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E-Book

Spectaculum

Die Erfindung der Show im antiken Rom

AutorKarl-Wilhelm Prof. Weeber
VerlagVerlag Herder GmbH
Erscheinungsjahr2019
Seitenanzahl304 Seiten
ISBN9783451816734
FormatePUB
KopierschutzWasserzeichen
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis21,99 EUR
Wer hätte das gedacht! Die größten Shows und Spektakel der heutigen Zeit haben eine lange Tradition. In einem ebenso unterhaltsamen wie kenntnisreichen Streifzug durch das antike Rom macht uns der Altphilologe Karl-Wilhelm Weeber bekannt mit Spektakeln wie Wagenrennen und Gladiatorenkämpfen, er präsentiert uns öffentliche Striptease-Einlagen und gewiefte Rhetoren, lässt uns an Dinnershows teilnehmen und an inszenierten Begräbnissen. Weeber zeigt, dass die Promi-, Talk- und Sportevents unserer Tage bis zu den alten Römern zurückreichen und die Ewige Stadt selbst nichts anderes war als eine einzige große Bühne. Dieses faszinierende Buch lässt uns die Antike neu erleben und rückt sie nahe an uns heran.

Karl-Wilhelm Weeber, Prof. Dr., ehemaliger Direktor des Wilhelm-Dörpfeld-Gymnasiums in Wuppertal, Honorarprofessor  (Univ. Wuppertal) und Lehrbeauftragter für Didaktik der Alten Sprachen an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist ein bekannter Autor von Sachbüchern zur Antike und zur lateinischen Sprache.

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Leseprobe

2.

Sinnstiftung mit Erlebniswert

Der Triumphzug


Ausgerechnet die Elegiker! Den römischen Liebesdichtern verdanken wir einige der anschaulichsten Schilderungen, wie sich die Zuschauer beim Triumphzug verhielten. Diese Perspektive wird von den Berichterstattern des Altertums sonst selten eingenommen. Aber warum »ausgerechnet«? Weil die Elegiker für ihre Lebensweise alles Kriegerische ablehnen, weil sie oft genug ihr Unverständnis für Soldaten zum Ausdruck bringen, die ihre Liebste für einen Feldzug daheim allein lassen, und weil sie sich geradezu programmatisch als Anti-Militaristen zu erkennen geben: »Wieso sollte ich Kinder für Triumphe über die Parther bereitstellen?«, fragt Properz und versichert: nullus de nostro sanguine miles erit, »von meinem Blut wird es keinen Soldaten geben«.1

Das hindert ihn aber nicht, sich unter die zahllosen Zaungäste zu mischen, die einen Triumphzug staunend und bewundernd verfolgen. »Vor meinem Tode möchte ich noch den Tag erleben, an dem ich sehen darf, wie die Pferde am beutebeladenen Wagen des Kaisers bei den Beifallsstürmen des Volkes häufig scheuen.« Als Elegiker kann er es sich beim Zuschauen besonders gemütlich machen; Liebe und Kriegsspektakel lassen sich wunderbar verbinden: »An den Busen des geliebten Mädchens gelehnt, werde ich anfangen zuzuschauen und die Namen der eroberten Städte auf den Tafeln zu lesen.« Auch die imponierenden Beutestücke, die den Römern präsentiert werden, guckt Properz sich gern an, will aber nichts davon haben: »Diese Beute soll denen gehören, deren Strapazen sie verdient haben. Mir wird es genug sein, auf der Heiligen Straße Beifall klatschen zu können.«2

»Gemeinsame Freuden« – Ein Fest für Augen und Ohren


Der Kriegsdienstverweigerer Properz findet nichts dabei, sich wie die riesige Menge zu verhalten, die ihn umgibt. Er tut das, was alle tun. Die Verben bringen es zum Ausdruck: videre, spectare, legere und plaudere, »sehen«, »genau hinschauen«, »lesen« und »applaudieren« – das sind die Aktivitäten derer, die in den Genuss dieses größten und römischsten aller spectacula kommen. Einzig mit dem legere haperte es bei vielen; das Gros der Römer bestand aus Analphabeten. Aber für sie wurde vieles ins Bild gesetzt, das man auch ohne die beigefügten Kommentare verstehen konnte.

Triumphzüge verbanden sich mit starken, nachhaltigen visuellen Erlebnissen. Das wird klar, wenn sich ein anderer Liebesdichter, der nach Tomi ans Schwarze Meer verbannte Ovid, aus der Ferne vorstellen kann, wie es dabei in Rom zugeht. Statt der unmittelbaren Anschauung als spectator in der Hauptstadt muss er sich auf die fama verlassen, die Kunde von einem Triumphzug in Rom. Die fama wird so zu seinen Augen (oculi fama fuere mei) – freilich kann sie diese Imaginationskraft nur vor dem Hintergrund eigener Seh-Erfahrung von früher entfalten. Allein diese Erinnerung vermag ihn zu demselben Gefühl, derselben freudigen Erregung hinzureißen, als hörte und sähe er die Vorgänge tatsächlich.3 Der Exilant vergegenwärtigt sich die Szenerie in seinem geliebten Rom. Trompeten schmettern, die Menge klatscht Beifall, es herrscht eine ausgelassene Stimmung, der Jubel und das Geschrei der Begeisterung erfassen auch denjenigen, der eher zu den Nüchternen, Ruhigen gehört. Und auch das viele Sehenswerte ist ganz präsent: »Der Triumphator in seinem elfenbeinernen Wagen, die tausend Gestalten, die Orte und Stämme vertreten, der Glanz von Silber, Gold und Purpur und selbst die Mienen der besiegten Herrscher, die im Pulk der Gefangenen mitgeführt werden.« Und so wirken die Verse über das Triumph-Gedicht, das er nicht schreiben kann, weil ihm das Erleben des Augenzeugen fehlt, gleichwohl ungemein anschaulich, ja authentisch.4

Noch stärker arbeitet Ovid in einem zweiten Exil-Gedicht die Stimmung heraus, die einen Triumphzug in Rom beherrscht. Erneut ist es eine reine Vorstellung, ein imaginäres Erleben, das er seiner mens, seinem »Geist«, verdankt: Mit seiner Hilfe »sieht« er, mit seiner Hilfe »werden seine Augen mitten nach Rom gebracht« (mente videbo; illa oculos mediam deducit in urbem).5 Ein Riesenfest, das sich da abspielt! Zentrale Adjektive sind laetus und felix. Die Menschen sind »froh« und »glücklich«. Indem sie den langen Triumphzug mit den Augen verfolgen – erneut wird das »Sehen« durch zahlreiche Verben betont6 –, feiern sie ein heiter-ausgelassenes Fest. Er dagegen, der nach Tomi Verbannte, ist von den »gemeinsamen Freuden« ausgeschlossen.7

communia gaudia – darin erweist sich der Einheit stiftende Charakter der Triumphfeier, bei der Sieger und Besiegte ständig scharf kontrastiert werden. Das schweißt zusammen, als Römer weiß man sich auf der richtigen Seite. Und daraus entsteht ein Gemeinschaftsgefühl, das über das Fest hinaus andauert. Gefeiert wird übrigens der Triumph des Tiberius über die Germanen, aber das ist hinsichtlich der Stimmung sekundär, wenngleich diese Feinde natürlich zu den besonders ernstzunehmenden zählen und der Sieg umso freudiger gefeiert wird – jetzt, da »die Germania gedemütigt unter dem Fuß des unbesiegten Feldherrn hockt und ihren Hals beherzt dem römischen Beil darbietet«.8

Vor Ovids geistigem Auge erscheint hier ein Motiv, wie es in ähnlicher Weise in vielen römischen Triumphzügen auf großen gemalten Plakaten zu sehen war. Das alles vollzieht sich nicht in weihevoller Stille, sondern mit Lärm und Geschrei, mit Klatschen und Hochrufen. Die Soldaten lassen ihren Triumphator mit io triumphe! hochleben oder stimmen Spottgesänge auf ihn an, die Zuschauer – nach modernen Berechnungen Hunderttausende – winken und schreien und tauschen sich intensiv über alles aus, was ihnen vor die Augen kommt. Hinzukommen, ohne dass Ovid es an dieser Stelle ausführt, die Marschiergeräusche der Zugteilnehmer, die Hufe der Pferde, das Knarren der Wagen, die Aufforderungen der Zugordner, das Stöhnen und Wehklagen der Gefangenen. Das alles summierte sich zu einer beachtlichen Geräuschkulisse, die Ovid in einem einzigen Vers mit gleich vier fast synonymen Begriffen evoziert: Lärm, Applaus, Getöse, Gesang. Und das heißt: Eine pompa triumphalis war nicht nur eine kontinuierliche Herausforderung für die Augen, sondern auch für die Ohren. Oder freundlicher und der Stimmung stärker angepasst formuliert: Sie war ein Fest für die Augen und Ohren. Die im Alltag lärmgeplagten Bewohner Roms dürften es eher als Erholung empfunden haben, wenn sich beim Triumph eine von Fröhlichkeit und Jubel geprägte, gewissermaßen positive »Akustik« über die City Roms legte – Ausdruck eben der communia gaudia, der gemeinsam zelebrierten Freude.

Beute, Besiegte, Bildtafeln – Gesprächsanlässe beim Flirten


Teil des intensiven Gemeinschaftserlebnisses war der Austausch der Zuschauer über das, was man sah, die Ahs und Ohs des Staunens an die Menschen weiterzugeben, die neben einem saßen oder standen, sich von der Begeisterung impulsiver Nebenleute anstecken zu lassen und sich über die Bildtafeln, die exotischen Beutestücke, den prächtigen Feldherrn auf seinem Viergespann und die elenden Kreaturen zu unterhalten, die in der pompa gefesselt, mit zerrissener Kleidung und schlimmen Kriegsverletzungen mitgeschleift wurden. Wie mochten die sich jetzt fühlen? Wer war dazu bestimmt, am Ende des Umzugs in den Mamertinischen Kerker geschleppt und dort umgebracht zu werden? Was mussten die Kinder ertragen, die da ebenfalls im Block der Kriegsgefangenen mitgeführt wurden? All das bot viel Gesprächsstoff – und nicht zuletzt die vielen Personifikationen von Flüssen und Bergen, von Seen, Völkern und Städten, die Tafeln mit den geographischen Bezeichnungen und den nie gehörten Völkernamen, die die des Lesens Kundigen den anderen vorlasen.

Die einschlägigen Kenntnisse der allermeisten Zuschauer waren gering. Von Germanen hatten sie gehört, wo Afrika und Asien ­lagen, wussten sie so ungefähr, ebenso waren Rhein, Nil und Euphrat keine Unbekannten, aber über dieses Basiswissen hinaus waren die ­meisten mit ihrem Geographie-Latein rasch am Ende. Das Gleiche traf auf die Namen von Potentaten und Volksstämmen zu, die live oder im Bild als besiegt vorbeigeführt wurden: Mit vielen konnten man schlicht nichts anfangen. Da stellten sich Fragen, und da kam man zwanglos ins Gespräch miteinander – für alle, die auf der Suche nach einer Partnerin oder einem Partner waren, eine unverfängliche Gelegenheit, beim Triumph vorsichtig zarte Bande zu knüpfen.

Erneut stoßen wir hier auf Ovid, allerdings in einer anderen Situation. Da ist er noch ein gefeierter Dichterstar in Rom, der sich in der ars amatoria als Liebeslehrer profiliert und dabei auch die Triumphfeier als aussichtsreichen erotischen Treffpunkt empfiehlt. »Fröhlich werden junge Männer und gemeinsam mit ihnen junge Frauen zuschauen, allen wird dieser Tag die Herzen höherschlagen lassen.« Und da lässt sich männliche Kompetenz ganz organisch in – wenn auch noch zögerliche – Appetenz umwandeln. »Wenn eine von...

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