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E-Book

Sinnliche Bildung?

Pädagogische Prozesse zwischen vorprädikativer Situierung und reflexivem Anspruch

AutorBernd Hackl, Rudolf Egger
VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2010
Seitenanzahl288 Seiten
ISBN9783531923833
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
Die Welt ist kein fügsames Material menschlicher Aktivitäten. Der Einfluss der Welt auf den Menschen kann offen und transparent sein, überwiegend jedoch werden normative Ansprüche hintergründig und indirekt realisiert. Dadurch wird der Blick auf Möglichkeiten verstellt und die Entfaltung von Selbstbestimmung beeinflusst.
Aus bildungstheoretischer Sicht lautet daher die Frage: Unter welchen Bedingungen sind welche Aspekte und Dimensionen des sinnlich unmittelbaren Mensch-Welt-Verhältnisses geeignet, emanzipatorische Ressourcen aufzuschließen und tragfähige Bildungsprozesse zu provozieren? Die Autorinnen und Autoren dieses Buches gehen dieser Frage aus unterschiedlichen Perspektiven nach.


Dr. Rudolf Egger ist Professor am Institut für Erziehungs- und Bildungswissenschaft der Karl-Franzens-Universität Graz.
Dr. Bernd Hackl ist Professor und Leiter des Instituts für Schulpädagogik der Karl-Franzens-Universität Graz.

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Leseprobe
True Lies – Über die Dilemmata einer reformpädagogischen Aneignung tayloristisch entworfener Lernräume (S. 159-160)

Bernd Hackl

Dass Räume pädagogische Wirkungen haben, ist erziehenden Praktikern geläufig, und seit Reformpädagogen wie Maria Montessori von der „vorbereiteten Umgebung“ oder Loris Malaguzzi vom „dritten Erzieher“ gesprochen haben, zählt diese Einsicht auch zum ganz offiziellen Repertoire der Ausübung von Erziehungskunst. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit pädagogischer Architektur fällt dagegen zurückhaltender aus, doch hat die unermüdliche Ausrufung paradigmatischer „turns“ zuletzt auch der Beschäftigung mit Raumfragen zu angemessener Popularität in der scientific community verholfen (vgl. etwa Döring/Thielmann 2008).

Als Klassiker der Analyse von Schulen als Lern- und Herrschaftsraum darf sicherlich der 1975 erschienene Text „Überwachen und Strafen“ von Michel Foucault angesehen werden, der ausführlich einige architektonische Eigenheiten moderner Schulbauten und deren machtstrategische Funktionalität untersucht (Foucault 1994). In jüngerer Zeit haben aus erziehungs- bzw. sozialwissenschaftlicher Sicht etwa Christian Rittelmeyer (2002, 2004), Michael Göhlich (1993), Gunter Otto (1997), Jutta Ecarius / Martina Löw (1997), Gerald Becker / Johannes Bilstein / Eckart Liebau (1997), Eckart Liebau / Gisela Miller-Kipp / Christoph Wulf (1999), Franz-Josef Jelich / Heidemarie Kemnitz (2003) und Jeanette Böhme (2009) aufschlussreiche Arbeiten und/oder Sammelbände zum Thema vorgelegt. Auch aus architekturtheoretischer Perspektive findet das Thema fallweise Interesse, etwa bei Hugo Kükelhaus (1981, 1988), Christian Kühn (2005, 2009), Peter Hübner (2005) oder Joachim Moroder / Horst Hambrusch (2007).

Die phänomenologische Architekturbetrachtung hat das Thema Schule dagegen noch nicht für sich entdeckt, dort stehen bislang Gebäude und Räume im Vordergrund, welche dem privaten Leben oder der sakralen Inszenierung gewidmet sind (vgl. nur etwa Martin Heidegger 2004; Gaston Bachelard 1987; Otto Friedrich Bollnow 2004, 123ff.; Hermann Schmitz 2005a, 149ff. oder 2005b, 207ff.; Gernot Böhme 2006).

Besonders schmal ist der Bestand an Arbeiten, die sich der Aufgabe widmen, konkrete Beispiele von Schularchitektur in einem empirischen Sinne aufzuarbeiten. Hier ginge es darum, am Beispiel vorfindlicher Lernräume nachzuzeichnen, in welcher tatsächlichen Weise „der Sinn der Dinge“ sich für die Menschen wandelt je nach dem Sinn ihres Hauses“ (Saint-Exupéry, zit. bei Bollnow 126), damit also zu betreiben, was Bachelard (1987, 35) mit Blick auf die Psychoanalyse als „Topoanalyse“ charakterisiert hat. Pionierarbeit hat hier sicher Christian Rittelmeyer geleistet, dessen Studie „Schulbauten positiv gestalten“ (1994) einen möglichen Ansatz zur empirischen Bearbeitung des Themas präsentiert. Einen etwas anders akzentuierten Zugang vermitteln Studien in der Tradition einer hermeneutischen Architekturforschung: Ingrid Kellermann / Christph Wulf (2009) etwa interpretieren Schularchitektur im Kontext ritueller Raumpraktiken, Georg Breidenstein (2006) nähert sich dem Raumthema in ethnografischer Perspektive, Jeanette Böhme / Ina Herrmann (2009) oder ich selbst (2009) versuchen, inspiriert durch das Beispiel Oliver Schmidtkes (2006), der Sache in objektivhermeneutischer Einstellung Sinn abzugewinnen.

Die in der Folge rekonstruierte Raumsituation bildet einen relativ eigenständigen Sektor einer Wiener Grundschule, in dem SchülerInnen auf der Grundlage eines reformpädagogisch orientierten Schulversuches bis zur sechsten Schulstufe (also der zweiten Stufe der regulären Sekundarstufe I) unterrichtet werden. Der Unterricht findet überwiegend als Gesamtunterricht statt, das pädagogische Personal wechselt also nur geringfügig.

Die Klassenlehrerin verfügt über langjährige Erfahrung im Experimentieren mit reformpädagogischen Unterrichtsformen. Sie kann als sehr engagiert und – im Sinne der selbst gestellten Ansprüche – pädagogisch erfolgreich angesehen werden. Dies lässt sich etwa daran ablesen, dass sie regelmäßig freiwillig ein wesentlich höheres Kontingent an „Problemfällen“ (z.B. SchülerInnen, die als „nicht beschulbar“ gelten) in ihre Klassengemeinschaft integriert, als dies vom Gesetz her zugemutet wird, ohne dass dies zu erheblichen nach außen hin sichtbaren Störungen des Unterrichts führen würde.

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