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Sozialpädagogische Aufgaben bei Pflegekindern

Pflegekinder in Ersatzfamilien. Eine zweite Chance für neue, intensive und stabile Bindungserfahrungen!?

AutorSandra Schulz
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl69 Seiten
ISBN9783656573135
FormatePUB/PDF
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis29,99 EUR
Bachelorarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Soziale Arbeit / Sozialarbeit, Note: 1, Universität Kassel, Sprache: Deutsch, Abstract: Die vorliegende Abschlussarbeit im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit widmet sich dem Thema Sozialpädagogische Aufgaben bei Pflegekindern. Pflegekinder in Ersatzfamilien - eine zweite Chance für neue intensive und stabile Bindungserfahrungen! John Bowlby -Begründer der Bindungstheorie- war davon überzeugt, dass die Entwicklung eines Kindes grundlegend von frühkindlichen Erlebnissen in der Eltern-Kind-Beziehung bestimmt würde. Unter anderem beschäftigte er sich mit hindernden und fördernden Faktoren der Mutter-Kind-Beziehung, den Auswirkungen des Verlusts der Bindungsperson und der Entwicklung von Kindern außerhalb der Herkunftsfamilie... Die zentrale Fragestellung, mit der sich diese Abschlussarbeit auseinander setzt, laute daher: Inwieweit ist es Kindern möglich, nach traumatischen Erfahrungen in ihrer Herkunftsfamilie, neue intensive Bindungen in einer Ersatzfamilie einzugehen? Um diese Frage angemessen beantworten zu können, bedarf es zunächst der Erarbeitung einer einheitlichen theoretischen Grundlage... Für die Überprüfung des theoretischen Teils stehen mir grundlegend zwei Studien zur Verfügung - zum Einen die Schweizer Studie von Yvonne Gassmann 2010 'Pflegeeltern und ihre Pflegekinder - Empirische Analysen von Entwicklungsverläufen und Ressourcen im Beziehungsgeflecht' und zum Anderen die deutsche Studie von Katja Nowacki 2007 'Aufwachsen in Pflegefamilie oder Heim - Bindungsrepräsentationen, psychische Belastung und Persönlichkeit bei jungen Erwachsenen'. ...

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Leseprobe

3. Traumatisierungserfahrungen innerhalb der Familie


 

In der Arbeit mit Pflegekindern nimmt das Thema Trauma eine besondere Bedeutung ein. Nienstedt und Westermann gehen davon aus, dass mehr oder weniger weitreichende traumatische Erfahrungen bei den Kindern, die aus ihrer Herkunftsfamilie herausgenommen wurden, vorliegen. In Bezug auf ihrer Vorgeschichte sind vor allem Dauerpflegekinder einer traumatischen Situation ausgesetzt, die ihr Verhalten und Erleben nachhaltig beeinflussen[44]. In diesem Abschnitt stehen Traumata, deren Risikofaktoren und Auswirkungen im Vordergrund.

 

3.1 Definition: Trauma


 

Traumata (griechisch: Verletzung, Wunde, Gewalteinwirkung) sind Verletzungen nach einer physischen oder psychischen Gewaltausübung. Trauma und Gewalt sind daher zwei Themenbereiche, die eng miteinander verbunden sind. Es sind zwei unbestimmte Begriffe, die nicht eindeutig definierbar sind.

 

Im strafrechtlichen Verständnis ist Gewalt im Allgemeinen „jedes Mittel, mit dem auf den Willen oder das Verhalten eines anderen durch ein gegenwärtiges empfindliches Übel eine Zwangswirkung ausgeübt wird“[45]. Krall bezeichnet Gewalt als eine schädigende Handlung und/oder Prozess, welche/r innerhalb der Familie eine der zentralen und häufigsten Ursachen für körperliche und seelische Verletzungen bei Kindern ist. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass es zu einer verzerrenden Darstellung kommt, wenn die Anzahl der Kinder und Jugendlichen mit Gewalterfahrungen innerhalb der Familie mit den traumatisierten gleichgesetzt werden[46]. Laut Krall werden „traumatische Menschen (...) mit der Erfahrung konfrontiert, in einer belastenden Situation schutzlos, ohnmächtig und hilflos anderen Menschen oder Ereignissen (Gewalttäter, Krankheiten, Krieg, etc.) ausgeliefert zu sein.“[47] Traumatisierungen gehen einher mit Stress, Verlust und Deprivation.

 

Tyson und Tyson bezeichnen den Begriff als „eine existentiell bedrohliche, überwältigende Lebenssituation, die die Fähigkeit des Ichs zur Organisation und Regulation überfordert und so mit einem Zustand der Ohnmacht einhergeht“[48]. Shengold benennt es mit dem Begriff „Seelenmord“[49].

 

Nienstedt und Westermann definieren Trauma wie folgt: „Von traumatischen verletzenden Erfahrungen sprechen wir dann, wenn von Eltern die elementarsten Bedürfnisse des Kindes nicht wahrgenommen und respektiert werden und wenn das Kind von seinen Eltern überwältigt wird und sie dadurch als Schutzobjekt verliert“[50].

 

Durch die verschiedenen Definitionen gelangen wir zu einer genaueren Beurteilung, wann es sich um ein traumatisches Ereignis handelt. Dennoch kann keine einheitliche Definition gefunden werden, da es sich hier um individuelle Erfahrungen handelt, die auf jedes Individuum unterschiedliche Auswirkungen haben.

 

3.2 Risikofaktoren für traumatische Erfahrungen


 

Traumatische Erfahrungen in der Kindheit werden durch unterschiedliche Faktoren beeinflusst, oftmals bedingen und ergänzen sie sich gegenseitig. Durch das Zusammenwirken von Risikofaktoren, Mittelfaktoren (den Umständen, unter denen sich das Geschehen abspielt) und schützenden Faktoren wird die Entstehung eines Traumas beeinflusst. Schutzfaktoren sind Einflussfaktoren, die die Auswirkungen von Risikofaktoren ausgleichen können. Die vom Kind entwickelten Widerstandskräfte werden in der Theorie und Forschung unter dem Begriff Resilienz zusammengefasst. Schutzfaktoren können sein: dauerhaft gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson, „gutes“ Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust, sicheres Bindungsverhalten, überdurchschnittliche Intelligenz oder soziale Förderung [51].

 

Nachfolgend werden einige ausgewählte Risikofaktoren kurz beschrieben:

 

Physische Misshandlung

 

Physische Misshandlungen können sowohl als Handlungen als auch als Unterlassungen gesehen werden, die „sich gegen den Körper der Betroffenen richten und in der Regel mit Schmerzen, gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Ekelgefühl oder Freiheitsberaubung verbunden sind“[52]. Beispiele für diese Form von Gewalt sind: Schlagen mit der Hand, Prügeln, FesthaltenWürgen, gewaltsamer Angriff mit Riemen, Vergiften, Verbrennen mit heißem Wasser oder Zigaretten, den eigenen Kot essen, Urin trinken lassen, oder Schütteln eines Kleinstkindes[53]. Diese Taten sind Folgen gezielter Gewaltausübung oder aber stellen eine Form impulsiver, reaktiver Gewalttätigkeit dar. Laut Krieger/Lang u. a. zählt auch die Zerstörung von Eigentum des Kindes (z. B. Geschenken oder Lieblingsspielzeug) zur körperlichen Gewalt, denn diese richtet sich stellvertretend gegen den Besitzer - das Kind.

 

Der Schweregrad von körperlicher Gewalt ist unterschiedlich einzuschätzen und bedarf daher bestimmter Kriterien für die Unterscheidung. Diese liegen im Ausmaß der körperlichen Schädigung, die das Kind erfährt, und in der Vorsätzlichkeit der schädigenden Handlung. Meist sind die Verletzungen, die vorsätzlich ausgeübt werden, sofort sichtbar. Andere wirken sich erst einige Jahre später aus bzw. in der seelischen Entwicklung des Kindes[54].

 

Sexueller Missbrauch

 

Sexueller Missbrauch ist grundlegend gekennzeichnet von der Tatsache, dass Kinder und Jugendliche gezwungen werden,sich an sexuellen Handlungen zu beteiligen. Die Folgen und Bedeutungen dieser Handlungen können sie dabei nicht einschätzen. Nach Deegner gehört zu sexuellem Missbrauch

 

„jede sexuelle Handlung, die an oder vor einem Kind entweder gegen den Willen des Kindes vorgenommen wird oder der das Kind auf Grund seiner körperlichen, emotionalen, geistigen oder sprachlichen Unterlegenheit nicht wissentlich zustimmen kann bzw. bei der es deswegen auch nicht in der Lage ist, sich hinreichend zu wehren und verweigern zu können“[55].

 

Bei sexuellem Missbrauch werden unterschiedliche Schweregrade festgestellt: 1) intensiver Missbrauch sind z. B. anale, orale oder vaginale Vergewaltigungen, die versucht oder vollendet wurden, und vollzogener Beischlaf. Opfer des intensiven Missbrauchs ist ein Kind, wenn es den Täter anfassen musste oder der Täter das Kind an Genitalien berührt hat. 2) Zu weniger intensivem Missbrauch gehören u. a. Berührungen an der Brust des Opfers oder sexuelle Küsse. Auch ohne körperlichen Kontakt kann das Kind durch sexuellen Missbrauch geschädigt werden z. B. durch pornographische Materialien anschauen oder nackt ausziehen. Der Schweregrad der Misshandlung sagt aber nicht gleichzeitig etwas über den Grad der Traumatisierung des Kindes bzw. Jugendlichen aus. Der Grad des Traumas wird von verschiedenen Faktoren bestimmt: Vertrauensgrad zwischen Täter und Opfer, Art und Dauer, Anwendung von körperlicher Gewalt, Reaktionen aus dem Umfeld, Alter des Opfers, Intensität, Bedrohlichkeit, Umfang familiärer Unterstützung, Dauer des Gerichtsverfahrens sowie vorkommende Reviktimisierung durch andere Täter.

 

Psychische Misshandlung

 

Zunächst ist zu erwähnen, dass die psychische bzw. seelische Misshandlung erst 1934 in der Wissenschaft Beachtung gefunden hat und von v. Levetzow definiert wird als „ein schweres Schädigen des seelischen Wohlbefindens eines Wehrlosen, welches ohne vernünftigen Zweck oder außer jedem Verhältnis zu einem vernünftigen Zweck geschieht“[56]. Psychische Misshandlung kann nach Engfer ausbauend definiert werden als eine Handlung oder Unterlassung von Eltern bzw. Betreuungspersonen, die Kinder überfordern, ängstigen oder ihnen das Gefühl der Wertlosigkeit vermitteln[57].

 

Ferner zählt zur psychischen Misshandlung auch ein zu starkes Behüten, ein 'Erdrücken des Kindes mit Fürsorge', welches in der Übersicht zu ergänzen ist. Dadurch kann das Kind in seiner Entwicklung stehen bleiben und sich extrem ängstlich, unsicher, ohnmächtig und abhängig fühlen. Bei der psychischen Misshandlung handelt es sich folglich um die Ausübung seelischen Drucks.

 

Vernachlässigung

 

Die Vernachlässigung kann als die häufigste Form der Misshandlungen gesehen werden. Der Begriff wird von Albert wie folgt definiert: Vernachlässigung...

 

„ist die andauernde oder wiederholte Unterlassung fürsorglichen Handelns durch sorgeverantwortliche Personen (...), welches zur Sicherstellung der seelischen und körperlichen Versorgung des Kindes notwendig wäre, also die Nichterfüllung kindlicher Grundbedürfnisse“[58].

 

Formen derVernachlässigung:

 

Die physische Vernachlässigung ist gekennzeichnet von unzureichender oder nicht angemessener Ernährung, Verpflegung und Versorgung sowie das Unterlassen von Sicherheitsmaßnahmen wie Unbeaufsichtigen des Kindes und das Unterlassen von medizinischer Hilfe und Versorgung.

 

Die psychische Vernachlässigung bezieht sich auf den emotionalen Austausch, die Sprache, Grob- und Feinmotorik, allgemeine Anregungen, mangelnde Fürsorge für das Kind, aber auch ein nicht ausreichendes emotionales Beziehungsangebot. Passive Vernachlässigung ist das unbewusste Verhalten der Eltern aufgrund mangelnder Einsicht oder Aufmerksamkeit sowie unzureichendem Wissen der...

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