Dieses Kapitel umfasst die Definition und Einordnung des Dritten Sektors in die Gesellschaft, um ein theoretisches Grundlagenverständnis für die Fallstudie in Kapitel 4 zu skizzieren. Der Sektor zwischen Markt und Staat wird unter wissenschaftlichem Aspekt als „Dritter Sektor“, „Nonprofit-Sektor“ oder auch als „intermediärer Sektor“ bezeichnet. Der Begriff „Nonprofit“ wird sowohl für den öffentlich-rechtlichen als auch für den privatwirtschaftlich gemeinnützigen Bereich verwendet. Im öffentlichen Sprachgebrauch werden für Organisationen, die im Dritten Sektor angesiedelt sind, eher Begriffe wie zum Beispiel (z.B.) Verein oder Verband benutzt. (Anheier 2011: 19) Den Dritten Sektor konstituieren jene Organisationen, deren Handlungslogik einem eigenen Steuerungsmodus folgt und nicht mit der der Konkurrenzsektoren Markt und Staat übereinstimmt. So zeichnen sich Dritte-Sektor-Organisationen in Abgrenzung zur öffentlichen Verwaltung durch ein geringeres Maß an Amtlichkeit aus. Gewinne werden zwar erwirtschaftet, aber nicht an Mitglieder oder Mitarbeiter ausgeschüttet, sondern wieder in die jeweilige Organisation reinvestiert. Die Mitgliedschaft und Mitarbeit in Dritte-Sektor-Organisationen beruhen auf einer individuellen Entscheidung und somit auf Freiwilligkeit. Organisationen des Dritten Sektor zeichnen sich also durch eine eigene Handlungslogik, spezifische Funktionen und spezielle organisatorische Strukturen aus. {Priller 2007 #104: 16} Marita Haibach definiert den Dritten Sektor folgendermaßen: »Der Begriff dient als Sammelbezeichnung für diejenigen Organisationen, die weder den Bereichen Privatwirtschaft oder Staat noch dem informellen Privatbereich zugeordnet werden können.« {Haibach 2002 #91: 30} Eine ähnliche Definition verwenden auch Eckhard Priller und Anette Zimmer: »Der Terminus Dritter Sektor wird zur Kennzeichnung eines gesellschaftlichen Bereichs verwendet, der zwischen Staat, Markt und Privatsphäre angesiedelt ist.« {Priller 2007 #104: 16}
Der Bereich zwischen Markt, Staat und Familie wird auch als öffentlicher Raum gesehen. Dieser Bereich der Gesellschaft wird als Zivilgesellschaft bezeichnet. {Stifterverband für die deutsche Wissenschaft e.V. #110: 15} Jürgen Habermas liefert für die Zivilgesellschaft eine simple Argumentation; nämlich dass die Zivilgesellschaft anders als der liberale Staat nicht zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist. Die Zivilgesellschaft setzt sich aus jenen mehr oder weniger spontan entstandenen Vereinigungen, Organisationen und Bewegungen zusammen, welche die Resonanz, die die gesellschaftlichen Problemlagen in den privaten Lebensbereichen finden, aufnehmen, kondensieren und lautverstärkend an die politische Öffentlichkeit weiterleiten. Sie übt Einfluss aus auf eine in öffentlichen Debatten, also im Kontroversstil, sich herausbildende öffentliche Meinung, ohne jedoch direkten Zugang zu den organisatorischen Herrschaftsstrukturen zu gewinnen. {Reese-Schäfer 2010 #28: 5} Eine lebendige Zivilgesellschaft kann sogar als absichtliches Resultat staatlicher Intervention anzusehen sein. Zu nennen sind beispielsweise britische Regierungen, die durchgehend große Anstrengungen unternommen haben den Dritten Sektor zu fördern, vor allem im Bereich der sozialen Dienstleistungen. {Kriesi 2007 #66: 32}
Allerdings gibt es bisher keine genaue international akzeptierte Definition des Dritten Sektors. Die internationale Vergleichbarkeit und Abgrenzung zu anderen Sektoren ist demnach häufig mit Problemen verbunden. Das Konzept von der John Hopkins University, USA, sieht die Abgrenzung vom Markt- und Staatssektor und Nicht-Ausschüttung der Gewinne an die Mitglieder als zentrales Merkmal des Konzeptes des Dritten Sektors.[8]
Weiterhin werden Non-Profit-Organisationen (kurz: NPO, weiterführend wird diese Abkürzung verwendet) aus allen Sektoren als Organisationen, die Güter und Dienstleistungen bereitstellen, verstanden und:
– formal rechtlich begründet und strukturiert sind, einen institutionellen Aufbau haben und in der Öffentlichkeit auftreten
– privat und damit institutionell und organisatorisch vom Staat unabhängig sind
– eigenständig verwaltet werden, also selbst die Kontrolle über ihre Geschäfte ausüben
– nicht primär gewinnorientiert sind, im Sinne, dass sie Gewinne an Mitglieder, Eigner und insbesondere ans Management nicht ausschütten dürfen
– freiwillig sind, d.h. zu einem gewissen Grad ehrenamtliche Mitarbeiter einsetzen, von freiwilligen Beiträgen und Spenden getragen werden und keine Zwangsverbände darstellen. {Kraus 2005 #108: 6}
Nach dem beschriebenen Ansatz bilden NPOs den „Dritten Weg“ neben Staat und Wirtschaft. Der in dieser Arbeit kontinuierlich verwendete Begriff der NPO schließt sowohl innerstaatliche Organisationen als auch internationale Non-Governmental-Organizations (kurz: NGOs) mit ein. Inbegriffen sind beispielsweise weltweit tätige Entwicklungshilfe- und humanitäre Organisationen wie Brot für die Welt e.V. oder das internationale Netzwerk von Ärzte ohne Grenzen. NGOs erbringen zwar teilweise staatlich mitfinanzierte Leistungen, beispielsweise das Internationale Rote Kreuz, verfolgen aber dennoch das Ziel, die Politik von Staaten und internationalen Organisationen zu beeinflussen. {Giroud 2002 #97: 21}
Die Abbildung 1 zeigt, dass es sich bei dem Dritten Sektor um eine Bereichsbezeichnung oder genauer um ein heuristisches Modell handelt. Die Abbildung verdeutlicht nochmals, dass der Dritte Sektor zur Bezeichnung eines gesellschaftlichen Bereichs dient, der durch die Sektoren Staat, Markt und Gemeinschaft bzw. Familie abgegrenzt wird. Aufgrund ihrer Handlungslogiken bereiten die diesem Bereich zugehörigen Organisationen eindeutige Zuordnungsprobleme. {Zimmer 2002 #71: 1}[9] NPOs verfügen auch über eine eigenständige Rechtsform, die ebenfalls sehr unterschiedlich sein kann. Ergänzend können, zusätzlich zu den in Abbildung 1 ersichtlichen Organisationstypen des Dritten Sektors, erwähnt werden:
– gemeinnützige Vereine
– Geselligkeitsvereine
– Stiftungen
– Einrichtung der freien Wohlfahrtspflege
– gemeinnützige GmbHs und ähnliche Gesellschaftsformen
– Organisationen ohne Erwerbszweck
– Verbraucherorganisationen
– Selbsthilfegruppen
– staatsbürgerliche Vereinigungen {Anheier 2011 #100: 22}[10]
Abbildung 1: Klassifikation der Organisationstypen des Dritten Sektors und seine Abgrenzung zu Staat, Wirtschaft und Privatbereich. Quelle: {Priller 2007 #104}
Die Organisationen des Dritten Sektors dürfen, wie erwähnt, keine Gewinne ausschütten, jedoch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Geldern im Interesse des gewählten Zwecks einen maximalen Nutzen generieren. Dafür werden NPOs als Dienstleistungsunternehmen betrachtet, unter der Prämisse »maximale Erzielung von Wirkungen bei ihren ,Stakeholdern‘ (zu deutsch: Anspruchsgruppen) durch verschiedene Dienstleistungen« (vgl. Horak/ Heimerl, 2011: 167).
Betrachtet man den Wert von NPOs weltweit, so wird deutlich, dass die Bedeutung von NPOs in vielen Bereichen kontinuierlich zugenommen hat; »From humanitarian relief to the environment, public health to education, microfinance to intellectual property, NGOs are increasingly at the forefront of developments shaping the lives of millions of people around the world.« {The Global Journal #125} Der Dritte Sektor nimmt aber auch im politischen als auch im gesellschaftlichen System Deutschlands eine bedeutende Stellung ein. Aufgrund seiner Variabilität und dem bleibenden Bedarf hat sich der NPO Sektor seit Ende der 80er Jahre eigenständig etabliert und nimmt kontinuierlich an Bedeutung zu. {Anheier 2011 #100: 19f.}
Die Situation des Dritten Sektors in Deutschland ist durch drei grundlegende Prinzipien gekennzeichnet:
1) Das Subsidiaritätsprinzip entstand ursprünglich im Kontext religiöser Spannungen und hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg voll entwickelt. Es weist NPOs den Vorrang gegenüber der öffentlichen Hand bei der Erstellung sozialer Dienstleistungen zu.
2) Das Selbstverwaltungsprinzip ging aus dem Konflikt zwischen Staat und Bürgern im 19. Jahrhundert hervor; es ermöglichte, dass sich in einer autokratischen Gesellschaft, in der die Vereinigungsfreiheit nur teilweise garantiert war, NPOs aus der kommunalen und ständischen Ordnung heraus entwickeln konnten.
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