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E-Book

Sozialistische Theorien

Vollständige Ausgabe

AutorJosef Dietzgen
VerlagJazzybee Verlag
Erscheinungsjahr2012
Seitenanzahl140 Seiten
ISBN9783849609894
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis0,99 EUR
Josef Dietzgen war ein materialistischer Philosoph, sozialistischer Theoretiker und Journalist der deutschen Arbeiterbewegung bzw. der deutschsprachigen Arbeiterbewegung in New York und Chicago. Dieser Band enthält die folgenden Schriften: Das Wesen der Menschlichen Kopfarbeit Die Zukunft der Sozialdemokratie 'Das Kapital' von Marx

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Leseprobe

 

„Das Wesen der Naturlehre“, sagt F. W. Bessel, „besteht darin, dass sie die Erscheinungen nicht als für sich bestehende Tatsachen betrachtet, sondern die Ursachen aufsucht, deren Folgen die Erscheinungen sind. Hierdurch wird die Kenntnis der Natur auf die kleinste Zahl der Tatsachen zurückgebracht.“ Aber auch schon vor dem Zeitalter der Naturwissenschaft hatte man für die Erscheinungen der Natur Ursachen aufgesucht. Das Charakteristische der Naturwissenschaft besteht nicht sowohl in der Forschung nach Ursachen als in der eigentümlichen Beschaffenheit, in der Qualität der Ursachen, welche sie erforscht.

 

Die induktive Wissenschaft hat den Begriff der Ursache wesentlich verändert. Das Wort hat sie behalten, aber versteht darunter ganz eine andere Sache als die Spekulation. Der Naturforscher versteht innerhalb seines Fachs die Ursache ganz anders als außerhalb, wo er vielfältig spekuliert, weil er die Wissenschaft und ihre Ursache nur noch im Besonderen, aber nicht im Generellen kennt. Die unwissenschaftlichen Ursachen sind supranaturalistischer Art, sind außernatürliche Geister, Götter, Kräfte, große oder kleine Kobolde. Der ursprüngliche Begriff der Ursache ist ein anthropomorphistischer Begriff. Im Stande der Unerfahrenheit mißt der Mensch das Objektive mit subjektivem Maßstabe, beurteilt die Welt nach seinem Selbst. So wie er Dinge mit Vorbedacht schafft, so überträgt er der Natur seine menschliche Manier, denkt sich von den Erscheinungen der Sinnlichkeit eine so äußerliche, schöpferische Ursache, wie er selbst die separate Ursache seiner eigenen Schöpfungen ist. Diese subjektive Art verschuldet es, dass man so lange vergeblich nach objektiver Erkenntnis strebte. Die unwissenschaftliche Ursache ist eine Spekulation, eine Wissenschaft a priori.

 

Will man der subjektiven Erkenntnis den Namen Erkenntnis belassen, dann unterscheidet sich von ihr die objektive wissenschaftliche Erkenntnis dadurch, dass sie ihre Ursachen nicht durch Glauben, oder Spekulation, sondern durch Erfahrung, durch Induktion, nicht a priori, sondern a posteriori gewahr wird. Die Naturwissenschaft sieht ihre Ursachen nicht außer oder hinter den Erscheinungen, sondern in oder mittelst derselben. Die moderne Forschung sucht in ihren Ursachen keinen äußerlichen Schöpfer, sondern das immanente System, die Methode oder allgemeine Art und Weise der in zeitlicher Nacheinanderfolge gegebenen Erscheinungen. Die unwissenschaftliche Ursache ist ein „Ding an sich“, ein kleiner Herrgott, welcher die Wirkungen selbständig zeugt und sich dahinter versteckt. Der wissenschaftliche Begriff der Ursache dagegen will nur die Theorie der Wirkungen, das Generelle der Erscheinung. Eine Ursache erforschen heißt nunmehr, die betreffenden Erscheinungen generalisieren, die Vielfältigkeit der Empirie in eine wissenschaftliche Regel zusammenpacken. „Hierdurch wird die Kenntnis der Natur auf die kleinste Zahl der Tatsachen beschränkt.“

 

Wie irgendein kleinlicher, weibischer Aberglaube sich von dem historischen Aberglauben eines ganzen Zeitalters, nicht mehr und nicht minder unterscheidet sich das täglichste, hausbackenste, platteste Wissen von der höchsten, seltensten, neu entdecktesten Wissenschaft. Wir dürfen deshalb – nebenbei gesagt – wohl auch unsere Beispiele dem täglichen Kreise entnehmen, statt sie in der sogenannten höheren Region einer entlegenen Wissenschaft aufzusuchen. Der gemeine Menschenverstand hat längst induktive naturwissenschaftliche Ursachen praktiziert, bevor noch die Wissenschaft zu der Entdeckung gelangt war, dass sie ihre höheren Ziele in derselben Art zu verfolgen habe. Nur wenn der gemeine Menschenverstand sich über das Feld seiner nächsten Umgebung erheben will, gelangt er, ganz wie der Naturforscher, zu dem Glauben an die geheimnisvolle Ursache der spekulativen Vernunft. Um auf dem Boden des realen Wissens festzustehen, bedarf es für alle der Erkenntnis, in welcher Art und Weise die induktive Vernunft ihre Ursachen ermittelt.

 

Werfen wir zu diesem Zwecke einen kurzen Rückblick auf das gewonnene Resultat vom Wesen der Vernunft. Wir wissen, das Erkenntnisvermögen ist kein Ding, keine Erscheinung an oder für sich, weil dasselbe nur in Kontakt mit anderem, mit einem Gegenstande wirklich wird. Was immer jedoch vom Gegenstand gewußt wird, ist nicht nur durch den Gegenstand, sondern zugleich auch durch die Vernunft ermittelt. Das Bewußtsein ist, wie alles Sein, relativ. Wissen ist Kontakt einer Verschiedenheit. Mit dem Wissen ist Trennung, ist Subjekt und Objekt, ist Mannigfaltigkeit in der Einheit gegeben. Da wird eines am anderen zur Ursache, eines am anderen zur Wirkung. Die gesamte Welt der Erscheinung, wovon das Denken nur ein besonderes Quantum, eine Form, ist absoluter Kreis, wo überall und nirgends Anfang und Ende, Wesen und Erscheinung, Ursache und Wirkung, Allgemeines und Besonderes ist. Wie die gesamte Natur in letzter Instanz die einzige generelle Einheit ist, der gegenüber alle besonderen Einheiten zur Vielheit werden, so ist dieselbe Natur die Objektivität, die Sinnlichkeit, oder wie sonst wir die Summe aller Erscheinung oder Wirkung zu nennen belieben, Ursache in letzter Instanz, der gegenüber alle anderen Ursachen zu Wirkungen herabsinken. Hierbei jedoch dürfen wir nicht verkennen, dass diese Ursache aller Ursachen nur die Summe aller Wirkungen, nichts anderes oder höheres ist. Jede Ursache wirkt, jede Wirkung ursacht.

 

Eine Ursache ist leiblich sowenig von ihrer Wirkung zu trennen wie das Sichtbare vom Gesicht, wie der Geschmack von der Zunge, wie überhaupt das Allgemeine vom Besonderen. Gleichwohl trennt das Denkvermögen eines vom anderen. Wir sollen nun wissen, dass diese Trennung eine bloße Formalität der Vernunft ist, eine Formalität jedoch, welche nötig ist, um vernünftig oder bewußt zu sein, um wissenschaftlich zu agieren. Die Praxis des Wissens oder die wissenschaftliche Praxis leitet das Besondere aus dem Allgemeinen her, die natürlichen Dinge aus der Natur. Wer jedoch dem Denkvermögen hinter die Kulissen gesehen, weiß, dass umgekehrt das Allgemeine aus dem Besonderen, der Naturbegriff von den natürlichen Dingen abgeleitet ist. Die Theorie des Wissens oder der Wissenschaft lehrt uns, dass das Vorhergehende aus dem Nachfolgenden, die Ursache aus der Wirkung erkannt ist, obgleich unserem praktischen Wissen das Nach eine Folge des Vorgangs, die Wirkung eine Folge der Ursache ist. Dem Denkvermögen, dem Organ des Allgemeinen ist das Gegenteil, das Besondere, Gegebene, Andere sekundär; aber dem Denkvermögen, das sich selbst begreift, ist es primär. Die Praxis des Erkennens soll und kann jedoch durch ihre Theorie nicht verändert werden, sondern nur das Bewußtsein den sicheren Schritt empfangen. Der wissenschaftliche Landwirt unterscheidet sich vom praktischen nicht dadurch, dass er Theorie, dass er Methode hat – davon besitzen beide —, sondern dadurch, dass er von seiner Theorie weiß, während der andere instinktiv theoretisiert.

 

Doch zur Sache: aus der gegebenen Mannigfaltigkeit überhaupt erzeugt die Vernunft die Wahrheit im Allgemeinen, aus der zeitlichen Mannigfaltigkeit, aus Veränderungen die wahre Ursache. Wie absolute Mannigfaltigkeit die Natur des Raumes, so ist absolute Veränderlichkeit die Natur der Zeit. Jeder Teil der Zeit ist wie jeder Teil des Raumes neu, original, nie dagewesen. In dieser absoluten Veränderlichkeit uns zurechtfinden hilft das Denkvermögen, indem es, wie die Mannigfaltigkeit des Raumes durch namhafte Dinge, so die Veränderungen der Zeit durch namhafte Ursachen generalisiert. Das Sinnliche zu generalisieren, im Besonderen das Allgemeine zu gewahren, darin besteht das ganze Wesen der Vernunft. Wer mittels der Erkenntnis, dass die Vernunft Organ des Allgemeinen, dieselbe nicht völlig begreift, vergißt, dass zum Begreifen ein gegebenes Objekt gehört, was außerhalb des Begriffs bleibt. Das Sein dieses Vermögens ist sowenig zu begreifen wie das Sein überhaupt. Oder vielmehr, das Sein ist begriffen, wenn wir es in seiner Generalität nehmen. Nicht das Dasein, sondern das Generelle des Daseins ist durch die Vernunft wahrzunehmen.

 

Vergegenwärtigen wir uns beispielsweise den Prozeß, den die Vernunft ausführt, wenn sie eine unverstandene Sache begreift. Unterstelle eine sonderbare, d. h. unerwartete, unerfahrene chemische Veränderung, die mit irgendeinem Gemisch plötzlich und ohne weiteres Zutun vorgeht. Unterstelle ferner, dass diese Veränderung demnach öfter passiert, bis uns die Erfahrung zu der Erkenntnis bringt, dass dem unerklärlichen Wechsel des Gemisches jedesmal eine Berührung mit Sonnenlicht vorhergeht. Damit ist schon der Vorgang begriffen. Unterstelle noch ferner, dass weitere Erfahrung lehrt, wie noch mehrere andere Stoffe die Eigenschaft besitzen, in Berührung mit Sonnenlicht die betreffende Veränderung einzugehen, so ist damit die unbekannte Erscheinung einer größeren Anzahl von Erscheinungen derselben Art angereiht, d. h. weiter, tiefer, vollständiger begriffen. Finden wir nun schließlich noch einen Teil des Sonnenlichts oder ein besonderes Element...

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