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So bleibt die Liebe jung

AutorOswalt Kolle
VerlagVirulent
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl130 Seiten
ISBN9783864740732
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis4,99 EUR
Keiner in Deutschland hat den Umgang mit Sexualität mehr geprägt als Oswalt Kolle. Er scheut vor keinem Tabu zurück, auch nicht vor Sexualität im reiferen Alter. Lust an der Liebe und Zärtlichkeit sind kein Privileg der Jugend. Menschliche Wärme ist bis ins hohe Alter notwendig. Seinem unermüdlichen Einsatz ist es zu verdanken, dass seit einigen Jahren endlich auch öffentlich über Sexualität im Alter diskutiert wird. 'So bleibt die Liebe jung' ist ein offenes Buch, das mit großem Einfühlungsvermögen Menschen ab 49 Jahren wichtige Ratschläge gibt.

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FRAUEN ZWISCHEN LUST UND TABU


 

Zehn Jahre lang hat Barbara nach dem Tod ihres Mannes allein gelebt. Dieser Mann war die einzige große Liebe ihres Lebens. Sie hat drei Kinder mit ihm. In diesen zehn Jahren hat Barbara die Tatsache verdrängt, dass sie auch eine Frau mit eigenen Wünschen und Begehren ist: Sie war nur noch aufopfernde Mutter und Großmutter. Wirklich schwer ist ihr dieses Alleinsein auch nicht geworden, da sie sich einfach nicht vorstellen konnte, nach der großen Liebe überhaupt noch mit einem anderen Mann intim werden zu können. „Wir waren so aufeinander eingespielt“, sagt sie selbst. Außerdem hatte sie das Gefühl, in ihrem Alter für einen Mann nicht mehr begehrenswert zu sein: „Wer will denn noch so ein altes Mädchen mit Falten?“

 

Und dann geschah etwas, das Barbara erst einmal total aus der Bahn warf und ihr Leben veränderte: Ihre beiden Söhne und ihre Tochter schenkten ihr zum Geburtstag eine vierzehntägige Reise nach Spanien. Schon am ersten Urlaubstag auf Mallorca näherte sich ihr auf einer Terrasse ein charmanter, liebenswürdiger älterer Herr, Albert. Voller Misstrauen hörte sich Barbara seine Komplimente über ihr Aussehen an. Was wollte der Mann, hielt er sie vielleicht für eine reiche Witwe? Anders konnte sie sich nach all den Jahren ohne Beziehung zu Männern seinen Flirt nicht erklären. Aber nach ein paar Tagen war sie überzeugt, dass dieser Mann sie einfach gut fand, gern mit ihr zusammen war, ihre Art zu sprechen mochte. Er gefiel ihr, aber mehr auch nicht. Keine Rede von Verliebtheit oder gar Liebe. „Ich war nicht allein, das gefiel mir.“

 

Das Letzte, an das Barbara in diesen Tagen dachte, war Sexualität. Für sie ist, wie für so viele Frauen dieser Generation, Sexualität unlösbar mit Liebe verbunden. Ohne Liebe mit großem L geht gar nichts – dachte sie damals. Doch dann geschah das für Barbara Unfassbare. Am vierten Tag lud Albert sie zu einem romantischen Diner bei Kerzenschein in einem Hafenrestaurant ein. Die ‚Zarzuela‘ wurde mit viel rotem Rioja heruntergespült. „Fisch muss schwimmen ...“ Ein bisschen angeheitert und beschwingt ging Barbara mit Albert unter dem Sternenhimmel am Strand spazieren. Als Albert den Arm um Barbara legte, schmiegte sie sich an ihn. Bei seinem ersten Kuss wurde sie ganz weich in seinen Armen. „Und dann zitterte ich wie ein ganz junges Mädchen ...“ Wie in Trance ging sie mit ihm auf sein Hotelzimmer. Plötzlich waren all die Ängste weg, die sie jahrelang beim geringsten Gedanken an Sex hatte: ‚Ich bin alt, ich bin nicht mehr anziehend, ich muss mich meines verblühten Körpers schämen, ich werde mich ungeschickt anstellen, ich weiß gar nicht mehr, wie das geht ...‘ Der Mann entpuppte sich als ein geschickter, geduldiger und außerordentlich zärtlicher Liebhaber. Mit seiner Zunge brachte er Barbara zum ersten Mal zum Orgasmus. Das hatte sie in ihrer Ehe nie erlebt – einen solch heftigen Orgasmus jedenfalls noch nicht. Sie fürchtete, ohnmächtig zu werden, so wild zuckte es in ihr. Als Albert später, viel später, in sie eindrang, wurde sie zum zweiten Mal geschüttelt. „Das war etwas Neues für mich. Bei meinem Mann hatte ich ganz selten einen Orgasmus und dann sehr leise.“

Sie genoss diese Nacht. Aber am nächsten Morgen fragte sie sich immer wieder, wie das hatte geschehen können. Sie hatte einfach Sex genossen, ohne Liebe, ja sogar ohne Verliebtheit. Sie hatte sich einfach einem fremden Mann hingegeben. Ihr ganzes Weltbild geriet ins Wanken.

 

Für Barbara, wie für so viele Frauen ihrer Generation, ist Sexualität eine Angelegenheit, die nur in der Liebe ihre wahre Erfüllung finden kann, alles andere gilt als schmutzig. Liebe veredelt das ‚tierische‘ Geschehen, Verlobung adelt die Sexualität, Ehe setzt ihr die Krone auf. Barbara war auf dem Land aufgewachsen, in einer katholischen Gemeinde. Es herrschte dort eine strenge Doppelmoral: Was ihren Brüdern erlaubt war, wurde ihr verboten. Die Jungen sollten sich ruhig mit ‚schlechten‘ Mädchen die Hörner abstoßen, die guten Mädchen hingegen taten so etwas nicht, frühestens nach der Verlobung, am besten aber erst in der Ehe. Barbaras Aufklärung über Sexualität bestand darin, dass ihre Mutter nach der ersten Menstruation sagte: „Jetzt hast du die Schweinerei auch. Jetzt musst du aufpassen mit den Jungs, sonst kriegst du ein Kind.“ Sie erinnert sich an ein katholisches Aufklärungstraktat, das ihr beim Kommunionsunterricht gegeben wurde. Darin stand zum Beispiel der Satz: „Wenn du dich als Mädchen beim Tanz von einem Burschen nach draußen führen lässt, ist das der erste Schritt in die Hölle der Unzucht.“

 

Wie Millionen anderer Frauen ihrer Generation auch stolperte Barbara dann in eine Ehe mit dem ersten Mann, mit dem sie stets voller Angst geschlafen hatte. Sie war mit der Idee aufgewachsen, dass sich sexuell schon alles regeln würde, wenn nur die Liebe stimmt. Schließlich galt Sexualität in ihren kleinbürgerlich-katholischen Kreisen auch nicht als Vergnügen, sondern als Instrument Gottes, um Kinder zu zeugen. Vergnügen schon gar nicht für Frauen, das hatte ihre Mutter sie gelehrt. Es war eine Sache, die Männern Spaß machte, und die Frau hatte dieser sonderbaren Lust zu dienen, der Liebe, der Ehe und der Kinder wegen. So war ihre Ehe sexuell freudlos geblieben. Weder Barbaras Mann noch Barbara konnten je über ihre sexuellen Empfindungen sprechen. Man hatte Sex, aber man redete nicht darüber. Die öffentliche Sexualdiskussion am Ende der sechziger Jahre kam für sie, wie für viele andere, zu spät: Zwar verbesserte sich das sexuelle Verhältnis zu ihrem Mann etwas, weil er ‚neue Griffe ausprobierte‘, aber ihre sexuelle Beziehung war doch längst zur Routine geworden, sie konnten sich beide nicht von ihrem Tabu befreien, konnten nicht über ihre eigenen Grenzen springen, waren erstarrt in dem Gesetz, mit dem sie einst ihre Ehe begonnen hatten. Und dann Mallorca! Roter Wein und Rausch. Ein nie geahntes Glücksgefühl. Das Leben begann von neuem.

 

In unseren langen Gesprächen hat mir Barbara ihre Gefühle dieser Urlaubswoche geschildert: „Ich wollte, dass es nie enden würde. Aber gleichzeitig bohrte es in mir: Das schickt sich doch nicht, mit diesem fremden Mann solche Empfindungen zu haben. Ich sagte mir: Darüber kannst du mit niemandem sprechen, man würde dich nur auslachen. Ich war Oma von drei Enkelkindern, lag nun hier auf einem zerwühlten Hotelbett und sehnte mich nach mehr.“

 

Um diese Kluft zwischen Tabu und Lust zu schließen und damit das rein sexuelle Erlebnis nachträglich auf eine höhere Ebene zu heben, erklärte Barbara für sich selbst Albert in diesem Moment zu ihrer zweiten großen Liebe. Ein folgenschwerer Irrtum, wie sich bald zeigen sollte: Denn außer dem gemeinsamen erotischen Vergnügen verband die beiden Menschen überhaupt nichts. Als Barbara dann in ihre Heimatstadt zurückkam, musste sie ihren drei erwachsenen Kindern sagen, sie habe sich verliebt. Sie werde mit diesem Mann zusammenziehen und mit ihm leben, ja ihn vielleicht sogar heiraten.

 

Hatte sie bisher nur ihr eigenes Tabu, ihre eigenen Moralvorstellungen verletzt – nun verletzte sie das Tabu der jungen Generation. Die waren fassungslos, empfanden diese angebliche Liebe als Verrat am toten Vater und waren tief enttäuscht, dass die Oma sich plötzlich als ein lebendiges Wesen mit eigenen Wünschen und Sehnsüchten entpuppte: So hatte man nicht gewettet. Bevor Albert auch nur auftauchte, wurde er von den drei Kindern schlechtgemacht: Barbara habe eine gute Pension, der alte Mann wolle nur von ihr profitieren, und überhaupt: Was sie denn in ihrem Alter noch von einem Mann wolle!

 

Barbara gibt zu, dass sie in diesem Augenblick die Wahrheit hätte sagen sollen: „Dies ist mein Leben, dies ist meine Sexualität – ich will mit diesem Mann nicht Hand in Hand durchs Leben laufen, aber ich mag ihn, ich liebe ihn, ich gehe gern mit ihm ins Bett.“

Aber das Tabu war stärker: Sex hat man, aber man redet nicht darüber, schon gar nicht mit seinen Kindern. Nach ein paar Wochen verschwand Albert wieder aus ihrem Leben. Die regelmäßigen Missverständnisse über die Lebenseinstellung und die sehr verschiedenartigen Interessen machten den Alltag der beiden zu einem ständigen Kampfplatz. Dagegen konnten die gemeinsamen sexuellen Interessen und Freuden nicht ankommen. Die ständige Feindschaft der Kinder gegen den Eindringling beschleunigte den Prozess des Auseinanderlebens. Das Tabu hatte die Lust besiegt.

 

Barbaras Geschichte ist nicht ungewöhnlich. Die meisten Frauen dieser Generation sind in dumpfen Verhältnissen aufgewachsen und standen, was ihre Sexualität betrifft, unter ständigem moralischen Druck. Die Hemmungen so mancher älteren Frau, Sexualität wirklich zu genießen, kann man nur verstehen, wenn man tief in die Zeit ihrer Jugend zurückgeht. Und erst wenn es diesen Frauen gelingt, die Last der Vergangenheit abzuschütteln, ist es ihnen möglich, sich selbst auch im späten Alter noch zu befreien.

 

Wichtig ist in diesem Zusammenhang zu wissen, wie die Zeiten für die jungen Mädchen ihrer Generation waren. Im Vordergrund stand damals für jede junge Frau die Angst vor einer ungewollten Schwangerschaft, da diese für sie eine menschliche und gesellschaftliche Katastrophe bedeutete. Menschlich, weil es praktisch keine Möglichkeit gab, eine legale Abtreibung vorzunehmen. Man rechnete damals zwar pro Jahr mit rund zwei Millionen...

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