSDAJ gemischtgeschlechtliche Gruppen, doch bereits 1930 erfolgte die organisatorische Geschlechtertrennung mit der Gründung des „Bundes Deutscher Mädel in der HJ“ als Unterorganisation der Hitlerjugend.44 Der Bund deutscher Mädel war zwar formal selbstständig, organisatorisch jedoch dem Reichsjugendführer unterstellt. Herta Stumfohls erste Anordnung als Führerin des BDM-Gaues Wien lautete 1931: „Die Mädchengruppen (…) werden getrennt von der Hitlerjugend geführt. Heimabende, Wanderungen u. dgl. Veranstaltungen dürfen von Burschen nicht besucht werden.“45 In Deutschland vereinnahmte der immer mächtiger werdende Apparat der Hitlerjugend ab diesem Zeitpunkt die bis dahin bestehenden Mädchengruppen der nationalsozialistischen Frauenorganisationen und geriet in Konflikt mit der NS-Frauenschaft, die „ihre“ Mädchengruppen nicht aufgeben wollte. Am 7. Juli 1932 erfolgte die gemeinsam von Gregor Strasser und Baldur von Schirach herausgegebene Weisung, dass alle Mädchengruppen der Frauenschaft aufgelöst und in den BDM integriert werden sollten.46 Der BDM war nunmehr eine selbstständige Organisation und die „Bundesführerin des BDM“, Elisabeth Greiff-Walden, unterstand unmittelbar der Reichsjugendführung. Sie konnte selbstständig Führerinnen einsetzen und abberufen, allerdings blieb die Gesamtorganisation politisch der Hitlerjugend unterstellt und so wurden etwaige Autonomiebestrebungen unterbunden und die Zentralmacht gestärkt.47 Herta Stumfohl schreibt über ihre Ernennung 1933: „Lydia Gottschewsky [die Reichsbeauftragte für den BDM] hatte mich vor ihrer Abreise in Wien zur Gebietsführerin für Österreich ernannt (…)“.48 In Österreich können die Jahre 1927 bis 1930 als Beginn nationalsozialistischer Mädchenorganisierung bezeichnet werden, allerdings blieb die Hitlerjugend in den frühen 1930er Jahren ein „marginales Phänomen“.49 Der österreichische BDM hatte am Anfang nur sehr wenige Mitglieder. Nach Schätzungen von Johanna Gehmacher waren Anfang 1932 in ganz Österreich etwa 500 Mädchen im BDM organisiert.50 1930 wurden erstmals Gauführerinnen ernannt, Mimi Conradi für Oberösterreich und 1931 Herta Stumfohl51 für Wien. So wurden die Mädchen dem Einfluss der HJ-Ortsgruppenführer entzogen, der Einfluss der deutschen Zentralstelle in Berlin wuchs jedoch deutlich. Das zeigte sich in neuen Ordnungsstrukturen wie verpflichtenden Schulungen, Mitgliedsbeiträgen und der Ablieferung von Berichten. Um mehr Mitglieder zu werben, übernahm der BDM Organisationsformen der Jugendbewegung: Wanderungen, mehrtägige Fahrten und Geländespiele, aber auch Volkstanzabende. Das Ideal der „Gemeinschaft“ trat in den Vordergrund. Im März 1933 wurde mit der Ernennung von Herta Stumfohl als „Gebietsmädelführerin“ zum ersten Mal eine zentrale Führung des österreichischen BDM errichtet. Diese Ernennung fiel mit dramatischen Veränderungen in der österreichischen Politik zusammen, die schlussendlich zur Ausschaltung des Parlaments und zur Installierung eines autoritären Systems führten. Am 19. Juni 1933 wurde der BDM gemeinsam mit allen anderen nationalsozialistischen Organisationen verboten, jedoch bestanden auch im Austrofaschismus verschiedene Gruppen weiter.52 Die öffentliche Selbstdarstellung nach außen wie das Tragen von Uniformen, Abzeichen und Wimpeln waren nun nicht mehr möglich, bei Hausdurchsuchungen wurden Mitgliederlisten und andere schriftliche Unterlagen beschlagnahmt und Büros geschlossen. Nach dem Verbot der NSDAP in Österreich kam es in einigen Gebieten zur Reorganisation der zusammengebrochenen Strukturen des BDM. In Innsbruck zeigen die Berichte von nunmehr illegal agierenden Schülerinnen des Städtischen Gymnasiums in der Sillgasse (vgl. S. 97), dass die Treffen und Lager wie gewohnt stattfanden. Die Zahl der Mitglieder war allerdings aus Angst vor Aufdeckung und Bestrafung deutlich zurückgegangen. Die Spitze der österreichischen Hitlerjugend befand sich nun in Deutschland, unter Leitung von Paul Minke war die Reichsführerschule in Potsdam praktisch die Führungszentrale für die österreichische Hitlerjugend mit dem Auftrag, die österreichischen Führer und Führerinnen zu finanzieren und auszubilden. Minke war damit De-Facto-Führer der gesamten österreichischen Hitlerjugend. In der Folgezeit wurden nahezu alle höheren österreichischen HJ-Führer und BDM-Führerinnen nach Potsdam bestellt und dort ausgebildet. Potsdam war somit der zentrale illegale Stützpunkt der Landesleitung der österreichischen NSDAP. Otto Weber, der Vorarlberger HJ-Führer, war seit 1935 im Auslandsamt der Hitlerjugend-Zentrale in Berlin tätig und leitete zwischen 1936 und März 1938 die Befehlsstelle Südost der Reichsjugendführung. Herta Stumfohl hatte ebenfalls bezahlte Funktionen in der Reichsjugendführung inne und arbeitete zuletzt als Hauptreferentin sowie „stellvertretende Reichsreferentin“ des BDM. In Tirol war der BDM in dieser Zeit hauptsächlich auf deutschnationale bzw. großdeutsche Kreise in Innsbruck und einige wenige größere Orte im Unterland sowie in Telfs und Reutte konzentriert, zur Reichsjugendführung in Berlin bestanden aber enge personelle Kontakte.

Die Aktivitäten während der illegalen Zeit umfassten neben politischen Schulungen und Propagandaarbeit Wanderungen, mehrtägige Fahrten und Geländespiele, aber auch Volkstanz und Liederabende, gemütliches Zusammensitzen sowie die Organisation von Sommerlagern.53 Während der Zeit der Illegalität wurden Lager bei Gesinnungsfreunden oder auf entlegenen Hütten, die einen längeren Anmarsch erforderlich machten, abgehalten. Mehrfach schlugen verschiedene Gruppen in der Ramsau ihr Quartier auf, auch kurz nach dem Verbot der Partei im Juni 1933, um „die Mädel mit geistigen Waffen gleichsam auszustatten, immer mehr und immer mehr von unserer Weltanschauung in sie hineinzutragen und fest zu verwurzeln. Sie werden es (sic!) dann weitergeben an ihre Familie, an Freunde, an Arbeitskameraden und -kameradinnen und werden so die Träger der nationalsozialistischen Weltanschauung bleiben.“54

Führerinnen aus ganz Österreich auf einer Skihütte bei Liezen im Ennstal anlässlich eines illegalen Schulungslagers 1937 (Foto Weber-Stumfohl, Ostmarkmädel, S. 160)

Neben BDM-Lagern fand auch Jungmädellager statt. Nach dem Frühsport halfen die Mädchen zwei bis drei Stunden am Bauernhof mit, nachmittags fanden Schulungen statt,55 die „die wesentlichen Fragen des deutschen Volkes“56 beinhalteten. Herta Stumfohl spricht davon, „dass wir das alles aber, ich möchte fast sagen, einhämmern müssen in die Hirne und Herzen der jungen deutschen Menschen“.57 1937 wurden in Schulungs- und Arbeitslagern 1.078 BDM-Führerinnen erfasst. Grundlage war „die Liebe zum deutschen Volk, das Wissen um ein Deutsches Reich und der unerschütterliche Glaube und die Liebe zum Führer“.58 Das Augenmerk lag auf der politischen Ausbildung der oberen Ränge, darunter verstand man die Führerinnen der Bundesländer und ihre wesentlichen Mitarbeiterinnen. Als Grundlage dafür dienten Hitlers „Mein Kampf“ und Alfred Rosenbergs „Mythos des 20. Jahrhunderts“.59

Bis zu Beginn der 1930er Jahre spielte die NSDAP in Tirol insgesamt eine untergeordnete Rolle, 1932/1933 gelang ihr schließlich der Durchbruch. Für den enormen Aufschwung war einerseits die Machtübernahme Hitlers in Deutschland ausschlaggebend, gleichzeitig erlebte Tirol den Höhepunkt der Wirtschaftskrise. Die Zahl der Arbeitslosen stieg steil an,60 die politische Radikalisierung nahm konstant zu61 und die NSDAP konnte immer mehr Ortsgruppen gründen. In den 1920er Jahren hatte die NSDAP besonders in den Städten Anhänger finden können, hauptsächlich in Innsbruck und Kufstein, ebenso in Kitzbühel. Nun fasste sie auch auf dem Land Fuß.62 Knapp die Hälfte der Tiroler NSDAP-Mitglieder von 1932, nämlich 46 %, war 21 bis 30 Jahre alt, 83 % nicht älter als 40 Jahre. Die Partei verstand es, Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen, die vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg sozialisiert wurden und deren Biografien durch heftige Umbruchserfahrungen gekennzeichnet waren. Außerdem war die Tiroler Partei durch ein städtischmittelständisches Sozialprofil geprägt, wobei die Männer dominierten. Bei den Innsbrucker Gemeinderatswahlen im April 1933 erreichte die NSDAP 41 % der abgegebenen Stimmen und wurde...

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