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Soziale Gerechtigkeit in der Thora - Eine Analyse im Spiegel moderner Gerechtigkeitstheorien

AutorViola Schreyer
VerlagExamicus Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl132 Seiten
ISBN9783656999560
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis20,99 EUR
Examensarbeit aus dem Jahr 2000 im Fachbereich Soziologie - Religion, Note: 1, Universität Hamburg, Sprache: Deutsch, Abstract: Die Thematik der Gerechtigkeit bewegt die Menschheit nicht erst in der Moderne. Trotz unterschiedlicher Bedeutungszuweisungen ist allen Aussagen ein positiver Sinngehalt von Gerechtigkeit gemeinsam. In der aktuellen gesellschaftlichen Debatte spielt besonders der Begriff der sozialen Gerechtigkeit eine entscheidende Rolle. Der Ausdruck ist Bestandteil der Grundsatzprogramme aller Bundestagsparteien. Seine Nominierung zum Unwort des Jahres 1999 zeigt, dass seine Bedeutung, obschon er im Wahljahr 1999 in aller Munde war, vage bleibt. Beim Lesen des Alten Testamentes bin ich immer wieder auf Texte gestoßen, die den Bereich der sozialen Gerechtigkeit, der als Teilgebiet innerhalb der Wirtschaftsethik eine Rolle spielt, thematisieren. Der langjährige Kenner der jüdischen Religion Massiczek stellt fest: 'Bei keinem Volk durchdringen sich Wirtschaft und Ethik stärker als in Israel.'. Der Ausdruck soziale Gerechtigkeit ist der abendländischen Philosophie nicht vertraut. Er wurde wahrscheinlich das erste Mal offiziell im Rahmen der christlichen Sozialethik angewandt. Eine Definition erscheint an dieser Stelle verfrüht, da jede Theorie von unterschiedlichen Begriffsbestimmungen ausgeht. Außerdem entwickelt sich die spezielle Bedeutungszuweisung der Thora aus der Darstellung und Analyse und kann erst im Schlussteil inhaltlich ausgefüllt werden. Soziale Gerechtigkeit erfordert immer ein gewisses Maß an sozialer Sicherung . Beide Sachverhalte bedingen einander. Die Genauigkeit einer ganzen Reihe von Gesetzen in der Thora wie auch die Berücksichtigung aller gesellschaftlich relevanten Gruppierungen, die einer sozialen Sicherung bedürfen, fielen bei der Beschäftigung mit der Thora ins Auge. Im Rahmen dieser Arbeit wird es mir möglich sein, mein Interesse an aktuellen die Soziologie betreffenden Themengebieten mit einem persönlichen Interesse am Gott der Bibel zu verbinden.

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Leseprobe

2. Hauptteil


 


2.1. Moderne Gerechtigkeitstheorien


 

Im folgenden Teil werden moderne Gerechtigkeitstheorien einander gegenübergestellt. Dabei ist eine Beschränkung auf einige wenige Theorien unumgänglich.[14] Die Auswahl wird jeweils zu Beginn der Einzeldarstellungen begründet. Das Augenmerk soll bei der zusammenfassenden Wiedergabe ausschließlich auf den für den sozialen Bereich relevanten Aussagen liegen. Deshalb kann im Rahmen meiner Arbeit nur von einer Anlehnung an Gerechtigkeitsentwürfe der Neuzeit gesprochen werden.[15]

 

2.1.1. Antike Grundlagen


 


Da moderne Gerechtigkeitstheorien entscheidend von antikem Gedankengut bestimmt sind, ist eine kurze Vorstellung der Grundlagen unerlässlich.[16] Schon in den griechischen Göttersagen wird die vergeltende Gerechtigkeit durch die Göttin Dike verkörpert: Nach sorgfältigem Abwägen teilt sie jedem das ihm Gebührende zu. In bildlichen Darstellungen hält Dike – oder die ihr entsprechende Göttin aus der römischen Mythenwelt, die Iustitia – symbolisch Waage und Schwert in ihren Händen.[17]

 

Der griechische Philosoph der Antike Aristoteles entwirft als erster eine systematische Theorie der Gerechtigkeit. Er versteht unter dem Begriff eine Haltung (habitus), die den Menschen zum Handeln veranlasst. Gerechtigkeit gilt als höchste Tugend für das Zusammenleben. Aristoteles unterscheidet die austeilende oder zuteilende Gerechtigkeit (ius distributiva), die ungleichen Partnern jedem nach seinem Verdienst einen entsprechenden Anteil zuweist, von der ausgleichenden Gerechtigkeit oder Tauschgerechtigkeit (ius commutativa), die das Verhältnis zwischen gleichen Partnern regelt und korrektive Funktion ausübt.[18]

 

Der Ethische Partikularismus, der bis heute Anhänger findet, wird von Aristoteles’ Gedankengut beeinflusst:[19] Wenn auch nicht explizit formuliert, thematisiert Aristoteles die soziale Gerechtigkeit zentral, wenn er behauptet, dass der Status als freier Mensch oder als Sklave naturgegeben ist. Der Dienst des Sklaven bezeichnet er als gerecht.[20] Der Sklave gilt als beseelter Besitz[21]. Frauen erachtet Aristoteles geringer als Männer.[22] Ein ethisch fundierter Partikularismus fordert bei einer von ihren Vertretern erkannten Ungleichheit eine ungleiche Behandlung. Die Begründung für ein solches Handeln muss (im Unterschied zu einem intuitiven, traditionalen oder gewohnheitsmäßigen Partikularismus) zu verallgemeinern sein und einer unparteiischen Prüfung standhalten. Damit leugnet der Partikularist im Extremfall die grundsätzliche Personenwürde aller Individuen. Ein solches Bekenntnis muss die Prämisse einschließen, dass die eigene Person unter anderen Umständen selber zur Gruppe derer gehören kann, für die eine ungleiche Behandlung als gerechtfertigt erachtet wird.[23]

 

Sowohl Aristoteles als auch Platon beziehen sich mit ihren Ausführungen einerseits auf die politische Organisation in der griechischen Polis,[24] andererseits auf die tugendhafte Ausbildung innerer Anlagen.[25] Der Gerechtigkeitsbegriff des römischen Juristen Domitius Ulpianus prägt das moderne Rechtsverständnis. Von ihm stammt die Definition: „Iustitia est constans et perpetua voluntas ius suum cuique tribuendi ‘Gerecht’ ist der feste und immerwährende Wille, jedem sein Recht zu gewähren“.[26] Im Laufe der letzten Jahrhunderte beschäftigten sich Philosophen und Wissenschaftler im Wesentlichen mit der Frage, nach welchen Kriterien das ius suum bestimmt werden könnte.

 

2.1.2. Utilitarismus


 


Zu den normativen ethischen Theorien zählt der Ansatz der Utilitaristen und der in dieser Tradition stehenden radikalen Wirtschaftsliberalisten. Ihre Konzeption ist bis heute Grundlage modernen liberalen Denkens. Zu ihren bedeutendsten Vertretern gehören Adam Smith, Robert Bentham, John Stuart Mill und Friedrich August von Hayek. Dem Gerechtigkeitsgedanken wird keine ausdrückliche Aufmerksamkeit gewidmet, da eine Handlung zwangsläufig gerecht ist, wenn sie dem Nützlichkeitsprinzip entspricht.[27] Utilitaristen gehen auf das gesamtwirtschaftliche Ergebnis des Verteilungsprozesses besonders ein (Empfangsgerechtigkeit[28]) und vernachlässigten die Bedingungen, unter denen ein solches Ergebnis zustande kommt.[29] Die Orientierung am Gesamtnutzen bewirkt außerdem eine Vernachlässigung des Nutzens jedes einzelnen am Wirtschaftsprozess beteiligten Individuums. Vertreter dieser Richtung gehen nicht davon aus, dass eine zuteilende Instanz benötigt wird, da eine unsichtbare Hand[30] den Gesamtnutzen wie automatisch maximiert. Eine solche Prämisse „rechtfertigt den Eigennutz als altruistisch, denn der Egoismus fördere als bestes Nebenprodukt das Gemeinwohl“[31]. Leistungsgerechtigkeit entspricht dem utilitaristischen Konzept eher als ein Plädoyer für Bedarfsgerechtigkeit.[32]

 

Der Mensch ist ein homo oeconomicus, ein den Nutzen maximierendes Wesen, dessen wesentliches Kennzeichen seine Freiheit ist.[33] Freiheit beinhaltet die Handlungsfreiheit, die Freiheit der Vorzugswahl und die Entscheidungsfreiheit sowie die Freiheit, sich am wirtschaftlichen Wettbewerb zu beteiligen.[34] Der Utilitarist erkennt die Würde jedes Menschen an. Folglich findet die Freiheit des einzelnen seine Begrenzung in der Einschränkung der Freiheit des anderen.[35]

 

2.1.3. Eine Theorie der Gerechtigkeit


 


In nahezu allen zusammenfassenden Darstellungen moderner Gerechtigkeitstheorien wird auf John Rawls’ Eine Theorie der Gerechtigkeit Bezug genommen. Der amerikanische Philosoph stand die letzten Jahre fortwährend in einem lebendigen Dialog mit seinen Kritikern.[36] Seine Theorie basiert auf einer vertragstheoretischen Konzeption, die sich kritisch gegen die utilitaristische Betonung der Empfangsgerechtigkeit wendet.[37] Im Gegensatz dazu legen die Vertragstheorien den Schwerpunkt auf solche Kriterien, die ein gerechtes Verfahren kennzeichnen (Verfahrensgerechtigkeit[38]). Vertreter dieser Position konstruieren als Ausgangspunkt einen Urzustand, bei dem alle Individuen die Chance haben, frei über einen verbindlichen Gesellschaftsvertrag zu entscheiden. Auf dieser Basis werden gerechte Regeln und Normen postuliert.

 

Rawls geht davon aus, dass in jeder Gesellschaft Grundgüter verteilt werden müssen. Dabei handelt es sich um „Rechte, Freiheiten und Chancen sowie Einkommen und Vermögen“[39] und um das Grundgut der Selbstachtung[40]. Solche individuellen Rechte haben bei Rawls immer Vorrang vor dem Allgemeinwohl.[41] Er geht von – relativ weitreichenden – idealen Vorbedingungen im Urzustand aus: In einer Situation der Freiheit und Gleichheit[42], unter einem Schleier des Nichtwissens[43], bei der niemand seine zukünftige Position in der Gesellschaft und seine natürlichen Begabungen und Kräfte kennt, noch sich seiner psychologischen Neigungen und eigener Ideologien bewusst ist,[44] wählen egoistische und rational handelnde Menschen ohne „aufeinander gerichtete Interessen“[45] die beiden folgenden Prämissen:

 

„1. Jedermann hat gleiches Recht auf das umfangreichste Gesamtsystem gleicher Grundfreiheiten, das für alle möglich ist.

 

2. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten müssen folgendermaßen beschaffen sein:

 

a) sie müssen unter der Einschränkung des gerechten Spargrundsatzes den am wenigsten Begünstigten den größtmöglichen Vorteil bringen, und

 

b) sie müssen mit Ämtern und Positionen verbunden sein, die allen gemäß fairer Chancengleichheit offenstehen.“[46]

 

Im Rahmen der Auslegung seiner Gerechtigkeitspostulate spricht sich der Autor für einen Vorrang der Freiheit vor der Gleichheit aus, die Gerechtigkeit soll – entgegen der utilitaristischen Konzeption – vor der Leistungsfähigkeit und der Nutzenmaximierung stehen. Immer dann, wenn Gerechtigkeitspostulate in einer Gesellschaft verwirklicht werden, vermutet Rawls, dass die Schlechtergestellten vom Nutzen der Bevorzugten profitieren.[47] In einer genaueren Illustration des zweiten Grundsatzes schreibt er, dass eine Ungleichbehandlung aufgrund natürlicher Eigenschaften (z. B. Geschlecht, Kultur, Rasse) nur dann gerecht ist, wenn sie für Personen mit jeweils entgegengesetzten natürlichen Eigenschaften von Vorteil ist.[48] Aus den Grundsätzen lassen sich Pflichten (z. B. die Pflicht, ein gegebenes Versprechen einzuhalten) ableiten.[49]

 

Rawls verweist auf den relativen Gehalt der Gerechtigkeit, beispielsweise kann in einem System, das zuvor...

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