9Einleitung
»Haben Städte eine Farbe?«, fragte das Bahnmagazin im Frühjahr 2005 einen Monat lang den Reisenden, und die Antwort war: »Ja.« New York sei gelb, London rot, Paris blau und Berlin grün. Bilder der genannten Städte belegen und konstruieren die Dominanz einer Farbe: Yellow Cabs, gelbe Zeitungsboxen, gelbes Licht am Chrysler-Gebäude, gelber Schulbus, gelbe Straßenschilder: gelbes New York. »Schauen Sie auf die Farben – und lernen Sie dadurch mehr über das Lebensgefühl einer Stadt« (mobil 04/2005, S. 60).[1] Darüber zu debattieren, wie sich Städte unterscheiden, ist heutzutage ein beliebtes Gesellschaftsspiel. Jedes Schweigen an einer Tafel kann damit überbrückt werden, dass man Sätze beginnt wie: »Seit ich aus Berlin weggezogen bin, vermisse ich …«, oder: »Frankfurt ist so eine optimistische Stadt, ganz anders als …«. Dann beginnt die Diskussion. Sie kreist im Kern um die Frage, wie Städte zu charakterisieren sind, und bestätigt, was alle wissen und was sich in der Kommunikation verfestigt: Städte unterscheiden sich fundamental.
Dabei scheint es ein eingeführtes Vergleichssystem zu geben. New York wird zu Paris, Berlin und London ins Verhältnis gesetzt, nicht zu Bombay und auch nicht zu Nürnberg. Auch für deutsche Städte existieren stereotype Deutungsweisen über gutgepflegte Konkurrenzen: »Wenn es zwei Städte in Deutschland gibt, die eine traditionelle Rivalität pflegen, dann sind das München und Berlin« (München. Das Magazin der Landeshauptstadt. 2007). Und die 10gegenwärtigen Stadtoberhäupter Christian Ude und Klaus Wowereit sehen es nicht als Zeitverschwendung an, sich zum Schlagabtausch über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Stadt zu treffen (ebd., S. 15 ff.), wenn München 850 Jahre alt wird und – wie das Titelblatt des Magazins verkündet – sich zu diesem Anlass »neu erfindet« (vergleiche dazu ausführlich Kapitel 5 in diesem Buch).
Es existiert ein breites Alltagswissen über die Besonderheiten und Besonderungsstrategien von Städten, das vor allem in Zeitungen und Zeitschriften öffentlichkeitswirksam verhandelt wird. Fast täglich sind Sätze wie die folgenden zu lesen: »Es gibt drei Arten von Städten in Deutschland: Städte wie München, in denen viel Geld verdient, aber auch viel Geld ausgegeben wird; ein Blick auf die Cafés, die Läden und die Sportwagen auf der Maximilianstraße lässt keine Zweifel zu. Dann gibt es Städte, in denen fast überhaupt kein Geld verdient wird, aber dieses Nichts um so entschlossener auf den Kopf gehauen wird: Berlin zum Beispiel. Und es gibt Frankfurt, eine Stadt, in der enorm viel Geld verdient und fast keines ausgegeben wird« (Merian Frankfurt, Heft 9, 2003, S. 136). Oder: »München zu bussibussi, Hamburg zu kühl, Köln zu schwul, also: Leipzig« (Süddeutsche Zeitung, 17./18. März 2007, S. III). Schließlich auch: »Städte sind wie Menschen. Köln ist der joviale Saufkumpan, Berlin der unrasierte Szenedichter, Amsterdam die hennahaarige Haschischbraut« (Spiegel Online, 13. Juli 2007). Immerhin eine kurze Meldung ist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wert, was im Zeitmagazin Leben (Nr. 32, 2. August 2007, S. 7) sogar als Karte abgedruckt wird: In welcher Stadt welche Suchbegriffe bei Google besonders häufig eingegeben werden: »Begriffe wie Melancholie, Faulheit und Kultur werden in Deutschland nirgends häufiger bei Google eingegeben als in Berlin. Münchner interessieren sich demnach besonders11 für Karriere, Profit, Sport und Freude. Die Hamburger liegen bei Lust, Spaß, Arroganz und Hass vorn. […] Nach den Begriffen Seitensprung und Leidenschaft wird am häufigsten von Augsburg aus gesucht. Dem Kuss spüren am häufigsten die Ulmer nach, dem Sex die Menschen in Osnabrück« (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. August 2007, S. 7).
Neben solchen Versuchen, Städte zu charakterisieren und typischen Bürgerinnen und Bürgern bzw. typischen Handlungsmustern sowie Interessenlagen auf die Spur zu kommen, werden auch fundierte Vergleiche in den Medien sowie in Wirtschaftsrankings und -ratings angestellt: »Drei Monate lang stellt die Frankfurter Rundschau vor, wie es sich in den größten Städten des Rhein-Main-Gebiets lebt und wo deren Besonderheiten sind« (Frankfurter Rundschau, 17. Februar 2007). Während die Frankfurter Rundschau ein regionales Konkurrenznetz aufspannt, stellt die Zeitschrift New York Magazine eine imaginäre Geografie zwischen London und New York her und symbolisiert als Boxkampf, worum es in den Vergleichen geht: um die Frage, wer die Beste ist.
Abb. 1: New York versus London. New York Magazine, Titelblatt vom 24. März 2007.
Auch die Planungspraxis lebt davon, die Besonderheiten einer Stadt zu isolieren und daran angepasste Vorschläge für die Raumkonzeption zu erarbeiten. Das Wissen jedoch, welche Strategien in welchen Städten Erfolg versprechend sind, wird kaum systematisiert. Planung muss nicht nur sensibel mit den Differenzen zwischen Städten12 umgehen und passgerechte Lösungen für Städte konzipieren; Planungspraxis besteht auch darin, Besonderung im Sinne von Strategien zur Erreichung von Unverwechselbarkeit und Ausschöpfung eigener Potenziale zu erreichen. Der Bonner Stadtbaurat Sigurd Trommer bringt dies im Rahmen des im Jahr 2000 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) aufgelegten Forschungsprogramms »Stadt 2030« exemplarisch zu Ausdruck: »Im Organismus Stadt stecken Unmengen an Begabungen und Erfahrungen«, schreibt sie (in Trommer 2006, S. 37) und schlussfolgert kurz darauf: »Die Chancen der Stadt liegen in ihrer Begabung, ein unverwechselbares Bild zu sein« (ebd., S. 42). Sieben der einundzwanzig in dem Forschungsvorhaben »Stadt 2030« bewilligten Projekte beschäftigen sich mit »städtischer Identität« (so die gewählte Formulierung), was das Auswahlgremium zunächst überraschte: »In diesen Projekten dominierten Fragen und Probleme der Stadtkultur, der jeweiligen Stadttradition, des Selbstverständnisses einer Stadt und ihrer Bevölkerung« (Göschel 2006 a, S. 15). Das Eigene der Stadt zu entfalten ist ein Projekt, das zurzeit viele Kommunen beschäftigt. »Denn«, so fasst Marianne Rodenstein zusammen, »aus Sicht des Globalisierungswettbewerbs unter konkurrierenden Städten ist nicht nur das Erreichen eines neuen Modernisierungsstandards, das Gleichziehen mit anderen konkurrierenden Städten notwendig, sondern auch das Herausstellen der Differenz, der Unterscheidbarkeit zu anderen Städten« (Rodenstein 2006, S. 14). Die Süddeutsche Zeitung spricht in diesem Zusammenhang sogar vom 21. Jahrhundert als einer Epoche des Städtewettbewerbs (Süddeutsche Zeitung, 2. Mai 2006, S. 17). Wenn die Stadtbaurätin Sigurd Trommer die Lösung der Konkurrenzsituation in der Herstellung eines unverwechselbaren Bildes sieht, dann verweist dies auf die13 Bedeutung, die Bildern in diesem Prozess zukommt.[2] Der Konkurrenzkampf wird zumindest auch ikonisch geführt. Er ist eingelagert in eine Erfahrung weltweit gestiegener Abhängigkeiten, die als Globalisierung schlagwortartig im Bewusstsein vermutlich jeden Bürgers und jeder Bürgerin verankert sind und zu ambivalenten Strategien von Mithalten-Wollen und Abgrenzen-Müssen führten. Die Anforderungen an Mitspieler sind je nach ›Städteliga‹ unterschiedlich definiert. Für Großstädte sind sie jedoch auffällig über Kulturelemente bestimmt: Stararchitekturen, Subkulturen, Events etc. Wer hätte geglaubt, dass Frankfurt am Main seinen touristischen Wert eines Tages durch eine besondere Anerkennung der Homosexualität ausbauen möchte, wie es 2006 öffentlich diskutiert wurde, nur weil Köln, Berlin und Hamburg sich über die Selbstverständlichkeit im Umgang mit Homosexualität durch schwule Bürgermeister und ausgeprägte Subkulturen profilieren?[3] Subkultur und Sexualisierung werden Strategien im Kampf um die Anerkennung als Großstadt.
Seit Richard Floridas Veröffentlichungen (Florida 2005) weiß jeder Bürgermeister, wie man auf deren Internetseiten nachlesen kann, dass es im Wettbewerb der Städte auf die drei »Ts« ankommt: Technologie, Talent, Toleranz. Nachdem Der Spiegel (Nr. 34, August 2007, S. 98 ff.) unter dem Titel »Was Städte sexy macht« die Konkurrenz der Städte um die kreative Klasse dokumentierte und kommentierte, veröffentlicht im Februar 2008 die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Ergebnisse einer von ihr 14bei Roland Berger Strategy Consultants (warum eigentlich nicht in den Stadtforschungsinstituten der Universitäten?) in Auftrag gegebenen Studie zum Kreativitätsindex 2008, der die Wettbewerbspotenziale der vermeintlich wichtigsten deutschen Großstädte (Berlin, Hamburg, Düsseldorf, Köln, Leipzig, Frankfurt am Main, Nürnberg, Mannheim, Stuttgart, München) misst (ausführlich dazu Kapitel 5 und 6 in diesem Buch). In der anschließenden Debatte stellen die Journalisten wichtige Fragen zu den Differenzen zwischen Städten, zum Beispiel warum die Frankfurter nicht wie die Kölner ein Repertoire an Liedern über ihre Stadt entwickelt haben und auch nicht mit den heimischen Biermarken angeben, wie die Kölner dies tun. Ist es möglich, dass sich Köln als Stadt als regionale Einheit entwirft (etwa in Karnevalsliedern wie »Hey Kölle, du bes e Jeföhl«/»Hey Köln, du bist ein Gefühl«), während sich Frankfurt am Main als Knotenpunkt im globalen Strom versteht? Anders gesagt: Wie verschränken sich historisch gelagerte soziokulturelle Sedimente mit Unterscheidungs- bzw. Vernetzungspolitiken und Relevanzsetzungen in verschiedenen...