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Spielregeln und Regelung. Zeichen-Zahlenkampfspiel 'Zweite Maschine'

AutorJana Friedel
VerlagGRIN Verlag
Erscheinungsjahr2014
Seitenanzahl103 Seiten
ISBN9783656571254
FormatPDF/ePUB
Kopierschutzkein Kopierschutz/DRM
GerätePC/MAC/eReader/Tablet
Preis24,99 EUR
Magisterarbeit aus dem Jahr 2011 im Fachbereich Medien / Kommunikation - Sonstiges, Note: 1,5, Humboldt-Universität zu Berlin (Institut für Kulturwissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: »Das Beispiel mit dem Schach war hinterlistig, weil Schach ein sogenanntes ?geschlossenes? Spiel ist: Der Spieler ist an die ihm gegebenen Spielsteine und Spielregeln gebunden,« schrieb einst VILÉM FLUSSER und bekannte sich, in seinem Essay Gesellschaftsspiele, öffentlich zu einer Inkompetenz für das Spielen mit Zahlen. Für das ?Überspielen? der fehlenden Eigenschaft, wird man versuchen, eine mathematische Formel zu umschreiben, in Form eines ?offenen? Spiels, wie es die deutsche Sprache offenkundig zu sein scheint. »Der Spieler (zum Beispiel der Schriftsteller) kann neue Spielsteine (zum Beispiel Worte) und neue Spielregeln (zum Beispiel syntaktische) im Verlauf des Spiels hineinfüttern, ohne des Schwindels beschuldigt zu werden.«

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Leseprobe

I VORSPIEL- ODER WARUM WIR OHNE PLATON NICHT SPIELEN KÖNNEN


 

1(Vor)Zeichen


 

1.1 Der Götterbote der Spielregeln


 

Und wieder stellt sich die Frage nach dem Gott, denn welcher der Götter war es denn nun, der das Spiel eröffnete, uns den Ursprung der Kultur schenkte und uns alles Nötige zum Speichern, Übertragen und Verarbeiten verlieh? »Welcher Gott im Rücken Gottes beginnt die Partie?«[38] Wer gab uns die erforderlichen Werkzeuge, um einen medientechnischen Vollzug von einer vokalalphabethischen Schrift zu ›transklassischen Spielregeln‹ zu vollziehen, die in den heutigen Computer Spiel Welten als technische Bilder getarnt vorherrschen und eine einst existierende Spielfläche mit Figuren in einen bloßen Oberflächeneffekt verwandeln, »wie er unterm schönen Namen Interface bei Konsumenten ankommt?«[39]

 

Die Schriftzeichen als Speichermedium der Regeln, die Zahlen um sie in einen besseren Code zu übertragen (VILÉM FLUSSER) und die Maschinen als Verarbeitungsmedien finden ihren Anfang in der griechischen Antike, sowohl mythisch als auch medienarchäologisch. Unter dem Namen Kritik der Schriftlichkeit erlangte, die wohl älteste Medienkritik zu ihrer Berühmtheit und verankerte zugleich die Geburt aller nötigen Spielelemente. SOKRATES, »der selbst nie ein schriftliches Wort, dafür ein Aufschreibesystem namens PLATON hinterließ«[40], schenkte uns folgende Erzählung. Wir erinnern uns:

 

»Ich habe also gehört, zu Naukratis in Ägypten sei einer von den dortigen alten Göttern gewesen, dem auch der Vogel, welcher Ibis heißt, geheilt war, er selbst aber, der Gott, habe Theuth geheißen,«[41] erzählt er im platonischen Dialog Phaidros. Weiter schildert er: »Dieser habe zuerst Zahl und Rechnung erfunden, dann die Meßkunst und die Sternkunde, ferner das Brett- und das Würfelspiel, und so auch die Buchstaben.«[42]

 

Parallel zur Geburt der Brett- und Würfelspiele, schenkte THEUTH den Menschen alle notwendigen Bauelemente, um seine Welt auf ein Zweiersystem zu reduzieren. Ausgestochen von Zahl und Rechnung sowie Geometrie und Astronomie[43] ist es allein die Schrift, die sich auf den letzten Seiten des Dialogs isoliert einer Kritik unterziehen muss und so aus der Genese eines Medienverbunds herausgetrennt wird.

 

Als er aber an die Buchstaben gekommen, habe Theuth gesagt: ›Diese Kunst, o König, wird die Ägypter weiser machen und gedächtnisreicher, denn als ein Mittel für den Verstand und das Gedächtnis ist sie erfunden.‹ Jener aber habe erwidert: ›[…] So hast auch du jetzt als Vater der Buchstaben aus Liebe das Gegenteil dessen gesagt, was sie bewirken. Denn diese Erfindung wird der Lernenden Seele vielmehr Vergessenheit einflößen aus Vernachlässigung des Gedächtnisses, weil sie im Vertrauen auf die Schrift sich nur noch von außen vermittels fremder Zeichen, nicht aber innerlich sich selbst und unmittelbar erinnern werden. Nicht also für das Gedächtnis, sondern nur für die Erinnerung hast du ein Mittel erfunden.‹[44]

 

Die Schrift ist ein Mittel des Erinnerns, nicht aber ein Vorzug für das Gedächtnis. Die Errungenschaft beliebig viele Informationen durch die Schrift aufzubewahren, erkannte der ägyptische König dem Vater der Buchstaben ab, sprach doch wahrhaftig der Mittler zwischen Himmel und Erde selbst zu ihm, denn THEUTH »galt als Herr des Kalenders und der Wissenschaften, als Schützer der Schreiber und Schöpfer der Gesetze; die Griechen glaubten in ihm Hermes sehen zu sollen.«[45] Vor allem aber war er der symbolische Überbringer aller nötigen Information, die zum Austausch zwischen Göttern und Menschen notwendig waren, mündlich sowie schriftlich.

 

»Das Spezifische am Alphabet ist, daß seine Zeichen (die Buchstaben) Phoneme bedeuten.«[46] Durch die Schrift wird überlieferte Sprache zum Grundstein von leitenden Regeln eines Spiels und PLATONS Kritikpunkt spielt sich zugunsten der Regeln ab. Einmal vergessen kann sich der Spieler durch die Anleitung wiedererinnern, also jener, »welcher derselben Spur nachgeht,« [47] bzw. sich die Regeln selbst aneignen und damit einer mündlich manipulierten Vorgabe entgegensteuern. Welches jedoch nur jenen vorbehalten war, die des Lesens mächtig waren. Im Mittelalter bedeutete die Schrift ebenso ein Geheimcode, wie heute die numerischen Codes eines Computerprogramms.

 

Die Schrift gibt den Spielregeln eine Sicherung vor einer Verfälschung gegenüber dem Mündlichen, was nicht heißt, dass sie vor einer Manipulation gesichert war. »Schrift ist aufgeschriebene Sprache«,[48] wer sich folglich des Alphabets bedient, muss den Umweg über die gesprochene Sprache nehmen, um die von ihm beabsichtigte Information zu verschlüsseln.[49]

 

Die Stille Post ist sprichwörtlich das akustische Bei-Spiel für den Transport von Information unter physikalisch-erschwerten ›nebenbei Erzähltem‹, denn Beispiel entstammt dem mittelhochdeutschen bīspil, dessen Bedeutung eigentlich ›das dazu Erzählte‹ war.[50] Das Flüstern wird hier zum Rauschen und je nach Lautstärke und Klarheit der Aussprache kann die Information ihren Kanal durchlaufen. Ist die Eingangsinformation dieselbe wie die Ausgangsinformation, ist das Spiel gewonnen. Die Töne durchlaufen dabei verschiedene Zwischenstufen, anders die Schrift, denn nur bei ihr handelt es sich um diskrete Zeichen.[51] »Diese Bestimmtheit impliziert, dass mit Schriftelementen grundsätzlich nach eindeutigen Regeln operiert werden kann.«[52]

 

 Einleitend stellten GERNOT GRUBE und WERNER KOGGE die Frage nach der Schrift, die medienwissenschaftlich als Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine betrachtet wird. Weiter steht geschrieben: »Die Anwendung von Schrift in Logik und Mathematik, aber auch die Möglichkeit, solche symbolischen Maschinen in wirkliche Maschinen zu implementieren, liegt im operativen Aspekt von Schrift begründet: Es ist kein Zufall, dass Maschinen durch schriftliche Programme, nicht durch Bilder oder gesprochene Sprache gesteuert werden.«[53] Einst Gesprochenes und Gehörtes wird durch das Geschenk der Buchstaben zum Lesen und Schreiben und das archaische Flüstern der Götter zum READ und WRITE unserer Kultur, als Erbgut der phonetischen Notation mittels des griechischen Alphabets.

 

»Die Transformation auditiven Materials in die visuelle Form eröffnet die Möglichkeit der präzisen Speicherung jenseits der Erinnerung, außerhalb des Kopfes und, unter Nutzung dieses Speichers, die Konstruktion philosophischer und dramatischer Texte.«[54] Die Schrift entmündigt die göttlichen Befehle und ebnet nach JULIAN JAYNES den Ursprung des Bewusstseins durch den Zusammenbruch der bikameralen Psyche, so beginnt die Geschichte unseres ›Zweiersystems‹ an der Stelle, wo ein anderes zusammenbricht. JAYNES fängt an wie folgt:

 

1.2 Vom Flüstern zum Spiel


 

»WAS FÜR EINE WELT des augenlosen Sehens und des hörbaren Schweigens, dieses immaterielle Land der Seele!«[55] Dieses Land besaß in vorhomerischen Zeiten einen ›Zwei-Kammer-Geist‹, also nach JULIAN JAYNES einen ›bikameralen Geist‹ dessen Zusammenbruch die Entstehung eines Bewusstseins bewirkte.

 

Die Menschen der »Ilias« kannten keine Subjektivität wie wir; sie wurden ihres Gewahrseins der Welt nicht gewahr, besaßen keinen inneren Raum, wo sie sich selbst hätten beobachten können. Um die Geistesverfassung der Mykener von unserem eigenen, subjektiven Geist zu unterscheiden, werden wir sie als Zwei-Kammer-Psyche oder (der dadurch vereinfachten Kompositabildung halber) als bikamerale Psyche bezeichnen. Wollen, Planung und Handlungsanstoß kommen ohne irgendwelches Bewußtsein zustande und werden sodann dem Individuum fix und fertig in seiner vertrauten Sprache »mitgeteilt«, manchmal mit einer Gesichtsaura in Gestalt eines vertrauten Menschen oder einer Autoritätsfigur als Begleiterscheinung, manchmal allein in einem Stimmphänomen. Das Individuum gehorcht diesen Stimmen, weil es nicht »sieht«, was es von sich aus tun könnte.[56]

 

MARSHALL MCLUHAN formulierte 20 Jahre zuvor das ›augenlose Sehen‹ und das ›hörbare Schweigen‹ ganz ähnlich, denn nur das phonetische Alphabet macht in seinen Augen eine derartig scharfe Trennung in der Erfahrung »indem es dem, der es verwendet, ein Auge für ein Ohr gibt und ihn aus dem Trancezustand der nachhallenden Wortmagie und der Sippenbindung des Stammes befreit.«[57] Der Mensch schwebt in einer Übergangsphase zwischen dem gesprochenen Wort des ›hörbaren Schweigens‹ und des frischgeborenen geschriebenen Wortes, welches einem ›augenlosen Sehen‹ gleichkommt und den magisch göttlichen Kanal über das Ohr für das Auge freigibt. Der...

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