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E-Book

Soziale Arbeit interkulturell

Theorien - Spannungsfelder - reflexive Praxis

AutorDoron Kiesel, Thomas Eppenstein
VerlagKohlhammer Verlag
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl280 Seiten
ISBN9783170295018
FormatPDF/ePUB
KopierschutzWasserzeichen/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Das Buch führt in die komplexe Debatte um eine interkulturelle Ausrichtung Sozialer Arbeit ein. Problemstellungen aus der Praxis der Sozialen Arbeit werden sozialwissenschaftlich reflektiert und auf sozialpädagogische und erziehungswissenschaftliche Erkenntnisse der interkulturellen Bildung bezogen. Theoretische Grundlagen und Konzepte interkultureller Sozialer Arbeit werden mit Fragen professionellen sozialen Handelns konfrontiert. Neben der Diskussion um die Bedeutung unterscheidbarer Kulturverständnisse werden Maßstäbe für eine kultursensible Praxis und interkulturelle Kompetenz entwickelt. Aktuelle Entwicklungen in der Ausrichtung Sozialer Arbeit seit der Novellierung des ehemaligen Ausländergesetzes finden ebenso Berücksichtigung wie Herausforderungen im Kontext eines gesellschaftlichen Diskurses um den Umgang mit fundamentalistischen Strömungen sowie Aspekte marktförmiger Orientierung und Steuerung. Ein Serviceteil mit hilfreichen Adressen für Studium und Praxis rundet den Band ab.

Prof. Dr. Thomas Eppenstein lehrt Theorien Sozialer Arbeit und Erziehungswissenschaften an der Evangelischen Fachhochschule RWL in Bochum. Prof. Dr. Doron Kiesel lehrt Interkulturelle und Internationale Soziale Arbeit an der Fachhochschule Erfurt.

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Leseprobe

1 Einführung: Soziale Arbeit in interkultureller Orientierung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis


„Wenn zwei dasselbe sagen, ist einer zuviel.“

Russisches Sprichwort

Professionelle Interkulturelle Soziale Arbeit1 will unter anderem ein Gegengewicht zur sozialen und ethnischen Segregation von Zuwanderern bilden, Migrationsrisiken abfedern, zur Bewältigung von Integrationsprozessen beitragen oder das ‚interkulturelle‘ Zusammenleben fördern. Um solche Ziele – im Verständnis einer „Gerechtigkeitsprofession“ – (vgl. Schrödter 2007) zu erreichen, bedarf es einer Sozialen Arbeit, die auf lebenswelt-hermeneutischen sensitiven Zugängen beruht und auf der Basis von sozialräumlich orientierten Konzepten entwickelt wird. Professionalität steht dabei für die spezifische Qualität einer solchen sozialpädagogischen Handlungspraxis, die eine Erhöhung von Handlungsoptionen, Chancenvervielfältigung und die Steigerung von Partizipations- und Zugangsmöglichkeiten auf Seiten der Adressaten Sozialer Arbeit zum Ziel hat. Hierzu zählen Einflussnahmen auf die soziale Infrastruktur und Sicherung der Regelversorgung der Migranten, Unterstützung von Migranteninitiativen, psychosoziale Beratung von Migranten und ihren Familien, sozialpädagogische Arbeit mit älteren Migranten, psychosoziale Beratung für Flüchtlinge, interkulturelle Jugendarbeit, Aufbau interkultureller Mediationsangebote zur Vermittlung im Falle ethnischkulturell begründeter Konflikte, Antidiskriminierungsarbeit oder die interkulturelle Qualifizierung auf institutioneller wie personaler Ebene. Die Professionalität interkulturellen sozialpädagogischen Handelns bewegt sich dabei im Spannungsfeld von ‚Wissen‘, ‚Können‘ und ‚Reflexion‘, wodurch sie mit beruflichen Konzepten und Erfahrungen anderer Felder der Sozialen Arbeit vergleichbar ist.

Wenn in dem vorliegenden Band von Sozialer Arbeit in „interkultureller Orientierung“ oder auch in „interkultureller Perspektive“ gesprochen wird, und nicht einfach von einer „interkulturellen Sozialen Arbeit“ die Rede ist, so hat dies zwei Gründe: Zum einen wollen wir bereits im Titel verdeutlichen, dass es bei der sogenannten „Interkulturellen Sozialen Arbeit“ nicht allein um einen Teilbereich im Sinne ausgewiesener Arbeitsfelder handelt, sondern daneben und mit zunehmender Bedeutung um die Berücksichtigung „interkultureller“ Aspekte in nahezu allen Arbeitsfeldern und Konzepten Sozialer Arbeit im Sinne eines Querschnittsthemas. Zum anderen soll mit dieser perspektivisch offenen Formulierung deutlich werden, dass hier zwar bestehende theoretische Grundlagen, Konzepte und Praktiken Sozialer Arbeit im interkulturellen Feld zu beschreiben und zu rekonstruieren sind, darüber hinaus freilich der Prozess interkultureller Qualifizierung im Kontext von Migrations- und Einwanderungstatsachen in der Bundesrepublik in vollem Gange und damit auf Zukunft gerichtet offen ist. So orientieren sich die folgenden Kapitel analytisch und empirisch gestützt an realen Migrationsfolgen als Teil der sozialen Wirklichkeit. Im Sinne einer auch normativ vertretbaren Orientierung sollen dieselben auf Migrationen und ihren Folgeerscheinungen beruhenden Tatsachen jedoch auch als Teil menschlicher Praxis verstanden werden, also die Innenperspektive der an interkulturellen Auseinandersetzungen beteiligten Menschen berücksichtigen.

Soziale Arbeit in interkultureller Orientierung ist somit eingebunden in die verallgemeinerbare Bestimmung aller Sozialen Arbeit im Horizont gelingenden Lebens. Damit sind die Gegenstandsbereiche einer theoretischen Auseinandersetzung mit der interkulturellen Orientierung angesprochen: Zum einen Befunde aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, zum anderen hermeneutische, auf Erziehungswissenschaften, Philosophie oder Ethik verweisende Zugänge. Schließlich muss der inzwischen auch alltagssprachlich verbreitete Slogan von der „Interkulturalität“ als Diskursphänomen reflektiert werden (vgl. Hamburger 2008, S. 106 f.).

Wenn heute in den Medien, der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit, der Politik oder in Fachkreisen unterschiedlichster Berufe um Fragen gestritten wird, ob z. B. in Deutschland zu viele Ausländer leben oder zu wenige – v. a. Fachkräfte – zuwandern, ob Muslime Moscheen bauen dürfen sollen, in welcher Anzahl sie zugelassen werden sollen, oder wie hoch sie geraten dürfen, ob Kinder von Einwanderern auf dem Schulhof sich in deutscher Sprache zu unterhalten haben, oder ihnen das nur im Unterricht auferlegt werden darf, ob Kinder ausländischer Eltern zuviel muttersprachliche Sendungen fernsehen oder zu streng erzogen werden, ob Einwanderer einen Einbürgerungstest machen sollen und wie die Fragen zu lauten haben, ob eheliche Gewalt ein Scheidungsgrund ist und ob der Koran es Männern erlaubt oder nicht erlaubt, ihre Frauen zu schlagen, ob das deutsche Schulsystem die Menschenrechte verletzt, weil es Bildungschancen nach sozialer Herkunft und damit auch nach migrationsbezogenem Hintergrund auswählt, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund eher zu Gewalttaten neigen als andere usw. (vgl. Butterwegge 2006), so interessieren solche Streitpunkte hier nicht unmittelbar, sondern es sollen jene Fragen und spannungsreichen Dimensionen behandelt werden, die ihnen gewissermaßen vorausgehen.

In Anspielung auf eine Begriffsbestimmung Sozialer Arbeit „als der Summe der Reaktionen auf die Bewältigungstatsache“ in modernen Risikogesellschaften (vgl. Böhnisch 1997, S. 24, der dies wiederum in Anlehnung an eine Definition Siegfried Bernfelds von „Erziehung“ als Summe der Reaktionen auf die Entwicklungstatsache getan hat) können wir hier von der Summe der Reaktionen auf die Migrationstatsache sprechen, die es – begrenzt auf das Feld der Sozialen Arbeit – zu bearbeiten gilt. So sollen Schnittstellen, Kreuzungen und Berührungspunkte, die die Soziale Arbeit mit Migrationsrealitäten hat, ausgelotet und ausgeleuchtet werden.

Die vorliegende Publikation will die inzwischen komplexe und nahezu unübersichtliche Fachdebatte um eine immer wieder geforderte interkulturelle Ausrichtung Sozialer Arbeit auf aktuellem Stand zusammenführen. Dabei werden theoretische Grundlagen der interkulturellen Pädagogik, sozialwissenschaftliche Befunde und Problemstellungen aus der Praxis Sozialer Arbeit aufeinander bezogen.

Erfordernisse aus zwei Entwicklungen werden somit aufgegriffen:

  1. Die Durchdringung von Praxisfeldern Sozialer Arbeit mit Anliegen und Anforderungen, wie sie aus der Pluralisierung der Gesellschaft im Allgemeinen und einer sich verstetigenden Einwanderungs- und Migrationsrealität im Besonderen resultieren.
  2. Die aktuelle Entwicklung der Reform einschlägiger Studiengänge und der Bedarf an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen hinsichtlich interkultureller Qualifizierungen in sozialen und anderen Berufen.

Der Band will Theorie und Praxis einer interkulturell orientierten Sozialen Arbeit einleitend beschreiben, dabei die Kontroversen um verschiedene Konzepte diskutieren und vor dem Hintergrund gegenwärtiger Paradigmenwechsel in der Gestaltung des Sozialen Perspektiven beleuchten.

Damit kommt das Projekt einem Bedarf nach einer einführenden Orientierung für all jene entgegen, die eine interkulturelle Qualifizierung ihrer beruflichen Praxis anstreben, sich jedoch nicht mit einem technisch-operativen Verständnis interkultureller Kompetenz begnügen, sondern ihr Handeln verstehensorientiert und analytisch begründen wollen.

Dem professionellen Akteur Sozialer Arbeit werden sich dabei zuerst Fragen aufdrängen, die ihm praktisch folgenreich und relevant erscheinen:

Wo und wie handelt und bezieht sich die Soziale Arbeit heute auf Migration und Einwanderung? Woran liegt es, wenn Praktiker und Praktikerinnen der Sozialen Arbeit zwischen deutschen und ausländischen Klient/innen unterscheiden und auf welche Weise treffen sie eigentlich Unterscheidungen mit welchen Wirkungen? Warum gibt es noch keine ausreichenden Strukturen und Praxen beruflich verantworteter institutionalisierter sozialer Hilfen, die dem Anspruch genügen können, niemanden auszugrenzen, und warum scheinen umgekehrt vorhandene Hilfen oft nicht in Anspruch genommen zu werden? Welche Deutungsmuster spielen in sozialen Interaktionen beruflichen Handelns immer wieder eine Rolle und wo liegen die Fallen des Fehlverstehens und der missglückten Verständigung in einer Profession, deren wichtigste Kompetenz oft auf Verstehen und Verständigungsfähigkeiten beruht?

Die Diskussion um eine „interkulturelle Pädagogik“ hat im Bemühen, solche und weitere Fragen besser beantworten zu können, die wissenschaftliche Reflexion der Sozialen Arbeit seit geraumer Zeit erreicht, und es wird deutlich, dass solche Fragen bereits theoretische Fragen sind. Wir gehen dabei davon aus, dass es nicht die Aufgabe der theoretischen Reflexion sein kann, Rezepte für eine angemessene Praxis bereitzustellen, vielmehr kann sie die oft in Routinen festgefahrenen praktischen Handlungsformen und Strukturen, die ja immer auch schon theoriegeleitet erfolgen, kritisch spiegeln und eventuell Alternativen verfügbar halten.

Alles Handeln ist demnach auch dann theoriegeleitet, wenn es sich dessen nicht bewusst ist. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Angebot, das jeweilige Bezugswissen auszuweiten, so dass in den komplexen Situationen, in denen Sozialarbeiter meist situativ handeln und handeln müssen, der Anteil wählbarer Optionen zunimmt.

Die interkulturelle Attribuierung Sozialer Arbeit entwickelte sich als Resonanz auf die Irritationen, die in einigen ihrer Arbeitsfelder durch das...

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