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E-Book

Solons Vermächtnis

Vom richtigen Zeitpunkt im Leben

AutorDenis Scheck, Eva Gritzmann
VerlagBerlin Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl256 Seiten
ISBN9783827078407
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis9,99 EUR
Der Mensch hat die Zeit über das Essen entdeckt. Jäger und Sammler orientierten sich am Reifegrad von Wurzeln und Gräsern, Beeren und Früchten. Das Wissen um den richtigen Zeitpunkt gehörte von Beginn an zum menschlichen Überlebensrepertoire. Der athenische Staatsmann und Lyriker Solon führte es früh zu höchster Blüte. Er begründete die Lehre von den sieben Reifestadien des Menschen. Denis Scheck und Eva Gritzmann greifen Solons Vermächtnis auf und begegnen Menschen, die es mit Leben füllen. Wie schon die Jäger und Sammler interessieren sie sich dabei besonders fürs Kulinarische, allerdings auf entschieden höherem Niveau. Auf ihren Streifzügen erfahren sie unter anderem, wie aus einem Kunstbuchverleger ein Schnapsbrenner von Weltruf, wie aus einem Junk-Food-verzehrenden Rockstar ein führender Gourmet-Kritiker wird, und warum Martin Walser noch immer mit Begeisterung von einem Lottogewinn träumt. Denis Scheck und Eva Gritzmann zeigen uns so gescheit wie unterhaltsam, wie wir lernen, den richtigen Zeitpunkt im Leben zu erkennen und wie wir uns an den Vorzügen unseres jeweiligen Lebensalters erfreuen können.

Dr. med. Eva Gritzmann, geboren 1965, studierte nach einer Banklehre Betriebswirtschaft und Medizin in Bayreuth, Berlin und Düsseldorf und konzipierte den Internet-Auftritt des Deutschlandfunks. Heute lebt sie als Fachärztin für Allgemeinmedizin in Stuttgart.

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Leseprobe

 

Wider Peter Pan

»Über die Unmöglichkeit, mit Würde erwachsen zu werden.« Im Juli 2013 stand dieser Satz schwarz auf weiß in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Für SIE und für IHN brachte er das Fass zum Überlaufen. Der deutsche Feuilletonist Claudius Seidl, damals 54 Jahre alt, schrieb es der Nation mal wieder ins Stammbuch: »Wer nicht jung ist, ist alt. Traurig. Wahr.«

Unser Buch möchte gegen diese Art Gehirnwäsche rebellieren. Wir halten die Aussage, wer nicht jung ist, sei alt, für eklatant unwahr, die darin aufgestellte Dichotomie für grundfalsch und albern, weil sie die Mitte, den Hauptteil unseres Lebens, verleugnet und Leidenschaft mit Jugend verwechselt. Auch finden wir es keineswegs traurig, älter zu werden oder alt zu sein – insbesondere, wenn man die Alternative bedenkt. Wir möchten daran erinnern, dass jede Gesellschaft seit der Morgendämmerung menschlicher Zivilisation Weisheit bei ihren Alten und Unvernunft bei ihren Jungen verortete. Wir glauben, eine Gesellschaft, die dieses Prinzip auf den Kopf stellt, handelt töricht.

Im Deutschland der Gegenwart ist der erwachsene, reife Mensch aus dem kollektiven Bewusstsein und seiner medialen Repräsentanz so gut wie verschwunden. Statt seiner führen Spaßmichl und Animationsseppl, Klatschtraudln und Castingnudeln das Zepter. Stefan Raab moderiert das Kanzlerduell. Ein 27-jähriger YouTube-Kanalarbeiter zappelt sich durch ein Interview mit Angela Merkel wie ein Kindergartenkind im Ritalin-Flash. Die überwältigende Mehrheit der Deutschen vermutet in Günther Jauch den Gipfel an Bildungs- und Kulturkompetenz. Und Daniela Katzenberger formuliert im Titel ihrer als 25-Jähriger veröffentlichten Autobiographie Sei schlau, stell dich doof das Grundgesetz des Privatfernsehens. Es ist, als hätte Hanswurst alle anderen Figuren von der Bühne der Öffentlichkeit vertrieben. Die Infantilisierung der Welt scheint unaufhaltbar voranzuschreiten. Das Banale wird zum Wichtigen erklärt. Simulation ersetzt Substanz. Wer immer nur vom »Abholen« von Lesern, Hörern, Zuschauern spricht, verpasst darüber irgendwann den Zug. Das ständige Absenken vermeintlicher Schwellen führt zum Niveau-Limbo. Der Aufmacher des Kulturressorts besteht dann eben aus der Vermeldung der »Tatort«-Quote.

Nichts liegt IHR und IHM ferner, als in die wohlbekannte Klage wider die Spaßgesellschaft einzustimmen. Unser Unbehagen resultiert nicht aus Ressentiment. Eine Spaßgesellschaft hat es auf deutschem Boden leider nie gegeben. Aber erfreulicherweise hat sich die jedem statistisch in Aussicht gestellte Lebensspanne in Westeuropa in den letzten zwei Jahrhunderten mehr als verdoppelt. Außer in der Rentendebatte und der Diskussion um höhere Krankheitskosten wird dieses factum brutum in der gesellschaftlichen Diskussion in nahezu allen Kontexten meist ausgeblendet.

»In Nimmerland gibt es die Redensart«, schreibt J. M. Barrie 1904 in Peter Pan, »dass mit jedem Atemzug, den man macht, ein Erwachsener stirbt.« Peter Pans Lebensphilosophie ist in vielen Milieus heute die herrschende. Doch wer aus Furcht vor dem Tod, der Verdrängung des natürlichen Alterns und aus Angst, die vielbeschworene werberelevante Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen zu verprellen, die Hälfte der Bevölkerung aus dem Blick verliert, hat nicht nur Scheuklappen auf. Solches Denken selbst einäugig zu nennen wäre noch ein verfehltes Kompliment. Es ist schiere Blindheit vor den gesellschaftlichen Gegebenheiten. SIE und IHN erinnert es an intellektuelle Selbstkastration von der Sorte, die in den achtziger und neunziger Jahren das Einwanderungsland Bundesrepublik negierte und eine Debatte über Leitlinien einer vernünftigen Integrationspolitik verunmöglichte. Gesellschaftlich zahlen wir dafür einen hohen Preis.

SIE und ER sind vor kurzem beide fünfzig geworden. Wir halten uns weder für jung, noch zählen wir uns zu den Alten – was angesichts der statistischen Lebenserwartung in der Bundesrepublik Deutschland, die IHM knapp drei, IHR jedoch fast vier weitere Jahrzehnte in Aussicht stellt, auch absurd wäre. Die Werbung beginnt diesen neuen Markt gerade zu entdecken. Best Ager oder neuerdings Downager lautet das Schlagwort der Trendforscher für Menschen über fünfzig, die sich nicht so verhalten, wie man das in vergangenen Jahrhunderten von Menschen über fünfzig erwartet hat.

Wir haben den allgegenwärtigen Jugendkult genauso satt wie die Selbstinfantilisierung der Generation unserer Eltern und unserer eigenen. Wir möchten keine Artikel mehr lesen, die danach fragen, ob Schwerkraft, Wackelpeter oder Schnittblumen »noch zeitgemäß« sind oder nicht. Wir glauben, dass die Ausdehnung des Prinzips Pop auf sämtliche Lebensbereiche unserer Wirklichkeit zu einer dramatischen Einbuße an Qualität, einer Minderung des allgemeinen Reflektionsniveaus und zu einem Verlust an Würde geführt hat. Selten wurde IHR und IHM das so schlagend vor Augen geführt wie in jenem insbesondere von Apple-, Google- und Facebook-Angestellten frequentierten In-Lokal in San Francisco, das seine nach strengen Prinzipien von Regionalität und Saisonalität geführte Küche mit betont jugendlichem Flair kredenzte und dabei auf die wohl hässlichste Tischdekoration verfiel, seit sich Salome vor rund zweitausend Jahren den Kopf von Johannes dem Täufer wünschte: die Jeansserviette.

 

Jeansserviette, San Francisco 2014

Wir bezweifeln, ob Kindergartenmöbel geeignete Einrichtungsgegenstände für Aufenthaltsorte Erwachsener sind und wären dankbar, wenn sich das unter den Designern von Imbissbuden, Bars, Lounges und Restaurants herumspräche – auch wenn solche auf Kinderdimensionen angelegten Hocker, Bänke und Sitzsäcke eine Flächennutzung ermöglichen, die im Kapitalismus verlockend erscheint und belohnt wird. Auch halten wir die Körpersprache der Protagonisten von Sendungen wie »Dingsda«, »1, 2 oder 3« oder »Wissen macht Ah!« für Menschen über zwanzig nicht für erstrebenswert. »Von Klugscheißern für Klugscheißer« heißt der Untertitel der in ihren Beiträgen übrigens nicht schlecht gemachten letztgenannten Kindersendung. Wer so an der Vulgaritätsspirale dreht, darf sich nicht wundern, wenn sich der Respekt vor Lehrern allmählich dem von Schuhverkäufern nähert.

Wir bedauern, in einer Gesellschaft zu leben, in der die Schönheitsoperation mit der größten Wachstumsrate das Aufspritzen der Schamlippen mit Hyaluronsäure oder Eigenfett ist, um die Vulva einer erwachsenen Frau wie die eines pubertierenden Mädchens aussehen zu lassen. Mussten vor Jahren schon mal Sprecher von Fernsehnachrichtensendungen zum Hörfunk wechseln, weil ihre Schönheits-OPs schiefliefen, sind starre Botox-Gesichter heute auch bei männlichen Moderatoren von Kultursendungen eher die Regel als die Ausnahme, und Ängste vor Altersrassismus Gegenstand von Kantinengesprächen. SIE und ER glauben, manche unserer kulturellen Navigatoren haben nicht nur ihren Kompass verloren, sondern ihr Schiff. Wir haben erlebt, wie es zu einer Fetischisierung und Gleichsetzung von Jugend mit Idealismus, Frische und Innovationskraft gekommen ist, wo dieses Lebensalter doch vielfach von Konsumismus, Konformismus und krassem Egoismus bestimmt wird. Insbesondere die Projektion aller Übel auf die vorangegangenen Generationen erscheint uns intellektuell allzu bequem und unlauter – im Grunde die Fortsetzung einer Klischee-Psychoanalyse mit anderen Mitteln: An allem sind unsere Mütter und Väter schuld, und sei es nur, weil Muttis Geburtskanal einfach zu eng für uns war.

 

Erwachsene Menschen in einer
deutschen Großstadt essen auf Kisten.

SIE und ER wissen, dass wir Zwerge auf den Schultern von Riesen sind. So haben wir ganz sicher enorm davon profitiert, dass die Achtundsechziger-Generation gegen den Muff unter den Talaren rebellierte und die sozialliberale Koalition der siebziger Jahre Menschen wie IHR und IHM Bildungschancen eröffnete, von denen die Vorgängergenerationen kaum träumen durften. Wir denken jedoch, dass es in der Folgezeit zu einer institutionellen Verkrustung des Generationenaufstands gekommen ist, zu einer falschen Romantisierung der Jugend und einer missbräuchlichen Aneignung ihrer Attribute.

Dieser falsche Jugendkult lässt sich insbesondere an den Protagonisten des Kulturbetriebs studieren, wo im Wechsel der Zeiten mal Palästinensertücher, mal Tatoos oder Freundschaftsbänder zum tribalistischen Erkennungszeichen an den Uniformen der Forever-young-Sekte geworden sind. Fast erinnert der Jugendkult in Deutschland heute in seiner bornierten Selbstgewissheit an die »Partei der institutionalisierten Revolution« Mexikos, deren Name und Programm ihrer jahrzehntelangen Kongruenz mit dem Establishment Hohn spricht.

Erfahrung schließt Kreativität und Spontaneität nicht aus. Diese allein bei den Jungen zu verorten widerspricht jeder Kenntnis unserer Wirklichkeit.

Wir halten den grassierenden Altersrassismus in unserer Gesellschaft für erbärmlich und unwürdig. Wir empfinden es als eine Schande, dass sich Margarethe von Trotta und Wim Wenders, Günter Grass, Martin Walser und Friederike Mayröcker dafür rechtfertigen mussten und müssen, auch im Alter noch produktiv zu sein. Wir halten weder die Kaiserin Elisabeth von Österreich-Ungarn, Wolfgang Joop noch Silvio Berlusconi, Nena, Dieter Bohlen, Donatella Versace, Melanie Griffith, Mickey Rourke, Frauke Ludowig, Ute und Chiara Ohoven oder Jürgen...

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