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Sozialistische Schriften

Vollständige Ausgabe

AutorOtto Bauer
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl143 Seiten
ISBN9783849606756
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis2,99 EUR
Dieser Band enthält die folgenden Schriften des führenden Austromarxisten und österreichischen Politikers: Das Weltbild des Kapitalismus Der Faschismus Der Weg zum Sozialismus

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Leseprobe

Die dialektische Philosophie

 

Der bürgerlichen Revolution tritt die feudale Reaktion gegenüber, der bürgerlichen Naturrechtslehre die historische Rechtsschule der Romantik. Hat das Bürgertum das seinen Bedürfnissen entsprechende Recht als das Naturrecht verkündet, das für alle Zeiten und alle Völker gelte, so stellt ihm der Feudalismus die Erkenntnis entgegen, daß es kein ewiges, unveränderliches, durch die menschliche Natur schlechthin bestimmtes Recht gibt, daß das Recht vielmehr organisch erwächst aus dem jeweiligen wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen Zustande der Gesellschaft. Der abstrakten Volonté générale der Naturrechtslehre tritt der konkrete Volksgeist gegenüber, der das Recht setzt; gegen die Vorstellung von den

 

ewigen Rechten,
Die droben hangen unveräußerlich
Und unzerbrechlich wie die Sterne selbst,

 

streitet die neue Vorstellung von der organischen Entwicklung des Volksgeistes, aus der die Wandlungen des Rechtes hervorgehen. Die Forderung, daß das Reiht der höchstentwickelten kapitalistischen Staaten von den rückständigen übernommen werde, wird abgewiesen mit der Begründung, daß die einzelnen Volksgeister voneinander verschieden seien und darum auch die Rechte der einzelnen Völker verschieden sein müßten.

 

Der Aufklärungsphilosophie war die Geschichte nur „ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer“, ein sinnloses Gemenge von Irrtum und Aberglauben, von Unrecht und Gewalt. Erst die feudale Geschichtsauffassung, die im Kampfe gegen die Naturrechtsphilosophie entsteht, gibt der Geschichte einen Sinn. Die einzelnen Gesellschaftszustände entwickeln sich notwendig auseinander; jeder Zustand der Sitte und des Rechtes, des Wissens und des Glaubens ist der notwendige. Ausfluß der jeweiligen Entwicklungsstufe des Volksgeistes. Aus dieser Geschichtsauffassung geht die Geschichtsphilosophie Hegels hervor. Zum ersten Male wird der Versuch unternommen, die ganze Geschichte der Menschheit, ihrer gesellschaftlichen Zustände, ihres Rechtes, ihrer Staaten, ihrer Ideen als gesetzmäßige innere Entwicklung des kollektiven menschlichen Geistes zu begreifen. Auch in diesem Gedanken wirken die Ideen des Kapitalismus fort: die Forderung strenger Gesetzmäßigkeit des Geschehens, wie sie sich in der Naturwissenschaft des kapitalistischen Zeitalters entwickelt hat, wird nun auf die Geschichte übertragen. Aber andererseits ist diese Übertragung eine Waffe, die sich die feudale Reaktion im Kampfe gegen die bürgerliche Revolution geschmiedet hat.

 

Hegel ist ein Kind des Kapitalismus; er stellt sich alle geschichtliche Entwicklung nach der Erfahrung des Konkurrenzsystems vor: Alle geschichtliche Entwicklung vollzieht sich im Kampfe der Individuen gegeneinander, in dem jedes Individuum nur durch seine Selbstsucht geleitet ist. Aber andererseits ist Hegel ein Sprößling der feudal-romantischen Rechts- und Staatsauffassung: der Volksgeist bedient sich des Kampfes der Individuen gegeneinander, um seine Zwecke zu erreichen; der Weltgeist bedient sich des Kampfes der Völker gegeneinander, um die Menschheit zu seinen Zwecken zu führen. Es ist die „List der Vernunft“, die Selbstsucht der einzelnen Menschen und der einzelnen Völker als Mittel zu ihren Zwecken zu benützen. Diese Vorstellung entspricht der Denkweise einer Zeit, in der der freie Wettbewerb noch nicht Wirklichkeit, aber überall schon Gegenstand des Kampfes war. Erobert der Liberalismus die Staatsgewalt, so gibt der Staat den Wettbewerb frei; er läßt jedes Individuum ungestört im Kampf um seine eigenen Interessen; aber er tut das in der Meinung, daß dadurch sein Interesse, das kollektive Interesse der gesamten Nation am zweckmäßigsten gefördert werde: daß der freie Wettbewerb am zweckmäßigsten die Produktivkräfte entwickele, das Nationaleinkommen erhöhe, Reichtum und Macht des Staates vergrößere. Diese Vorstellung, daß der freie Wettbewerb ein Mittel der Gesellschaft und des Staates für ihre Zwecke sei, erweitert Hegel zu dem Gedanken, daß sich der Weltgeist der Kämpfe der Individuen gegeneinander bediene, um seine Zwecke zu erreichen.

 

Hegel lebt in der Zeit der bürgerlichen Revolution: in der Zeit der großen Kämpfe um die Gestaltung des Nationalstaates in Frankreich und in England, um die Schaffung eines Nationalstaates in Deutschland und in Italien. Der Staat ist ihm nicht wie der Naturrechtslehre ein notwendiges Übel, sondern Ziel und reifste Frucht aller geschichtlichen Entwicklung, der Nationalstaat die Verwirklichung des Volksgeistes. Der unpersönliche Weltgeist bedient sich der Kämpfe der persönlichen subjektiven Geister gegeneinander, um seine Verwirklichung zu finden im überpersönlichen objektiven Geist: im Recht, in der Moral und in der Sittlichkeit, in der Familie, in der Gesellschaft und im Staate.

 

Diese ganze Auffassung der menschlichen Geschichte überträgt Hegel nun auf alles Weltgeschehen. Wie in der Geschichte sich die Individuen miteinander vereinigen und gegeneinander kämpfen, so ziehen in der Natur die Massen einander an und stoßen einander ab. Aber wie der Kampf der Individuen gegeneinander nur ein Mittel ist, dessen der Weltgeist sich bedient, um die Menschheit zu seinen Zwecken zu führen, so ist auch in der Natur der Kampf der individuellen Kräfte gegeneinander nur ein Mittel, dessen sich der Weltgeist bedient, um die Natur zu seinen Zwecken zu führen. Auch der Naturmechanismus ist nur ein Mittel, das die „List der Vernunft“ gebraucht. Auch in der Natur herrscht gesetzmäßige Entwicklung. Sie schreitet vom Unbelebten durch das Pflanzen- und das Tierreich zur Menschheit auf. Die Geschichte der Menschheit ist nur ein Teil der Entwicklung der Natur. Die höchste Frucht dieser Geschichte ist aber der kollektive geistige Besitz der Menschheit, der absolute Geist: Kunst, Religion und Philosophie, in denen die Menschheit die Natur sinnlich erschaut, sich vorstellt und begreift. Der Weltgeist bedient sich des Naturmechanismus, um die Entwicklung zu immer höheren Stufen zu führen, bis schließlich auf der höchsten Stufe, in der Philosophie, der Geist zur Erkenntnis seiner selbst gelangt. Selbsterkenntnis des Geistes ist das Ziel, das der Weltgeist mittels des Mechanismus erreicht. In diesem Gedanken erweist sich Hegels Philosophie als eine echte Professoren-, Intellektuellenphilosophie, der die Erkenntnis nicht bloßes Mittel des Lebens, sondern höchstes Ziel alles Strebens, letztes Ergebnis aller Entwicklung ist; als die echt deutsche Philosophie einer Zeit, in der das deutsche Bürgertum erst mit geistigen Waffen gegen den Feudalismus streiten konnte, während das französische und das britische Bürgertum ihn schon mit materiellen Waffen niederstrecken konnte; einer Zeit, in der das wirtschaftlich rückständige, politisch zersplitterte Deutschland sich bescheiden mußte, das Land der Denker und Dichter zu sein, während Briten und Franzosen die Welt untereinander teilten.

 

Alles Geschehen ist Mechanismus: Anziehung und Abstoßung von Massen in der Natur, Kooperation und Konkurrenz von Individuen in der Gesellschaft. Darin ist Hegel ein Kind des Kapitalismus. Aber der Mechanismus ist nur das Mittel, dessen der Weltgeist sich bedient, um sich schließlich zu setzen in der kollektiven Organisation der Menschheit, im objektiven Geist, als Staat, und sich schließlich zu erkennen im kollektiven geistigen Besitz der Menschheit, im absoluten Geist, als Philosophie. Darin weitet sich Hegels aus den Kämpfen der bürgerlichen Revolution, aus den Kämpfen zwischen Kapitalismus und Feudalismus, zwischen Revolution und Reaktion, zwischen Naturrechtslehre und historischer Rechtsschule erwachsene Geschichtsauffassung zu einem Weltbilde aus.

 

Mit dieser ganzen Gedankenmasse nun, die im letzten Grunde aus der feudal-romantischen Rechts- und Staatslehre hervorgegangen ist, verknüpft Hegel eine andere, die aus der Fortbildung der naturrechtlichen Erkenntniskritik Kants erwachsen ist.

 

Kant hat die reinen Denkformen auf empirischem Wege gewonnen: er hat die mathematische Naturwissenschaft seiner Zeit geprüft und zu ermitteln versucht, welche ihrer Bestandteile uns nicht durch die Sinnesorgane zugeführt sein können, sondern unserem Erkenntnisvermögen zugeschrieben, als reine Formen des Denkens angesehen werden müssen. So gewann er seine Tafel der Kategorien. Unser Verstand ist ihm ein System unveränderlicher Kategorien, Denkformen, in die wir das Empfindungsmaterial gießen. Diese Vorstellung befriedigte seine Schüler nicht. Die Forderung nach strenger innerer Gesetzmäßigkeit des Geistes veranlaßt sie, einen Mechanismus zu suchen, mittels dessen der Geist aus sich heraus alle Kategorien hervorbringt. Dieser Mechanismus ist die Dialektik. In der Dialektik geht ein Begriff aus dem anderen hervor; so ersinnt Fichte eine Eigenbewegung des Geistes, die aus den allgemeinsten Begriffen immer konkretere, bestimmtere hervorbringt. Kant unterscheidet am empirischen Begriffe die ihm von unserem Erkenntnisvermögen gegebene Form und die durch die Empfindungen gelieferte Materie; Fichte glaubt, auch die empirischen Begriffe aus bloßer Eigenbewegung unseres Erkenntnisvermögens hervorbringen zu können: die allgemeinsten Kategorien, die reinen Urbegriffe des Verstandes, sich dialektisch fortbewegend, bestimmen sidi selbst zu immer...

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