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Soziale Angst bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen

Ein Leitfaden für die Schulsozialarbeit

AutorJanina Grothe-Baierle
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2015
Seitenanzahl161 Seiten
ISBN9783668028289
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis39,99 EUR
Masterarbeit aus dem Jahr 2015 im Fachbereich Psychologie - Sozialpsychologie, Note: 1,0, Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach (Fachbereich Sozialwesen), Veranstaltung: Psychosoziale Beratung und Mediation, Sprache: Deutsch, Abstract: '60 Augenpaare starren mich an, wenn ich an der Tafel etwas erklären muss. Das halte ich nicht aus, am liebsten würde ich abhauen.' (Report Psychologie 15.04.2014) Bei meiner Arbeit als Schulsozialarbeiterin an einem Berufskolleg begegneten mir immer wieder Schülerinnen und Schüler, die über ähnliche Erfahrungen und Erlebnisse berichteten. Viele erlebten Unsicherheit in sozialen Situationen, hatten Angst, vor größeren Gruppen zu sprechen; Angst, nach einem Praktikumsplatz zu fragen; Angst, vor Prüfungen und teilweise auch Angst, telefonischen Kontakt mit Institutionen aufzunehmen. Diese Ängste können sich sehr belastend auf das Leben der Jugendlichen und jungen Erwachsenen auswirken und führten mitunter zu starkem Vermeidungsverhalten. Teilweise trauten sich die Betroffenen bei Krankheiten nicht, in der Schule anzurufen oder vermeiden den Schulbesuch vollständig, was sich negativ auf ihre Zukunftschancen auswirkte. Meine Beobachtungen werden durch Studien zur sozialen Phobie bestätigt. Nach Angaben von der wissenschaftliche Geschäftsführerin der Verhaltenstherapieambulanz Frankfurt Dr. Regina Steil ist die soziale Phobie 'eine der häufigsten psychischen Erkrankungen im Jugend- und jungen Erwachsenenalter, wobei soziale Ängste mit einem hohen Risiko für einen vorzeitigen Schulabbruch einhergehen' (iDW, 19.09.2012). Circa 5 bis 10% aller Jugendlichen erkranken im Laufe ihres Lebens nach Angaben des Informationsdienst Wissenschaft (iDW) an einer sozialen Phobie (ebd.).Die folgende Arbeit wird sich zunächst umfassend mit der Theorie sozialer Angst in ihren unterschiedlichen Ausprägungsformen beschäftigen, auf die Verbreitung im Jugendalter näher eingehen und dann die Zusammenhänge von sozialer Angst und Schule aufzeigen. Sie schließt mit einem umfangreichen Leitfaden für die Beratung im Rahmen der Schulsozialarbeit ab, der zunächst auf die Beratung älterer Jugendlicher und junger Erwachsener (16 bis 25 Jahre) ausgelegt ist, jedoch auch an jüngere Jugendliche durch eine 'kindlichere' Ausgestaltung angepasst werden kann. Viele der Hinweise im Beratungsleitfaden können auch in anderen Beratungsformen (Z.B. in der psychologische Beratungsstelle etc.) Anwendung finden.

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Leseprobe

4. Soziale Angst im Zusammenhang mit dem Lebens- und Lernort Schule


 

Wie in den obigen Ausführungen deutlich geworden sein sollte, ist soziale Angst bei Jugendlichen weit verbreitet. Da eine Vielzahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch eine allgemeinbildende Schule oder im Rahmen der Ausbildung eine Berufsschule besucht, ist davon auszugehen, dass im Schulsystem viele Jugendliche und junge Erwachsene mit verschiedenen Formen sozialer Angst zu finden sind. Im Folgenden wird zunächst zusammengefasst, welchen Einfluss schulische Bedingungen auf Jugendliche und junge Erwachsenen mit sozialer Angst haben. In diesem Zusammenhang wird auch die Verbindung zwischen sozialer Angst und Schulangst näher beleuchtet. Des Weiteren soll aufgezeigt werden, welche Auswirkungen soziale Angst auf den Schulerfolg hat.

 

4.1 Auswirkungen schulischer Bedingungen auf soziale Angst


 

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene verbringen heute einen großen Teil ihrer Zeit in der Schule. Diese ist nicht mehr nur ein Bildungsort, sondern trägt zusätzlich zur außerfamiliären Erziehung bei und hat so einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Persönlichkeit von Kindern und Jugendlichen (vgl. Köhler 2002). In der Schule werden Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene ständig mit sozialen Situationen konfrontiert, in denen sie ihre Kompetenzen zeigen müssen und sich (scheinbar) nicht blamieren dürfen (vgl. 3.3.3.3). Häufige Lehrerwechsel oder distanzierte, nur auf den Lehrstoff konzentrierte, Lehrerinnen und Lehrer verhindern das Entstehen einer sicheren Grundlage emotionaler Sicherheit, wodurch das Auftreten oder die Vergrößerung psychischer Angst gefördert wird (vgl. Radke 2014). Wie Müller (2002) aufzeigt, stellt vor allem der (Übergangs-) Bereich Schule / Ausbildung / Beruf im Allgemeinen einerseits einen Prädikator für die Ausbildung von subklinischen sozialen Ängsten bzw. der Entwicklung von subklinischen sozialen Ängsten in die volle Diagnose der sozialen Angststörung dar, andererseits ist dieser auch ein Bereich, indem zumindest bei der nichtremittierten Form die meisten Schwierigkeiten verspürt werden. Die Suche nach einem Platz in der Gemeinschaft, der Umgang mit Autoritätspersonen wie Lehrerinnen und Lehrern sowie der Umgang mit Klassenkameraden im Unterricht und in der Pausensituation, das Vorführen von Aufgaben in der Klasse etc. führen ebenso zu einer permanenten Konfrontation der Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit ihren Ängsten wie der permanente Leistungsdruck. (vgl. Melfsen & Walitza 2013).

 

4.2 Soziale Angst und Schulangst


 

Prüfungsängste und soziale Ängste können zu beständiger Anstrengung und Überforderung und dadurch zu Dauerstress und Schulangst führen (vgl. Melfsen & Walitza 2013).

 

Exkurs:

 

Liegen einer Schulverweigerung bestimmte Ängste oder Phobien zugrunde, so spricht man von einer „nicht dissozialen Schulverweigerung“ (Melfsen & Walitza 2013, S. 59). Umgangssprachlich wird der Begriff „Schulangst“ als Oberbegriff für Ängste bezogen auf Schule verwendet (ebd.). Psychodiagnostisch unterscheidet man jedoch zwischen Schulphobie, Schulangst und Prüfungsangst. Eine Schulphobie hängt mit einer starken , über einen langen Zeitraum anhaltenden Angst zusammen, sich von Bezugspersonen zu trennen, und tritt vorwiegend vor der Pubertät auf. Der Begriff Schulangst umfasst verschiedene Ängste, die in direktem oder indirektem Zusammenhang mit Schule stehen, zum Beispiel „die Angst vor Schulversagen oder der Bewertung durch andere (...), die Angst vor Mitschülern (insbesondere gehänselt oder verprügelt zu werden) und die Angst vor einem oder mehreren Lehrern (die als überhart, unbarmherzig, verletzend erlebt werden)“ ( Schmidt & Esser 1985, S. 174; vgl. Melfsen & Walitza 2013). Schulangst wird nicht allein durch die Bedingungen in der Schule ausgelöst, sondern hängt auch mit Variablen wie der Persönlichkeitsstruktur der Schülerinnen und Schüler, soziokulturellen Faktoren und Familienstrukturen zusammen. Sowohl bei der Schulphobie als auch bei der Schulangst treten körperliche Beschwerden ohne organische Ursache meistens während oder vor dem Schulbesuch auf (vgl. Melfsen & Walitza 2013).

 

Die permanente Anspannung, welche bei sozial ängstlichen Jugendlichen durch den sozialen und Prüfungskontext der Schule ausgelöst wird, führt zu Erschöpfung und dies wiederum zu einer Leistungsminderung. Die Folge kann ein negatives Selbstwertgefühl sein, was eine Verstärkung der Ängste zur Folge hat und weitere Misserfolge wahrscheinlicher macht (vgl. Schell 1972). Aufgrund der negativen Bewertungsmuster werden Misserfolge oft als Versagen gewertet, während Erfolge als Zufall interpretiert werden (vgl. 3.3.3.3). Als Konsequenz kann sich Versagensangst entwickeln. Die Angst blockiert Neugierverhalten und damit auch die Bereitschaft zu Lernen, was zu weiteren Misserfolgen / Versagenserfahrungen führen kann. Dadurch kann sich langfristig  Schulangst entwickeln (Melfsen & Walitza 2013, S. 46, 47). Auch Misserfolge im „Wettkampf um eine gute soziale Position“ in der Klasse, Mobbing-Erfahrungen und das Erleben physischer Gewalt im Schulumfeld können zu Schulangst begünstigen (ebd.). Wie verschiedene Studien zeigen, werden sozial ängstliche Kinder weniger beachtet, aber prinzipiell nicht weniger gemocht als andere Kinder. Ziehen sie sich jedoch (z.B. als Folge von Misserfolgen beim Kampf um eine gute soziale Position in der Klasse) zurück, so werden besonders sozial ängstliche Jungen als unsympathisch wahrgenommen. Der soziale Rückzug in Verbindung mit Ängstlichkeit, einem geringen Selbstwertgefühl, Ungeschicklichkeit, einem aus Tätersicht auffälligen oder andersartigen Aussehen (z.B. durch das Tragen der Haare vor dem Gesicht) und einer geringen Frustrationsgrenze kann zu Mobbing führen (vgl. Melfsen & Walitza 2013;  3.3.3.3). Gerade sozial ängstliche Kinder erleben Ängste vor Mobbing, Anmache, Erpressung oder physischer Gewalt im Schulumfeld besonders stark. Die alleinige Vorstellung kann sie so sehr ängstigen, dass Schulangst und Schulvermeidung die Folge sind (ebd).

 

Neben sozialen und persönlichen Variablen können sich auch die Reaktionen des Lehrers, der Unterrichtsstil und Leistungskontrollen auf sozial ängstliche Kinder und Jugendliche auswirken. Da sich sozial ängstliche Kinder und Jugendliche oft kaum am Unterricht beteiligen, leise sprechen und Referate nur dann übernehmen, „wenn es unbedingt sein muss“, bieten sie immer wieder Anlass zur Kritik (a.a.O., S. 54). Wird diese Kritik auf eine herabsetzende oder demütigende und kränkende Art und Weise geäußert, kann dies wiederum Versagensangst auslösen oder verstärken. Insgesamt zeigen sich ausgeprägte Zusammenhänge „zwischen Note, Selbstwertgefühl und sozialer Rangordnung“ (ebd.; vgl. Chartier u.a. 1998).

 

4.3 Auswirkungen von sozialer Angst auf den Schulerfolg


 

Soziale Ängste und in verstärkten Maße die soziale Angststörung haben große Auswirkungen auf den Schulerfolg. Dr. Annette Tuffs vom Universitätsklinikum Heidelberg spricht davon, dass betroffene Schülerinnen und Schüler häufig in der Schule fehlen und sich kaum am Unterricht beteiligen. Folge ist oft ein schlechterer Schulabschluss, als nach ihrem Intellekt zu erwarten wäre (vgl. idW 04.09.2014). Wie verschiedene, oben bereits angeführte,  Studien zeigen, fühlen sich die Jugendlichen oft durch die soziale Angst in ihrem Schulbesuch beeinträchtigt (vgl. 3.2.5). Der gehemmte Aufbau und als Folge das Fehlen von Freundschaften in Zusammenhang mit der Angst, sich zu blamieren oder etwas Beschämendes zu sagen, kann den Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Schulbesuch weiter erschweren. So gaben in der Follow-Up-Untersuchung der Münchener „Early Developmental Stages of Psychopathology Study“ fast doppelt so viele Personen mit sozialer Angststörung gegenüber Personen ohne soziale Ängste an, sich in der Schule oder Ausbildung längere Zeit überfordert gefühlt   und öfter ein Schuljahr oder eine Prüfung wiederholt zu haben (vgl. Müller 2002). Wie im vorherigen Punkt bereits angedeutet, führt neben schulvermeidendem Verhalten, auch die durch die soziale Angst ausgelöste Anspannung zum Abfall der Leistungsfähigkeit (vgl. 4.1). Schell (1972, S. 122) kommt nach Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen Angst und Schulleistung im Bereich Mathematik bei 362 Hauptschülern des 6. Schuljahres zu dem Schluss, dass „weniger die Intelligenzleistung als vielmehr die Schulleistung durch Angstreaktion beeinträchtigt wird, was zu der Interpretation führte, dass vor allem die Schulsituation als angstauslösender Faktor zu betrachten ist“. Verschiedene andere Studien an englischsprachigen Stichproben vom Grundschulalter bis zum Studentenalter weisen ebenfalls auf einen negativen Zusammenhang zwischen der Höhe der Angst und dem Abschneiden der Leistung hin. Dabei ist zu beachten, dass die negative Korrelation umso höher ist, je wichtiger die Prüfung ist. Diese Ergebnisse beziehen sich jedoch vor allem auf Prüfungsängste (vgl. Krohne 1977). Zu beachten sind auch die Belastungen und ihre Folgen, welche durch Depressionen und andere psychische Störungen in Folge der sozialen Phobie ausgelöst werden....

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