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E-Book

Soziale Ungleichheit - Kein Thema für die Eliten?

AutorMichael Hartmann
VerlagCampus Verlag
Erscheinungsjahr2013
Seitenanzahl250 Seiten
ISBN9783593420479
FormatePUB/PDF
KopierschutzDRM/Wasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Die Kluft zwischen Arm und Reich wird in Deutschland immer größer. Die Agenda 2010 und die Steuerpolitik der Bundesregierungen von Schröder bis Merkel haben die hohen Einkommen begünstigt. Der Eliteforscher Michael Hartmann stellt in diesem Buch dar, aus welchen Elternhäusern die tausend mächtigsten Deutschen kommen und wie sie über die soziale Ungleichheit im Land und die Ursachen der Finanzkrise denken. Dabei zeigt sich unter anderem, dass viele der Befragten im Unterschied zur Bevölkerung die herrschenden Verhältnisse als gerecht empfinden - und zwar besonders dann, wenn sie selbst in großbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen sind. Das Buch präsentiert die Ergebnisse einer Erhebung aus dem Jahr 2012, die die Spitzenpositionen aus den wichtigsten Sektoren (Wirtschaft, Politik, Medien, Justiz, Verwaltung, Militär, Wissenschaft, Kirchen, Gewerkschaften und Verbände) umfasst. Die immer stärkere Orientierung der Politik an den Interessen der Wirtschaft und der reichen Deutschen - so das alarmierende Fazit - droht unsere Demokratie auszuhöhlen.

Michael Hartmann ist Deutschlands renommiertester Elitenforscher. Er steht für die These, dass Herkunft maßgeblich über den Erfolg entscheidet. Bis Herbst 2014 war Hartmann Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Bei Campus sind von ihm mehrere Bücher zum Thema Elite erschienen, zuletzt 'Die globale Wirtschaftselite. Eine Legende' (2016).

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Leseprobe
Finanzkrise und Steuerpolitik

Charakteristisch für das Verhalten der Eliten ist ihr Vorgehen bei der Bewältigung der Finanzkrise. Die Diskussion innerhalb der Eliten konzentriert sich weitgehend auf den Schuldenabbau durch Einsparungen bei den öffentlichen Leistungen. Sie werden (wie die Steuersenkungen und Deregulierungen vergangener Jahre) wieder als alternativlos hingestellt. Dabei gäbe es durchaus alternative Lösungsansätze. Selbst wenn man in der hohen Staatsverschuldung die wesentliche Ursache der Krise und/oder im Schuldenabbau eine der zentralen Aufgaben deutscher Politik sieht, läge es eigentlich nahe, sich nicht nur mit der Ausgabenseite zu befassen, sondern auch die Einnahmeseite ins Auge zu fassen. Immerhin haben die Steuersenkungsmaßnahmen der Bundesregierungen unter Schröder und Merkel der öffentlichen Hand zwischen 2000 und 2012 Einnahmeausfälle von insgesamt über 440 Milliarden Euro beschert (Eicker/ Truger 2010: 34).7 Das ist nahezu die Hälfte der Neuverschuldung. Da wäre die Forderung, zumindest die hohen Einkommen, Vermögen und Erbschaften stärker zu besteuern, mehr als nachvollziehbar.

Dennoch spricht sich in den Eliten eine eindeutige Mehrheit von fast zwei zu eins gegen eine solche Anhebung aus. Für sie ist der Abbau der Staatsverschuldung offensichtlich in erster Linie gleichbedeutend mit der Reduzierung staatlicher Leistungen, vor allem auf sozialpolitischem Gebiet. Dabei zeigen die Ausgaben für Sozialleistungen seit Jahrzehnten ein hohes Maß an Stabilität. Seit Mitte der 1970er-Jahre pendeln sie um die 30 Prozent des BIP, mal etwas mehr, mal etwas weniger, und das trotz deutlich gestiegener Anforderungen, vor allem durch eine stark gewachsene Arbeitslosigkeit und die zunehmende Alterung der Gesellschaft. Trotzdem geht die Politik weiter denselben Weg der Einsparungen bei den Sozialleistungen. In diese Richtung weisen auch die Ende 2012 bekannt gewordenen Sparpläne aus dem Bundesfinanzministerium. Die Sozialausgaben sollen demnach in der folgenden Legislaturperiode gekürzt, der jährliche Abschlag bei verfrühtem Renteneintritt von 3,6 auf 6,7 Prozent fast verdoppelt, die Witwenrente reduziert und der ermäßigte Mehrwertsteuersatz ganz abgeschafft werden. All das beträfe die breite Bevölkerung. Von Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen oder einer Anhebung der Erbschaftsteuer ist im Entwurf dagegen nirgends die Rede.

Dabei nehmen sich die Steuersätze, über die in diesem Zusammenhang diskutiert wird, im Vergleich zu jenen, die in den westlichen Industrieländern in den 1950er- und 1960er-Jahren noch gang und gäbe waren, mehr als bescheiden aus. Damals waren selbst in Großbritannien und den USA Spitzensteuersätze von um die 90 Prozent üblich. Der berühmte britische Schauspieler Richard Burton hat das bei seiner ersten großen Hollywood-Gage zu spüren bekommen. Von den 82.000 Pfund, die er erhielt, ließ ihm der britische Fiskus gerade einmal 6.000 Pfund (Maerker 2011: 150 f.). Auch wenn Burton selbst daraus die Konsequenz zog, seinen Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen, blieb er doch die Ausnahme. Seine nicht minder berühmten Kollegen Alec Guinness, Laurence Olivier, Peter O'Toole und Peter Sellers blieben in Großbritannien und zahlten die Steuern. Die Reaktion auf die vom französischen Verfassungsrat erst einmal gestoppte Einführung einer 75-prozentigen Steuer auf Einkommen ab einer Million Euro fällt ähnlich aus. Einzelne Reiche wie Gérard Depardieu wechseln ihren Wohnsitz, die meisten aber bleiben. Steuererhöhungen wären also möglich, vor allem in dem alles in allem doch sehr bescheidenen Umfang, wie er derzeit in Deutschland diskutiert wird.

Unter den Eliten ist aber selbst das nur für eine Minderheit akzeptabel. Das ist umso unverständlicher, als in den letzten Jahren mit Milliarden an Steuergeldern nicht einfach nur die Banken gerettet worden sind, sondern damit letztlich auch das Geld derer, die über den Hauptteil des an den Finanzmärkten angelegten Vermögens verfügen, der wohlhabenden und vor allem der reichen Bürger des Landes. Das gilt im Übrigen nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern auch im Hinblick auf die Eurokrise. Wenn immer davon gesprochen wird, dass Spanien oder auch nur die spanischen Banken mit deutschen Steuergeldern gerettet werden, wird ein zentraler Sachverhalt (absichtlich oder unabsichtlich) übersehen. Die Schulden, die bei den spanischen Finanzinstituten aufgelaufen sind, bestehen zu einem erheblichen Teil aus Krediten deutscher und anderer internationaler Großbanken, die in Spanien die Gelder ihrer Kunden angelegt haben. Diese Kunden zählen aber wieder ganz überwiegend zu den wohlhabenden oder reichen Kreisen der Bevölkerung. Es wäre deshalb eigentlich nur recht und billig, wenn dieser Bevölkerungsteil nun entsprechend an den Kosten der Rettung beteiligt würde.

Blick ins Buch
Inhaltsverzeichnis
Inhalt6
1. Einleitung8
1.1. Der Ansehensverlust der Eliten und die Spaltung der Gesellschaft10
1.2. Forschungssample und -methode22
2. Das Sozialprofil der deutschen Eliten36
2.1. Die Zusammensetzung der Eliten36
2.1.1. Drei Minderheiten in den Eliten – Ausländer, ehemalige DDR-Bürger und Frauen37
2.1.2. Die soziale Herkunft der Eliten43
2.1.2.1. Die soziale Rekrutierung der Wirtschaftselite52
2.1.2.2. Die soziale Rekrutierung der politischen Elite65
2.1.2.3. Die soziale Rekrutierung der Verwaltungs- und der Justizelite72
2.1.2.4. Die soziale Rekrutierung der Medien- und der Wissenschaftselite74
2.2. Die Bildungs- und Karrierewege der Eliten76
2.2.1. Die Bildungswege der Eliten77
2.2.1.1. Die Bildungsabschlüsse der Wirtschaftselite81
2.2.1.2. Die Bildungsabschlüsse der politischen, der Medien- und der Verwaltungselite85
2.2.2. Die Karrierewege der Eliten88
2.2.2.1. Die Karrierewege der Wirtschaftselite100
2.2.2.2. Die Karrierewege der politischen Elite106
2.2.2.3. Die Karrierewege der Eliten aus Verwaltung und Justiz108
2.2.2.4. Die Karrierewege der Eliten aus Wissenschaft und Medien110
3. Die Einstellung der deutschen Eliten zur Finanzkrise und zum Problem der sozialen Ungleichheit112
3.1. Leistungsprinzip und soziale Unterschiede117
3.2. Die drei wichtigsten Probleme Deutschlands aus Sicht der Eliten: Finanzkrise, Alterung der Gesellschaft und Integration133
3.3. Die Finanzkrise in den Augen der Eliten136
3.3.1. Die Ursachen der Finanzkrise136
3.3.2. Welche Konsequenzen sind aus der Finanzkrise zu ziehen?146
3.4. Die Bedeutung von Maßnahmen in der Finanz- und Arbeitsmarktpolitik152
4. Eliten, Bevölkerung und Demokratie166
4.1. Soziale Rekrutierung und politische Einstellungen der Eliten – eine Zusammenfassung der empirischen Ergebnisse166
4.2. Die Eliten und die Krise der parlamentarischen Demokratie181
Anmerkungen196
Literatur218

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