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E-Book

Sozialpolitik

Ökonomisierung und Entgrenzung

VerlagVS Verlag für Sozialwissenschaften (GWV)
Erscheinungsjahr2008
Seitenanzahl341 Seiten
ISBN9783531909295
FormatPDF
KopierschutzDRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis36,99 EUR
In der Diskussion des Verhältnisses von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik gab es immer wieder Kontroversen, insbesondere zur Frage des wirtschaftlichen Werts der Sozialpolitik. Eines aber war bis in die jüngste Zeit konstant: die weitgehende Trennung von beiden Politikbereichen als Sektoren mit je eigenen Prioritäten und Wertorientierungen. Inzwischen ist es jedoch in der Sozialpolitik selbstverständlich geworden, hier auch wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Erwägungen Raum zu geben. Das betrifft die Frage der wirtschaftlichen Effekte von Reformen der Alterssicherungssysteme ebenso wie die wirtschaftspolitischen Effekte bestimmter Familienpolitiken. Diese Verklammerung sozial- und wirtschaftspolitischer Zugangsweisen hat in jüngster Zeit auch in der Diskussion um eine investive Orientierung der Sozialpolitik ihren Ausdruck gefunden. Die Autoren dieses Bandes greifen diese Problematik auf und bündeln dabei die Beiträge zu drei Problembereichen.

Dr. Adalbert Evers ist Professor für Vergleichende Gesundheits- und Sozialpolitik an der Universität Gießen.
Dr. Rolf G. Heinze ist Professor für Soziologie an der Ruhr-Universität Bochum.

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Leseprobe
Sozialpolitik: Gefahren der Ökonomisierung und Chancen der Entgrenzung. (S. 9)

Adalbert Evers, Rolf G. Heinze

In der Diskussion des Verhältnisses von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik gab es immer geteilte Meinungen und Kontroversen, insbesondere zur Frage des wirtschaftlichen Werts der Sozialpolitik. Eines aber war bis in die jüngste Zeit konstant: die weitgehende Trennung von beiden Politikbereichen als Sektoren mit je eigenen Prioritäten und Wertorientierungen. Inzwischen ist es jedoch in der Sozialpolitik selbstverständlich geworden, hier auch wirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Erwägungen Raum zu geben.

Das betrifft die Frage der wirtschaftlichen Effekte von Reformen der Alterssicherungssysteme ebenso wie die wirtschaftspolitischen Effekte bestimmter Familienpolitiken oder die Diskussion des Gesundheitssystems als sozialpolitischem Garanten und wirtschaftlichem Wachstumsfaktor. Die Grenzen zwischen Sozialpolitik und anderen öffentlichen Politiken, speziell die Grenzziehungen zwischen Sozial- und Wirtschaftspolitik scheinen immer durchlässiger zu werden.

Im Zuge der Konzipierung und Umsetzung entsprechender Reformprojekte ist aber noch etwas anderes deutlich geworden. In klassischen Konzepten der gesamtgesellschaftlichen Verantwortungsteilung wurde der Sozialstaat vor allem als Instrument der Umverteilung und sozialen Absicherung begriffen, der Nachteile und Risiken für Bürger ausgleichen sollte, von denen ganz selbstverständlich angenommen wurde, dass sie im Regelfall ihre Verantwortung in Gesellschaft, Arbeitswelt oder auch Familie ernst nehmen und aktiv leben.

In dem Sinne waren eine „aktive" Gesellschaft und aktivitätsbereite Bürger gewissermaßen der selbstverständliche Bezugspunkt klassischer Sozialpolitik. Heute ist man da skeptischer. In der gesellschaftspolitischen Debatte wird ganz allgemein kollektives und individuelles Besitzstandsdenken beklagt. Speziell im Bereich der Sozialpolitik ist die Frage, inwieweit Modernisierungserfordernisse beim Sozialstaat und bei bisherigen Lebens- und Arbeitsformen mit sozialer Gerechtigkeit, Sicherheit und Vertrauen vereinbar sein können, ein Problem, das sich quer durch die Parteien zieht.

„Mehr Eigenverantwortung" ist zu einem Schlüsselbegriff geworden, den die einen geradezu emphatisch besetzen, die anderen eher als Synonym für Entsicherung und Entsolidarisierung verstehen. Auf den Begriff des aktivierenden Staates (vgl. die Beiträge in Mezger/West 2000 sowie Behrens et al. 2005) greifen die einen zurück, wenn sie fordern, dass Sozialpolitik eine prinzipiell aktionsbereite Bürgergesellschaft ermutigen sollte, statt sie mit einem traditionellen Typus von sozialpolitischen Leistungen zu reglementieren oder gar zu unterfordern.

Für die anderen ist mit dem Begriff eher das Fördern und Fordern bei der Arbeitsmarktpolitik gemeint, also eine Praxis der Aktivierung, die Hilfen mit mehr staatlichen Vorschriften und Verhaltenszumutungen verknüpft. Die Frage nach gutem Regieren (Evers 2006), Good Governance, stellt sich mit aktivierenden Politiken des Sozialstaats neu. Mit beiden gerade skizzierten Entwicklungen verbinden sich Herausforderungen für wissenschaftliche Analyse und politisches Handeln. Auf dem Soziologentag an der Universität Kassel waren sie im Herbst 2006 zentrales Thema der Verhandlungen der Sektion Sozialpolitik.

Die Beiträge im vorliegenden Sammelband sind – ergänzt um die Beiträge einiger zusätzlicher Gäste – überarbeitete Fassungen der damaligen Referate. Alle zusammen haben wir sie in diesem Band unter den zwei Schlagworten Ökonomisierung und Entgrenzung zusammengefasst. Ökonomisierung der Sozialpolitik wird in dem ersten der drei Abschnitte dieses Bandes mit sechs verschiedenen Beiträgen thematisiert.

Es geht um den Umstand, dass Sozialpolitik weit mehr als in früheren Jahrzehnten der Bundesrepublik (a) nicht so sehr in Hinblick auf die Effekte, die sie bei ihren unmittelbaren Adressaten auslöst, sondern in Hinblick auf gesamtgesellschaftliche und vor allem gesamtwirtschaftliche Zusammenhänge betrachtet wird, (b) Effekte für wirtschaftliches Wachstum, Demographie, Humankapitalbildung und gut funktionierende Arbeitsmärkte haben besonderes Gewicht.
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis6
Sozialpolitik: Gefahren der Ökonomisierung und Chancen der Entgrenzung.10
Soziale Investitionen. Zur Ökonomisierung der Sozialpolitik12
Wohlfahrt und Wachstum. Die Entgrenzung der Sozialpolitik als Öffnung zur Wirtschaftspolitik15
Fördern und Fordern. Die Entgrenzung der Sozialpolitik in Bezug auf Gesellschafts- und Demokratiepolitik21
Selbstverständnis und Aufgabenstellungen sozialpolitischer Forschung26
Literatur27
I. Soziale Investitionen. Zur Ökonomisierung der Sozialpolitik30
Ökonomisierung der Sozialpolitik? Neue Begründungsmuster sozialstaatlicher Tätigkeit in der Gesundheits- und Familienpolitik32
1 Einleitung32
2 Begründungsmuster für Sozialpolitik33
3 Ökonomisierung der Gesundheitspolitik34
4 Veränderungen der Begründungsmuster in der Familienpolitik40
5 Chancen und Risiken45
Literatur47
Ökonomisierung der Lebenswelt durch aktivierende Familienpolitik?50
Einleitung50
Familie, Wohlfahrtspluralismus, System versus Lebenswelt53
Familienpolitik als Nachhilfe für die Lebenswelt der Nichtproduzenten55
Lebensweltversagen58
Aktivierung durch Entfamilisierung62
Zusammenfassung und Ausblick63
Literatur65
Ökonomische Funktionalität der Familienpolitik oder familienpolitische Funktionalisierung der Ökonomie?68
Das Paradoxon68
Zur ökonomischen (Dys-)Funktionalität der Familienpolitik69
Die Ökonomisierung des familienpolitischen Diskurses73
Fazit81
Literatur82
Ökonomisierung, Pflegepolitik und Strukturen der Pflege älterer Menschen84
Einleitung84
Ökonomisierung als Element wohlfahrtsstaatlicher Restrukturierung84
Die Grundlagen der Ökonomisierung der Pflege im Pflegeversicherungsgesetz86
Die widersprüchlichen Wirkungen des Pflegeversicherungsgesetzes88
Differenzen in der Definition von Pflegequalität90
Die Vorstellungen über die Qualität familialer Pflege91
Die Ökonomisierung der ambulanten Pflege und Erwartungen in Bezug auf die Qualität der ambulanten Pflege94
Fazit97
Literatur97
Wirtschaftspolitik „schlägt“ Sozialpolitik: Die Rentenreformen in den Staaten Mitteleuropas100
Institutionelle Wandlungen durch Europäisierung101
Die Weltbank als prägender Akteur der Rentenreformen102
Die EU als Mitgestalter106
Rentensysteme zwischen Weltbank- und EU-Konzeption112
Rentensysteme als Reibungsfläche zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik113
Literatur114
Grenzverschiebungen. Das Verhältnis von Sozialpolitik und Wirtschaftspolitik auf EU-Ebene und die Neubestimmungen des „ Sozialen“116
Einleitung: Neue Quellcodes des Sozialen im europäischen Mehrebenen- Wohlfahrtsstaat116
Grenzverschiebungen und neue Grenzziehungen: Eine Topographie der Konflikte117
Schlussbemerkungen: Sozialpolitik in der postnationalen Konstellation131
Literatur133
II. Wohlfahrt und Wachstum. Die Entgrenzung der Sozialpolitik als Öffnung zur Wirtschaftspolitik138
Wahlverwandtschaften oder Zufallsbekanntschaft? Wie Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftsmodell zusammenhängen140
Einleitung140
Kooperation oder Konkurrenz? Konturen und Konsequenzen unterschiedlicher Wirtschaftsmodelle143
Wie Wohlfahrtsstaaten das Wirtschaftsmodell prägen145
Wie Wirtschaftsmodelle den Wohlfahrtsstaat prägen147
Wie Parteien und Interessengruppen das Wirtschafts- und Wohlfahrtsstaatsmodell prägen149
Was bedeutet der Wandel des Wirtschaftsmodells für den Wohlfahrtsstaat?151
Literatur154
Status quo vadis? Die Pluralisierung und Liberalisierung der „ Social- Politik“: Eine Herausforderung für die politikwissenschaftliche und soziologische Sozialpolitikforschung158
Einleitung158
Status quo160
Die Pluralisierung der Sozialpolitik164
Die Liberalisierung der Sozialpolitik172
Quo vadis?179
Literatur181
Irrwege und Umwege in die neue Wohlfahrtswelt187
Revolvierende Reformzyklen187
Reformen: Nur wenn es nicht mehr anders geht190
„Wasserscheide“ des Wohlfahrtsstaates192
Neue soziale Risiken, Verteilungsgerechtigkeit und Gewerkschaftspolitik194
Sackgassen der Wohlfahrtsstaatsreform200
Literatur206
Wohlfahrtsstaat und wirtschaftliche Innovationsfähigkeit: Zur Neujustierung eines angespannten Verhältnisses209
Die Erosion des deutschen „Prosperitätsmodells“ intensiviert das Spannungsfeld zwischen Wohlfahrtsstaat und Ökonomie209
Beschäftigungskrise und gesellschaftliche Desintegration: Der Verlust wohlfahrtsstaatlicher Erfolgsfaktoren214
Diskurse zum Umbruch des deutschen Sozialstaats: Zwischen Transformation und institutioneller Trägheit217
Die Pluralität von Wohlfahrtsstaatlichkeit oder: Was kann von den Nachbarländern für eine neue Architektur der sozialen Sicherung gelernt werden?218
Auf der Suche nach einer neuen Komplementarität zwischen Politik und Ökonomie221
Exkurs: Gesundheitswirtschaft als Innovationspotential für Lebensqualität und Wirtschaft223
Reformpolitische Schlussfolgerungen226
Literatur227
Investiv und aktivierend oder ökonomistisch und bevormundend? Zur Auseinandersetzung mit einer neuen Generation von Sozialpolitiken230
Einleitung: Eine neue Generation von Sozialpolitiken und ihre Kritik230
Die investive Orientierung neuer Sozialpolitiken: Ökonomismus und Selbstaufgabe?232
Dritte Wege: Nur in der Sozial-, aber nicht in der Wirtschaftspolitik?237
Eine neue Generation von Sozialpolitiken – Promotoren fragwürdiger Bevormundungs- und Erziehungsansprüche?241
Sozialpolitik heute: Nicht mehr unumstritten im eigenen Feld und herausgefordert, in anderen Politikfeldern Geltung zu erwerben247
Literatur248
III. Fördern und Fordern. Die Entgrenzung der Sozialpolitik in Bezug auf Gesellschafts- und Demokratiepolitik252
Fördern, Fordern, Lenken – Sozialreform im Dienst staatlicher Eigeninteressen254
Politik ohne Mandat: Instrumentelle Interessen des Staates in der Sozialpolitik254
Formenwandel staatlicher Bestandsinteressen auf wichtigen Etappen der sozialpolitischen Entwicklung in Deutschland257
Sozialreform ohne politische Gestaltungsaufgabe270
Literatur274
Disziplinieren und Motivieren: Zur Praxis der neuen Arbeitsmarktpolitik277
Ökonomisierung der Arbeitsmarktpolitik: Vom Gesetz zur Durchsetzung277
Arbeit am „Kunden“283
Ausblick297
Literatur300
Sozialpolitische Verbraucheraktivierung. Konsumsubjekt und Bürgergemeinschaft in der Marktgesellschaft302
Einleitung302
Verbraucheraktivierung im Kontext „Dritter Wege“ der Sozialpolitik303
Verbraucheraktivierung als Regierungstechnik in der Marktgesellschaft311
Professionelle Aktivierung und demokratische Vernetzung: Zur sozialpolitischen Sicherung der prekären Verbraucherautonomie314
Literatur319
Society matters. Die kommunikationspolitische Dialektik von aktiver Gesellschaft und aktivierendem Sozialstaat322
Eigenverantwortung. Widersprüche, Paradoxien und neue Wege der Kommunikationspolitik324
Die nächste Runde von aktiver Gesellschaft und aktivierendem Sozialstaat328
Aktive Gesellschaften in der Weltgesellschaft330
Back to the future. Vom aktivierenden Sozialstaat zur aktiven Gesellschaft333
Literatur337
Autoren340

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